HELLACOPTERS, die fünfte: mit „By The Grace Of God“ haben die Schweden ihr zweites Major-Album raus, und alles ist, wie es immer war. Dreizehn Songs lang zelebrieren Nicke, Boba (die ich auch in Sachen Interview in einem Kölner Hotel traf), Kenny, Robert und Robert den Rock, und sie machen das so gut, wie sie es auf den letzten Platten auch gemacht haben. Keine Ermüdungserscheinungen, aber auch keine Überraschungen, wer will sich da beschweren?
Seid ihr plötzlich zu gottesfürchtigen Schäfchen geworden oder was hat es mit dem Albumtitel „By The Grace Of God“ auf sich?
Nicke: Haha, nicht wirklich. Es ist einfach ein Titel, der gut klingt. Und ich denke auch, dass nichts wirklich zufällig passiert, also ob dein Gott nun so oder Allah oder Buddah oder wie auch immer heißt - das ist damit gemeint.
Boba: Der Titel passt sehr gut zur Platte, weil zu einem bestimmten Zeitpunkt alles sehr gut zusammengepasst hat: das Cover, die Songs, der Titel. Wir hatten das nicht geplant, es passte einfach plötzlich.
Nicke: Sowieso haben wir bei dieser Band nie etwas geplant. Als wir uns zusammenfanden, hätte keiner von uns geglaubt, dass wir mal fünf Alben machen würden, und das war auch nie unsere Absicht. Wir wollten eine Single machen und ein paar Shows spielen, sonst nichts. Plötzlich passierte aber eine Menge und wir hatten keine wirkliche Kontrolle mehr über die Entwicklung.
Ihr seid ja auch als Viel-Schreiber bekannt, wie lief das diesmal?
Boba: Wir hatten auch jetzt wieder viel zu viele Songs geschrieben. Wir hatten 20 Songs geschrieben und aufgenommen, mit denen wir zufrieden waren, und dann mussten wir 13 auswählen und jetzt haben wir sieben Songs übrig, die völlig okay sind, aber 20 wären einfach zu viel gewesen.
Nicke: Idealerweise hat ein Album für mich zehn bis zwölf Songs, zumindest war das früher mal so, als noch nicht so viel beschissene Musik gemacht wurde. Aber was sollen wir uns beklagen? Wir können nur unseren Teil dazu beitragen, dass es wieder besser wird, und deshalb machen wir Musik aus reiner Liebe zur Musik.
Glaubt ihr an musikalischen Fortschritt?
Boba: Klar gibt es Fortschritt, die Frage ist nur, ob das eine positive Entwicklung ist.
Nicke: Letztendlich ist das alles eine Frage des persönlichen Geschmacks. Wir als Band haben eher den Ansatz, die guten Elemente der Rockmusik zu bewahren, Elemente, die wir nicht mehr sehr oft finden in der heutigen Musiklandschaft. Über die Jahre geht einfach viel an Wissen verloren, und viele wissen heute gar nicht mehr, was für eine großartige Band CHEAP TRICK einst waren.
Apropos Retro und Bewahren: Was haltet ihr denn von Reunions? Nicht dass ich eine gewisse norwegische Band im Kopf hätte bei dieser Frage...
Nicke: Also, ich habe nicht verstanden, warum sich TURBONEGRO überhaupt aufgelöst haben. Letztendlich ist das deren Sache, ich will das auch nicht weiter kommentieren. Und es ist sowieso was anderes, ob es eine TURBONEGRO-Reunion gibt oder eine KISS-Reunion. Bei KISS funktioniert das schon allein deshalb, weil es eben KISS sind, da ist das Aussehen und die Show ganz wichtig. Aber eine SEX PISTOLS-Reunion? Na, ich weiß nicht... Ich und Boba standen zwar in der ersten Reihe, aber es war schon klar, dass es da vor allem ums Geld ging. Aber ich wüsste nicht, ob ich an deren Stelle anders gehandelt hätte.
Boba: Mit meiner anderen Band, den DIAMOND DOGS, waren wir kürzlich mit THE DAMNED auf Tour, oder nimm’ die LORDS OF THE NEW CHURCH, da stört sich niemand wirklich an der Reunion. THE CLASH sind ein anderer Fall, die können keine Reunion machen, denn damit würden sie alles zerstören, wofür sie jemals standen. Es hängt einfach von der Band ab, ob eine Reunion funktioniert oder nicht.
Euer letztes Album war das erste auf einem Major-Label. Hat sich dadurch was für euch verändert?
Nicke: Also, dazu muss ich sagen, dass unser letztes Album aufgenommen wurde, als wir gar keinen Plattenvertrag hatten. Ein Zusammenhang zwischen der Musik und dem Majordeal lässt sich bei dieser Platte also auf keinen Fall herstellen. Auf jeden Fall ist es auf einem Majorlabel anders als bei einem Indie. Das fängt schon bei so Sachen wie dem Veröffentlichungstermin an: bei White Jazz war es so, dass die Platte eben zu einem bestimmten Termin veröffentlicht wurde, in Schweden und dem Rest der Welt. Bei Universal ist das ganz anders, da muss das schwedische Universal-Büro das in Deutschland überzeugen, die Platte dann und dann zu veröffentlichen, und so geht das in jedem Land. Wir haben also weniger Kontrolle über so was, was ich nicht so sehr mag. Wichtig war und ist uns jedoch, dass wir mit unserer Musik möglichst viele Leute erreichen, und das schaffen wir mit Universal im Rücken besser als vorher. Wir selbst haben uns dabei kein Stück verändert.
Boba: Und wir lassen uns auch nicht in unsere Musik reinreden, uns sagt keiner, was wir zu tun oder zu lassen haben.
Nicke: Die können von sich aus bestimmen, welchen Song sie zur Single machen wollen, das ist uns egal. Wenn der Song auf dem Album ist, mögen wir ihn, und CD-Single-Auskopplungen interessieren uns sowieso nicht. Die Kehrseite des Majordeals im Vergleich zu White Jazz ist allerdings, dass ich früher zwei Leute anrufen musste, wenn ich was wollte. Jetzt muss ich 20 Leute anrufen, weil die untereinander nicht kommunizieren, und das kann manchmal schon frustrieren. Aber was soll ich machen? Wir tun auf jeden Fall unser Bestes.
Wie sieht’s in den USA aus? Da ist euer letztes Album nie auf Universal erschienen, sondern erst mit etwas Verspätung auf Gearhead.
Nicke: Das Problem war, dass Universal Schweden es nicht schaffte, eines der anderen Labels aus dem Konzern zu überzeugen, die Platte in den USA zu veröffentlichen. So fielen die Rechte nach einer Weile wieder an uns zurück und wir konnten uns selbst darum kümmern. Wir haben die Platte dann Mike gegeben, den wir schon lange kennen, und konnten so auch endlich wieder in den USA auf Tour gehen. Mit diesem Album könnte es vielleicht klappen, dass die Platte auch in den USA von Universal veröffentlicht wird, da das Klima für Rockmusik nach den STROKES und den WHITE STRIPES wieder etwas freundlicher geworden ist. Wir müssen mit dem neuen Album jetzt einfach mal sehen, was passiert, wo wir reinpassen.
Wenn man euch mit euren alten Kollegen von den BACKYARD BABIES vergleicht, ist es ja schon interessant, wie unterschiedlich sich die Sache da entwickelt hat: für die BACKYARD BABIES interessiert sich in unseren Kreisen kein Schwein mehr, während ihr eure Credibility auf jeden Fall gewahrt habt.
Nicke: Ich denke, die haben einfach den Kontakt zum Underground verloren. Ich will die jetzt nicht dissen, aber man muss sich eben immer wieder bewusst machen, wo man herkommt. Wenn ich mich zwischen einem Fanzine-Interview und einem mit einem beliebigen Hochglanz-Lifestyle-Magazin entscheiden muss, fällt die Wahl ganz klar auf das Fanzine, denn da geht’s um die Musik. Aber solche Sachen sind natürlich nur schwer zu kontrollieren, wenn du auf einem Majorlabel bist.
Wie sieht's eigentlich an der 7"-Front aus? In letzter Zeit sind erstaunlich wenige HELLACOPTERS-Singles erschienen.
Nicke: Wir hatten einfach keine Zeit! Wir haben aber ganz klar in unserem Vertrag stehen, dass wir sechs 7"s im Jahr bei anderen Labels machen können. Das ist einfach das beste Format für Rock-’n’Roll: zwei Songs, mehr braucht es nicht. Aber ich muss auch eingestehen, dass wir eine Weile lang einfach zu viele Singles gemacht haben. Dafür gab’s dann aber neulich auch die „Cream Of The Crap“-Single-Zusammenstellung, und Vol. 2 ist bereits für das Frühjahr in Planung. So kann jeder, der es will, die Songs hören, ohne dafür die völlig lächerlichen Sammlerpreise zahlen zu müssen. Es ist doch albern, wenn eine HELLACOPTERS-Single mehr kostet als eine rare SEX PISTOLS-Single. Aber so sind Sammler eben. Ich selbst konnte mich noch nie mit dem Gedanken anfreunden, dass irgendwas limitiert ist. Solange jemand eine Single kaufen will, soll das Label sie doch nachpressen!
Bist du selbst Sammler, hast du alle Platten, die ihr gemacht habt?
Nicke: Die meisten, aber auf jeden Fall besitze ich nicht alle Versionen. Robert, unser Drummer, ist derjenige in der Band, der sich darum kümmert, alle Platten komplett zu haben. Der hat zum Beispiel vom neuen Album, das mit drei verschiedenfarbigen Covern erschienen ist, alle drei Farben. Bei „Grande Rock“ zum Beispiel hatte das Cover in jedem Land eine andere Farbe, und die habe ich natürlich nicht alle. Ich meine, ich kann nachvollziehen, wenn jemand alle Versionen haben will, aber mir persönlich gibt das nichts. Mir ist es auch egal, ob ich eine Platte im Original besitze oder eine Neuauflage, mir ist da nur die Musik wichtig und dass das Cover in Ordnung ist.
Was habt ihr mit den sieben Songs vor, die es nicht auf das neue Album geschafft haben? Singles?
Nicke: Nein, dafür sind sie zu gut. Wir werden sie für das nächste Album aufheben. Wir haben damit quasi die nächste Platte schon halb fertig und müssen nicht so lange ins Studio. Wir waren sogar letzte Woche noch im Studio, um neue Songs aufzunehmen, weil wir diese sieben Songs nicht nehmen wollten.
Und was habt ihr aufgenommen?
Nicke: Je einen NOMADS- und ALICE COOPER-Song für Tribute-Platten, wobei letztere bei SubPop erscheinen wird. Wir haben "I’m 18" aufgenommen. Ich bin ein Riesenfan, da fällt es schwer zu covern.
Ist von diesem Schwedenrock-Hype irgendwas übrig geblieben?
Nicke: Stimmt, da war ja mal was, und wir mittendrin. Aber der Hype ist auf halber Strecke stecken geblieben, haha. Wir sind gute Freunde der HIVES, für die es derzeit richtig gut läuft, und wir sind mit den TURPENTINES befreundet, bei denen gar nichts geht.
Und verstehst du diesen HIVES-Hype?
Nicke: Nein, und sie selbst verstehen es auch nicht. Klar, die sind eine gute Live-Band, und ich sage auf keinen Fall, dass sie den Erfolg nicht verdient haben, aber so seltsam funktioniert das Musikbusiness eben, heute noch mehr als früher. Heute ist alles so Hype-basiert, und weil die HIVES in England so abgegangen sind, haben sie es auch in den USA geschafft. Wir können nur hoffen, dass dadurch die vielen kleinen Bands es jetzt etwas leichter haben. So war es leider nicht, als wir und die BACKYARD BABIES in Schweden den Durchbruch schafften. Wir dachten, das würde vielen anderen Bands Türen öffnen, aber es geschah nicht, von ein paar wenigen Ausnahmen mal abgesehen. Erfolg ist vor allem Zufall, du kannst das nicht kontrollieren, das passiert einfach, oder nicht.
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