GRANDE ROSES haben mit „Built On Schemes“ einen potenziellen Kandidaten für das Rockalbum des Jahres vorgelegt. Neun dunkel funkelnde Songs, die einen nicht mehr loslassen. Verantwortlich dafür ist vor allem die Stimme von Göran Andersson. Der 37-jährige Frontmann wirkt wie einer dieser mystischen Rockpriester aus den Achtzigern à la Justin Sullivan (NEW MODEL ARMY), Andrew Eldritch (SISTERS OF MERCY) oder Nick Cave. Im Interview merkt man allerdings ziemlich schnell, dass der Schwede mit beiden Füßen auf dem Boden steht. Als wir telefonieren, fährt er gerade von seinem Job als Cutter für ein Medienunternehmen in Stockholm zum Elternabend für seine beiden Kids.
Es überrascht mich, dass GRANDE ROSES deine erste Band ist. Denn deine Gesang klingt schon sehr professionell.
GRANDE ROSES gibt es jetzt auch schon über elf Jahre. Und in dieser Zeit hat sich natürlich auch meine Stimme entwickelt. Als wir angefangen haben, war ich kein besonders guter Sänger, wie ich finde. Ich musste meine Stimme erst finden. Ich habe angefangen, eigene Songs zu schreiben, weil es mich angekotzt hat, die Songs von anderen zu spielen.
Du kommst eigentlich aus einem Punkrock-Umfeld, GRANDE ROSES haben aber als Country-Band angefangen. Wie bitte geht das?
Als ich noch Teenie war, war Punkrock die einzige Musik, die mir etwas bedeutet hat. Ich bin damals in der Skateboardszene und mit dem damit verbundenen Soundtrack aufgewachsen. Da war eben ziemlich viel Punkrock dabei. Und ich rede nicht von MILLENCOLIN, ich rede von DEAD KENNEDYS. Den größten Einfluss Anfang der Neunziger hatten auf mich aber DINOSAUR JR. Damals bin ich auch viel Snowboard gefahren. Dann habe ich mir das Knie gebrochen. Deshalb habe ich einen Freund gebeten, mir sein Vierspurgerät zu schicken und habe angefangen, Country-Songs aufzunehmen. Damals war die Songwriter-Schiene mit Kristofer Åström von FIRESIDE sehr populär. Das hat mich angezogen, aber wenn du eine Band hast, macht es viel mehr Spaß, hart und schnell zu spielen.
Ihr habt GRANDE ROSES 2003 gegründet, das erste Album kam aber erst 2013, zehn Jahre später. Warum hat das so lange gedauert?
Wir haben in dieser Zeit vier EPs aufgenommen. Für mich ist eine EP das beste Format, die sind viel einfacher aufzunehmen. Es geht schneller und ist billiger. Außerdem braucht man kein Storytelling wie bei einem Album. Bei einem Album muss alles zusammenpassen, das ist bei einer EP nicht der Fall. Mir war gar nicht bewusst, wie schwer es ist, ein Album aufzunehmen. Das weiß ich jetzt. Man muss viele Songs schreiben, um ein ganzes Album herauszubringen.
Ihr hattet einen Deal mit dem Majorlabel EMI, aber zwei Wochen vor den Aufnahmen für das Album haben sie euch gedroppt.
Wir hatten schon die EP „Hide“ bei EMI veröffentlicht. Und als uns der Product-Manager die Verkaufszahlen präsentiert hat, sagte er: „Ihr verkauft nicht so viel wie METALLICA oder NICKELBACK!“ Und wir sagten: „Okay, das wissen wir.“ Und er sagte: „Wenn sich das nicht ändert, werdet ihr bei uns keine weitere Platte aufnehmen.“ Aber dann feuerten sie uns, noch bevor wir die Chance hatten, eine weitere Platte aufzunehmen. Aber so läuft es eben in der Musikindustrie. Ich habe mir damals keinen großen Kopf gemacht.
Und was habt ihr dann gemacht?
Wir sagten uns einfach: Scheiß drauf! Wir haben die Songs selbst aufgenommen und die Studiokosten selbst finanziert. Wir haben gehofft, ein paar Platten zu verkaufen, um damit das nächste Album zu finanzieren. Wir haben aber immer noch Schulden, haha. Damals hatten wir einen Manager und der hat uns dann den Deal mit Noisolution verschafft. Ich kannte das Label gar nicht und habe erst mal auf Google nachgeschaut und bin auf Claus Grabke gestoßen, der auch auf Noisolution veröffentlicht hat. Dann war die Sache geritzt. Er war in den Neunzigern einer der bekanntesten Skater der Welt. Grabke war für mich wie ein Rockstar.
Was hat der Name des neuen Albums „Built On Schemes“ zu bedeuten?
Wenn man aufwächst, merkt man irgendwann, dass alles eine riesengroße Lüge ist. Gemeint ist natürlich die Politik, aber die Wirtschaft ekelt mich genauso an. Überall in Europa haben rechte Parteien gerade großen Aufwind. Ähnlich wie in den Neunzigern. Damals gab es in Schweden auch eine Menge Skinheads, so wie heute. Unser Nazi-Problem ist nicht so groß wie in Griechenland, aber allein schon, dass es sie gibt, ist schlimm genug. 13% der Wähler in Schweden haben für die „Schwedendemokraten“ gestimmt, deren einziges Thema ist, dass die Einwanderung gestoppt werden soll.
In Deutschland haben wir ein ganz ähnliches Problem namens PEGIDA. Rechtsextreme, die jeden Montag auf die Straßen gehen, um gegen den Islam zu demonstrieren.
Das gibt es überall: In Italien, Spanien, Norwegen, Dänemark oder Finnland. Das ist ziemlich beunruhigend. Eine sehr finstere Sache, würde ich sagen.
Die Musik von GRANDE ROSES ist auch ziemlich dunkel, wenn man euch mit anderen populären schwedischen Rockbands wie THE HELLACOPTERS oder THE HIVES vergleicht. Woher kommt diese Traurigkeit?
Das sind Partybands für mich. Ein anderes Genre. Vielleicht hängt es mit dem Wetter zusammen. Im Winter geht die Sonne gegen neun Uhr früh auf und um drei Uhr am Nachmittag schon wieder unter. Und dazwischen ist es meistens bedeckt. Man sieht fast fünf Monate keine Sonne. Das zieht einen ganz schön runter. Aber auch das Erbe der schwedischen Folk-Songs spielt eine Rolle, die traditionell sehr melancholisch sind. Selbst wenn du dir so was nicht anhörst, kennst du diese Songs aus Kindertagen.
Hat sich euer Sound verändert, seit ihr aus der Provinz in Östersund nach Stockholm gezogen seid?
Sie ist ein bisschen klaustrophobischer geworden, würde ich sagen. Ich liebe die Berge und genieße es, draußen zu sein. Und wenn man in die Stadt zieht, gibt es dort nicht so viel Schnee, alles ist grau und dunkel. Die größte Veränderung für unsere Musik ergab sich aber, als wir Väter wurden. Seitdem müssen wir die Uhr stellen, damit wir kreativ sein können. Ich kann nur noch Songs schreiben, wenn die Kids schon schlafen. Ich kann nicht mehr so viele Songs machen, wie ich gerne würde. Also musste ich lernen, in kurzer Zeit so produktiv wie möglich zu sein.
In Reviews werden GRANDE ROSES oft mit Achtziger-Bands wie NEW MODEL ARMY, SISTERS OF MERCY oder JOY DIVISION verglichen. Hast du einen Bezug zu diesen Bands?
Auf der EP „Hide“ gibt es einen Song namens „Dancing away“, der ähnelt „Temple of love“ sehr. Das ist in meinen Augen immer noch ein toller Song. Und JOY DIVISION sind wohl eine der inspirierendsten Bands überhaupt. Aber musikalisch existierten all diese Bands für mich nicht, als ich angefangen habe, Songs zu schreiben. NEW MODEL ARMY hatte ich noch gar nicht auf dem Schirm. Das ist witzig, denn ich beginne gerade erst herauszufinden, was es mit denen auf sich hat, und ich sehe die Ähnlichkeiten. Das betrifft hauptsächlich meine Stimme. Denn unsere Musik ist ziemlicher Garagen-Rock. Und die Leute meinen, JOY DIVISION in unserer Musik zu erkennen, weil sie ziemlich steif wirkt. Wenn wir Synkopen spielen würden, würden die Leute wahrscheinlich sagen, wir klingen wie THE HELLACOPTERS.
Worum geht es in den Songs von GRANDE ROSES?
Ich lese täglich Zeitung und entdecke etwas, was mir nicht gefällt, und daraus mache ich dann einen Song. In „For a greater cause“ zum Beispiel geht es um die Suche nach Gold in Nordschweden. Sie rücken an mit riesigen Bohrern und bezahlen so gut wie nichts dafür. Und wenn der Boden ausgebeutet ist, ist alles total verwüstet. Wenn diese internationalen Konzerne alles herausgeholt haben, verschwinden sie einfach wieder. Und unsere Regierung tut nichts dagegen. Ähnlich läuft es mit dem Bildungssystem, darum geht es in „No future“. Die Regierung hat eine Menge Sachen kaputt gemacht, die früher ziemlich gut funktioniert haben. Sie haben zum Beispiel das komplette Benotungssystem für Schüler umgestellt, obwohl jeder Psychologe davon abgeraten hat. Außerdem werden immer mehr Einrichtungen privatisiert. Letztes Jahr mussten sie sogar zwei Schulen schließen, die pleite gegangen sind.
Du arbeitest nebenbei als Cutter, um deine Miete zu bezahlen. Was machen die anderen in der Band?
Einer studiert noch, einer arbeitet als Toningenieur, einer hat einen Bürojob und unser Drummer Emil ist Rettungswagenfahrer. In unserem Alter ist es perfekt, wenn immer eine Krankenschwester dabei ist, haha. Also wenn einer von uns mal einen Herzinfarkt auf der Bühne hat, sind wir ziemlich sicher.
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