GIRLS KICK ASS

Als wir damals BAMBIX gründeten, gab es wenig Frauen in der Punk- oder Alternative-Szene, so dass wir in einem Dorf, irgendwo weit versteckt in Holland, selbst angefangen haben, in der Garage auf Pfannen Krach zu machen und einen alten Plattenspieler als Verstärker benutzten.

Das war eher nebensächlich, denn die Hauptsache war, dass wir auch mal Frauen auf der Bühne sehen wollten. Frauen, die sich aktiv an der Punkszene beteiligten und nicht nur den Männern zuschauten, um zu zeigen, dass Punk eine Einstellung ist und das Geschlecht dabei egal ist, wenn man etwas rüberbringen will.

Beim ersten Konzert zeigte es sich schnell, dass es eigentlich überhaupt nicht selbstverständlich war, mit drei Mädchen in einer Punkband zu spielen. Es gab fast keine anderen Girlbands und obwohl wir uns dachten, dass es bei Punk eine gemeinsame Basis gäbe – alle gegen die böse restliche Welt –, war es schließlich so, dass wir beim Konzert nur einen Haufen Sexisten sahen, viele Leute uns auslachten oder nur da waren, um Ärsche und Titten zu sehen. Girls und Punk, als ob das etwas wäre, das unmöglich zueinander passen konnte. Also genug geballte Dummheit und Ignoranz, um mich für die nächsten Jahrzehnte zu motivieren und alle anderen vom Gegenteil zu überzeugen.

Glücklicherweise hat sich mittlerweile schon einiges geändert, aber noch immer gibt es viel zu wenig Frauen-Bands. In der Popmusik gab es zwar einen "Frauen-Hype", aber oft waren das nur von Männern ausgedachte "Produkte", bei denen sich die Frauen so sexy wie möglich verhalten mussten, um die Kasse zum klingeln zu bringen. Aber ich wollte mehr Frauen im Punkrock und Hardcore, Frauen die meine Lieblingsmusik spielten. Und auch Bands, die sich musikalisch absetzten, also nicht nur 60er-Garagenkram oder RAMONES-Cover machten, sondern neue und originelle Musik und kein Klon von etwas anderem waren.

Deswegen gibt´s jetzt den "Girls Kick Ass"-Sampler, auf dem ich 14 Bands zusammengestellt habe, die mir aus den oben genannten Gründen gefallen. Ich finde, dass die Leute sich die einfach anhören müssen. 14 Bands aus der ganzen Welt. Klar fehlen einige wie z.B. DOVER, aber während den Verhandlungen mit EMI wurde ich nur von Pontius zu Pilatus geschickt, obwohl die Geschwister Llanos mir persönlich zugesagt hatten. Egal, von DOVER muss man sowieso alle Platten haben. Die Erlöse aus dem Sampler sind für "Enda Bolivia" bestimmt, eine unabhängige Organisation, die dafür sorgt, dass Straßenkinder ein Zuhause, Essen und eine Ausbildung bekommen. Ich habe vor einigen Jahren mal für sechs Monate in La Paz, Bolivien für Enda gearbeitet, u.a. in Casa Q´uantuta, einem Haus für Mädchen. Enda versucht mit Hilfe von Spendengeldern den Kindern eine Zukunft zu geben. Sie haben eine Farm, auf der Gemüse angebaut wird, eine Bäckerei und eine Schule, wo die Kinder eine Chance haben zu lernen, Unterschlupf finden, wenn es dort kalt wird und warmes Essen bekommen.

Mit auf dem Sampler sind She-Male Trouble aus Berlin, die ich zum ersten Mal in Köln als Support von DOVER live gesehen habe. Wenn man "Kick Ass" sagt, muss man automatisch an diese Band denken, die total rocken. Eine musikalische Breitseite, bei der die Stimme und Präsenz von Carola das Publikum völlig in ihren Bann zieht.

Eine Band, die einfach dabei sein musste, sind The Gits. Wir hatten ´92 mit ihnen in Nijmegen in einem besetzten Haus gespielt und sie hatten mich schon damals total begeistert. Dementsprechend entsetzt war ich, als ich zwei Jahre später erfuhr, dass Mia Zapata, die Sängerin, auf ihrem Weg zum Studio, wo sie noch den Song "Whirlwind" aufnehmen musste, vergewaltigt und ermordet wurde. Niemals mehr neue Songs und Texte mit ihrer Superstimme zu hören, war einfach unfassbar. Mias Ermordung hatte zur Folge, dass Bands wie NIRVANA, THE MELVINS oder SOUNDGARDEN – die alle wie THE GITS aus Seattle kamen –, zahlreiche Benefizkonzerte gaben, um Detektive zu bezahlen. Denn die Polizei war damals wenig an der Aufklärung des Falls interessiert, da Mia bei ihnen als "staatsfeindliche" Person" galt. Später hat auch Joan Jett zusammen mit den Jungs von den GITS fünf Benefizkonzerte gegeben, bei denen sie ihre Hits spielten, um die Erinnerung an Mia zu bewahren. Als Steve Moriarty, der Schlagzeuger der GITS, letztes Jahr im Studio war, um ein GITS-Best Of-Album aufzunehmen, entdeckte er etwas Erstaunliches. All die Jahre hatten sie angenommen, es gäbe nur ein Instrumental von "Whirlwind", doch dann hat er auf einer alten Tonspur ihren Gesang dazu gefunden. Sie hatte den anderen damals nichts davon erzählt, weil sie es noch mal machen wollte. Steve sagte mir, es sei wie ein Geschenk des Himmels gewesen, als er dann sechs Jahre später den kompletten Song hören konnte. Der Song ist einer der besten der GITS, deswegen habe ich ihn an erster Stelle von "Girls Kick Ass" plaziert, als Ehrung für eine der einflussreichsten Sängerinnen im Punkrock.

Natürlich mussten auch neue Songs von einigen Riot-Grrrl-Bands dabei sein. Die Riot-Grrrl-Bewegung tat genau das, was wichtig war. Ihr Erfolg zeigte der Welt, trotz aller Widerstände, die Kreativität von Frauen in der alternativen Kunst, Literatur und Musik. The Butchies und Bratmobile, Bands die im weitesten Sinne Punkrock spielen, haben dadurch ihren ganz eigenen Stil entwickelt. THE BUTCHIES hatten letztens die Ehre, zusammen mit meiner absoluten Lieblingsängerin Amy Ray von den INDIGO GIRLS, eine Platte namens "Stag" zu machen. Auch Joan Jett zeigte durch ihre Zusammenarbeit mit den GITS, dass die Damen, obwohl sie berühmte Rockstars sind, ihren Background nicht verleugnen, und es nach wie vor wichtig finden, andere Frauenbands zu motivieren miteinander zu arbeiten.

BAMBIX haben für Ostern Windfall eingeladen und werden dann im Juni mit FABULOUS DISASTER auf Europa-Tour gehen. Beide Bands sind auf diesem Sampler natürlich dabei. WINDFALL habe ich bei einem Festival in der wunderlichen "Hüttenschänke" kennengelernt und sie waren klasse. Sie spielen eine Art Post-Hardcore/Punk mit Jennifer am Gesang, die eine professionelle Triathletin ist. Schon eine lustige Kombination, wie ich dachte: Punk und Triathlon. Das geht doch niemals gut. Und genau in diesem Moment betraten WINDFALL den Backstage-Raum. Als wir einander vorgestellt haben, fiel Jennifer in Ohnmacht. Ich dachte: Ist die schon jetzt besoffen, wir haben gerade mal 15 Uhr? Aber sie hatte wohl einen speziellen, vitaminreichen Ernährungsplan wegen ihres Berufs, und auf Tour bekam sie nur Spaghetti mit Ketchup und Bier. Damit kam ihr Körper nicht so richtig klar. Aber live zeigte sie später Ausdauer.

Fabulous Disaster sind eine vierköpfige Frauen-Punkband aus San Fransisco. Wie ich gehört habe, steht deren Bassistin Mr. Nancy (was ein Name) auf große Butt-Plugs... Wenn wir im Juni mit ihnen auf Tour gehen, werde ich mich im Nightliner irgendwo beim Chauffeur hinlegen. FABULOUS DISASTER sind eine neue Band auf Pink & Black Records, dem Label vonFat Mikes Frau Erin. Fat Mike hat schon beim Song "Lisa and Louise" über seine Vorliebe für Lesben gesungen, und es gibt da die Story, dass er nach einem Konzert von FABOULUS DISASTER in San Fransisco von einer von ihnen auf ihrem Motorrad nach Hause gebracht wurde und sie daraufhin noch schnell unter Vertrag genommen hat. Die "Put Out Or Get Out"-CD von FABULOUS DISASTER ist jedenfalls ein echter Überhammer – melodischer Punkrock zum Mitsingen.

Als wir mit BAMBIX in Brasilien waren, haben wir auch viele Frauenbands kennen gelernt. Die Szene in Brasilien ist total groß. Beim Festival in Jundiai haben Killi u.a. als Support gespielt. Schade, dass wir da noch im Stau standen – oder waren wir noch am Strand? Aber ich habe dann später ein Demo von ihnen bekommen und das fand ich wirklich klasse. Poppunk mit schönen Melodien und jugendlichem Power, der mich extrem glücklich macht. In so einer Scheisswelt solch eine positive Grundeinstellung zu bewahren, ist wirklich toll. Ihre erste CD "Menos 1" wird bald auf Oba Records erscheinen.

Bulimia kommen aus Brasilia, im Norden Brasiliens, weit weg von Copacobana und Sao Paulo. Die erste Platte von GBH habe ich damals oft mit 45 RPM abgespielt, damit es noch schneller war und sich ein bisschen "femininer" anhörte, was ja schon genug über meine damalige große Sehnsucht nach "Women In Punk" aussagt. Und genau so klingen eigentlich BULIMIA – schneller In-Your-Face-Punkrock!

The Lulabelles sind auch dabei. Sie sind auf Thunderbaby-Records und haben gerade ein neue 7" rausgebracht. THE LULABELLES kommen aus Rotterdam, die Punk´n´Roll-Hauptstadt Hollands, wo sie wie alle dort wahrscheinlich schon mit Rock´n´Roll-Tattoos zur Welt gekommen sind. Im Stil vieler Lookout-Bands geben sie ordentlich Gas und haben jede Menge Spaß dabei.

Ich verstehe eigentlich nicht, dass The Beautys in Deutschland noch nicht besonders bekannt sind. Die haben doch eigentlich all das, was Deutsche mögen: Sie saufen unheimlich viel, sind extrem stolz darauf und können gleichzeitig posen, Whisky trinken und rasanten Punkrockspielen. Die haben auch gute Oneliner in ihren Texten wie z.B. "Be careful what you wish for, that´s what you´ll end up with". Genau!

Mit dabei sind noch drei andere Bands, über die ich leider fast nichts weiß, nur dass sie klasse Platten machen: Mensen, das fehlende Glied in Sachen skandinavischen Punkrocks, Wallride aus Spanien, die schon einige Male auf Deutschland-Tour waren u.a. mit TAGTRAUM, und auch auf Vitaminepillen veröffentlichten, und Inkoma aus Brasilien.

Abschließend ein Zitat von SHE-MALE TROUBLE, was den Sampler gut umschreibt: "I´d rather scream loud and fight, then to run back and hide." So ist es.