GRAVE PLEASURES

Foto© by Anton Coene

Tod und Fröhlichkeit

Mat McNerney hat schon viel ausprobiert: Black Metal in England mit CODE, Extreme Metal in Norwegen mit DØDHEIMSGARD. Aktuell lebt der gebürtige Londoner in Finnland und singt in zwei Bands gleichzeitig: zum einen in der Psychedelic-Folk-Band HEXVESSEL, zum anderen bei der Goth-Rock-Formation GRAVE PLEASURES. Letztere haben nun mit „Motherblood“ ihr zweites Album veröffentlicht und heben den finnischen Post-Punk damit auf ein neues Level. Ähnlich wie Dennis Lyxzén von REFUSED ist Mat McNerney ein Künstler, der Stillstand hasst wie die Pest und viele verschiedene Pfade sucht, um seine Kreativität auszudrücken.

Mat, du bist in London geboren, wie hat es dich nach Finnland verschlagen?

Ich bin jetzt schon fast zehn Jahre hier. Das Land war mir schon immer nahe, weil ich in Lappland gelebt habe, als ich noch jünger war. Das war gerade mal zwanzig Minuten von der Grenze weg. Damals sind wir oft nach Finnland rübergefahren, auf Konzerte oder auch zu meinem Geburtstag. Ich hatte schon immer eine besondere Beziehung zur Natur in Skandinavien. Und irgendwann habe ich dann eine Frau aus Finnland kennen gelernt, wir haben geheiratet, ein Kind bekommen und uns dort niedergelassen. Finnland ist also meine Heimat geworden. Ich lebe in Tampere, dort wohnen auch die meisten Jungs aus der Band. Das ist eine Stadt etwa zwei Autostunden nördlich von Helsinki. Es ist die zweitgrößte Stadt Finnlands, sie hat eine sehr lebendige Punk-Szene. Es ist fast so eine Art Manchester von Finnland.

Fühlst du dich eigentlich wie ein Brite, der in Finnland lebt, oder schon wie ein Finne?

England habe ich schon vor mehr als zwanzig Jahren verlassen, danach habe ich in Holland und Norwegen gelebt. Ich fühle mich deshalb eher als Weltbürger, aber natürlich gibt es immer einen Teil von mir, der britisch bleiben wird, und den will ich auch nicht loswerden. Das ist ein großer Teil meiner Identität. Aber weil ich schon so lange hier bin, ist ein Teil von mir auch Finne geworden. Ich fühle mich irgendwie privilegiert, wie ein Auslandsbrite, der die Möglichkeit hat, beide Welten zu erleben.

Warum hast du dich damals entschieden, London zu verlassen? Viele Musiker träumen davon, in so einer pulsierenden Metropole leben zu dürfen.

London ist sehr hart für Musiker geworden. Es gibt unglaublich viel Wettbewerb dort. Ich finde, es ist einfacher, wenn du als Ausländer nach London kommst. Ich trete in London erst in so großen Venues auf, seit ich in einer finnischen Band spiele. Das ist eigentlich witzig! Wir haben im 100 Club in der Oxford Street gespielt. Ein Laden, in dem ich mir als Jugendlicher Bands angeschaut habe. Dort mit meiner eigenen Band zu spielen, war unglaublich für mich. Wenn ich in einer Band aus London spielen würde, wäre das unmöglich. Der Wettbewerb ist einfach zu heftig. Jeder beäugt den anderen und sucht Ansatzpunkte. Die wollen alles über dich wissen. Du bist ein Junge aus London? Als Londoner musst du immer mehr kämpfen, um gehört zu werden. Sie verlangen dort immer etwas Besonderes, etwas Spezielles. Wenn du jung bist, ist es aufregend, in London zu leben. Aber wenn du älter wirst, entdeckst du schnell die Kehrseite. Es gibt einfach zu viel dort, es wird immer schwerer, die guten Sachen zu finden. Für mich war es gut, London zu verlassen und meine Musik ohne weitere Ablenkung zu machen.

Momentan hast du zwei Bands nebeneinander: GRAVE PLEASURES und HEXVESSEL. Wie funktioniert das?

Das läuft gut. Wenn ich mit der einen Band beschäftigt bin, macht die andere Band gerade Pause und umgekehrt. Das funktioniert und ich brauche das auch. Ich bin ein Künstler, der gerne verschiedene Dinge macht. Verschiedene kreative Spielwiesen, auf denen ich mich austoben kann. Beide Bands existieren aber natürlich auch getrennt voneinander. GRAVE PLEASURES wären genauso gut, wenn es HEXVESSEL nicht gäbe, und umgekehrt. Und auf gewisse Weise befruchten sich die beiden Bands auch gegenseitig.

Bevor du mit BEASTMILK, der Vorgängerband von GRAVE PLEASURES, zum Goth-Rock gekommen bist, warst du in der Black Metal-Szene aktiv. Wieso der Stilwechsel?

Ich war schon immer ein vielseitiger Musikliebhaber. Beeinflusst von verschiedenen Stilen. Und auch die Art von Black Metal, die wir gemacht haben, war sehr von Goth-Rock geprägt. Für mich hat es sich also nicht wie ein drastischer Wechsel angefühlt. Es gab schon immer diese Musik in mir, die ich erforschen wollte. Und als ich nach Finnland kam, war für mich das Ende mit DØDHEIMSGARD gekommen. Ich wollte einfach einen anderen Sound machen. Und wir redeten damals viel über alte finnische Post-Punk-Bands und Gruppen wie MISFITS oder THE CURE. Wenn du älter wirst, lernst du einfach, dass es unterschiedliche Formen von Aggression und Dunkelheit gibt. Extreme Formen von Musik, die du entdecken willst, nicht unbedingt Black und Death Metal. Ich habe das so viele Jahre gemacht, dass ich einfach weitergehen wollte. Black und Death Metal hatten zu dieser Zeit für mich eine Phase der Stagnation erreicht.

Vor sieben Jahren hast du BEASTMILK ins Leben gerufen, aber nach dem Debütalbum „Climax“ ging es mit GRAVE PLEASURES weiter. Warum?

Ich hatte mich mit Johan Snell überworfen, dem Mann, mit dem ich BEASTMILK gegründet hatte. Wir wollten dann die Geschichte der Band weiterschreiben und gleichzeitig etwas Neues machen. Der Name BEASTMILK hat außerdem schon immer für Diskussion gesorgt. Manche Leute sagten, das klingt so dumm. Ich habe mich mit diesem Namen nie wohl gefühlt und er stand für mich auch nie für die Musik, die wir gemacht haben. Als Johan die Band verlassen hat, sahen wir darin eine gute Gelegenheit, den Namen zu ändern. Und unter einem neuen Namen neue Musik zu machen, ist auch immer eine Art Inspiration.

Das neue GRAVE PLEASURES-Album heißt „Motherblood“. Was bedeutet das?

Es steht für ein großes Opfer. In der heutigen Zeit gehen wir nicht gut mit unserer Umwelt um und bekämpfen uns als Spezies selbst. „Motherblood“ steht als für mich als Symbol für unsere Mutter. Die Mutter war immer die erste Form von Opfer. Daraus wurde dann das erste Sakrament der christlichen Religion. Dabei geht es vor allem um den großen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt. Die Mutter steht für die Natur und diesen immerwährenden Kreislauf, den wir eigentlich feiern sollten.

Großes Thema auf dem neuen Album „Motherblood“ sind auch Atomwaffen, in Songs wie „Be my Hiroshima“, „Falling for an atomic bomb“ oder „Atomic Christ“. Das Thema Nuklearwaffen war zuletzt in den Achtzigern sehr groß.

Das stimmt, aber wir steuern gerade mit Riesenschritten auf eine neue Ära des Kalten Krieges zu. Durch Männer wie Donald Trump, Kim Jong-un oder Wladimir Putin ist die Weltlage wieder bedrohlicher geworden. Es ist politisch eine sehr schwierige Zeit, die mich an die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Achtzigern erinnert. Man weiß nicht genau, woher die Bedrohung kommt und wer wen bedroht. Aber die Bedrohung ist definitiv wieder da. Und durch Vorfälle wie in Fukushima ist unser Gefüge auch sehr zerbrechlich geworden. Deshalb ist die Angst vor einem nuklearen Armageddon für uns ein großes Thema. Oder nimm das Thema Atommüll: dieses Zeug wird immer da sein. Die zukünftige Bevölkerung muss sich Gedanken machen, wo dieser Müll gelagert werden soll und wie man sich davor schützen kann.

Ein anderer Song heißt „Joy through death“. Bezieht sich der Titel auf das Nazi-Motto „Kraft durch Freude“?

Nein, das hat nichts damit zu tun. Bei uns gehen christliche Gruppen von Haustür zu Haustür und verteilen Broschüren auf denen steht: „Joy through Christ“. Darüber habe ich nachgedacht und über Slogans von anderen Firmen. Es ging mir eher darum, woraus wir unser Glück speisen. Und ich richte mich nach dem tibetischen Motto: „Wenn du den Tod in dein tägliches Leben integrierst, wird er zum Quell der Freude.“ Dieser Song ist meine Goth-Hymne, denn für mich als Goth- und Black-Metal-Kid ist das eine sehr positive Sichtweise. Auf Friedhöfen herumzuhängen und sich schon im frühen Alter mit dem Tod zu beschäftigen, hat einen großen Teil meines Lebens ausgemacht. Das hat mir schon immer geholfen, damit klar zu kommen, wie meine Mitmenschen sich verhalten und die zivilisierte Welt beschaffen ist.

Worin liegt der Ursprung für all die Düsternis in deinen Texten?

Ich bin als Kind dreimal fast gestorben und habe oft Geister gesehen. Meine Eltern waren streng katholisch und wollten mich zu einem Exorzisten schleppen. Ich habe mich schon immer mit dem Tod und Aberglauben beschäftigt. Und diese Nahtoderfahrungen haben meine Kindheit sehr geprägt. Es war eine sehr düstere Zeit für mich. Ich habe mit der Vorstellung gelebt, dass Geister etwas sehr Reales sind. Und als ich älter wurde, war es eine ganz normale Entwicklung, dass ich mich weiter damit beschäftigt habe.

Die Texte sind sehr düster, aber die Musik dazu hat auch einen sehr fröhlichen, fast poppigen Aspekt.

Wenn du dich mal mit deiner Situation angefreundet hast, all dem Destruktiven und der Dunkelheit, dann hat das auch etwas sehr Befreiendes. Und die Musik bringt dich auf ein neues Level von Erleuchtung und Glück. Diese Sichtweise bezieht sich wiederum auf das Tibetische Totenbuch. Du befreist dich selbst damit, indem du den Tod als Prozess akzeptierst. Daher kommt die Euphorie in unserer Musik. Und ich denke, als Künstler haben wir auch die Verantwortung, den Leuten ein Licht zu sein. Ich denke nicht, dass es gut ist, die Leute in den Abgrund zu stoßen, ohne ihnen ein Seil herunterzuwerfen. Man muss den Leuten auch immer einen Ausweg präsentieren. Das ist im Übrigen auch die Idee, die hinter dem Bandnamen steckt: GRAVE PLEASURES. Es geht um die Beziehung zwischen Tod und Fröhlichkeit.

Auf „Motherblood“ hört man den Einfluss von Bands wie THE CURE oder SISTERS OF MERCY. Bist du für diese Bands nicht damals zu jung gewesen, du wurdest doch erst 1978 geboren?

Meine Familie hatte schon immer einen Draht zur Musik, und so bin ich mit diesen Bands groß geworden. THE CURE haben mich seit frühester Kindheit begleitet. Meine Schwestern haben viel SIOUXSIE AND THE BANSHEES gehört. Ich bin mit den Platten dieser Bands sehr vertraut. Diese Musik hat mich unterbewusst geprägt. Ich musste also nicht ein bestimmtes Alter erreichen, um zu merken: das ist die Musik, die meine Kindheit beeinflusst hat. In den frühen Achtzigern habe ich also meine ersten Erfahrungen mit Musik gesammelt. Deshalb waren wir auch so glücklich darüber, 2017 mit KILLING JOKE auf Tour zu gehen. Diese Band war ein wichtiger Teil meiner Kindheit und hat uns alle als Musiker sehr in ihren Bann gezogen. Ich kann mit diesem Sound viel mehr anfangen als mit dem der Siebziger. Ich wurde geboren, als die Siebziger quasi vorbei waren, deshalb sind die nicht Teil meiner DNA. Für uns sind die Achtziger viel, viel wichtiger.

KILLING JOKE-Produzent Tom Dalgety hat euer letztes Album „Dreamcrash“ betreut. Jetzt habt ihr euch für Jaime Gomez Arellano als Produzent entschieden. Warum?

Wir wollten schon immer mit Gomez arbeiten. Wir hatten ihn schon zu BEASTMILK-Zeiten im Sinn. Das letzte Album mit Tom war ein sehr gebrochenes Album. Ich denke, wir wollten den schlechten Vibes von damals einfach entkommen. Das hat nichts mit Tom als Person zu tun. Wir lieben ihn und er ist ein großartiger Produzent. Ich bin mir sicher, dass wir wieder mit ihm arbeiten werden. Aber Gomez hat ein neues Studio, das in einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg untergebracht ist. In diesem Komplex haben damals Spezialisten Codes entschlüsselt, um die abgehörten Nachrichten der Nazis auszuwerten. Es ist also ein sehr interessanter Ort, völlig isoliert in der Natur. Und das hat die Atmosphäre der Platte natürlich massiv beeinflusst. Und Gomez hat zum Beispiel das erste Album von GHOST oder die Platten von ULVER betreut. Das ist der Sound, den wir auch für unser neues Album haben wollten. Deshalb haben wir uns für ihn entschieden und er ist eine Art sechstes Bandmitglied geworden. Das Resultat war perfekt für die Songs, die wir geschrieben haben.

Wie sehen die Pläne für den Rest des Jahres aus?

Wir sind quasi bis Dezember ausgebucht und spielen jede Menge Konzerte. Und für nächstes Jahr sind Touren für Februar und April vorgesehen. Bis nächsten Sommer sind wir also sehr beschäftigt. Wir wollen einfach so viel wie möglich live spielen, um die Songs vorzustellen.

Und wie geht es mit HEXVESSEL weiter?

Ich schreibe gerade an Songs für ein neues Album, deshalb gibt es mit HEXVESSEL aktuell keine Termine. Wir reden viel, treffen uns regelmäßig und unterhalten uns über Musik. Wir planen, das Album im Herbst 2018 zu veröffentlichen.