GEL

Foto© by Alexis Gross

König:innen von New Jersey

GEL sind die aufsteigenden Stars der Powerviolence-Hardcore-Punk-Szene. Die Wohnzimmerkonzerte an der Ostküste gehören der Vergangenheit an – doch die Zeiten von damals sind noch lange nicht vergessen. Ich interviewe Sami Kaiser, Sänger:in, und Bobby Bobko, Bassist, vor ihrem ausverkauften Auftritt in Hamburg und kurz bevor die neue EP „Persona“ veröffentlich wird.

GEL sind vor allem für eines hier: um Spaß zu haben. „Früher haben wir in Wohnzimmern und Kellern gespielt, und das war auch schon cool. Immer waren wir bei irgendwelchen Freund:innen und sind mit unseren Bands aufgetreten, und dann haben wir uns zusammen die anderen, die großen Bands angeguckt. Heute spielen wir mit denen bei Festivals“, erzählt Bobby. Aus den Kellern und Wohnzimmern auf die Festivalbühnen Nordamerikas und Europas in kurzer Zeit – GEL sind noch eine recht junge Band, doch die Mitglieder kennen sich seit langem. „Bobby und ich haben sogar zusammen gewohnt. Wir hingen echt den ganzen Tag aufeinander. Teilweise haben wir in New Jersey erst mit unserer alten und eigentlichen Band SICK SHIT gespielt und danach noch mal mit GEL, haha“, so Sami. Anthony Webster, der Gitarrist von GEL, war damals Bassist bei SICK SHIT und die Mitglieder hatten GEL eigentlich nur als Nebenprojekt gestartet. Bobby ergänzt, dass sie damals schon mit den gleichen Leuten rumgehangen haben, mit denen sie heute zusammenarbeiten – wenn auch auf dem neuen Level, auf dem sie nun sind. Unter anderem mit ihrem Produzenten Jon Markson, der auch DRUG CHURCH produziert. „Unser Drummer Alex Salter hat früher mit ihm in der Band TAKING MEDS gespielt. Und jetzt haben wir ein paar Tage auf seiner Farm verbracht und dort unsere neue EP aufgenommen.“ Bobby ergänzt: „Zwischen uns hat sich kaum etwas verändert. Aber alles hängt zusammen und entwickelt sich weiter, gerade raucht man zusammen einen Joint in einem Wohnzimmer in New Jersey, und jetzt sind wir hier.“ Auch wenn GEL gerade absoluten Aufwind erleben, ist es durchaus nicht immer üblich, als junge Band direkt so viel Erfolg zu haben. Insbesondere da hier wirklich die zwei entspanntesten Zeitgenoss:innen vor mir sitzen, die man sich vorstellen kann. Sami erzählt: „Wir sind hier um zu rocken, haha. Wir versuchen, nicht so viel darüber nachzudenken, dass wir um die halbe Welt fliegen, um auf Bühnen zu spielen, auf denen auch Bands stehen, die wir absolut bewundern – und dass wir jetzt sogar so was wie befreundet mit ihnen sind! Wie abgefahren. Aber ja, wir versuchen nicht zu viel darüber nachzudenken, ich zumindest nicht. Wir haben unsere Musik, hinter der wir stehen, und die spielen wir dann. Geil, wenn es Leuten gefällt.“ Bei ihrer Club-Tour im Sommer hatten GEL einige ausverkaufte Shows zu verzeichnen, die restlichen nahezu ausverkauft. Da weiß man als Künstler:in natürlich, dass Leute da sein werden, die die Musik wahrscheinlich abfeiern. Wie ist das bei Festival-Slots am Nachmittag, kriegt man da als junge Band nicht Angst, dass niemand kommt? „Ja, schon. Ich sage mir vorher immer, ey egal, mach einfach, wird schon Spaß machen. Aber natürlich hat man Sorge, dass keiner kommt. Beim Primavera Festival hat es total geregnet und wir dachten, niemand wird auftauchen. Aber euch Europäer:innen ist das ja echt total egal, haha! Alle hatten Ponchos an und Gummistiefel, der Schlamm hat gespritzt, die Leute schlitterten den matschigen Hügel runter vor unsere Bühne, es war absolut fantastisch“, erzählt Sami.

Sami Kaiser ist die Frontperson der Band und nutzt die Pronomen they/them, genauso wie Maddie Nave an der Gitarre. GEL zeigen, wie die neue Generation des Hardcore aussieht. Stoßen sie damit auf Gegenwind? „Sowohl damals in New Jersey als auch heute erfahren wir die Szene durchaus hauptsächlich als unterstützend und wohlwollend. Wir sind eben keine Band, die nur aus Dudes besteht, und waren das auch nie, aber eigentlich lief immer alles sehr entspannt. Uns wird manchmal eine politische Agenda aufgedrückt, die wir eigentlich gar nicht haben – aber hey, das kann ich schon verstehen und ich nehme das niemandem übel oder bin genervt davon. Ich fühle mich aber nicht besonders oder ikonisch, einfach weil ich bin, wie ich bin, oder weil GEL sind, wie GEL sind. Ich bin einfach eine Person und alle anderen auch. Aber manchmal werde ich von jungen Leuten gefragt, wie ich dahin gekommen bin, wo ich bin, und meine Antwort ist: machen und sich selbst erlauben, am Anfang scheiße zu sein. Man muss richtig schlecht sein, damit man richtig gut wird, ist leider so.“ Trotz dieses positiven Mindsets ist nicht alles immer perfekt. „Ich habe natürlich auch mein Päckchen zu tragen, wie jeder andere auch. Das ist eigentlich das, was ich in meinen Texten versuche zu verarbeiten, sie aber gleichzeitig relativ allgemein zu halten, damit sich jeder irgendwie darin wiederfindet.“ Die neue Single „Mirage“ hat eine Textzeile, die deutschsprachigen Hörer:innen gewiss auffallen dürfte: „I’ll draw a devil on the wall“, schreit Sami da. Zufall? „Haha, auf keinen Fall! Ich bin Amerikaner:in der ersten Generation. Mein Vater kommt aus Brasov, Rumänien, aber er ist in Deutschland aufgewachsen, in einem Dorf, und er ist in die Staaten gezogen, als er 17, 18 war. Meine Mutter ist Russin und kam ungefähr zur gleichen Zeit wie er in die USA. Ich habe mit Duolingo ein bisschen Deutsch gelernt und diesen Ausdruck gelesen, ‚den Teufel an die Wand malen‘. Eine selbsterfüllende negative Prophezeiung. Es geht in dem Song darum, diese Angst vor einem schlechten Ausgang nicht zuzulassen. Angst sollte nicht unsere Entscheidungen bestimmen. Sie ist ein Instinkt, aber man muss nicht nach ihr handeln.“ GEL reiten ihre Welle ohne Furcht in eine große Zukunft.

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Die Sopranos
In einem ihrer ersten Songs, „XOXO“, findet sich ein Sample aus einer beliebten Folge der Serie „Die Sopranos“, die ebenfalls in New Jersey spielt. Sami erzählt: „Wir alle lieben ‚Sopranos‘. Als Bobby und ich zusammenwohnten, lief es den ganzen Tag. Bobby hat die Serie sechsmal gesehen, glaube ich. Es hat sich einfach richtig angefühlt, in unsere Songs etwas aus unserer Heimat einzubauen. Für unseren Mitbewohner hab ich sogar mal ein Bild von Christopher Moltisanti und den Ketchup-Packungen in den Pine Barrens gemalt, haha!“ Wer nicht weiß, wovon Sami spricht: Staffel 3, Folge 11. Das Sample stammt aus Staffel 1, Folge 8. Nur so.