Nanu, die HEIDEROOSJES? Kenn ich doch irgendwo her ... Sind das nicht die, die hin und wieder als die "holländischen ÄRZTE" bezeichnet werden? Nun ja, über diese Kategorisierung kann man sich streiten ... Die Band, von der die großartige Völkerverständigungshymne "Wurst & Käse" stammt? Von denen hat man ja schon länger nichts gehört. Die gibt's noch? Jaaa, die gibt's noch, und im April kommen die vier auch endlich wieder nach Deutschland auf Tour. Bereits am 17.03. fand im Kölner Prime Club die Releaseparty für ihr neues Album "Chapter Eight - The Golden State" statt. Ich sprach mit Sänger Marco Roelofs über das neue Album, die anstehende Tour und Holländer im Allgemeinen ...
Marco, lass uns über euer neues Album reden: Was hat sich seit dem letzten Album "Sinema" verändert?
Wir haben mit einem neuen Produzenten zusammengearbeitet. Wir haben die letzten vier Alben mit Oscar Holleman, einem holländischen Produzenten, zusammengearbeitet. Wir haben gedacht, wir brauchen mal was Neues, deshalb haben wir nach zehn Jahren mit einem anderen Produzenten gearbeitet. Das ist eine große Veränderung für eine Band. Cameron Webb, mit dem wir jetzt gearbeitet haben, lebt in L.A., deshalb haben wir das Album auch dort aufgenommen. Er hat mit Bands gearbeitet, die wir sehr mögen, wie IGNITE, MOTÖRHEAD, SOCIAL DISTORTION oder SUM 41. Das hat unseren Sound verändert. Nicht völlig, wir spielen jetzt keinen Jazz oder so, aber er ist anders als auf den vorigen Alben.
Das führt mich direkt zur nächsten Frage: Was hat es euch bedeutet, mit Cameron Webb zu arbeiten? Ist er der Grund, warum ihr Zoli von IGNITE und Lemmy als Gäste auf diesem Album habt?
Er hat großartige Bands produziert und es ist eine Ehre, wenn er dann mit deiner Band arbeiten will. Zoli haben wir auf einem Festival in Holland getroffen, wir haben uns unterhalten und dann zusammen ein RAMONES-Cover aufgenommen. Wir haben uns also schon vorher gekannt. Aber weil Cameron eben auch mit IGNITE gearbeitet hat, und Zoli in der Nähe des Studios wohnt, war es einfach, ihn zu fragen, ob er auf dem Album singen will. Und er sagte sofort zu. Dass Lemmy auf dem Album ist, haben wir hauptsächlich Cameron zu verdanken. Er kennt Lemmy gut und wir suchten nach einer ganz bestimmten Stimme für einen Song und Cameron sagte: "Ich könnte Lemmy fragen." Und wir meinten: "Huu, das wäre verdammt cool!" Aber Lemmy war in England auf Tour, weshalb er nicht ins Studio kommen konnte, deshalb mussten wir ihn per Telefon aufnehmen und wie man auf dem Album hören kann, war Lemmy ein wenig betrunken, als er es eingesprochen hat. Es ist kein großer Teil des Songs, er spricht nur ein Intro, ein paar Zeilen, zudem ist es schlecht zu verstehen. Aber es hat so viel Spaß gemacht, das aufzunehmen, und es ist so eine Ehre, dass Lemmy von MOTÖRHEAD auf einem Album meiner Band ist, das ist so cool ...
Kann man den Song "What if" als eine Ansage betrachten, nach dem Motto: "Hallo, wir sind zurück, wir sind immer noch die Gleichen und alles ist wie früher"?
Natürlich geht es darum, dass wir zurück sind, aber es ist nicht so, dass sich nichts geändert hat, denn es hat sich viel geändert. Der Song fängt mit einer Sirene an, das erinnert an den Unfall, den wir vor drei Jahren hatten. Am Anfang der letzten Tour hatten wir einen schlimmen Unfall, wobei drei Leute verletzt wurden. Einer wurde schwer verletzt, er ist seitdem gelähmt. Von da an hatten wir erst einmal den Spaß an der Musik verloren. Wir haben nie daran gedacht, dass wir noch mal ein Album machen würden. Aber jetzt ist es da und wir wollten genau an diesem Punkt beginnen, dem Punkt, an dem wir sozusagen auf den Boden aufgeschlagen sind. "What if" heißt also: Was wäre wenn? Was wäre, wenn ich gelähmt wäre statt unseres Roadies? Was wäre, wenn wir eine andere Straße genommen hätten? Ich denke, dieses Gefühl kennt wohl jeder. Darum geht es in dem Song und wir dachten, das sei ein guter Ausgangspunkt, um den Leuten zu sagen: Hallo, wir sind zurück, und mögen, was wir machen. Nach 18 Jahren, die wir zusammen spielen, sind wir als Band gewachsen, und ich bin ein besserer Songwriter geworden, wir sind älter. Sagen wir, das Album ist reifer. Aber live steht immer noch der Spaß im Vordergrund. Wir haben jetzt viele politische Texte auf dem Album, aber live machen wir immer noch schlechte Witze über blöde Sachen, sonst wird es zu ernst.
Auf dem Waschzettel heißt es, dass Punkrock in Holland niemals populär war. Warum ist das so und was hat dich dazu gebracht, Punkrock zu hören und selber eine Band zu gründen?
Ich denke, Holländer sind einfach langweilig. Nein, ich weiß nicht, wir sind ein kleines Land und Holländer gehen sehr mit Trends, und Punkrock wie Metal verändert sich nur von Zeit zu Zeit ein bisschen, aber im Grunde bleibt er gleich. Außerdem stehen Holländer nicht so sehr auf harte Musik. Als wir anfingen, Musik zu machen, waren wir 15 und total gelangweilt von der Musik, die im Radio gespielt wurde. Eigentlich haben wir als Metal-Band angefangen. Am Ende der 80er gab es keine große Punkszene und kein Internet, man musste in einen Laden gehen und eine LP kaufen. Mann, ich hör mich wie ein Opa an! Aber warum erzähl ich das? Ach ja, wir waren Metaller und es gab nicht viel Punkrock. Wir haben METALLICA und SLAYER gehört und die haben T-Shirts von Bands wie den MISFITS oder D.R.I. getragen und so sind wir zum Punk gekommen.
Wie reagieren Fans in anderen Ländern auf eure holländischen Songs?
Sie mögen sie. Als wir das erste Mal über die Grenzen Hollands hinausgekommen sind, nach Spanien und Italien, haben wir die holländischen Songs nicht gespielt. Nach der Show sind dann Leute zu uns gekommen und haben gefragt, warum wir sie nicht gespielt haben, sie mochten die holländischen Lieder. Das habe ich erst nicht verstanden. Aber später habe ich herausgefunden, dass Holländisch für sie total exotisch klingt. Punkrock hört sich gleich an, ob er nun aus L.A., Holland, Japan oder Deutschland kommt. Und die meisten Bands singen Englisch. Wenn dann eine Band kommt, die deutsch oder holländisch singt, mögen das die Leute meistens. Deshalb spielen wir auch die holländischen Songs im Ausland.
Wonach entscheidest du, ob du einen Song auf Englisch oder auf Holländisch schreibst? Musst du das überhaupt entscheiden, oder kommt der Song schon in einer bestimmten Sprache in deinen Kopf?
Genau. Wenn ich über ein Thema auf Holländisch nachdenke, wird der Song auf Holländisch geschrieben und andersherum: wenn ich zum Beispiel auf CNN etwas zu einem bestimmten Thema sehe, schreibe ich einen Song darüber in Englisch.
Warum kennt man hier so wenige niederländische Bands? Ihr müsst doch wenigstens ein paar haben ...
Ja, wir haben sogar viele gute Bands! Aber es ist schwierig, mit deiner Musik über die Grenze zu kommen, wenn man aus einem winzigen Land kommt. Es ist auch schwer, ein Label außerhalb Hollands zu finden. Das ist der Unterschied zwischen europäischen und amerikanischen Bands. Es gibt zum Beispiel auch nicht viele deutsche Bands, die man in Holland kennt. Ich meine, ich kenne viele, weil ich viel in Deutschland bin. Aber in Holland kennt man nicht viele deutsche Bands außer RAMMSTEIN.
Und SCOOTER ...
Ja, SCOOTER! Mann, das ist das Schlimmste, was nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland kam ... Ja, aber es ist schwierig, wie gesagt, amerikanische Bands werden einem quasi ständig unter die Nase gerieben, aber für eine europäische Band ist es schon schwieriger. Aber es gibt ein paar coole Bands hier. Geh einfach auf MySpace und gib "Punkrock" und "Holland" ein.
Nehmt ihr auch holländische Bands als Support mit auf Tour?
Also, in Deutschland spielen wir meistens mit lokalen deutschen Bands zusammen. Wir mögen es, so neue Bands kennen zu lernen. In Holland nehmen wir auch manchmal deutsche Bands mit, um den Leuten zu zeigen, dass es eben auch gute deutsche Bands gibt.
Du hast mal in einem Interview gesagt, dass man sich, wenn man in einem reichen Land lebt, nicht beschweren sollte. Allerdings tut ihr das auch auf eurem neuen Album. Denkst du, dass Punkrock, selbst in dem tollsten und schönsten Land der Welt, sozusagen Salz in die Wunden der Gesellschaft streuen sollte?
Na klar, wenn man etwas über die Gesellschaft sagen will, halte ich Punkrock für die beste Art Musik dafür. Er ist schnell und auf den Punkt gespielt. Zu meinem Statement: Ich denke, man beschwert sich automatisch über die Gesellschaft, in der man lebt. Es gibt immer etwas, das besser sein könnte. Ich lebe in einem ziemlich reichen Land, aber es gibt trotzdem auch Sachen, die mich ankotzen, wie zum Beispiel der Aufschwung der extremen Rechten, Neofaschisten und so was. Aber es langweilt mich, einfach darüber zu singen, dass die Regierung scheiße ist. Ich singe zwar darüber, versuche aber, mich etwas eingehender mit der Thematik zu beschäftigen.
Was ist dein absolutes Lieblings-Punkrock-Album?
Generell? Oh, Mann ... Ich kann dir sagen, welches meine Lieblingsalben 2006 waren: RISE AGAINST, IGNITE und ANTI-FLAG. Aber mein absolutes Lieblingsalbum? Ich würde sagen: THE RAMONES, alles von den MISFITS, alles von GORILLA BISCUITS, aber ich kann mich nicht für ein Album entscheiden ...
Was erwartest du von der Tour und was wünscht du dir für die Zukunft?
Ich hoffe, dass wir noch lange zusammenbleiben und Spaß haben. Wir machen das jetzt seit 18 Jahren und haben über 1.600 Shows gespielt und ich finde es immer noch klasse und hoffe, dass es so bleibt. Was ich von der Tour erwarte? Wir haben in den letzten Jahren nicht viel in Deutschland gespielt, wir könnten vielleicht einige Fans verloren haben. Deshalb müssen wir uns jetzt extra anstrengen, um neue Leute zu den Shows zu bekommen. Es könnte vielleicht schwierig werden, aber ich denke, dass die Leute, die uns schon vorher live gesehen haben, wiederkommen sollten, denn wir sind besser geworden.
Ihr seid auf dieser Tour auch zum ersten Mal in Japan, habt ihr viele Fans dort?
Ich weiß es nicht! Es gibt auf unserer MySpace-Seite ein paar japanische Fans. Unser Album kommt dort erst im Juni raus. Wir werden dort nicht in irgendwelchen Stadien spielen und müssen dort quasi bei Null anfangen - eine neue Fanbase aufbauen. Jedenfalls hab ich von anderen Bands, die dort gespielt haben, gehört, dass es großartig sei. Die Leute sind so nett und die Kultur ist so anders. Die Reaktionen der Bands waren also sehr positiv. Ich erwarte eine interessante Erfahrung, aber man weiß ja nie ... Wir werden hingehen, rocken und schauen, was passiert.
Nadine Maas
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