Festivals gibt es in den Sommermonaten ja recht viele. Von Gigaveranstaltungen wie dem Rock im Park/ am Ring bis hin zu den Baggerseefestivals mit lokalen Bands. So richtig interessant finde ich die meisten allerdings nicht, muss ich zugeben. Die einen sind mir schlichtweg zu teuer und auf kleineren preiswerteren Festivals spielen dann oft die Bands, die man eh das ganze Jahr zu sehen bekommt.
Diese Diskrepanz haben wohl auch die Macher vom Hardcore Not Music-Festival erkannt, welches dieses Jahr zum zweiten Mal im Nürtinger Kuckucksei statt fand. An zwei Tagen gab´s massig HC/Punk/Indie und das ganze für schlappe 26 DM. Auch wenn sich das jetzt pathetisch anhört: gäbe es solche schnuckeligen grass root-Festivals nicht, würde auch für Bands wie JIMMY EAT WORLD oder AT THE DRIVE IN der Markt nicht bestehen. Also, nicht nur immer zu den Grossen gehen! Und damit das klar wird, gibt´s jetzt auch noch ein kleines Interview mit Benni, Lorenz, Duplo & Maggi - den Machern des Ganzen sowie ein paar Eindrücke vom Festival.
Ihr habt dieses Jahr schon zum zweiten Mal dieses Festival durchgezogen. Wie kam die Idee dazu auf?
Es ist so, dass wir schon seit 1996 mit unserer Konzertgruppe Konzerte veranstalten, wobei letztes Jahr die Situation so war, dass uns mit Heiko ein Mitinitiator verlassen hat. Zu seinem Abschied wollten wir halt noch mal was richtig Grosses machen, und so hat sich der Festivalgedanke dann eben entwickelt.
Wenn man sich euer Motto „Hardcore not music“ so anschaut, könnte man fast meinen, dass einen zwei Tage lang nur derbes Geknüppel erwartet. Die musikalische Bandbreite bei dem Festival war aber erstaunlich vielfältig. Seht ihr also HC mehr als ideologischen Begriff als einen musikalischen?
Auf jeden Fall. Wenn wir jetzt nur unsere persönlichen musikalischen Geschmäcker walten lassen würden, könnten wir keine gemeinsame Konzertgruppe machen. Also wir wollen schon möglichst vielfältig sein.
Deswegen auch der Vortrag am Samstag von und über „kein Mensch ist illegal“?
Ja klar, wir hatten das auch schon letztes Jahr, als wir einen Vortrag zu White Noise, also dieser Rechtsrock-Geschichte gemacht haben, was ein grosser Erfolg war. Es geht uns schon darum, zu zeigen, dass Hardcore mehr ist als nur Musik. Bei „k.M.i.i“ gibt es auch einen lokalen Bezug, denn am Nürtinger Amtsgericht sind halt die Abschiebeverhandlungen. Also ist das ein Thema, dass hier jeden betrifft. Vor allem so ein Vortrag macht dir halt noch mal die Details klar, wie scheisse Flüchtlinge hier behandelt werden. Allerdings muss man leider sagen, dass das Thema im letzten Jahr mehr Leute interessiert hat als dieses Jahr. Es gab schon einige, die lieber draussen standen als sich den Vortrag anzuhören. Gegen Nazis zu sein ist wohl der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Szene einigen kann. Was darüber hinaus geht, langweilt dann schon die ersten, leider.
Entpolitisiert sich die Szene?
Glaub ich schon, wobei das ein Prozess ist. Wenn du guckst, wie viele Bands sich als HC bezeichnen, dann kannst du HC rund um die Uhr im Musikfernsehen glotzen. So Sachen wie PAPA ROACH wären vor fünf Jahren dort noch nicht in dem Maße gelaufen. Und mit so Bands wie AT THE DRIVE IN verwischen auch die Grenzen zwischen Mainstream und dem, was wir als Hardcore ansehen.
Ihr würdet die also nicht mehr bei euch spielen lassen?
Haha, naja, es kommt auf die Festgage an, die die verlangen. Wir hätten z.B. total gerne die BAMBIX auf dem Festival spielen lassen, aber die verlangen 1500 DM fix. Ich mein, so ´nen Betrag holen wir bei dem Festival nie wieder rein. Um noch mal auf die letzte Frage zurückzukommen: der derzeitige Boom von harter Musik hilft vielleicht dabei, sich nicht mehr so viel auf seine Musik einzubilden oder auf unsere Dresscodes. Nietengürtel gibt´s bei H&M, und auf Viva 2 laufen ständig harte Gitarren. Das könnte auch ´ne Chance sein, dass die HC-Werte wieder mehr zum Vorschein kommen. Also musikalisch kannst du da ja gar nicht reagieren. Du wirst noch härter und übermorgen isses dann wieder vom Mainstream geschluckt. Machen wir uns nix vor, für die Majors ist Musik ´ne Mode und sowohl Musik- als auch Modemeinungen werden gemacht. Und ist eine Mode vorbei, dann kommt eben die nächste. Zur Zeit ist harte Musik eben im Trend. Ich denke, wichtig sind die HC-Werte und was dann musikalisch darauf entsteht, ist erst mal egal.
Und was wären dann diese Werte?
Unabhängigkeit, DIY usw. Unser ganzes Leben wird kontrolliert! Ich denke, HC/Punk hat was damit zu tun, diese Kontrolle zurückzuerobern, für uns Freiräume zu schaffen, wo wir bestimmen, was wir machen. Dann ist auch egal, wie groß ein DIY-Label wird und Platten verkauft. Wenn jetzt aber ein Majorlabel ´ne Crustband aufbauen würde, und die würden sich wirklich 1:1 anhören, wär das für mich z.B. kein Hardcore. Die machen nur die Musik, sind aber kein Teil der Kultur.
Aber wenn du vorhin sagtest, dass sich diese Kultur entpolitisiert, heisst das nicht auch, dass diese Kultur abstirbt?
Hm ja, traurig aber wahr! (allgemeines Schmunzeln) Ja, durch dieses Aufgeblähtsein, verliert die Szene wohl echt so ihre Erdung. Aber ich denke, ein harter Kern bleibt immer übrig, genauso wie sich nach dem Punkboom Ende der 70er Hardcore entwickelt hat.
Die Bands auf dem Festival waren fast alle aus dem deutschsprachigen Raum. War das euer Anliegen, die einheimische Szene ein wenig zu unterstützen?
Schon. Oft ist es ja so, dass Ami-Bands jedes Jahr kommen und in deiner Ecke spielen, und einheimische Bands, die qualitativ genauso gut sind, kennt keine Sau. Aber wir sind da nicht dogmatisch. Wir sind also die Guten, haha. Aber viele Ami-Bands leben auch viel mehr für ihre Musik, das muss man auch anerkennen. Und bei uns ist die Band halt mehr so ein Hobby neben dem Studium.
Das Festival
Nach anfänglichen Unorganisiertheiten und Warten auf die Dämmerung, mit ihrer ins Clubinnere hineintreibenden Kühle und Mückenaufstand, standen am Freitag als erste die Karlsruher von MAN VS HUMANITY auf der Bühne. Auf Platte sind sie mir doch etwas zu metallisch, aber live kommt das ganze dann schon sehr mächtig und fett, da es hier auch spieltechnisch nix zu bemängeln gibt. Auch aus dem Badischen kommen COSTA´S CAKE HOUSE, zuletzt mit einer MCD auf Per Koro ins Licht der Medien gerückt. Black Metal goes Hardcore. Gibt halt nix, was es nicht gibt. Aber die machen schon was aus der Musik; zwei Bässe, dafür nur eine Gitarre. Besonders in den ruhigen Parts war das echt beeindruckend, auch weil das technische Niveau sehr ansprechend war, und die Erbärmlichkeit bleichgesichtiger Keulenschwinger natürlich gänzlich fehlte. Mittlerweile waren meine Ohren dermassen durchgeblasen, dass ich echt keine weiteren tiefgestimmten Gitarren und Doublebassorgien mehr hätte hören wollen. Musste ich aber auch nicht. Denn es kamen 10 VOLT SHOCK. Aus Platzmangel verweis ich jetzt einfach auf mein Review der Demo-CD, auch in dieser Ausgabe zu finden. Nur so viel, hier reift was Grosses heran. Danach die Emopopper von KITTY EMPIRE. Nach dem ganzen Krach schickte sie für viele Ohren bestimmt der Himmel. Und ich denke, sie machten ihre Sache gut, auch wenn ich mich für ihren Herzschmerz, nach den drei vorherigen Bands, noch nicht ganz öffnen konnte. Die FLAMINGO MASSACRES haben zuletzt ihre Debüt-LP auf X-Mist veröffentlicht, die ich aber leider nicht kenne. Ich hab mir aber fest vorgenommen dies zu ändern, denn auch sie waren ziemlich klasse, wie eigentlich alle anderen Bands vorher auf ihre Art und Weise auch. Beim ersten Song dachte ich noch: „hey, X-RAY SPEX“, aber dann schlugen die drei Ladys doch ´ne andere Richtung ein mit ihren zwei Bässen und Dualgesang. Schwafel ich jetzt was von Postpunk, kann sich wieder keiner was drunter vorstellen, mach ich aber trotzdem. Den Abend beschlossen dann die Per Koro-Metalheads von TIDAL, die ich aber wegen Müdigkeit nicht mehr miterlebte. Sollen aber gut gewesen sein.
Den Samstag gibt´s jetzt von den Machern des Festivals selbst kommentiert. Ausufernde Lobhudeleien sind also nicht meine Schuld.
Erstes Negativum dieses Tages: die Damen und Herren der HC-Gemeinschaft kriegen es immer noch nicht auf die Reihe, pünktlich zu kommen. Auf der Strecke bleibt dann halt die Band, die erst um halb drei anfangen kann (PETROGRAD). Also eröffneten, mit erheblicher Verspätung, PARANOIA KEEPS CRAWLING mit NEUROSIS-mäßigem und sonstigen Bösartigkeiten gespicktem, schleppendem Selbstmord-Soundtrack. Sehr, sehr geil, aber leider zu früh und daher bei strahlendem Sonnenschein. Aber kauft alle die Split mit STAGNATIONS END! Dann ein kleiner Absacker in Form der italienischen TIME BOMB, mit gekünsteltem, fugazi-esquem Artcore (dazu passend auch ihr Statement: we are music, not hardcore). Bestens bemüht, doch zu gewollt und ziemlich langweilig. Die Postmoderne rockt halt nicht!
Der Vortrag: ein nicht unwesentlicher Teil des Festivals und unseres Hardcoreverständnisses. Ein netter Vertreter der neugegründeten „Kein Mensch ist illegal“-Gruppe Stuttgart brachte die Problematik näher. Das tat er ausführlich und engagiert, und die wenigen Unsicherheiten fielen nicht arg ins Gewicht. Schade war nur, dass sich wesentlich weniger BesucherInnen als letztes Jahr für den Vortrag interessiert haben. Falls diejenigen das hier jetzt lesen und sich fragen: „hey, was war ich damals nur für ein Idiot?“ - nun, die letzte Chance, die Punk-Credibility wieder herzustellen, besteht, denn Infos und Kontakte gibt’s über uns. So und nun zu einem hammer, hammer Höhepunkt: ENGRAVE. Ein absolut furioses Brett semi-chaotischen Emos. Metallisch, brutal und wohl auch sehnsüchtig, mit allem was dazu gehört. Gekrönt von einem Sänger, der sich trotz Erkältung die Lunge blutig, sowie Frustration und Angst aus der Seele schreit. Dazu noch schöne Ansagen. Einfach ehrlicher und tiefempfundener Hardcore! Eine Band, die durch ihre Ehrlichkeit aus der Masse an HC-Klonen heraussticht.
Zu CWILL: gute Tattoos, Schweiss, tonnenweise Energie, Pathos, Wut. Nette Menschen, nicht nur wegen des „Alte-Säcke-Bonus´“; eine Geigerin mit INFEST-T-Shirt, einfach HC ! Musikalisch geht es jetzt mehr in Richtung TRAGEDY und Konsorten, es bleibt allerdings immer noch der typische CWILL-Sound und das ist auch gut so. Also freuen wir uns alle auf die neue LP. Jetzt war die Zeit reif für die Nürtinger Restaurantheroen KUWANLELENTA. Schrei-Emo mit viel Leidenschaft und Wut und einer gehörigen Portion Eigenständigkeit. Ein bisschen mehr Bewegung auf der Bühne würde allerdings nicht schaden. Danke Stoppel für die Tombs, Duplo fürs Brechtlied und allen für die geile Show! Wann kommt die DoLP??? Okay, noch zwei Bands und es ist vorbei, vollbracht, ad acta gelegt, das Leben danach kann wieder beginnen. Freier Kopf und vor allem Schlaf.
Zuerst die Supersympathen von FREE YOURSELF. Junge, Junge, ein Hit nach dem anderen. Milto, Dimi, und Spiro, wie gewohnt überragend in allen Belangen. Dickes Plus für Spiro fürs seitlich gedrehte Schlagzeug, dicken Kuß an alle und dicker Schluß mit PETROGRAD. Zuerst ein wahnsinnig großes Sorry an euch und die Leute, die auf euch gewartet haben. Dass die Stimmung und die Spiellust der Luxemburger gen Null tendierte, kann man ihnen nicht verdenken. Doch so beim dritten Song kippte die Stimmung, und es war sowohl für PETROGRAD, als auch für die handvoll Leute, die noch da ware, eine sehr schweißtreibende Angelegenheit. Diff und Co. haben es auch diesmal wieder geschafft, eine wunderschöne Melange anzurichten, kickende Punkrockknaller mit einem guten Schuss tiefgehender Popsongs. Satt DIY- und Politik-Streusel obendrauf und das ganze „served with a taste of fun“ und Herzlichkeit.
Kurzes persönliches Fazit: Finanziell eben ´ne Null-Nullgeschichte, wir werden besser, und uns wird´s weiterhin geben. Schade, dass sich das buntgemischte Publikum nach CWILL ein wenig gespalten hat und am Schluß fast nur noch Leute mit Dreads und so da waren. Aber: Liebe und Kraft an uns alle !!!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #44 September/Oktober/November 2001 und David Häussinger