GENERATION EXIT

Foto© by Jim McKay

Die Kunst des Zuhörens

BORN TO LOSE aus Texas waren seinerzeit auf dem Dortmunder Label People Like You eine der hervorstechendsten Bands mit ihrer Melange aus SOCIAL DISTORTION-Greaser-Punk und Richmond-Anleihen der Marke ANN BERETTA. Sänger Christopher Klinck gründete nach deren Auflösung die mehr auf Akustiksound setzenden NOWHEREBOUND und ab 2020 herrschte Funkstille. Anfang dieses Jahres flatterte dann „Lifer“, das Debütalbum von Klincks neuer Band GENERATION EXIT, ins Haus und dauerhaft in meine Ohrmuscheln. Da Klincks Texte immer auch einen politischen Anspruch hatten, war es an der Zeit, mal wieder nachzufragen, was ihn in den letzten Jahren umgetrieben hat.

Chris, ist es nach einer längeren Phase ohne Band heute für euch schwierig, wieder in die Szenestrukturen hineinzufinden? Gibt es die Infrastruktur noch, in der ihr euch damals bewegt habt, die Clubs, die Promoter:innen?

Ich war nie komplett ohne Band. Nach BORN TO LOSE habe ich zwischendurch mehrere Platten mit NOWHEREBOUND gemacht. Meine ehemaligen Bandkolleg:innen von NOWHEREBOUND waren dann mit ihrem Leben und anderen Projekten beschäftigt, also wandte ich mich an einige alte Freunde, und gemeinsam gründeten wir GENERATION EXIT. Ich vermute, dass einige der Clubs und Promoter:innen nicht mehr da sind, aber wir arbeiten für die kommende Herbsttour mit City Rat Booking zusammen. Sie haben die BORN TO LOSE-Touren seit 2006 gebucht, also ist es in gewisser Weise wie eine Rückkehr nach Hause.

Euer Bandname spielt darauf an, dass fast alle Bandmitglieder aus der Gen X sind. Die Generation X ist nicht nur erwachsen geworden, sie ist dabei, alt zu werden. Abgesehen von einer identischen Geburtsperiode, siehst du eine gemeinsame Mentalität oder Identität innerhalb der Generation X im Besonderen und den Generationen im Allgemeinen?
Nun, erstens: Wir sind alt. Wenn es ein Thema für die Platte gibt, dann ist es wohl unsere Sterblichkeit und unser Platz in der Szene und der Welt. Die Zeit schlägt hart zu und sie ist unbesiegbar. Als Musiker:innen werden wir zwar definitiv alt, aber manche von uns werden nie „erwachsen“. Im Punkrock schon gar nicht. Für mich ist Musik nicht nur Kunst und Ausdrucksform, sie ist auch gut, wenn nicht sogar notwendig für meine eigene psychische Gesundheit. Ich hatte schon immer mit Depressionen und Angstzuständen zu kämpfen, und die Musik hat die Belastung durch beides immer gemildert. Manche Leute haben ein Tagebuch oder einen Psychiater, ich habe eine Band. Ich hoffe, dass die Songs auch bei jüngeren Hörer:innen Anklang finden, aber ich hätte sie so oder so geschrieben und aufgenommen.

Mit BORN TO LOSE habt ihr eure Platten bei People Like You in Europa veröffentlicht, jetzt habt ihr mit Ring Of Fire Records wieder ein deutsches Label gefunden. Ist das ein Zufall oder ist Deutschland ein gutes Pflaster für euch?
Wir haben uns in Deutschland verliebt, als wir das erste Mal hier waren. Die Menschen und die Szene dort haben etwas Besonderes an sich. Es hat sich uns immer ein Bild der Freundlichkeit, Freundschaft und ein Gefühl der Zugehörigkeit geboten. Wir hatten eine bedeutende Familie mit People Like You Records, als Andre am Ruder war, und wurden dann kurzerhand fallen gelassen, als Century Media es ihm abnahm und übernahm. Als NOWHEREBOUND nach zwei Akustikplatten ihr erstes komplettes Album aufnahmen, meldete sich Claas von Ring of Fire und bot an, sich an der Veröffentlichung und dem Vertrieb zu beteiligen, und seitdem haben wir eine freundschaftliche Arbeitsbeziehung. Als GENERATION EXIT anlief, fragte ich ihn, ob er Interesse hätte mitzumachen, und er sagte glücklicherweise zu. Die Pandemie und die Lockdowns haben dazu geführt, dass ich jetzt fünf Jahre lang zu Hause bin und nicht auf Tournee gehe – mehr als je zuvor in meinem ganzen Erwachsenenleben. Also kann ich es kaum erwarten, im Herbst wieder nach Deutschland und in die Tschechische Republik zu kommen. Wir alle zählen die Tage, wie man so schön sagt.

Eure Songs klingen sehr reif und ausgefeilt für ein erstes Album. Lag alles mehr oder weniger fertig in der Schublade oder wie lässt sich das erklären?
Ich schreibe nie, bevor es nicht an der Zeit ist, zu schreiben. Meine Gitarre hing seit April 2020 in meinem Wohnzimmer am Haken, und dort blieb sie bis September 2022, als GENERATION EXIT starteten. Als die Band gegründet und unsere erste Probe angesetzt war, stellte ich fest, dass ich keinen einzigen Song geschrieben hatte, also verbrachte ich die Woche damit, ein paar Stücke zu schreiben, die wir in der nächsten Woche spielen und ausprobieren konnten. Manche Leute schreiben die ganze Zeit und sogar unterwegs, aber ich war noch nie so ein Typ. Wenn es an der Zeit ist zu schreiben, hole ich die Gitarre und das Notizbuch heraus und mache mich an die Arbeit. Ich kann das nicht erklären, aber das war einfach schon immer meine Art.

Deine Texte sind teilweise sehr politisch und komplex für das Genre Streetrock/Streetpunk. In „Wax wings“ geht es – so habe ich es verstanden – um den Tribalismus, der in der aktuellen Politik an Stärke gewinnt und den Liberalismus schwächt. Man hat die Rechtsextremen um Donald Trump einerseits und die „Überwoken“, wie sie im Song genannt werden, andererseits. Beide Seiten polarisieren mit klaren Feindbildern und einem Anspruch auf absolute Wahrheit.
Ich bin ein Liberaler. Das war ich schon immer, also bin ich in den meisten, wenn nicht sogar in allen meinen älteren politischen oder sozialkritischen Songs aus dieser Perspektive an die Sache herangegangen. Die erste Strophe war also ziemlich einfach zu schreiben, aber es ist schwieriger, sein eigenes Lager mit Steinen zu bewerfen, was in der zweiten Strophe geschieht. Wie du schon sagtest, hat sich Amerika immer mehr polarisiert, und die meisten Leute und Politiker, die eine Plattform bekommen, sind die Extremisten von beiden Seiten, was uns alle feststecken lässt und nirgendwo hinführt. Einige „Liberale“ haben anscheinend die wahre Bedeutung von Liberalismus vergessen. Wenn ich sehe, wie Liberale versuchen, Zensur auszuüben oder in absoluten Kategorien zu sprechen, trauere ich den Tagen des offenen Dialogs und des offenen Geistes nach.

Welche Bedeutung haben die Wachsflügel von Ikarus in diesem Zusammenhang? Zerstört sich die Punk-Szene sich selbst, indem sie auf den Überwoken-Zug aufspringt?
Bei der Ikarus-Metapher geht es um die Hybris auf beiden Seiten, und wir alle wissen, wie die Geschichte ausgeht. Versteh mich nicht falsch, ich glaube an Protest und Fürsprache und daran, denjenigen eine Stimme zu geben, die außerhalb der Norm stehen und in der großen Diskussion nicht vertreten sind, aber wir müssen zuhören, nicht nur reden. Ich kann nicht für die gesamte Punk-Szene sprechen, und die meisten Punk-Rocker, die ich kenne, passen aufeinander auf. Der Song ist eher eine Beobachtung Amerikas als Ganzes.

Ist die Grundaussage des Liedes deprimierend, weil es keinen Ausweg aus dem Problem gibt oder optimistisch, weil zumindest das Problem erkannt wurde?
Es ist insgesamt ein Plädoyer für eine Rückkehr zu rationalen und durchdachten Debatten, anstatt in Echokammern zu leben, in denen alle anderen falsch liegen oder, schlimmer noch, Feinde sind. Wir können nicht vorankommen, solange wir nicht bereit sind, einander zuzuhören und zusammenzuarbeiten.

Im Song „Time“ singst du „If you don’t keep breathing the end will come too soon“. Woher kommt dieses Gefühl, dass man irgendwie mit dem Musikmachen noch nicht fertig ist?
Für mich ist Musik das Leben. Das klingt wahrscheinlich kitschig, aber das macht es nicht weniger wahr. Ich habe beobachtet, wie Freunde, Familienmitglieder und ehemalige Bandkolleg:innen „erwachsen“ wurden, Familien gründeten, richtige Jobs bekamen und sich im mittleren Alter in ein bürgerliches Leben fügten. Die meisten von ihnen sind glücklich. Daran ist nichts auszusetzen, aber das war nie das Leben, das ich wollte. Ich wäre lieber arm im Tourbus unterwegs und würde vor einer Handvoll Menschen in ein Mikrofon schreien, als reich zu sein. Im Song geht es um das Streben nach Glück, wo immer man es findet, solange man noch genug Atem hat, um es einzuatmen. Musik bringt immer wieder Freude in mein Leben, ob jemand zuhört oder nicht, und ich möchte – wie die meisten Menschen, denke ich – ein freudvolles Leben mit Freund:innen verbringen, solange wir alle noch hier sind. Nicht alle von uns haben es so lange geschafft.

In „Pull the river“ gibt es in der Bridge eine Gesangsharmonie, die ungewöhnlich ist für Streetpunk und mich fast an MY CHEMICAL ROMANCE erinnert. Wer singt da?
Unser Bassist Clint Baker, zugleich mein ältester Freund, hat diese Bridge geschrieben und gesungen. Er und Dustin, unser Leadgitarrist, spielten in den frühen Nuller Jahren in einer Pop-Punk-Band namens RIDDLIN’ KIDS. Es ist schön, dass diese Art von Einflüssen und Stilen hier und da in der Band auftauchen.Clint und ich spielen seit unserem 16. Lebensjahr in Bands. In späteren Jahren schloss er sich mir bei NOWHEREBOUND an.Wir sind beste Freunde, seit wir angefangen haben, Musik zu machen, und das hat sich nie geändert, egal, wohin uns das Leben oder die Musik geführt hat. Er hat unsere ganze GENERATION EXIT-Platte in seinem Schlafzimmer aufgenommen, gemischt und gemastert.

Die Tatsache, dass die Leute solche kleinen Abweichungen im Stil bemerken, beweist, dass Streetpunk/Streetrock als Subgenre sehr stark von seinen typischen Trademarks und Stilelementen lebt. Betrachtest du das als Vorteil oder Nachteil dieses Sounds?
Wir hatten uns zwar vorgenommen, eine Streetpunk-Platte zu machen, aber ich halte nicht viel von Labels und den damit verbundenen Einschränkungen. Für mich geht es um die Songs, die Melodien und die Freundschaften. Wenn jemand eine gute Idee hat, ist es mir egal, ob sie in die Form der Erwartungen passt. Ich persönlich sehe nur Vorteile darin, verschiedene Einflüsse zusammenzubringen, um zu sehen, was funktioniert und was nicht.

Welche Band würdest du als Initialzündung dieses Genres bezeichnen?
Ich habe das Gefühl, dass die Antwort falsch sein wird, egal, wie ich diese Frage beantworte. Ich denke, Streetpunk ist unterschiedlich, je nachdem, wen man fragt. Wenn ich es aufschlüsseln müsste, war das Genre in meinen Ohren schon immer eine Kombination aus Pop und Oi!, Melodie mit großen Refrains, die jeder mitsingen kann. Einige Bands bringen auch etwas Hardcore in den Mix. Wenn du mich fragst, sollte es darum gehen, ob die Musik dich bewegt. Ich finde Streetpunk in Bands aus den späten Sechzigern über die Siebziger, Achtziger und Neunziger bis heute, und es würde mir schwer fallen, das auf eine einzige Band aus einem Jahrzehnt festzulegen. In der Highschool sprachen mich Bands wie RANCID, SOCIAL DISTORTION, BLACK FLAG, MINOR THREAT, CIRCLE JERKS, MISFITS, BOUNCING SOULS und BAD RELIGION an, um nur einige zu nennen. Ich wuchs in einer kleinen Stadt im Süden von Texas auf, in der es nur zwei Plattenläden gab, beide im Einkaufszentrum. Ich weiß nicht, ob eine dieser Bands unter den Begriff Streetpunk fällt oder nicht. Ich habe mich nie auf ein bestimmtes Punkrock-Subgenre konzentriert; ich habe mir einfach angehört, was mir gefiel, und später versucht, meine eigene Version davon zu kreieren.

Welche Pläne habt ihr als Band für die nächsten zwölf Monate?
Nun, wir haben gerade unser Album veröffentlicht, und haben vor, in den kommenden Monaten einige auswärtige Shows und Festivals zu spielen, darunter das Punk Rock Bowling, ein Benefiz-Festival in Colorado für Punk Rock Saves Lives und die Europatour im Herbst. Wir schreiben gerade neue Songs, haben ein Video geplant, und ich arbeite an der Promotion für alles, was noch kommt, und versuche, auf dem Laufenden zu bleiben. Ich hoffe, dass wir im Herbst eine neue EP am Start haben werden, aber ich kann nichts versprechen. Ehrlich gesagt bin ich glücklich, wenn ich einfach nur in die Musik eintauchen kann. Zum Schluss: Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, über die Band zu sprechen. Ben und ich haben noch gestern Abend darüber gesprochen, dass das Ox-Logo im Laufe der Jahre auf fast jedem Tourplakat von BORN TO LOSE zu sehen war, also freue ich mich darüber, dass ihr auch immer noch da seid.