Schnaps, Rock'n'Roll und Beziehungen im Allgemeinen. Der Stoff aus dem Meisterwerke entstehen können, man denke an THIN LIZZY, REPLACEMENTS, HÜSKER DÜ, ja sogar den ollen Bruce mit seiner E STREET BAND. Man denke an THE HOLD STEADY. Das konnte man so (oder ähnlich) jetzt oft genug beim großem Konsens hinsichtlich des neuen Album "Boys And Girls In America" hören und lesen. Was die Herren aus New York selbst dazu zu sagen haben, das galt es nun selbst herauszufinden. Denn als ein Magazin, das sich Rock'n'Roll auf das Titelblatt schreibt, kommt auch dieses hier nicht an dieser Band und diesem Album vorbei. Und das Ergebnis des Soundchecks im letzten Heft bestätigte mich dann.
Mit "I'm back in Germany!" beantwortet Gitarrist Tad Kubler meine Frage, ob er zum ersten Mal in Deutschland sei. "Ich war schon mal in Europa auf Tour, und in Deutschland waren wir damals viel unterwegs, daher kommt mir dass alles hier relativ bekannt vor". Umso erfreulicher sind dann natürlich die Reaktionen, die das neue Album hierzulande hervorgerufen hat. "Ganz ehrlich, damit haben wir nicht gerechnet. Wir haben gedacht, dass wir hier quasi bei Null anfangen müssten, aber deshalb kommen wir glücklicherweise schneller zurück als gedacht". Dann für mehr als nur eine Show. Hoffentlich. "Wir hatten echt keine Ahnung, was uns erwartet, und dachten, wir würden vor zwanzig Leuten spielen. Aber dann waren die ersten Shows schon ausverkauft, bevor wir überhaupt unsere Flüge gebucht hatten. Ich dachte erst an einen Irrtum, aber wurde dann schnell eines Besseren belehrt", freut sich mein auch nach einem langen Tag hörbar entspannter Gesprächspartner.
Tad sieht seine Band im Kontext der Rock- und Popkultur relativ losgelöst. "Das was wir machen, ist einfach nur Rock'n'Roll, in dem Sinne, dass wir nicht von irgendwelchen Trends beeinflusst werden. Wir schreiben Songs, die wir selbst hören wollen, und das macht uns natürlich riesigen Spaß. Und wenn die Leute dann so darauf reagieren, ist das natürlich großartig." Man sei von "Wetterumschwüngen" unabhängig. Dem kann man angesichts von Songs wie "Chips ahoy" oder "Massive nights" und ihrer Zeitlosigkeit nicht widersprechen. Und aus irgendeinem Grund muss ich an die Worte "It's only rock'n'roll ..." denken.
Überhaupt das ganze Album: Emo? Americana? Hardrock? Indie? Weiß der Henker, aber definitiv ein Kandidat für die ewige Bestenliste. "Wir ahnten zwar, dass wir ein gutes Album gemacht haben, aber davon darf man sich nicht beeinflussen lassen und muss den Gedanken daran, wie es andere Leute finden mögen, ausblenden", beschreibt Tad den Entstehungsprozess zu "Boys And Girls In America". "Auch wenn Craig [Finn, der Sänger von HOLD STEADY, Amn. d. Red.] und ich die Songs vorbereiten, so ist das Ergebnis doch immer ein Band-Ding", fährt er fort. "Auf dem neuen Album habe ich zum Beispiel zusammen mit unserem Keyboarder Franz besonders darauf geachtet, wie sich unsere Parts am besten ergänzen. Ich wollte ihm einfach mehr Möglichkeiten geben, denn er ist ein absolut fantastischer Musiker."
Und das vollkommen zu Recht, wie man in der Nachbetrachtung feststellen muss. Denn mit seinen herrlich abgefahrenen Tupfern und Melodien trägt Franz Nicolay (bekannt durch THE WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY) einen wesentlichen Teil zu der, man verzeihe dieses Wort, "Magie" des aktuellen Werks bei. "Unsere Rhythmussektion ist natürlich auch der Hammer, wir schreiben unser Zeug auch sehr schnell runter, denn wir sind insgesamt ein ziemlich talentierter Haufen, wie ich finde", zeigt sich der sympathischerweise auch mit einem Bier bewaffnete Gitarrist (der sich übrigens um HOLD STEADY im Internet kümmert) weiter als Teamplayer.
Was uns in einem beispiellosen Bruch zu den Texten bringt. "Erst mal bin ich Craigs größter Fan, also habe ich natürlich viel Glück, dass ich mit ihm zusammenarbeiten darf. Ich versuche auch, nicht zuviel nachzufragen, denn es sind immerhin seine Texte. Aber ich genieße es sehr, wenn Journalisten ihn fragen, denn meistens will ich genau dasselbe wissen. So erfahre ich, was ich will, und riskiere nichts". Auf Referenzen wie Jesus und Judas, angesprochen sagt er, dass Craig natürlich durch seine katholisch geprägte Kindheit zu dem Menschen wurde, der er heute sei, aber sich seine Texte doch eher um die Höhen und Tiefen, um Vertrauen und Hoffnung drehen. Ganz zentrale Themen im Leben also. Und Drogen und Alkohol, ein wiederkehrendes Thema? "Da werden natürlich auch oft drauf angesprochen. Aber Craig singt nie über so was, ohne die Konsequenzen zu erwähnen, die das mit sich bringt." Mike Ness könnte neidisch werden. Man pflegt wohl auch aufgrund dessen einen recht entspannten Umgang mit dem Thema Alkohol an sich, so hört man unter anderem von Fans, die Rekordumsätze in Sachen Spirituosen sprengen ... "Auch wenn wir natürlich sehr gerne einen draufmachen, sind wir doch verantwortungsbewusste Menschen", erwidert er als Erstes. "Wir sind nur ein paar biertrinkende Jungs aus dem mittleren Westen. Aber ist das unser Lifestyle? Nein, wir wollen halt ein bisschen Spaß haben. Wir sind ja schließlich nicht Shane MacGowan ..." Und da klingelt es schon wieder in meinen Ohren, dieses "It's only rock'n'roll ..."
Man kann natürlich trotz aller Bemühungen seine Einflüsse nicht ganz verschleiern, also jetzt mal Butter bei die Fische: Wer ist der THIN LIZZY-Fan der Band? "Das sind dann wohl Galen und ich", lacht er, und das ist gut so. Denn angesichts von "Hot soft light" und "Massive nights" wäre Leugnen geradezu sträflich. Charmant wird hier einer, wie Tad findet, "gerade in den USA auf das Sträflichste übersehenen Band" gehuldigt. "Ich persönlich stehe am meisten auf die Robertson/Gorham-Ära", eröffnet er einen kleinen Meinungsaustausch mit dem Autor, der Sie, verehrter Leser, an dieser Stelle nur ablenken würde. Weiter im Text: Wie steht er denn zu all den Namen, die von den Medien in den Raum geschmissen werden? "Nun, mit der Gesellschaft der E STREET BAND, von THIN LIZZY und den REPLACEMENTS kann ich gut leben", und man kann sich das Grinsen am anderen Ende der Leitung förmlich vorstellen. "Dass viele Leute ?Springsteen!? sagen, liegt anscheinend am Klavier. Die E STREET BAND hat den Einsatz des Klaviers im Rock ja geradezu perfektioniert, also ist das für viele eine offensichtliche Referenz", gibt er sich kurz versöhnlich, nur um nachzulegen: "Ich kann aber ruhigen Gewissens für Craig mitsprechen, wenn ich sage, dass auf jede Stunde, die wir Springsteen gehört haben, wahrscheinlich vierhundert Stunden REPLACEMENTS kommen!"
Wo wir gerade darüber reden, also Minneapolis. Wie wichtig ist diese Stadt für THE HOLD STEADY? Er selbst sei erst mit zwanzig Lenzen in die Stadt im mittleren Westen gezogen, erfährt man, also hätte er (im Gegensatz zum dort gebürtigen Craig) natürlich eine Menge verpasst. Aber die Musikszene dort sei immer noch grandios und ein integraler Bestandteil des Stadtlebens, erfährt man auf weitere Nachfrage. "Du gehst eben am Freitag los und guckst dir eine Band an. Ob du sie kennst oder nicht." Und auch soziale Kontakte stehen im Zeichen der Musik. "Du willst ein Mädchen kennen lernen? Geh zu einer Show!", lacht er. "Es ist toll, dass wir solange ein Teil dieser Kultur, dieser Stadt waren und das, was wir da gelernt haben, haben wir dann auch nach New York mitgenommen und dort umgesetzt."
Denn dort, in diesem laut Tad "kreativen Epizentrum", befindet sich seit einiger Zeit das Hauptquartier der Band. Und wie schreibt man dann an einem solchen Ort die Songs? "Ich habe keine bessere Antwort als: mit fünf Leuten, die in einem beschissenen Proberaum in Brooklyn Bier trinken." Und das verdeutlicht vielleicht nun auch dem Letzten, wie unaufgeregt man zu Werke geht, wie sehr man in sich selbst ruht, was der Band wirklich wichtig ist. Im Studio, wo spontan gesungene Songs Produzenten (aus Angst, man könne sich am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern) in Panik ausbrechen lassen, ist das genauso wie live, wobei Tad die ausdrückliche Empfehlung an Konzertbesucher ausgibt, sich den nächsten Tag frei zu nehmen. Denn man ahnt es schon: It's only rock'n'roll ... aber verdammt gut!
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