Mitte der Achtziger Jahre war Harry Stafford aus Manchester Mitglied der INCA BABIES, damals die beste Antwort auf THE GUN CLUB, THE BIRTHDAY PARTY und THE CRAMPS. Danach beschloss er, dass es Zeit sei für eine Veränderung. Er entdeckte den rauhen und ursprünglichen Blues in der Tradition von Link Wray oder John Lee Hooker und das Bar-Piano für sich, ohne seine Post-Punk-Wurzeln zu vernachlässigen. Er veröffentlichte einige Soloalben und ist nun mit seiner Band HARRY STAFFORD WITH GUITAR SHAPED HAMMERS, mit Mitgliedern von PURE SOUND und THE MEMBRANES, und dem Album „Gothic Urban Blues“ zurück.
Das neue Album befindet sich in einem guten Spannungsverhältnis zwischen traditionellem Blues, Bar-Soul und dem Post-Punk der INCA BABIES. Ich musste an die Blues-Legende Link Wray oder an Hugo Race denken. Was hat dich beim Songwriting inspiriert und geleitet, musikalisch und inhaltlich?
Ich habe schlicht versucht, auf der Basis eines bestimmten und passenden Grooves meine Geschichten und Songs aufzubauen. Der Blues ist ohnehin die Essenz meiner Art, Songs zu schreiben, und mit Vincent O’Briens außergewöhnlicher Slide- Gitarre schien mir das einfach die richtige Grundlage zu sein. Die INCA BABIES machen ja etwas Ähnliches, aber mit ein bisschen mehr Rock’n’Roll. Du weißt sicher, was ich meine. Ich wollte fließende Klanglandschaften schaffen, und mit Kevin Davy an der Trompete, Vincent und Nick an der Gitarre schien es mir möglich zu sein, etwas zu entwickeln, das atmosphärisch ist und dem klassischen Rocksound etwas entgegengesetzt.
John Lee Hooker hat 1967 ein Album namens „Urban Blues“ veröffentlicht, auf dem sein legendärer Song „Boom boom boom“ zu hören ist. Hat das für dich eine Rolle gespielt?
Ich liebe dieses Album, und ich hatte wirklich das Glück, John Lee Hooker auf seiner letzten Tournee Anfang der Neunziger Jahre zu sehen. Er hat meine musikalische Entdeckungsreise vorangetrieben, und ein Song wie „Boom boom boom“ hatte eine erstaunliche Resonanz bei mir. Er stammte aus dem Bundesstaat Mississippi, war also eher ein Junge vom Land, und seine Art von Urban Blues war wahrscheinlich auch eine Möglichkeit, seine Verachtung für die Stadt auszudrücken. Mein Gothic Urban Blues ist eher ein widerwilliges Feiern der Großstadt und all der Elemente, die mich als Mensch und Musiker geprägt haben.
Das rauchige „She just blew me away“ ist für mich eine klassische Nummer, die eben nur in einer Bar funktioniert. Macht es für dich einen Unterschied, ob du deine Songs in Bars und Kneipen oder in Hallen spielst?
Wir werden in jeder Location spielen, die uns bucht, und das bedeutet eben normalerweise kleine Clubs. Aber ja, ich liebe es, in solchen Bars zu spielen. Der Sound der Band hat viel damit zu tun, dass er in einer Bar, also in einem Raum mit niedriger Decke gespielt wird, wo quasi der Klang der Instrumente von den Wänden wieder zurückgeworfen wird und die Musik und die Nacht sich miteinander und ineinander auflösen. Du hast insofern recht, als dass „She just blew me away“ speziell für diese Art von Umgebung geschrieben worden ist, und zwar für einen Sänger, der an einem alten, alten Piano sitzt und aus diesem den hierfür notwendigen Rhythmus und Soul herausholt.
Die Produktion wurde von Ding Archer begleitet, der bereits mit THE FALL und PJ Harvey gearbeitet hat. Wie kam der Kontakt zustande?
Ding Archer war der Produzent des letzten THE MEMBRANES-Albums „What Nature Gives ... Nature Takes Away“ und unser Schlagzeuger Rob Haynes ist ebenfalls bei den THE MEMBRANES und den INCA BABIES aktiv. Es war seine Idee, Ding Archer für die Produktion von „Gothic Urban Blues“ zu gewinnen. Und ja, ich mochte schon immer seine Arbeit, speziell die für THE FALL und PJ Harvey. Ding hat sehr viel zur Dynamik und Stimmung des Albums beigetragen.
Zu deiner neuen Band GUITAR SHAPED HAMMERS gehören Rob Haynes von THE MEMBRANES und INCA BABIES, der Trompeter Kevin Davy von LAMB und CYMANDE, der Gitarrist Andy Mills und teilweise Nick Brown, ebenfalls THE MEMBRANES. Wie habt ihr zusammengefunden?
Wir haben alle in Bands im Großraum Manchester gespielt, und ich kenne so ziemlich jeden von ihnen seit Ewigkeiten. Ich schätze, wenn man ein musikalisches Projekt und eine Idee anschiebt, wendet man sich eben an die Menschen, von denen man glaubt, dass sie diese am besten umsetzen können. Unseren Trompeter Kevin Davy kenne ich am längsten, und zwar seit wir Anfang der Achtziger Jahre zusammen an der Universität waren. Ich bin 1988 mit Nick Brown durch Europa getourt. Mit Rob Haynes habe ich in den Neunziger Jahren nach einer Pause mit den INCA BABIES in einer Band namens HOUND GOD gespielt. Nur unseren Gitarristen Vincent O’Brien lernte ich kürzlich kennen, als ich in Manchester in einer Bar arbeitete. Ich wusste bis dahin nicht, was für ein exzellenter Musiker Vincent ist, bis ich ihn eine Weissenborn-Lap-Slide-Gitarre spielen hörte.
„Gothic urban blues“ ist auch ein Song über das Stadtleben und die Großstadtgeräusche um die Menschen herum. Wie, glaubst du, wird die aktuelle Viruskrise deine Stadt Manchester verändern, insbesondere in Bezug auf das Leben von Musikern?
Die Musikszene ist in der Tat sehr davon betroffen , viele schreiben gerade Songs über Isolation und Melancholie. Einige spielen für ihre Fans Gigs auf der Plattform Zoom und als Facebook-Livestreams. Ich weiß nicht, wie erfolgreich das sein wird. Natürlich machen das jetzt alle großen Künstler, wo es früher doch eher die Domäne der weniger bekannten und im Underground aktiven Musiker war. Also ist das eine weitere Sache, die von den Majors aktuell übernommen wurde. Wenn alles vorbei ist, werden die Leute aus ihren Löchern kriechen, in die Sonne gehen, den Ballast von sich werfen und wieder neu anfangen. Sobald die Quarantäne aufgehoben ist, wird es einen unfassbaren Ansturm geben bei Live-Gigs und Konzerten. Alle Künstler werden wieder live spielen wollen, und die Städte werden mit Konzerten überschwemmt sein. Vermutlich wird es gar nicht so viele Zuschauer für diese vielen Konzerte geben und einige werden leider vor einem überschaubaren Publikum spielen.
Du hast einmal erwähnt, euer Trompeter Kevin Davy sei ein „stone cold jazzer“, fast in der Welt eines Miles Davis zu Hause, und irgendwie scheint auch Barry Adamson, früher bei MAGAZINE oder NICK CAVE AND THE BAD SEEDS, eine Rolle zu spielen. Wie würdest du seinen Einfluss auf die neuen Songs beschreiben?
Der Jazzmusiker John Coltrane pflegte zu sagen, wenn es einem Jazzmusiker gut geht, dann holt er das Letzte aus sich heraus und brennt für seine Sache. Kevin hat die Fähigkeit, bei jedem Song zu brennen. Ich teile mit ihm seine Liebe zu Miles Davis, und seine Fähigkeit, die Essenz aus einer Melodie zu ziehen und weiterzuentwickeln, ist für unsere Songs absolut unerlässlich. Barry Adamson hatte schon immer seinen Finger am Puls der coolen Filmsoundtracks und kann mit einer Big-Band oder Orchester-Elementen eine erstaunliche Stimmungen erzeugen. Ich verfüge zwar nicht über seine Möglichkeiten, aber ich liebe den Spirit seines Sounds. Der Song „Sideways shuffle“ vom aktuellen Album hat sowohl Barry Adamson als auch Kevin viel zu verdanken.
Das Coverartwork von „Gothic Urban Blues“ erinnert mich an die Veröffentlichungen des legendären Blue Note-Labels, bei dem ja auch Miles Davies veröffentlichte. Zufall?
Ich mochte den Stil von Blue Note schon immer, aber die eigentliche Idee kam mir, als ich eine Fotosession mit dem Fotografen Richard Davis aus Manchester machte. Wir fuhren in den Norden von Manchester und er wollte mich in dieser Seitenstraße fotografieren, der Park Street, hinter den Bars und Restaurants. Er hat den Ort gefunden und das Foto treffsicher gemacht. Ich fand, es ist so perfekt für ein Albumcover, dass ich das Artwork um sein Foto herum gestalten musste. Ich versah das Foto mit einem Sepiaton und fügte das coole Blue Note-Coverdesign hinzu. Wie konnte ich da noch was falschmachen?
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #150 Juni/Juli 2020 und Markus Kolodziej
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #135 Dezember/Januar 2017 und Markus Kolodziej