Das polnische Acoustic-Post-Punk/Folkcore-Quartett HANBA! veröffentlichte in diesem Jahr sein viertes Album. Auf „Kryzys“ gehen sie erstmals neue Wege und beschäftigen sich nicht mehr ausschließlich mit der polnischen Vergangenheit. Der Bezug zum ursprünglichen Konzept der Band ist allerdings immer noch vorhanden. Sei es durch das Coverartwork oder durch die verwendeten Texte von fast vergessenen polnischen Schriftstellern aus dem Jahr 1943. Es ist zu befürchten, dass ein dunkler Teil europäischer Geschichte beginnt sich zu wiederholen, was jetzt nur am Rande etwas mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine und dessen Auswirkungen auf die Welt zu tun hat.
2016, als ich das erste Mal mit dem damaligen Schlagzeuger Adam Sobolewski über die ersten internationalen Erfolge der Band sprach, konnte man nur erahnen, was nationalistische Entwicklungen für Folgen haben können. Dieser Punkt scheint längst überschritten zu sein und es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch wir uns hierzulande politisch und gesellschaftlich zurückentwickeln, weil die vermeintlich demokratischen Vertreter kein vernünftiges Instrument gegen Nationalismus und Rechtsextremismus einzusetzen wissen. Was sich alles in Polen in den letzten Jahren abgespielt und welche Konsequenzen das für HANBA! hatte, darüber tauschte ich mich mit Sänger, Tubist und Saxophonist Ignacy Woland aus.
Was hat sich bei euch und in Polen in den letzten sieben Jahren getan?
Mittlerweile spielen wir fast die Hälfte unserer Gigs außerhalb Polens und wir können auf vier Alben zurückblicken: 2017 kam „Beda Bic“, 2019 folgte „1939“, 2020 „Nikt Nam Nie Zrobil Nic“ und 2023 „Kryzys“. Außerdem tourten wir in Australien und in Kanada und besuchten Orte, die wir ohne die Band nie zu sehen bekommen hätten. Mal abgesehen von Corona, das ja alles mehr oder weniger für zwei Jahre pausieren ließ, hatten wir eine großartige Zeit, auch wenn wir mit zwei Besetzungswechseln zurechtkommen mussten. Das war eine von vielen Krisen in den letzten Jahren, die uns dazu bewogen haben, das letzte Album so zu benennen. Polen befindet sich derzeit in einer seltsamen Situation. Einerseits wächst der Wohlstand, andererseits wird Geld in die rechtsextreme Regierung für deren Stimmenfang gepumpt. Was die Wahlen im Herbst betrifft, sehen wir schwarz.
Welche Rolle spielen die Autoren in euren Lyrics auf „Kryzys“?
„Kryzys“ ist unser erstes Album, das nicht streng an Zeit und Raum gebunden ist. Wir haben beschlossen, dass wir unsere Chronologie-Idee vergessen und uns mehr auf allgemeine Themen konzentrieren. Edward Szymanski, Jerzy Paczkowski, Wladyslaw Broniewski – sie geraten in Vergessenheit. Vielleicht ist das auch besser für sie, denn rechte Organisationen sind sich nicht zu schade, selbst sozialistische Dichter für ihre Sache zu instrumentalisieren. Nehmen wir Krzysztof Kamil Baczynski, er wurde während des Warschauer Aufstands 1944 von einem Nazi-Scharfschützen erschossen. Wir haben also einige großartige Persönlichkeiten in der Geschichte und es ist schwer, jemanden wie Józef Pilsudski oder Baczynski zu leugnen. Medien und Politiker sind dahingehend erfindungsreich, um die wahren politischen Hintergründe nicht erwähnen zu müssen.
Was können wir heute daraus lernen?
Nein zu sagen und dem Bösen nicht zuzustimmen. Es gibt keine Situation, in der wir nicht aufstehen und weitermachen könnten. Wir müssen uns nur auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren: Familie und Freunde, Wohlbefinden, Kunst und Kultur.
Auch wenn ich jetzt Gefahr laufe, missverstanden zu werden, möchte ich die Massaker in Wolhynien und Ostgalizien durch die Ukrainische Aufständische Armee/UPA von ukrainischen Nationalisten im Jahr 1943 nicht unter den Teppich kehren. Wie geht Polen heute damit um?
Die Menschen in Polen und in der Ukraine brauchen eine anständige Forschung und akademische Debatte über diese Zeit. Aber wir agieren lieber historisch. Im Mainstream gibt es nur eine Sichtweise und jeder, der zu sagen versucht „Hey, wahrscheinlich gab es nicht so viele Opfer“ oder „Polnische Truppen waren auch an der Tötung von Minderheiten beteiligt“ oder „Die UPA hat auch Ukrainer getötet“, ist ein Verräter und ein Gegner Polens. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die anti-ukrainischen Ressentiments wieder erstarken.
Die Bereitschaft der polnischen Bevölkerung, den ukrainischen Flüchtlingen zu helfen, scheint unermesslich.
Großartig ist, dass immer noch geholfen wird, wo immer es möglich ist. Dennoch gibt es keinen wirklichen Plan für die vielen Menschen. Unsere Institutionen, Schulen oder Gesetze sind darauf nicht vorbereitet, längerfristig mit einer so großen Minderheit umzugehen. Und das kommt wiederum anti-ukrainischen Bewegungen zugute, die jetzt schon sehr stark sind und stärker werden.
Inwieweit ist die Situation heute anders als noch vor einigen Jahren, als Polen zum Thema Flüchtlinge eine sehr strikte Meinung hatte?
Nicht wirklich. Wir helfen den Ukrainer:innen, weil wir Russland als Staat hassen und weil sie weiße Christen sind. Unweit der polnisch-ukrainischen Grenze herrscht an der Grenze zu Weißrussland eine permanente humanitäre Krise. Tausende Menschen aus Syrien, dem Irak, dem Sudan und anderen Ländern, die vom Lukaschenko-Regime dorthin gebracht werden, leiden nicht nur unter den belarussischen Truppen, sondern werden auch von polnischen Grenztruppen geschlagen und isoliert. Es gibt Pushbacks, illegale Abschiebungen und Familien werden in den Wäldern getrennt. Die polnische Gesellschaft stimmt dieser Politik im Allgemeinen zu. Natürlich gibt es einige Organisationen, die versuchen, die Menschenrechte zu schützen, um diesen Menschen zu helfen. Als HANBA! sammeln wir Geld, um diese wiederum zu unterstützen. Aber Hoffnung auf eine positive Wendung habe ich keine.
Angesichts der Quellen, die ihr so verwendet, wie werdet ihr in Polen und im Ausland wahrgenommen? Ich kann mir vorstellen, dass ihr euch angesichts der rechtskonservativen Entwicklungen keine großen Freunde macht? Lässt man euch das spüren?
Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir von polnischen Kulturinstitutionen im Ausland nicht mehr herzlich willkommen geheißen werden. Einige von ihnen sagten uns sogar, dass das Risiko besteht, dass ihnen der Verlust der Finanzierung durch die Regierung droht, wenn sie uns einladen. Wir haben bei unseren internationalen Gigs nicht mehr die gleiche Unterstützung wie vor fünf oder sechs Jahren, auch wenn wir eine der wenigen Bands sind, die im Ausland auftreten. Viele großartige Leute haben sich zurückgezogen oder wurden gezwungenermaßen von irgendwelchen Ignoranten ersetzt, deren einzige Aufgabe es ist, politische Interessen durchzusetzen. Wir kommen aber auch ohne diese Kontakte klar.
Mit welchen Krisen werden wir in Zukunft zu kämpfen haben?
Wir sind uns alle einig, dass die Klimakatastrophe unsere größte Herausforderung ist. Ich möchte wirklich nicht miterleben, wie sich Europa in eine faschistische Festung verwandelt, die auf Millionen von Flüchtlingen aus dem Süden schießt, wo es aufgrund der Dürre oder des steigenden Meeresspiegels unmöglich ist, zu leben.
Inwiefern hat sich die Situation für euch als Band durch die zeitweilige Aufgabe, die Geschichte Polens aufzuarbeiten, seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verändert?
Wir machen einfach unseren Job und versuchen, die Zuhörer:innen daran zu erinnern, dass Nationalisten töten. Nationalisten im Plural – russisch, ukrainisch, israelisch, deutsch, polnisch ... – alle Nationalismen sind scheiße und führen uns zu weiteren Kriegen und Krisen.
Wie würden eure Stücke in einer klassischen Rockformation klingen und in welche Stilrichtung würdet ihr eingeordnet werden?
Wir haben nie verheimlicht, dass unsere Inspirationen vom polnischen Hardcore-Punk und Post-Punk der Achtziger Jahre stammen. Wir würden uns musikalisch wahrscheinlich irgendwo zwischen DEZERTER, POST REGIMENT und wegen Blechbläsern und Saxofon frühen KULT bewegen. In den letzten Jahren erleben wir ein starkes Post-Punk-Revival, daher habe ich das Gefühl, dass wir hier irgendwo eingeordnet werden, wenngleich wir in letzter Zeit hauptsächlich auf Weltmusikfestivals gespielt haben. HANBA! waren schon immer schwierig zu klassifizieren und so, hoffe ich, soll es auch in Zukunft sein.
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