GEORGE HURCHALLA

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Punkgeschichte(n)erzähler

George Hurchalla, Punk der ersten Stunde, schreibt, fotografiert und dokumentiert alles, was ihn interessiert. Neben etlichen Fanzinebeiträgen und einigen Reiseführern brachte er 2006 „Going Underground: American Punk 1979-1989“ heraus. Ganz D.I.Y. über seinen eigenen Verlag Zuo Press. Autobiografisch angehaucht, kurzweilig und umfassend, avancierte das Buch bald zur Szene-Bibel und ist mittlerweile in einer zweiten, erweiterten Auflage über PM Press erhältlich. Die Geschichte hinter dem Buch zur Geschichte erzählt er hier.

George, mit „Going Underground“ hast du Maßstäbe in Sachen US-Punkrock-Geschichte gesetzt. Mit welchem Ziel hast du ursprünglich angefangen, es zu schreiben?

Ich fing an, „Going Underground“ zu schreiben, weil niemand den nationalen Punkrock-Untergrund der Achtziger vernünftig in einem Buch abgedeckt hatte, als ich in den späten Neunzigern anfing, es zu Papier zu bringen. Ein paar hatten Bücher herausgebracht – oder waren gerade dabei, sie zu schreiben –, die Aspekte der Indie-Szene abdeckten, etwa Gina Arnold „Route 666: On the Road to Nirvana“ oder Michael Azerrad mit „Our Band Could Be Your Life“, aber keiner von ihnen wühlte sich durch den Kern des Punkrock-Untergrunds, sondern sie planschten lediglich in dessen bekannteren Indierock-Rändern herum. Ich wollte eine vernünftige und ausführliche Geschichte der Bewegung aus der Sicht eines Fans, die die typischen Grenzen zwischen Bands und ihren Zuschauern aufbrach. Es ging ganz klar um viel mehr als nur die Musik. Sich nur auf die Bands zu konzentrieren, wäre der Sache, die die Bewegung eigentlich zu dem gemacht hat, was sie war, nicht gerecht geworden. Der Punkrock-Untergrund benötigte einen ausgeprägten Do-It-Yourself-Ethos und Netzwerke von Gleichgesinnten, Promoter, Fanzineschreiber, Fans, Fotografen, etc. Ich wollte das alles in einem Buch einfangen und dem Ganzen gleichzeitig eine persönliche erzählerische Note verleihen mit dem, was es für mich bedeutete.

Wie bist du an brauchbares Material gekommen?

Als ich anfing, war ich erst mal meine einzige Quelle. Das fand ich dann ziemlich schnell sehr einschränkend. Ich musste also Leute aus der Szene ausfindig machen, um sie interviewen zu können. Ich hatte kaum mehr Kontakte mit irgendjemand von damals, also ging ich auf Tuchfühlung mit ein paar Leuten wie John Stabb von GOVERNMENT ISSUE, Kenny Inouye von MARGINAL MAN, Jack Grisham von T.S.O.L., Jack Rabid vom Zine The Big Takeover und einigen anderen mehr. Aber originales Zine-Material stellte immer noch einen größeren Teil meiner Quellen dar als die Zwanzig-Jahre-danach-Interviews. Manches davon war so beabsichtigt, anderes entstand durch Nachlässigkeit darin, Leute ausfindig zu machen und sie aus dem Nichts heraus mit meinem Projekt zu konfrontieren. So oder so bevorzugte ich, wenn es Zine-Interviews aus den frühen Achtzigern mit Bands gab, die die Dynamik und Leidenschaft des Moments einfingen – die O-Töne und Gedanken der Zeit. Genreunabhängig halte ich das Standardvorgehen bei Dokumentationen, Vierzig- bis Sechzigjährige darüber zu interviewen, was sie im Alter zwischen 15 und 25 gemacht haben, nicht für einen guten Weg, den Geist des Augenblicks irgendeiner Bewegung zu vermitteln. Ich wollte auch nicht zu viele Gegenwartsinterviews machen, damit ich am Ende nicht einfach nur eine weitere Oral History produziere, ohne alle Bullshit- und Faktenchecks, in der jeder irgendeine beliebige Version der Vergangenheit herauskotzt, die ihm gerade in den Kram passt. Letzten Endes musste ich trotzdem viele Gegenwartsinterviews führen, um die ganzen Lücken zu füllen, wo es keine guten Zine-Interviews oder keine bereits vorhandene Geschichte zu einer Band oder einer Person gab.

So oder so musst du entweder selbst eine riesige Zine-Sammlung oder zusätzliches Material von außen zugespielt bekommen haben.

Ich hatte das große Glück, dass mir viele Leute eine ganze Menge rare Zines aus ihrer persönlichen Sammlung zur Verfügung gestellt haben. Ich weiß nicht, ob man das ohne diese Unterstützung hinbekommen könnte, weil landesweit nur einige wenige öffentliche Sammlungen alter Punkzines für Recherchen zur Verfügung stehen. Ich glaube, Chicagos öffentliche Bücherei hat tatsächlich alle Backissues des Maximum Rocknroll, und mittlerweile sind tausende alter Zines eingescannt und ins Internet hochgeladen worden, aber man braucht noch immer Zugang zu einigen privaten Sammlungen, um wirklich vernünftig recherchieren zu können.

Welchem Muster bist du gefolgt? Gab es eine Art Timeline oder eine Roadmap?

Ich denke, Timelines oder Roadmaps wären für jeden Teil der USA sehr verschieden und speziell, überall entwickelte sich alles in einem etwas anderen Tempo und auf eine etwas andere Art. Kalifornien war aber tatsächlich einer der wenigen Orte, an dem sich die erste Welle des Untergrund-Punk mit der Szene von 1978 bis ’89, die ich porträtiere, vermischte und überschnitt. Bands der zweiten Welle wie BLACK FLAG, die GERMS, MIDDLE CLASS, ANGRY SAMOANS und FEAR fingen alle 1977 oder 1978 an, als Bands der ersten Welle wie die AVENGERS, SCREAMERS, WEIRDOS und die DILS gerade auf ihrem Höhepunkt waren. Viele andere Szenen waren überraschenderweise fast komplett von den Bands der ersten und zweiten Welle abgekoppelt. Die sogenannten Hardcore-Bands tauchten auf und hatten ihre eigenen Venues, eigene Netzwerke und Supportsysteme, ohne großen Einfluss der lokalen Punkbands, die vor ihnen da gewesen waren.

Das Buch wird jetzt komplett neu aufgelegt. Worin liegen die Unterschiede zur ersten Ausgabe?

Die Erstausgabe, die ich in zwei Druckauflagen über meinen eigenen Verlag Zuo Press herausgegeben habe, war in Bezug auf das Quellenmaterial, das mir zur Verfügung stand, ein wenig limitierter. Soziale Netzwerke waren noch nicht so verbreitet und es war oft recht schwierig, bestimmte Leute ausfindig zu machen. Außerdem mussten viele Informationen ihren Weg ins Internet erst noch finden. Ich hatte mich bei der Erstausgabe für ein großes Format von 21,5 mal 28 cm entschieden, damit die Fotos besser zur Geltung kommen, aber das hat meine Möglichkeiten bezüglich eines erschwinglichen Exports nach Europa und weltweit sehr eingeschränkt und den Vertrieb insgesamt auch wesentlich teurer gemacht. Die zweite Ausgabe wurde daher auf ein kleineres Format reduziert, um den Vertrieb zu erleichtern. Zusätzlich wurde eine Menge neues Interviewmaterial hinzugefügt. Aus Platzmangel bin ich einige Kompromisse eingegangen: Ein ziemlich großer Teil des Materials über kleinere Punkrock-Szenen wie die in Kansas, Iowa oder Florida, die Teil der ersten Ausgabe waren, musste weggelassen werden und auch manches neue Material, das ich gerne drin gehabt hätte, hat es nicht ins Buch geschafft. Für mich ist das im Bezug auf diejenigen, die das Buch zum ersten Mal lesen, die beste Version. Und auf diese Leser zielt diese Ausgabe auch in erster Linie ab. Für alle, die das Buch schon gelesen haben, gibt es in der neuen Ausgabe auf jeden Fall auch einiges an großartigem neuen Material, besonders über kaum bekannte Bands wie THE FIX oder das ganze neue Material zu Boston-Hardcore und viel mehr Input von Frauen, den ich meinem auf Eis gelegten Projekt „Frauen im Punk“ entnommen habe. Trotzdem scheint es nie genug Seiten zu geben, um alles reinpacken zu können, das ich gerne drin hätte.

Ist eine dritte Auflage schon in Planung?

Mal abwarten, wie gut sich diese Ausgabe für PM Press verkauft und wie ihr Interesse daran sein wird, eine dritte Auflage herauszugeben, um zu wissen, was daraus werden könnte. Es gibt einige Aspekte dieser Auflage, die ich gerne verbessern würde, also wäre ich mehr als glücklich, wenn ich eine dritte Auflage erstellen dürfte.

Wie steht es zur Zeit um deinen eigenen Verlag Zuo Press?

Mein Ausflug in die Verlagswelt mit Zuo Press war eine der bereicherndsten Sachen, die ich jemals gemacht habe. Der einzige Grund, warum ich damit aufgehört und das Buch an einen anderen Verlag weitergegeben habe, war, dass ich nicht mehr die finanziellen Ressourcen dafür hatte, selbst Bücher herauszubringen. Außerdem habe ich in Mexiko gelebt, von wo aus ich Veröffentlichung und Vertrieb nicht übernehmen konnte. Außerdem brauchst du mindestens 10.000 Dollar, um alle Kosten einer Druckauflage von 2.000 Büchern abdecken zu können und nicht viele Einzelpersonen haben so viel Geld unmittelbar zur Hand. Das ist auch der Grund, warum nicht sehr viele Menschen ihren eigenen Verlag gründen, im Gegensatz zu den ganzen Leuten, die ihre eigenen Labels in den Achtzigern gegründet haben. Die Vorteile darin, zu einem anderen Verlag wie PM Press zu gehen, lagen darin, dass ich einen anderen Blickwinkel auf das Buch bekam, andere Ideen, und dazu in der Lage war, über die Grenzen meiner eigenen Vorstellungskraft hinauszugehen. Die Kehrseite ist die, dass du, wenn du das nicht komplett D.I.Y. durchziehst, Kompromisse bei deinem finalen Produkt eingehen musst, du kannst es nicht genau so umsetzen, wie du willst.

So kann man sich dann auch bis zu einem gewissen Grad aus der Verantwortung stehlen.

Richtig. Ich mochte den Gedanken, den Mike Watt in den Raum geworfen hatte, als er sich fragte, warum die Leute in den Neunzigern und Nullern Majorlabels gegenüber nicht skeptischer waren und mehr selbst gemacht haben. Weil du es dann im Grunde genommen, wie er es ausgedrückt hat, nur dir selbst vorwerfen kannst, wenn eine Sache nicht so rauskommt, wie du es dir vorstellst. Wenn du jemand anderen wie ein großes Musiklabel oder einen Verlag für Fehler und Mängel eines Produkts verantwortlich machen kannst, ist es zu einfach, deine eigene Schuld als die eines anderen zu deklarieren. Aber wenn du komplett für ein Produkt verantwortlich bist, liegt es allein an dir, wenn es nicht zu deiner Zufriedenheit ausfällt. Du kannst es keinem anderen in die Schuhe schieben. Ich mag diese Herausforderung und Verantwortung, und finde, es führt uns auf eine höhere Ebene, um bessere Menschen zu sein. Mit Zuo Press wollte ich beweisen, dass eine Einzelperson, die ein Buch schreibt, gestaltet, editiert und veröffentlicht, eine genauso professionelles Buch herstellen kann wie ein großer Verlag, und sogar bessere Produkte als viele kleine Indie-Verlage, wie zum Beispiel das von Fehlern nur so strotzende „American Hardcore“. In einem meiner Lieblingsreviews wurde festgestellt, dass ich das erreicht hätte und kein Punk-Buch außer „Our Band Could Be Your Life“, das bei einem großen Verlag erschienen ist, an die Professionalität meines Buches heranreichen würde.

Welche Tipps würdest du künftigen Verfassern von Punk-Geschichte/n mit auf den Weg geben?

Mein Rat an zukünftige Autoren von Punk-Geschichte ist: Wenn du nicht selbst Teil der Szene warst, die du porträtierst, musst du eine Riesenmenge an Recherchearbeit vorschieben. Ich habe das für ein Interview mit Penelope Houston von den AVENGERS für mein „Frauen im Punk“-Projekt gemacht und sie war beeindruckt davon, wie viel ich für jemanden, der nicht dabei war, über das San Francisco von 1977 wusste. Sie sagte, nichts würde sie mehr ärgern, als Interviewer, die von ihr erwarten, die Hausaufgaben für sie zu machen, und ganz allgemeine Fragen stellen wie: „Erzähl mir mal, wie das so 1977 war ...“ Die meisten meiner Interviewfehlschläge im „Frauen im Punk“-Projekt ergaben sich daraus, dass ich meine Hausaufgaben hinsichtlich einer Bandgeschichte und der Szene, der sie angehörten nicht gemacht hatte. Weil ich selbst kein Interesse an geschlechtsspezifischer Geschichte hatte, stellte ich allgemeine Fragen über ihre Erfahrung als Frau, wenn ich nicht wusste, was ich sonst fragen könnte, und fast keine meiner Interviewpartnerinnen hatte irgendein Interesse daran, über ihr Geschlecht definiert zu werden. Daran anknüpfend würde ich außerdem empfehlen, Bands immer in einen direkten Kontext zu ihren umgebenden Genrekollegen zu setzen und niemals eine Band oder eine Person losgelöst von ihrer Umgebung einzig und allein auf sie selbst zentriert zu betrachten.

Fällt dir da spontan ein positives Beispiel ein?

Ich war angenehm überrascht, eine GREEN DAY-Geschichte auf MTV zu sehen, in der die Band über ihre Peers wie CRIMPSHRINE und OPERATION IVY sprach, mit denen sie in die Ostküstenszene eingestiegen ist. Viele Mainstream-Interviewer hätten diese Bands überhaupt nicht gekannt oder nicht in Erwägung gezogen, nach ihnen zu fragen, aber damals waren das genauso wichtige oder sogar noch wichtigere Szenebands, als es GREEN DAY waren. Es ist wichtig, die ganze Szene, alle Peers und Einflüsse jeder Band zu kennen. Auf diese Weise ist es auch einfacher, Mist aus mündlichen Ergüssen herauszufiltern. So hast du andere Quellen zum Gegenchecken und kannst Dinge in ihren korrekten historischen Zusammenhang einordnen. Auch wenn du zu der Zeit selbst dabei gewesen bist, ist das hilfreich, weil es einfach immer eine Menge gibt, das du nicht weißt, also recherchiere einfach immer so viel wie möglich. Mein Hauptproblem mit reiner Oral History als favorisierte Form von Punkrock-Geschichte liegt darin, dass die Quellen einfach alles erzählen können, was ihnen in den Sinn kommt. Ohne jegliches Gegenchecken von Fakten, ohne dass ein Autor seinen eigenen Job macht – oder überhaupt irgendwas schreibt. Das sind dann größtenteils nur transkribierte Interviews, es gibt nicht wirklich einen Autor, nur einen Bearbeiter.