HATEBREED

Foto

Zu alt für Hardcore?

Es ist der 27. November 2012, Jamey Jasta sitzt im Büro von Nuclear Blast Deutschland und telefoniert sich fleißig durch eine Liste von Interviewpartnern. Mit einiger Verspätung klingelt am späten Nachmittag schließlich auch mein Telefon. Am anderen Ende der Leitung ist jedoch nicht der gewohnte euphorische Powertyp, sondern ein Jamey Jasta, der müde und erschöpft wirkt. Die Beantwortung meiner Fragen scheint ihn ernsthaft anzustrengen, in ebenso langen wie zahlreichen Denkpausen versucht er, seine Gedanken zu ordnen. Vielleicht liegt die gedrückte Stimmung nur an etwas so Profanem wie dem Jetlag, doch während ich sonst immer den Enthusiasmus und die Energie bewunderte, mit der Jasta seine zahlreichen Projekte meistert, kommen bei mir zum ersten Mal Zweifel auf, ob das nicht doch alles zu viel für den Sänger ist. Neben den Metalcore-Größen HATEBREED und seiner zweiten Band KINGDOM OF SORROW ging er 2011 auch mit einem Soloprojekt an den Start. Weiterhin führt er das Label Stillborn Records und kämpft seit mehreren Jahren mit der Veröffentlichung von zwei Büchern. Das Release des sechsten HATEBREED-Albums „The Divinity Of Purpose“ bot einen guten Anlass, um nachzufragen, welche Neuigkeiten es sonst noch im Hause Jasta gibt.

Jamey, was wird eigentlich aus den beiden Büchern, an denen du schon so lange arbeitest?


Im Moment gibt es da keine Neuigkeiten, weil ich mich mit einigen rechtlichen Angelegenheiten herumschlagen muss. Ich hoffe, dass ich das regeln und um Weihnachten 2013 etwas veröffentlichen kann, wenigstens eins von beiden. Zuerst wird das Buch mit Lyrics und Hintergrundgeschichten rauskommen. Mittlerweile bin ich wieder etwas zuversichtlicher. Es gab da einige Hindernisse – nichts, worüber ich in einem Interview sprechen kann. Aber na ja, ich glaube, es gibt Hoffnung, haha.

Bei der Veröffentlichung deiner Musik gibt es glücklicherweise keine Probleme: Wenn dieses Heft erscheint, ist „The Divinity Of Purpose“ seit ein paar Tagen erschienen. Was kannst du über die musikalische Ausrichtung des Albums sagen?

Es hat den typischen HATEBREED-Charakter. Man hört, dass wir es sind. Das ist für mich wichtig, denn ich denke, wenn etwas nicht kaputt ist, muss man nicht versuchen, es zu reparieren. Es ist diese Formel, die die Leute an HATEBREED schätzen. Sie erfüllt ihren Zweck und das ist die Basis dieses Albums. Es gibt eine richtige Zeit und einen richtigen Ort für diese Art von Musik, und ich denke, wir haben es geschafft, da eine Konstante zu werden.

In einem Review zu eurem letzten Album habe ich diesen Satz gelesen: „Von manchen Bands erwartet man, dass sie sich verändern, von manchen nicht“. Bezogen auf HATEBREED, was hältst du von diesem Statement?

Auf dem letzten Album haben wir versucht, uns ein bisschen von unserer Formel wegzubewegen und die Leute sind darauf nicht so sehr angesprungen, wie wir dachten. Wir haben da wirklich ein paar tolle Songs auf dem Album, etwa „Everyone bleeds now“, „Hands of a dying man“ oder „In ashes they shall reap“. Ich glaube, weil wir „In ashes...“ als Erstes von dem Album veröffentlicht haben, waren die Leute abgeschreckt, denn wir haben uns da an einem anderen Sound versucht. Es hat einen langsamen Groove, ein paar melodische Gesangsparts hier und da. Auf dem neuen Album gibt es hingegen sehr wenige Experimente, es ist ziemlich genau das, was man von einem HATEBREED-Album erwartet.

Steckt ein bestimmtes Konzept oder Thema hinter „The Divinity Of Purpose“?

Es soll einfach zum Nachdenken anregen. Was ist eigentlich „the divinity of purpose“? Was ist mein Zweck, meine Bestimmung? Was höre ich hier? Was kann gesagt werden, was noch nicht gesagt wurde? Wir sind glücklich, dass Musik unsere Bestimmung ist. Wir haben durch die Existenz der Band einen neuen Lebenssinn gefunden. Das ist eine neue Phase für uns, um herauszufinden, wie wir neue Gedanken einbringen und dennoch unseren Wurzeln und unserem Sound treu bleiben können.

Das Album wird in Amerika via Razor&Tie, in Europa via Nuclear Blast erscheinen. Warum habt ihr euch von Roadrunner getrennt?

Roadrunner bröckelt an einigen Stellen auseinander. Ich weiß nicht, wie viel davon an die Öffentlichkeit gelangt ist, aber viele Leute haben durch die Ünernahme seitens Warner ihre Jobs verloren und Büros wurden geschlossen. Deswegen war Nuclear Blast die richtige Entscheidung. Außerdem hatten wir die Möglichkeit, mit einigen Leuten zu arbeiten, die von Roadrunner zu Nuclear Blast gewechselt sind. Das Label hat ein starkes Programm und tolle Mitarbeiter, die an HATEBREED glauben und Fans der Band sind. Im Moment fühlt es sich großartig an und wir sind einfach froh. Damit will ich keinen bei Roadrunner beleidigen. Alle dort haben sehr hart gearbeitet. Wir haben sehr viel Respekt ihnen gegenüber und schätzen die Arbeit, die sie geleistet haben. Nachdem Cees Wessels, der Gründer von Roadrunner, das Label komplett an Warner verkauft hatte, wusste wohl jeder, dass damit sehr viel Kontrolle an Warner abgegeben wurde. Viele Bands mussten sich ein neues Zuhause suchen.

Fühlt ihr euch in den USA wohl auf einem Label wie Razor&Tie, das so viele unterschiedliche Künstler wie TWISTED SISTER oder Vanessa Carlton unter Vertrag hat?

Ja, denn in den Staaten sieht die Musiklandschaft ganz anders aus als in Europa. Für HATEBREED ist es nicht wichtig, welches Label-Logo man hinten auf die CD druckt. Die Leute wissen, was sie bekommen, und sie wissen, dass wir eine hart arbeitende Band mit D.I.Y.-Ethos sind. Wir waren in der Lage, ein paar gute Deals zu machen, für die wir uns nicht verbiegen mussten. Wir haben eine andere Art, Geschäfte zu machen. Razor&Tie kommt mit dieser Art, wie wir geschäftlich vorgehen und dennoch die kreative Kontrolle behalten wollen, gut zurecht. Wir sind sehr glücklich, dass unsere Fans unsere Alben kaufen und uns unterstützen, egal welches Label-Logo da drauf ist, solange HATEBREED draufsteht.

Was fasziniert dich persönlich an Hardcore?

Gerade in Amerika gibt es so viele Leute, die keine Rechte haben, völlig am Ende und einfach wütend sind. Ich war eins von diesen Kids in den frühen Neunzigern. Ich habe nicht an den amerikanischen Traum geglaubt, nicht an die Ehe, nicht an vieles, was ich in den Medien sah. Ich wollte einen anderen Weg im Leben finden und somit war es damals mehr so eine Lifestyle-Sache. Heute ist es aber anders, es gibt keinen Untergrund mehr. Alles ist jederzeit im Internet verfügbar, es gibt nicht mehr diesen Gemeinschaftssinn. Ich mag aber beides, ich sage nicht, dass das eine besser ist als das andere. Für mich war es aber faszinierender, als alles noch schwerer zugänglich war.

Kann man zu alt für Hardcore werden?

In Amerika kommt das meiner Meinung nach vor. Die Leute beugen sich irgendwann den Verpflichtungen und dem Druck des Lebens, sie verändern sich und genauso ihre Ansichten. Irgendwann ist man kein wütendes Kid mehr, man muss Rechnungen bezahlen, heiratet, bekommt Kinder – was auch immer die Gesellschaft von einem erwartet, was auch immer der amerikanische Traum ist, den man von den Medien aufgedrängt bekommt. Mich hat das nie interessiert – mich interessiert die Subkultur, eine andere Denkweise. Das Alter ist nur eine Zahl. Die ablehnende Haltung, die viele Hardcore gegenüber haben, kommt davon, dass sie es nicht verstehen. Man kann auch in seinen Vierzigern sein und sich dafür interessieren. Es muss Leute geben, die den Gedanken weitertragen. Bands wie AGNOSTIC FRONT, H2O und IGNITE sind immer noch dabei und machen großartige Alben. Das ist traditioneller Hardcore, und für mich faszinierender, weil diese Bands schon so lange existieren und immer noch tolle Musik machen, die eine gute Botschaft hat. Aber es wird auch immer neue Bands geben, die die Jugend ansprechen. Jeden Tag gibt es neue 15-Jährige, die Hardcore entdecken und es ist großartig, dass sich die Szene in solchen Wellen entwickelt. Und irgendwann kommt dann vielleicht der Zeitpunkt, an dem dieser 15-Jährige etwas mit Henry Rollins, Ian MacKaye oder H.R. von den BAD BRAINS anfangen kann. Vielleicht interessiert sich die neue Generation aber auch für Scott von TERROR, TRAPPED UNDER ICE oder andere junge Bands. So ist das Leben. Nicht jedes Kid wird Elvis toll finden, sondern eher den Künstler, der gerade angesagt ist.

Was denkst du, warum HATEBREED so beliebt sind, was macht deiner Meinung nach eine gute Band aus?

Ich sage immer: „If it’s real then the world will feel.“ Wenn man etwas wirklich ernst meint und alles da reinsteckt, dann bemerken andere das. Wir haben so hart gearbeitet, sind dann rausgegangen und haben vielen Leuten so gezeigt, dass sie falsch lagen. Die Leute lieben eine gute Underdog-Story wie diese. Ich erinnere mich daran, wie wir zum ersten Mal für eine SLAYER-Tour in Amerika gebucht wurden. Es war eine wirklich lange Tour, wir waren ziemlich erfolgreich. Alle sagten dann, dass wir auf dieser Tour bestimmt ausgebuht werden würden und alle nur nach SLAYER schreien würden. Bei der ersten Show standen wir schließlich da und konnten das Publikum „HATEBREED“ schreien hören. SLAYER und wir schauten uns nur an und sie sagten, so was sei bei einer SLAYER-Show vorher noch nie passiert, haha. Die Leute standen wirklich hinter uns, weil sie gesehen hatten, wie hart wir gearbeitet hatten. Wenn man aus der Hardcore- und Punk-Szene kommt, ist es ein echter Kampf. Man spielt zuerst in Hinterhöfen und kleinen Locations und wir hatten dann glücklicherweise die Möglichkeit, mit Bands wie SLIPKNOT oder SLAYER zu touren. Das hat uns wirklich geholfen, uns weiterzuentwickeln.

Lass uns über deine zweite Band KINGDOM OF SORROW sprechen. Gibt es Pläne für einen Nachfolger des 2010 erschienenen Albums „Behind The Blackest Tears“?

Nein, für KINGDOM OF SORROW gibt es gerade gar keine Pläne, außer dass wir das Soundwave Festival mit METALLICA spielen werden. Darauf freuen wir uns schon sehr, aber das ist wirklich alles, was derzeit geplant ist. Es wird erst mal kein neues Album geben. Wir sprechen gerade mit ein paar Labels. Es besteht viel Interesse, da das letzte Album so erfolgreich war. Aber wir waren noch nicht mal auf Tour in Europa und haben im Rahmen des letzten Albums allgemein nicht sehr ausgiebig getourt. Wir werden sehen. Sag niemals nie, aber Kurt tourt mit DOWN und ich werde eine Weile lang im „HATEBREED-Land“ sein.

Sieht es mit den Plänen für ein weiteres Soloalbum auch eher schlecht aus?

Ich werde ein neues Soloalbum machen, aber auch hier kann ich nur sagen, dass ich mich erst mal auf das neue HATEBREED-Album konzentrieren möchte. 2013 über bis Anfang 2014 werde ich mit einigen HATEBREED-Touren beschäftigt sein. Ich glaube, im vergangenen Jahr habe ich so ungefähr sieben JASTA-Shows gespielt und denke, dass ich noch ein paar in diesem Jahr spielen werde. Ich war auf dem Summerbreeze Festival, das war wirklich gut und ich möchte gerne ein paar weitere Festivals mit JASTA spielen. Vielleicht einige von denen, auf denen ich letztes Jahr mit HATEBREED gespielt habe und die wir nicht schon wieder besuchen können. Das bietet sich dann gut für JASTA an.

Auf deinem Soloalbum arbeitest du ausnahmsweise auch mit „Clean Vocals“. Ist JASTA so eine Möglichkeit für dich, Sachen auszuprobieren, die nicht zu HATEBREED oder KINGDOM OF SORROW passen?

Ja, absolut. Ich möchte mich selbst damit herausfordern und meine eigene Komfortzone verlassen. Als HATEBREED wirklich erfolgreich wurden, wir für den Grammy nominiert wurden und große Touren gespielt haben, waren die Leute uns gegenüber so ablehnend. Sobald man Erfolg außerhalb der Hardcore-Szene hat, schauen Leute aus dem Mainstream oder anderen Szenen auf einen und verstehen es einfach nicht. Sie fragen sich: „Warum ist diese Band so populär? Der Typ schreit doch nur rum und hat kein Talent.“ Eine Zeit lang hat mich das wirklich beschäftigt, denn wir haben unser Herz und unsere Seele da reingesteckt, und dann kommt so ein Idiot daher und sagt, dass ich kein Talent habe, weil ich schreie und nicht richtig singe. Und dann dachte ich mir, dass ich auf meinem Soloalbum mal so was versuche, das sollte mein „Fuck you“ sein. Ein von Herzen kommendes „Fuck you“ an alle, die gesagt haben, ich hätte kein Talent.

Wie entscheidest du, welchen Song du für welches deiner Projekte schreibst?

Ich werfe einfach einen Dartpfeil an die Dartscheibe und wenn er JASTA erwischt, wird es ein JASTA-Song und so weiter ... Nein, Quatsch, an den JASTA-Songs habe ich viele Jahre gearbeitet. Ich wollte eine Mischung aus diesem heavy Sound und melodischen Elementen, aus Hardcore und Metal. Das Album ist wie eine Sammlung oder eine Compilation geworden, wohingegen ich mich bei den HATEBREED-Songs immer sehr an den bereits veröffentlichten HATEBREED-Alben orientiere.

Wie geht es Stillborn Records?

Äh, nicht gut, haha. Es ist sehr schwer mit diesem ganzen Downloadkram und der Zuverlässigkeit von Bands. Ein Label zu führen, ist ein hartes Geschäft. Ich war auf beiden Seiten und weiß daher, wovon ich spreche. Ich habe einfach nicht die nötige Leidenschaft und genügend Antrieb dafür. Zur Zeit möchte ich nicht anderen Bands bei ihrer Entwicklung helfen. Es ist manchmal so ein undankbarer Job und deswegen bin ich ganz froh, mir gerade keine Gedanken darüber machen zu müssen. Es ist also nichts weiter geplant. Und das ist gut für mich, denn ich bin gerade mit so vielen Dingen beschäftigt. Ich möchte kein Geld verlieren und gleichzeitig Zeit und Energie investieren, nur um dem Zwang nachzukommen, etwas veröffentlichen zu müssen.

Wir haben im vergangenen Jahr großartige Musiker verloren, ich denke da vor allem an Mitch Lucker von SUICIDE SILENCE als jüngstes Beispiel.

Ich hoffe, dass das mit Mitch allen die Augen öffnet. Er hatte diesen Unfall, als er betrunken Motorrad gefahren ist. Ich kenne viele Personen, mich eingeschlossen, die sich betrunken hinters Steuer gesetzt haben, und das ist wirklich unverantwortlich. Mir hätte das Gleiche passieren können. Das ist es einfach nicht wert. Ruf ein Taxi, frag einen Freund, gib deinen Schlüssel ab. Es war wirklich tragisch. Ich bin mit Mark und Kenny von SUICIDE SILENCE befreundet, mit Mitch hatte ich nie viel zu tun. Er war aber ein wirklich netter Typ, sehr charismatisch, und ich hatte immer das Gefühl, dass er ein leuchtender Stern in dieser ganzen Deathcore-Bewegung war. Es ist eine Schande, dass eine falsche Entscheidung das alles zerstören kann.

Gehörst du zu den Leuten, die sich Vorsätze für das neue Jahr machen?

Ja, das mache ich. Meiner Meinung nach ist das eine gute Sache. Die Leute sollten weniger daran denken, dass sie etwas vielleicht nicht schaffen könnten. Jeder gute Vorsatz, egal, ob man sich gesünder ernähren oder Geld sparen will, ist eine positive Sache, von der man sich aber nicht unter Druck setzen lassen sollte.

Wie fühlt es sich für dich an, am Ende eines Jahres auf all das zurückzuschauen, was du geschafft hast?

Es fühlt sich gut an, aber man verpasst auch so viel und wünscht sich, man könnte die Zeit zurückdrehen, um daran teilzuhaben. Daran will ich im nächsten Jahr arbeiten. Ich möchte mich daran gewöhnen, zu Hause zu sein und dort eingebunden zu sein. Ich möchte nicht so viel unterwegs sein, nur die wichtigsten Shows und Touren spielen. Aber wenn man ein neues Album veröffentlicht, besteht eine große Nachfrage auf der ganzen Welt. Man will uns überall sehen und da müssen wir die richtige Balance finden.