In den späten Achtzigern ist es Charles Peterson, dem Hausfotografen von Sub Pop, mit seinen verwackelten Gig-Fotos gelungen, der Musikszene Seattles ein Gesicht zu geben. Inzwischen hat Portland, Oregon das 280 km entfernte Seattle in Sachen Musik längst überholt. Entsprechend geben sich neben lokalen Helden wie MODEST MOUSE, THERMALS oder DEATH CAB FOR CUTIE zahlreiche Größen von THE HOLD STEADY über SUPERSUCKERS, MELVINS, SONIC YOUTH, MONO, BAD RELIGION, MUDHONEY, THE KILLS, PORTUGAL. THE MAN bis hin zu den EDITORS in den Clubs die Klinke in die Hand. Den gemeinsamen Nenner liefert hier Guy Burwell, der für viele Locations Konzertposter und Flyer gestaltet. Grund genug, Burwell nach Inspirationen, Techniken und dem Stand der Dinge in Portland zu fragen.
Wie bist du an das Designen von Gig-Postern geraten?
Ich bin in St. Louis, Missouri aufgewachsen und habe schon sehr früh angefangen zu zeichnen. Ständig habe ich alles vollgekritzelt. Später als Teenager habe ich mich dann – wie viele meiner Altersgenossen auch – intensiv mit Musik beschäftigt. Nach der Highschool habe ich einen Job in einem Plattenladen gefunden und im Laufe der nächsten zehn Jahre in mehreren, kreuz und quer in den USA verteilten Plattenläden gearbeitet. Gezeichnet habe ich nach wie vor. Musik und Platten haben schließlich eines Tages dazu geführt, dass ich anfing, auf Konzerte zu gehen. St. Louis hatte zu der Zeit viele große und kleine Musikclubs und so gab es nie einen Mangel an guten Bands, die gerade irgendwo in der Stadt spielten. Schließlich habe ich irgendwann einen Großteil meiner Zeit in einem kleinen Kellerclub namens Cicero’s verbracht, in dem viele Bands, die später groß rausgekommen sind, in der Frühphase ihrer Karriere gespielt haben. FLAMING LIPS, AFGHAN WHIGS, SUPERSUCKERS, FLOP, LOW, LUNA, UNCLE TUPELO, SUGAR PLANT, THELENIOUS MONSTER, LOVE BATTERY, THE GRIFTERS, PLEXI, ARCHERS OF LOAF und viele andere mehr haben in diesem winzigen Kellerraum gespielt. Ich kann mich nicht mehr erinnern, warum ich auf die Idee gekommen bin, Flyer für den Club zu machen, aber so hat jedenfalls alles angefangen. Ich machte Flyer für den Club, handgezeichnet und auf einem Farbkopierer kopiert, und bekam dadurch freien Eintritt und eine Gutschrift für die Bar. Nach einer Weile hatte ich so viel Guthaben, dass sie mich darum bitten mussten, mehr zu trinken, um mein Konto wieder auszugleichen. Das war ein Mordsspaß. Nachdem ich St. Louis verlassen hatte, habe ich in den Städten, in denen ich mich niedergelassen habe, dann immer zuerst Möglichkeiten ausgekundschaftet, wie und wo ich mit meiner Flyer-Arbeit etwas verdienen konnte, um davon Konzerte und Drinks zu bezahlen. Als ich in Portland, Oregon landete, war aber schnell klar, dass mit Flyern nichts zu holen war: Die Laternenpfähle waren von dicken Wulsten von Flyern umgeben. Durch meine Arbeit im Plattenladen lernte ich dann einen lokalen Musikpromoter kennen und bot ihm meine Dienste an. Seitdem habe ich eine Menge Flyer und Poster gemacht. In Portland habe ich am Anfang nur in Schwarzweiß gearbeitet, um Geld für die Druckkosten zu sparen. Nachdem die Ersten angefangen haben, meine Sachen zu sammeln, bin ich dann wieder auf Farbe umgestiegen. Schließlich fragten die ersten Sammler nach Siebdruckpostern und als sich die Möglichkeit, damit meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, langsam abzeichnete, habe ich dann im größeren Stil damit angefangen, Konzertposter zu gestalten. Irgendwann habe ich mir den manuellen Siebdruckprozess angeeignet und drucke meine Poster seitdem überwiegend selbst. Sie bezahlen noch immer Bier und Konzerte.
Nutzt du außer dem Siebdruck noch eine andere Drucktechnik?
Ich nutze eigentlich ausschließlich das Siebdruckverfahren. Ich fühle mich auch gar nicht als Drucker im künstlerischen Sinne. Ich drucke zwar, aber ich habe mich darüber hinaus nie intensiv mit den verschiedenen Drucktechniken auseinandergesetzt. Nachdem ich die Siebdrucktechnik gelernt hatte, habe ich mich ganz darauf konzentriert, deren Abläufe und meine Designs zu verfeinern. Auch heute ist meine Herangehensweise immer noch sehr traditionell. Als ich angefangen habe, Siebdrucke herzustellen, hat eine kleine Firma mit einer automatischen Druckerpresse meine Arbeiten gedruckt, aber nach einiger Zeit wollte ich den ganzen Prozess von der Konzeption bis zur Fertigstellung selbst in der Hand haben. Ich wollte, dass jeder Druck die Zeichen des Handgemachten trägt, ohne diesen gewissen Grad an Glätte und Vorhersehbarkeit, den die Benutzung einer automatischen Maschine mit sich bringt. Ich weiß zwar die Zeiteinsparung durch eine Druckerpresse zu schätzen und nutze sie, wenn ich Großformate oder höhere Auflagen brauche, aber in den letzten vier oder fünf Jahren habe ich den Großteil meiner Arbeiten selbst gedruckt. Jede Farbe ist handgezogen, jeder Fehler mein eigener, jeder Erfolg mein eigener. Mir ist bewusst geworden, dass der Käufer – oder der Bewunderer – durch kleine Siebdruckauflagen ein handangefasstes und handgemachtes originales Stück Kunst bekommt. Der taktile Sinneseindruck, den Abzieher von Hand über das Sieb zu ziehen, die von der Schablone erzeugte Spannung und die sich gleichmäßig oder ungleichmäßig verteilende Farbe sind alles integrale Bestandteile dieses Prozesses. Ich kann jeden Erfolg und jeden Misserfolg mit meinen Fingerspitzen spüren. Das ist eine sehr intime Erfahrung für den Drucker; alleine im Druckraum, Musik im Hintergrund. Ruhm und Qual zu gleichen Teilen.
Was, von Musik mal abgesehen, beeinflusst deine Arbeiten?
Die erste, einfache und vollständige Antwort ist: alles, was ich höre und sehe. Die Vielfalt der Natur und in letzter Zeit die Möglichkeiten, die das Fehlen einer althergebrachten Struktur im Design bieten. Macht das Sinn? Gegenwärtig hat auch die Posterkunst, wie sie früher für den Zirkus oder Jahrmärkte verwendet wurde, ihren Weg in meine Musikposter gefunden. Musik spielt natürlich eine große Rolle dabei, Ideen zu entwickeln. Außerdem mag ich die Illustratoren der Vierziger und Fünfziger wegen ihrer geradlinigen Herangehensweise an die Herstellung ihrer Arbeiten. Ich mag auch den glatten Ansatz der Industriedesigner der Fünfziger und Sechziger. Aber ich ändere meine Arbeitsweise gerne, weil neue Ideen sich schnell abnutzen. Es steckt kein System hinter diesen Wechseln, das Gefühl, dass bald etwas anderes kommen wird, ist schrecklich und schön zugleich, bis es sich verfestigt. Aber das entwickelt sich ständig weiter und kommt nie richtig zum Stehen.
Also entstehen wesentliche Teile deiner Arbeit eigentlich aus einer Kombination von Einflüssen der Illustratoren und Industriedesigner der Fünfziger, Sechziger und deinem Bauchgefühl heraus?
Ja. Ich glaube, die meisten interessanten Arbeiten, die ich bislang gesehen habe, tragen in erster Linie die Handschrift ihres Machers und einen Grundzug an bewusster Konstruktion in einer angenehm anzuschauenden Anordnung, die nicht an die Effekthascherei der Technik erinnert. Die Mehrheit der dem Fernsehen, Internet oder anderen fragwürdigen Moden entlehnten Designtrends ist für mich der reinste Horror. Oft ist es einfach ein falscher und auch unglaubwürdiger Ansatz, etwas „street“ oder „urban“ oder „punk“ oder „edgy“ oder „anders“ zu machen, nur um unangepasst zu sein, wenn in Wirklichkeit der Versuch, ungewöhnlich zu sein, schon selbst Teil des Trends ist. Oder noch schlimmer, diese Versuche werden von uninspirierten und unoriginellen Menschen unternommen. Ich glaube zwar nicht, dass ich immer sonderlich originell bin, aber ich halte meine Denkprozesse für echte Versuche, meine eigene Kunst und ihre Richtung zu ändern und zu erweitern, indem ich sie vorantreibe. Ich sollte vielleicht auf einige Sachen zurückkommen, die ich in der Vergangenheit aufgestöbert habe und versuchen, die Dinge, die ich entdeckt und die ich vielleicht wegen neuen Ideen vernachlässigt habe, wieder aufzugreifen.
Inwiefern versuchst du Aspekte der jeweiligen Band oder Location, für die du ein Poster designst, in deine Arbeiten einfließen zu lassen?
Hier und da baue ich den Ort, das Event oder irgendeinen Teil eines Songs des Künstlers ein. Ich versuche das aber nicht zu offensichtlich zu handhaben. Ich lege es immer darauf an, interessante Details und Denkprozesse, die ich während des Entwurfs des Stücks hatte, hervorzuheben. Es gibt immer interessante kleine Details, größere Einheiten und Themen innerhalb jedes Posterdesigns. Ich hatte Kunden, die sich ein Stück angesehen haben und gesagt haben, dass sie sich nicht sicher sind, ob das Aussehen zu ihrem Anliegen passt, und dann zeige ich ihnen zehn Details des Stücks, die sehr speziell auf sie zugeschnitten sind. Oft sind diejenigen sich gar nicht bewusst, welche Anstöße ihr Produkt mir als Illustrator liefert. Ich versuche zum Beispiel nicht, ein Haus oder einen Baum zu zeichnen, wenn eine Band etwa „Treehouse“ heißt. Manchmal ist das die beste Lösung, aber meist bieten sich weniger offensichtliche Zugänge zu einem Gegenstand. Es gibt zumindest zusätzliche Besonderheiten, die in ein Design mit einbezogen werden können, um die Tiefen dessen, was möglich ist, auszutesten. Je höher der Vernetzungsgrad ist, desto spannender. Ab und an reicht schon eine kleine Überraschung, um Bedeutung zum Vergnügen des Betrachters zu drehen. Ich stelle mir da eine Person vor, die sich ein Stück kauft, es einrahmt und aufhängt, monate- oder jahrelang mit ihm lebt und dann eines Tages feststellt, dass eigentlich etwas ganz anderes zu sehen ist, als bisher angenommen. Das passiert tatsächlich. Wenn mir Leute von so etwas schreiben, gibt es manchmal noch weitere Einzelheiten, auf die ich sie dann hinweisen kann: „Ist dir aufgefallen, dass der Fisch auch eine Tasse ist und die Tasse gefüllt ist mit dem Blut des gebrochenen Herzens der Elfe, die neben der Traumwolke fliegt, die aus dem toten Mädchen steigt?“. So etwas eben. Ich baue gerne solche Aha-Effekte ein, wenn es sich irgendwie einrichten lässt.
Finde eine Frage zu folgendem Satz: „Ich lebe in Portland, Oregon, einer Stadt mit einer lebhaften Indie-Musikszene.“
Na ja, in einem ganz eigennützigen Sinne lautet die Frage dann: „Trägt die lokale Musikszene in Portland, Oregon aktiv zu deinen Leistungen bei, findest du im selben Grad künstlerische Erfüllung in deinen lokalen Aktivitäten, wie du es in deiner Arbeit für Bands im ganzen Land und rund um den Globus tust?“ Die Antwort lautet: nicht wirklich. Zur Zeit jedenfalls. Ich stelle diese Frage, weil meine Aktivitäten immer in einen lokalen Kontext gesetzt werden, obwohl ich eigentlich auch sehr viel überregional arbeite. Außer meinen engsten Freunden weiß kaum jemand in meiner Heimatstadt genauer darüber Bescheid, was ich tue. Ich lege da eigentlich keinen großen Wert drauf, es gab zwar ein paar Zeitungsartikel und anderweitige lokale Aufmerksamkeit in den letzten 15 Jahren, aber wenn man bedenkt, dass es sich hier um eine Stadt mit einer pulsierenden Indie-Musikszene handelt, könnte da schon einiges mehr unternommen werden, um die eigene visuelle Landschaft ins rechte Licht zu rücken. Es gibt eine große Menge an lokaler Kunst in Portland, viele Poster-Designer und Flyer-Designer und die Stadt ist buchstäblich vollgepappt mit Flyern für Shows und Events, aber letztlich sieht von der Aufmachung her alles sehr nach „punk rock“ aus. Ich finde, viele Dinge könnten das Aussehen der Stadt aufwerten und ein fester Bestandteil der Musikszene sein, wenn man der Rolle des Visuellen einfach mehr Aufmerksamkeit beziehungsweise mehr kreative Aufmerksamkeit schenken würde. Ich fürchte aber gleichzeitig, dass zu viel Aufmerksamkeit die Übervermarktung der Portland-Landschaft und, wie so oft, die Gleichschaltung der Arbeit und die Kommerzialisierung aller künstlerischen Anstrengungen zur Folge hätte. Ich will nur, dass die lokale Szene sich selbst supportet, indem sie den Möglichkeiten, die sich in einer Stadt mit einer dynamischen künstlerischen Masse bieten, mehr Aufmerksamkeit schenkt. Das kann ein großes, geschmackvolles Loch sein, aber manchmal wird daraus ein kleines, dunkles Loch. Ich hoffe, das ist jetzt keinem Teil meiner Stadt gegenüber zu abwertend gewesen. Ich mag Portland. Es ist ein toller Ort.
Was wird die Zukunft bereithalten?
Tja, die Zukunft wird in erster Linie Veränderungen bringen. Veränderungen sind ohnehin am wichtigsten, nicht nur für mich selbst, auch für mein Design, meine Stadt und für jeden anderen auch. Für mich ähnelt die Welt der Gegenwart einer von Affenmännern, Affenfrauen und deren Affenmaschinen bevölkerten Erd- und Betonkugel. Die Affen beschäftigen sich mit selbst erfundenen Spielen, in denen es um den Wert von Steinen geht und darum, wer die meisten Holzstapel oder den besten Baumstamm besitzt. Ich wünsche mir einfach einige Veränderungen, die es den Affen erlauben, ihr Leben einfach nur zu genießen, anstatt sich mit festgefahrenen Normen herumzuplagen, die ihnen von Affenahnen aufgehalst wurden, die noch nicht die historische Einsicht hatten, dass diese ganzen Dinge für die Lebensqualität vollkommen unwichtig sind. Wenn die Affen diesen Punkt eines Tages erreicht haben, würde ich ihnen gerne herrliche Kunst zum Genießen zur freien Verfügung stellen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #95 April/Mai 2011 und Anke Kalau