GRANT HART

Foto

The other guy from HÜSKER DÜ

Grantzberg Vernon Hart sollte Lesern dieses Heftes eigentlich noch als Schlagzeuger von HÜSKER DÜ in bester Erinnerung sein, jener Band, die nach ihren Anfängen als Hardcore-Band beim Label SST mit ihrer ungewöhnlichen Mischung aus extremem Noise und poppigen Melodien neben SONIC YOUTH als erste „Alternative-Band“ einen Vertrag bei einem Majorlabel unterschrieben. Nach zwei Platten war 1987 der Traum von der Major-Karriere zwar wieder ausgeträumt und die Band aufgelöst, was aber vor allem an persönlichen Spannungen innerhalb der Band lag, bedingt durch Harts damalige Heroinssucht. Dieses wird aber von den Beteiligten bis heute ebenso bestritten, wie die Vermutung, dass die beiden Hauptsongwriter Bob Mould und Grant Hart, die beide ihre Homosexualität relativ offen auslebten, ohne dass das eine Bedeutung für die Themen der HÜSKER DÜ-Songs gehabt hätte, mal ein Paar waren.

Während Mould danach eine recht erfolgreiche Karriere als Solokünstler und mit SUGAR gelang, nahm Hart danach zwar ebenfalls – solo und mit seiner Band NOVA MOB – sehr schöne Platten auf, dümpelte aber eher in Independent-Gewässern dahin, zumal Mould von HÜSKER DÜ offenbar den massenkompatibleren Teil des typischen Songwritings übernommen hatte. Bassist Greg Norton hingegen fasste danach recht erfolgreich in der Gastronomie Fuß, nahm aber 2007 unter dem Namen THE GANG FONT auch mal wieder eine Platte auf. Das letzte musikalische Lebenszeichen gab es von Hart 1999 in Form des Albums „Good News For Modern Man“, und genau zehn Jahre später erschien Ende 2009 mit „Hot Wax“ überraschend ein neues, wieder sehr schönes Werk von ihm, im Vertrieb der amerikanischen Firma MVD und herausgebracht auf seinem eigenen Label Con d’Or. Eine Europatournee scheint ebenfalls in Planung zu sein, mal sehen, was daraus wird. Und nach einer so langen Zeit erlaube ich mir dann mal eine banale Einstiegsfrage ...

Grant, wie geht’s dir?

Oh, heute war ein etwas gruseliger Tag. Meine Mutter musste gestern Nacht ins Krankenhaus. Es geht ihr zwar gut, aber es kam alles etwas überraschend. Und jetzt will man sicher gehen, dass alles in Ordnung ist.

Wie alt ist sie denn?

Sie ist schon 84.

Wie alt bist du inzwischen?

48! Jung war ich nur bei HÜSKER DÜ, haha.

Es heißt ja immer so schön, man ist so jung, wie man sich fühlt, oder wie siehst du das?

Das einzige Problem, das ich damit habe, ist, dass sich jeder anders fühlt, und niemand genau weiß, wie sich der andere gerade fühlt. Ich finde, man muss einfach wirklich an dem interessiert sein, was man tut, man muss in der Lage sein, seine Energie dort hineinzustecken, um dadurch eine Befriedigung zu erlangen. Manchmal ist es gar nicht so gut, sich jung zu fühlen. Aber ich meine damit den Unterschied zwischen Reife und Unreife, nicht den tatsächlichen Kalendertag in Bezug auf das Alter. So lange man als Künstler und in seinem Denken wächst, was man ja tut, wenn man jung ist, ist das ein Indiz dafür, dass man immer noch jung ist.

Aber ist es für einen Künstler, der schon 30 Jahre Musik macht, möglich, immer noch weiter zu wachsen beziehungsweise etwas völlig anderes zu tun?

Nun, man muss immer wieder Neues in der Welt und in einem selbst entdecken. Man muss danach Ausschau halten, du kannst ja nicht zehnmal den selben Song schreiben. Mein Vorteil war, dass ich mit meiner Musik nie viel Geld verdient habe, und so gibt es bei mir nichts, was unmittelbar zum Erfolg geführt hätte. Ich könnte „Twenty-five forty-one“ immer und immer wieder spielen und jeden damit bis zum Ende meines Lebens glücklich machen, aber das hätte nichts mit persönlichem Wachstum zu tun.

Aber es ist immer noch ein toller Song. Das gilt übrigens insgesamt für dein Debütalbum „Intolerance“, das ich für kriminell unterbewertet halte und das aufgrund seines originellen Songwritings eine erstaunliche Zeitlosigkeit besitzt.

Danke, ich weiß das zu schätzen. Das macht es mir leichter, den nächsten tollen Song zu schreiben. Interessanterweise haben in den letzten Jahren viele Leute „Intolerance“ wiederentdeckt, ein Album, auf das ich immer noch stolz bin. Es wird jetzt eine Neuauflage auf Vinyl von MVD geben, die mir auch bei der Veröffentlichung von „Hot Wax“ geholfen haben. Wir wollen einige Sachen wiederveröffentlichen, die nicht mehr so einfach zu bekommen sind. Natürlich kursieren sie im Netz, aber ein echtes Album wird immer besser klingen als ein Download. Und du hast etwas in den Händen, das du dir ansehen kannst und wo du Texte dabei hast.

Ist denn die SST-Version nicht immer noch erhältlich?

Vermutlich, aber ich habe sie schon lange nicht mehr irgendwo gesehen. Ich habe mal testweise jemand bei SST die CD bestellen lassen und sie sagten dann, sie sei ausverkauft. Und die rechtliche Situation in Bezug auf SST sieht so aus, dass ich nicht das Gefühl habe, es wäre falsch, mir die Platte einfach zurückzuholen. Wenn sie mich verklagen wollen, müssen sie mich erst mal finden, und sie schulden mir außerdem viel mehr Geld als ich ihnen.

Für die HÜSKER DÜ-Releases gilt dann sicherlich dasselbe, oder?

Oh Mann, Jahr für Jahr machen sie weitere HÜSKER DÜ-Bootlegs. Sie scheren sich einen Dreck um irgendwelche Verträge.

Also gab es damals durchaus einen Vertrag.

Ja, aber das Problem ist, dass nicht alle in der Band den Vertrag unterzeichnet haben. Und Greg Ginn von SST profitiert von der Tatsache, dass die Band nicht mehr existiert. Damals wäre es nicht möglich gewesen, so mit uns umzuspringen. Aber für ihn ist das nicht gut, denn er ist derjenige, der etwas zu verlieren hat. Er bräuchte uns nur alle paar Monate eine Auflistung zu schicken, wie viele Platten er verkauft hat und uns unsere Tantiemen zu zahlen, aber aus bestimmten Gründen scheint ihm das nicht möglich zu sein, also holen wir uns die Platten zurück. Aber offen gestanden, wenn ich Geld bräuchte, um mein Leben zu meistern, wäre es nicht bei HÜSKER DÜ zu holen. Und irgendwie bin auch dankbar, dass da damals ein Greg Ginn war, der diese Platten herausgebracht hat. Aber er ist nicht mehr der Greg Ginn, mit dem wir zusammenarbeiten wollten. Das Einzige was im Leben garantiert ist, ist Veränderung.

Dazu gehört ja offenbar auch, dass du immer noch Probleme mit Bob hast.

Ja, und er hat Probleme mit mir. Für einen Konflikt braucht man mindestens zwei Leute. Und vielleicht ist sein Konflikt mit mir auch völlig berechtigt. Ich meine, ich kann ein ziemliches Arschloch sein.

In einem Interview hat er mal recht diplomatisch gesagt, dass ihr beide sehr schwierige Menschen seid.

Ja, das hast du oft bei kreativen Menschen, denn sie schaffen sich ja quasi selbst, also ihre Persönlichkeit und ihr Ansehen. Die meisten Künstler haben deshalb ein riesiges Ego, das benötigen sie auch. Das heißt nicht, dass man ein gemeiner Mensch sein und andere Leute schlecht behandeln muss, aber der Prozess, dass etwas in deinem Kopf entsteht, kann große Veränderungen hervorrufen, was deine Eigenliebe betrifft. Es gibt wenige Künstler, die sich hassen, die meisten sind sehr selbstverliebt.

Und wie groß ist dein Ego?

Es ist das Größte, das ich bekommen konnte, haha. Aber es bewegt sich in einem gesunden Rahmen. Es ist groß genug, damit sich mein Werk gegen das anderer Leute behaupten kann. Aber ich habe es soweit im Griff, dass ich Leute nicht schlecht behandele beziehungsweise die Absicht dazu habe. Die goldene Regel ist, dass man andere Menschen so behandeln muss, wie man selbst behandelt werden will. Jeder soll tun, was er will, und wo es mich betrifft, versuche ich eine Form von Übereinstimmung zu finden.

Ist es für dich denn überhaupt noch erstrebenswert, wieder in einer Band zu spielen?

Ich würde wieder in einer Band spielen, wenn ich nicht der Kopf des Ganzen wäre. Bei NOVA MOB hatte ich zum Schluss mehr Verantwortung, als ich eigentlich haben wollte. Ich hatte kein Problem damit, Sänger, Gitarrist und Songwriter zu sein, aber ich wollte nicht der Einzige sein, der Interviews gibt. Ich wollte nicht derjenige sein, der für die Band bürgt, wenn mal wieder alle pleite waren. Ich wollte nicht derjenige sein, der morgens immer an alle Hotelzimmer-Türen klopfen musste, wenn wir in die nächste Stadt weiterfahren sollten. Und am Ende hab ich all das machen müssen, worauf ich irgendwann keine Lust mehr hatte. Ich wollte, dass alles harmonisch war, wenn wir am Morgen aufstanden, und ging deshalb zum Bäcker und besorgte das Frühstück, während alle anderen noch eine Stunde weiterschlafen konnten. Ab und an hätte mir auch mal jemand das Frühstück machen können, aber weil ich der so genannte Kopf der Band und ein bekannter Musiker war, war ich für alles verantwortlich. Und wenn die Band einen Gig wegen des Bassisten absagen musste, war es immer Grant Harts Schuld.

Na ja, du bist halt immer noch dieser Typ von HÜSKER DÜ ...

Das akzeptiere ich ja auch, aber ich will, dass die Leute ebenfalls das respektieren und hören, was ich danach gemacht habe. Du kannst die Vergangenheit natürlich nicht ausradieren, und ich bin ja immer noch stolz auf diese Songs, aber ich versuche nicht, ein komplettes Konzert damit zu bestreiten. Ich spiele in der Regel vier alte Songs, mal mehr mal weniger. Ich versuche, Sachen aus meiner ganzen Karriere zu spielen. Und heute haben viele Leute, die damals HÜSKER DÜ-Fans waren, ihre Midlife Crisis und wären gerne wieder 18. Und die Leute benutzen immer Musik, um diese nostalgischen Regungen zu befriedigen. Das generelle Problem mit dem Spielen von zu vielen HÜSKER DÜ-Songs ist, dass die Leute irgendwann nur noch HÜSKER DÜ-Songs wollen. Wenn sie davon nicht genug auf meinen Konzerten bekommen, müssen sie eben nach Hause gehen und sich dort ihre Platten anhören, denn ich spiele, was ich spielen will. Ich lehne es nicht grundsätzlich ab, Menschen glücklich zu machen, aber in dem Moment, wo es beginnt, mich zu langweilen, muss ich etwas ändern, ich kann nicht gelangweilt auf der Bühne stehen, denn dann würde ich das Publikum betrügen. Ich muss derjenige dort sein, der am meisten aufgeregt ist. Deshalb ist mir ein jüngeres Publikum oft lieber, denn die akzeptieren das eher. Das heißt nicht, dass jüngere Leute leichter zufrieden zu stellen wären, aber sie sind nicht so auf 1982 oder 1985 fixiert. Sie sind im Hier und Jetzt an der Musik interessiert, und besuchen nicht einen Ort, den sie von früher kennen.

Wie würdest du deine Art des Songwritings charakterisieren? Jemand hat es mal, im positiven Sinne, als Mischmasch aus unterschiedlichen Stilen bezeichnet.

Wenn ich eine Platte haben wollte, die nur einen Stil besitzt, würde ich eine Single und kein Album aufnehmen, haha. Wenn ich an die frühen Hardcore-Tage zurückdenke, finde ich, dass alles unheimlich ähnlich klang, deshalb versuche ich, jeden neuen Song so zu schreiben, dass er nach Möglichkeit anders als meine bisherigen Songs klingt. Und wenn ein Künstler in seinem Leben immer mehr Musik veröffentlicht, wird die Chance, dass er tatsächlich wie er selbst klingt, immer größer. Manchmal arbeite ich an einem Song, etwa „Narcissus, narcissus“, und plötzlich fällt mir auf, dass er ähnliche Akkorde wie ein Song auf dem „Warehouse ...“-Album besitzt. Darüber bin ich kurz etwas besorgt, aber so lange ich beide Songs live nicht gerade hintereinander spiele, ist das kein Problem. Aber der Stil von eigentlich jedem wird durch die persönlichen Beschränkungen diktiert. Und ich habe genauso viele Beschränkungen wie jeder andere auch. Ich bin kein sonderlich ausgefallener Gitarrist, ich bin als Rhythmusgitarrist ausreichend gut, und ich nutze das, um meine Stimme, Texte und Melodien zu betonen. Ich denke, dass die Texte und auch der Gesang das ist, worauf ich am meisten stolz bin. Ich mag es, wenn die Texte eines Songs ausbalanciert sind und nicht nur etwas aussagen, sondern es auf sehr schöne Art tun. Das befriedigt mich am meisten.

Würdest du sagen, dass du immer noch ein besserer Schlagzeuger als Gitarrist bist?

Sagen wir es mal so: Ich weiß, wo jeweils meine Schwächen liegen. Auf meinen Platten spiele ich gerne selbst Schlagzeug. Und wenn ich Songs schreibe, höre ich automatisch das dazugehörige Schlagzeug in meinem Kopf. Und das liegt natürlich daran, dass ich es auf so vielen HÜSKER DÜ-Platten getan habe.

Ich finde es immer äußerst beeindruckend, wenn jemand Schlagzeug spielt und gleichzeitig singt.

Zu der Zeit, als ich damit begann, sah ich andere Leute, die das machten. Und ich hatte eigentlich nicht das Gefühl, dass es schwierig sei, also versuchte ich es einfach. Später wechselte ich dann bei NOVA MOB zur Gitarre, aber bei einer Tour verließ der Schlagzeuger die Band, zwei Tage vor Tourende, und ich musste wieder Schlagzeug spielen. Und ich war überrascht, wie sehr ich den Gesangsstil verändern musste, um beim Schlagzeugspielen zu singen, eben weil ich ganz anders atmen musste als ein Gitarrist. Aber bis dahin war ich mir dieses Unterschieds nie so stark bewusst gewesen. Es ist viel mehr Arbeit, und die Schwierigkeit dabei ist auch, im Sitzen zu singen, denn dein Körper darf dabei nicht zu gebeugt sein. Und so gibt es einige Gesangsstile, die ich beim Schlagzeugspielen nie in Erwägung gezogen habe, weil es schlichtweg unmöglich ist. Vielleicht ist das auch der Grund, dass ich mich vom Hardcore abgewandt habe, denn man braucht eine Menge Energie dafür.

Manche Leute brauchen diese Aggression darin aber nach wie vor als Ventil.

Das stimmt, aber ich glaube, ich habe den Punkt erreicht, wo ich meine ganzen Aggressionen hinter mir gelassen habe. Aber es ist natürlich gut, wenn man Spannungen auf so eine Art abbauen kann.

Wirklich? Gibt es nichts, was du hasst?

Aggression muss ja nicht immer etwas mit Hass zu tun haben. Aggression bedeutet oftmals nur, dass man besessen ist von etwas, das man hasst, und es so Einfluss auf dein Leben hat. In meinem Leben mache ich mir wegen solcher Sachen keine Sorgen, weil ich mich ihnen nicht aussetze. Natürlich gibt es Sachen, die jeder tun muss, aber darüber schreibe ich normalerweise keine Songs, wie sich mit Ämtern, Banken oder Versicherungen rumzuärgern.

Du hast ja eine sehr charakteristische Gesangstimme. Ich finde, es ist immer interessant zu sehen, wie sehr sich das von der normalen Stimmlage beim Sprechen unterscheidet.

Das stimmt. Wenn ich lange auf Tour bin und viel gesprochen und gesungen habe, dann rede ich auch völlig anders, um meine Stimme zu schonen. Ich beantworte Fragen dann eher in einem Wort als in drei Worten, was Interviews ziemlich langweilig machen kann, haha.

Rauchst du eigentlich? Das ist für einen Sänger ja nicht gerade vorteilhaft.

Leider ja. Ich habe mal für zwei Wochen aufgehört, aber dann hatten NOVA MOB auf Tour einen schlimmen Unfall im tiefsten Bayern in der Nähe von Schloss Neuschwanstein. Wir standen dann an der Autobahn, jemand gab mir eine Zigarette, ich rauchte sie und plötzlich dachte ich: Mist, ich hab doch zwei Wochen nicht mehr geraucht! Ich hab in dem Moment überhaupt nicht darüber nachgedacht. Wenn ich am Morgen zu viel rauche, versuche ich, mich den restlichen Tag mehr einzuschränken. Wenn man älter wird, gibt es bestimmte Sachen, die man nicht mehr tun sollte. Aber früher oder später erwischt uns eh irgendwas ...

Lass uns mal über deine momentane Label-Situation reden. Deine neue Platte ist ja nur über den Vertrieb MVD erhältlich, ohne dass dahinter ein größeres Label stehen würde. Constellation wären ja ein möglicher Partner gewesen, du hast die Platte ja teilweise in Kanada mit Musikern dieses Labels aufgenommen, mit Mitgliedern von A SILVER MT. ZION und GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR.

Es gab mal diesbezüglich einen Versuch, schließlich verstanden wir uns sehr gut. An einem Abend, als ich in Kanada spielen sollte, dachte ich, wir kämen tatsächlich zu einer Einigung. Ich saß da mit dem Boss von Constellation und als ich ihm die Frage stellen wollte, ob wir nicht einen Vertrag machen sollten, kam der Tourmanager und meinte: Es ist Zeit für deinen Auftritt! Ich musste dann auf die Bühne und wir haben das Thema nie wieder aufgriffen. Ich hatte wirklich auf Constellation gehofft, aber sie arbeiten wohl am liebsten mit Musikern aus Montreal zusammen. Sie bemühen sich auch nicht sonderlich, dass ein bestimmter Deal zustande kommt, Und wenn ich etwas hasse, dann ist das, mit einer Platte hausieren zu gehen und bei jedem Label anzuklopfen. Das ist wie um Hilfe bitten, das erscheint mir irgendwie lächerlich. Es sollte jemand geben, der alles von mir herausbringt, und zwar weil es ihm wirklich Freude macht. Den gibt es jetzt, denn ich habe mein eigenes Label gegründet, und der Vertrieb, mit dem ich zusammenarbeite, ist ebenfalls glücklich mit der Situation. Ich muss zwar mehr typische Label-Arbeit machen, aber dadurch bin ich wenigstens unabhängig. Es gibt niemand, der mir sagt: Grant, du solltest mal Songs über dies und das schreiben, denn das ist dieses Jahr populär. Und das ist immer der Fall, selbst wenn du mit den tollsten Labels zusammenarbeitest – sie versuchen, dich zu beeinflussen. Aber Constellation mag in dieser Hinsicht noch ein Sonderfall sein, denn sie gehen sehr gut mit ihren Künstlern um, deshalb wäre ich auch gerne dort untergekommen.

Was findest du ansonsten faszinierend an dieser doch sehr speziellen kanadischen Musikszene?

Wenn es einen Ort in Nordamerika gibt, wo man sich als Kosmopolit fühlt und quasi gleichzeitig in Amerika und Europa zu Hause ist, dann wäre das Montreal. Man bekommt das Beste aus beiden Welten geliefert. Wenn ich mal aus Minneapolis wegziehen müsste, würde ich mich wahrscheinlich für Montreal entscheiden. Das Problem der Musikszene dort ist, dass jeder ein Künstler oder ein Kritiker ist, es herrscht da ein echter Mangel an normalen Musikfans. Jeder spielt da in einer Band oder kennt jemand, der in einer Band spielt. Es ist oft, als ob man im Backstageraum auftreten würde. Und Montreal ist nicht gerade eine Kleinstadt.

Hat dieses Umfeld auch in musikalischer Hinsicht deine Platte beeinflusst?

Ich denke schon, denn in Minnesota gibt es keine großen Überscheidungen zwischen klassischer Musik und Rock’n’roll oder Pop. Hier findet man nicht so einfach jemand, der Cello oder Violine spielt, aber davon gibt es in Montreal jede Menge Leute.

Eine letzte Sache, falls du darauf überhaupt kurz antworten kannst. Wieso gab es von dir in den letzten zehn Jahren kein Lebenszeichen in Form einer neuen Platte, was hast du in der ganzen Zeit getrieben?

Nun, darauf gibt es unterschiedliche Antworten. Die Aufnahmen zu der aktuellen Platte begannen eigentlich schon 2005. Während dieser Zeit zog das Studio um, hinzu kamen einige andere Faktoren, zum Beispiel, dass ich keinen Vertrag hatte, der mich zwang, die Platte zu einer bestimmten Zeit abzuliefern. Das machte es mir leicht, andere Dinge für mich zu entdecken. Dinge, die ich nie entdeckt hätte, wenn ich es nicht in den letzten zehn Jahren getan hätte, und die überhaupt nichts mit Musik zu tun hatten. Dinge, die sicher auch Einfluss auf meine Musik haben, aber mehr Einfluss auf mein generelles Denken hatten. Für mich war das sehr hilfreich, denn es gibt Ziele in meinem Leben, die überhaupt nichts mit meiner Musik zu tun haben. Oft machen Leute einfach mit dem weiter, was sie gerade tun, ohne dass sie ein wirkliches Verlangen haben, jedes Jahr eine neue Platte aufzunehmen. Und bei mir war die Situation nach „Good News For Modern Man“ in geschäftlicher Hinsicht ziemlich katastrophal. Ich habe viel Zeit in die Aufnahmen investiert und konnte dabei viel experimentieren, was sich auch ausgezahlt hat, aber zum Schluss war die Platte nur ein Abschreibungsobjekt für Leute, die ihr Geld mit etwas anderem verdienten. Und das war sie für mich nicht. Denn wenn ich das, was ich tue, nicht liebe und es für mich in diesem Moment aufregend ist, dann kann ich dafür keine echte Leidenschaft entwickeln. Es wäre sicherlich leicht für mich, jedes Jahr ein neues Album herauszubringen, das wie „Good News...“ klingt oder wie „Intolerance“. Aber wenn man so was schon mal gemacht hat, sollte man es nicht unbedingt noch mal tun. Auf jeden Fall kehre ich immer wieder zur Musik zurück, denn es ist ein wichtiger Teil meines Lebens und meiner persönlichen Zufriedenheit. Aber ich weiß, wie frustrierend es sein kann, auf die nächste Platte von jemand zu warten. Wenn ich mir die bisherigen Reaktionen auf „Hot Wax“ anschaue, scheinen mir die Leute aber verziehen zu haben, dass ich so egoistisch mit meiner Zeit umgegangen bin, haha.

 


In seinem Buch „Our Band Could Be Your Life“ schreibt Michael Azerrad: „HÜSKER DÜ played a huge role in convincing the underground that melody and punk rock weren’t antithetical.“ Mit „extrem einflussreich“ und „chronisch erfolglos“ umschreibt man aber wohl am besten das Dilemma, in dem das 1979 in Saint Paul, Minnesota von Gitarrist Bob Mould, Bassist Greg Norton und Schlagzeuger Grant Hart gegründete und nach einem in den Siebzigern populären norwegischen Brettspiel benannte Trio zeitlebens steckte, während sehr viel später etwa GREEN DAY oder die FOO FIGHTERS mit einer ähnlichen Formel zu Rockbiz-Großverdienern wurden.

Auf ihrem im August 1981 live im 7th Street Entry in Minneapolis, Minnesota eingespielten und 1982 auf New Alliance – das Label ihres Freundes und MINUTEMEN-Basisten Mike Watt – veröffentlichten Debüt „Land Speed Record“ ist davon indes noch wenig zu spüren. Ein grobschlächtiges Hardcore-Geknüppel, auf dem HÜSKER DÜ in gut 25 Minuten 17 Songs in beeindruckender Geschwindigkeit rausrotzten, with a little help of amphetamine pills, worauf sich auch der doppeldeutige Titel bezieht. 1987 wurde die Platte auf SST als CD wiederveröffentlicht, dem Label von BLACK FLAG-Gitarrist Greg Ginn, die wie die LP nur zwei durchlaufende Stücke ohne Pausen beinhaltete. Auf dem ersten richtigen Studioalbum „Everything Falls Apart“, 1983 auf Reflex Records veröffentlicht, klang das Trio dann schon etwas subtiler, auf jeden Fall aber origineller als viele andere Hardcore-Bands der damaligen Zeit. Die künstlerisch fruchtbarste Zeit für HÜSKER DÜ begann dann im selben Jahr mit „Metal Circus“, ihrer ersten EP für SST, auf der sich der großartige, von Grant Hart geschriebene und gesungene Song „Diane“ befindet, eine Blaupause des immer weiter verfeinerte Sounds der Band, eine Mischung aus schmerzhaft verzerrten Gitarrenparts und eingängigen Melodien.

1984 erschien das epische Doppelalbum „Zen Arcade“, eine im US-Rolling Stone als „Thrash Quadrophenia“ geadelte Konzeptplatte über einen Jungen, der von zu Hause abhaut, und für das damalige Punk-Publikum eine eher verstörende Erfahrung, da das Trio hier auf abenteuerliche Weise Psychedelic, Folk und Jazz in ihren Sound integrierte. Exemplarisch dafür ist der knapp 14-minütige letzte Track „Reoccurring Dreams“ mit seinem enervierenden Jazzrock. Inzwischen gilt „Zen Arcade“ als eine der 100 besten Platten der Achtziger. Als Bonus zum Album gab es dann noch die Single „Eight Miles High“, mit einer wirklich exzellenten Coverversion des legendären THE BYRDS-Songs.

Im Verlauf des Jahres 1985 erschienen dann hintereinander „New Day Rising“ und „Flip Your Wig“, mit denen HÜSKER DÜ ihren speziellen Sound noch weiter perfektionieren konnten. Während der Aufnahmen zu „Flip Your Wig“ kamen Warner Bros. auf HÜSKER DÜ zu und boten ihnen einen Vertrag an, den die Band auch dankbar annahm, da sie die Vertriebsprobleme von SST schon länger als äußerst unbefriedigend empfand.

1986 und 1987 entstanden dann „Candy Apple Grey“ und das finale Doppelalbum „Warehouse: Songs And Stories“ auf Warner. Spätestens mit „Warehouse...“ hätte der Band dann der kommerzielle Durchbruch gelingen müssen, selbst in Deutschland war in jedem Blättchen etwas über die Platte zu lesen, aber die offenbar unüberbrückbaren Konflikte zwischen Hart und Mould, hinzu kam der Selbstmord ihres Managers David Savoy, führten schließlich zur Auflösung von HÜSKER DÜ. 1989 veröffentlichten Hart und Mould dann quasi parallel ihre ersten Soloplatten, wobei Moulds Karriere bis heute die deutlich erfolgreichere ist. 2004 standen die beiden sogar mal kurz wieder zusammen auf einer Bühne, aber allzu große Hoffnungen bezüglich einer HÜSKER DÜ-Reunion sollte man sich deshalb nicht machen.