Muss man eigentlich noch etwas über die Metalcore-Schwergewichte aus Bridgeport schreiben? Ist deren Geschichte nicht schon erzählt? Irgendwie geht es doch vielen so, dass man die Band um Bandanaträger Jamey Jasta immer wieder auf deutschen Festivals zu sehen bekommt, sie dort aber – trotz neuer Veröffentlichungen – gefühlt immer wieder die gleiche Setlist spielen. Nun steht der Fünfer mit einem neuen Werk namens „The Weight Of The False Self“ in den Startlöchern und wir haben Drummer Matt Byrne gefragt, ob es wirklich etwas Neues gibt, was man darüber erzählen kann.
Matt, angesichts der Corona-Pandemie: Wie geht es dir?
Danke der Nachfrage. Mir geht es super, ich habe in der letzten Zeit natürlich viele Interviews gegeben und so einen ganz schön vollen Terminkalender gehabt. Je nachdem, aus welchem Land der entsprechende Journalist anruft, kann das natürlich auch zu ungewöhnlichen Zeiten sein. Erst heute bin ich super früh aufgestanden, um ein Interview für ein japanisches Magazin zu geben. Aber das ist mein Job, andere Menschen müssen auch früh raus, um ihre Brötchen zu verdienen. Ich bin heilfroh, dass wir endlich mal wieder über Musik reden können. Noch lieber wäre es mir natürlich, die Interviews auf einer Tour zu machen, aber das geht ja gerade nicht, wie wir alle wissen. Corona hat da schon ordentlich reingehauen.
Bist du heiß darauf, die neuen Sachen live zu spielen?
Aber so was von. Ich weiß gar nicht mehr, wie sich das anfühlt, vor Publikum aufzutreten. Obwohl wir in den letzten Jahren gefühlt 200 Shows pro Jahr abgerissen haben und einem das manchmal auch auf den Sack ging, würde ich sofort wieder auf Tour gehen. Es gibt nichts Besseres, als die Fans durchdrehen zu sehen. Und auf dem neuen Album gibt es einige Stücke, die live alles wegblasen werden. Wir haben uns viel Zeit gelassen, und das neue Album ist hervorragend geeignet, im Wohnzimmer abzumoshen und danach die ganze Hütte auseinanderzunehmen. Lass den Corona-Blues doch mal nach HATEBREED-Manier raus, hehe ...
Was mir sofort auffällt, ist der bärenstarke Sound, mit denen die neuen Songs aus den Boxen scheppern. Das ist wie eine Dampfwalze. Verantwortlich dafür war wieder einmal euer Lieblingsproduzent Christopher Harris, genannt Zeuss. Was macht ihn so wertvoll für euch?
Zeuss ist ja schon fast das sechste Bandmitglied. Wir kennen ihn schon lange, da er aus derselben Gegend stammt. Früher hat er selbst in Bands gespielt und sich im Hinterhof eine Art Studio eingerichtet. Da sind natürlich viele hingegangen, um ihre Demos aufzunehmen. Er wurde dann immer besser und besser, so dass er das Spielen in Bands ganz gelassen hat. Wir arbeiten mit ihm schon seit fast zwanzig Jahren zusammen. Er war schon am Sound von „Perseverance“ beteiligt und das hat uns alle damals einfach nur umgehauen. Hör dir die Platte noch mal an und du wirst merken, dass sie trotz ihres Alters soundtechnisch immer noch sehr ordentlich klingt. In den letzten Jahren hat sich da irre was getan, aber Zeuss hat immer verstanden, das mit dem typischen HATEBREED-Sound zu verbinden. Er ist sozusagen unser „Song-Veredler“: Es gibt viele Bands, die wirklich gute Songs in petto haben, aber eben nicht jemanden mit so einem goldenen Händchen. Er weiß genau, welche Regler er wann und wie drehen muss. Durch ihn werden gute Songs perfekt, da er an einigen Stellen den Wumms noch brutaler machen oder das Riff noch mehr in den Vordergrund heben kann. Wenn einer dies nicht beherrscht, wird man als Künstler immer wieder Sachen raushören, die man verbessern will und ist nie in Gänze zufrieden. Und eine Platte später neu zu mastern und so ein Käse wird auch nicht mehr viel bringen. Das brauchen wir bei ihm nicht. Vor allem meine Kollegen Wayne Lozinak und Frankie „3-Gun“ Novinec schwärmen in Interviews immer wieder von dem klaren Gitarrensound, den Zeuss ihnen auf diesem Album gezaubert hat.
Mir fallen diesmal deutlich mehr melodische wie auch sägende Gitarrenriffs auf. Wie etwa bei „Invoking dominance“, dessen Anfang eher an KINGDOM OF SORROW als an HATEBREED erinnert.
Ja, das passt schon. Ich mag den Song auch richtig. Wie er nach dem Gitarrenintro dann losbrettert. Wir haben bei „The Weight Of The False Self“ mehr ausprobiert und uns auch deutlich mehr Zeit gelassen. Auch das „normale“ HATEBREED-Songwriting lief etwas anders: Jamey hat sonst den Großteil der Songs geschrieben, wobei zuerst die Lyrics feststanden und dann die Riffs dazukamen. Dieses Mal haben Chris Beattie, unser Bassist, und Wayne ebenfalls Stücke beigesteuert. Für Jamey war es demnach neu, seine Lyrics über anderer Leute Riffs zu bringen. „Cling to life“ ist so ein Beispiel, den hat Chris geschrieben.
Wo du eben die Lyrics ansprichst: Habt ihr auf dem neuen Album einen roten Faden verfolgt? Lag euch etwas besonders am Herzen?
Eigentlich musst du das Jamey fragen. Er schreibt ja die Texte. Aber ein bisschen weiß ich natürlich auch darüber. Nimmt man das eben angesprochene „Cling to life“ geht es im weitesten Sinn darum, jemanden zu verlieren, beziehungsweise die Angst davor. In Zeiten der Pandemie sicherlich eine Angst, die viele Leute mit sich rumtragen, wobei Jamey den Text nicht allein auf die derzeitige Situation gemünzt hat. Es ist eher eine Botschaft und auch ein Dank an die Fans. Als er uns die Lyrics vorstellte, erzählte er davon, dass er in den letzten Jahren von vielen Fans angesprochen wurde, dass ihnen die Musik von HATEBREED durch schwere Zeiten geholfen hätte. Aber eigentlich sind wir es doch, die zu danken haben, denn ohne unsere Freunde und Unterstützer könnten wir keine Alben aufnehmen und durch die ganze Welt touren. „Cling to life“ ist definitiv einer meiner Lieblingssongs, auch weil er etwas anders ist als der Rest. Wer bei diesem Brecher noch mit verschränkten Armen auf der Stelle steht, dem ist nicht mehr zu helfen, hehe ... Ansonsten sagt es eigentlich schon der Titel des Albums, jeder schleppt eine gewisse Last mit sich herum. Für manche wiegt die Bürde schwer, manche gehen leichter damit durchs Leben.
Was meinst du damit? Gibt es hier einen Zusammenhang zwischen aktuellen Geschehnissen in eurem Heimatland? Ich denke da an eine ziemlich gespaltene Gesellschaft, bei der ja auch einige sehr viel auszuhalten haben.
Natürlich auch. Unsere Gesellschaft entwickelt sich derzeit an einigen Stellen in eine sehr negative Richtung. Ich will auch gar nicht so stark irgendwelche politischen Themen ansprechen, aber es gibt gesellschaftliche Tendenzen, durch die die Menschen gegeneinander ausgespielt werden: getrennt nach Klasse, Hautfarbe oder finanziellen Möglichkeiten. So was haben wir als Band auch oft erlebt, vor allem in den Anfangstagen. Da gab es Promoter, die uns um unsere Kohle betrogen haben oder uns schlechte Deals angeboten haben. Da bildeten wir als Band aber eine Einheit, die sich nicht über den Tisch hat ziehen lassen. So etwas ist in unserer Gesellschaft wichtiger denn je. Haltet zusammen, dann könnt ihr vielen Dingen besser entgegentreten. Das alte Schlagwort „Unity“-aus der Hardcore-Szene ist heute wichtiger denn je. Meiner Meinung nach brauchst du vor allem richtige Freunde. Und nicht solche, die dir bestimmte soziale Medien vorschlagen. Damit sind wir auch wieder beim Albumtitel, denn eine unechte Persönlichkeit kann einen auch zu Boden drücken. Es ist schwer, eine eigene Meinung, eine eigene Identität oder ein eigene Persönlichkeit zu entwickeln, vor allem für die Generation nach uns. Was da für absurde Typen in den ganzen Foren und Kanälen rumgeistern. Da gibt es viele, denen ist gar nicht mehr zu helfen. Um so was geht es übrigens in dem Song „Let them all rot“.
Lass uns noch mal kurz über das Artwork sprechen. Das Cover zeigt einen Bildhauer, der an einer Statue arbeitet. Es passt gut zu deiner Aussage, dass gute Arbeit ihre Zeit braucht, oder?
Auf jeden Fall! Ich hatte ja bereits erwähnt, dass wir uns in diesem Fall sehr viel Zeit gelassen haben, die Songs genau so zu interpretieren, wie sie sich anhören sollen. Das Cover spricht dies in gewisser Weise auch an, wobei man da natürlich noch mehr herausholen kann. Ich finde, es passt auch super zum Titel, denn allein schon die Größenunterschiede zwischen dem Bildhauer und der Statue sind sinnbildlich zu verstehen. Man könnte es auch so lesen, dass das eigene Abbild größer ist als man selbst und man so vielleicht nicht alles glauben sollte, was einem als Wahrheit verkauft wird. Damit sind wir erneut bei den falschen Selbstbildern, um die es auf dem neuen Album immer wieder geht.
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