2012 war ein gutes Jahr für DICKS-Fans. Alternative Tentacles legte die beiden Alben „Kill From The Heart“ (1983) und „These People“ (1985) der Austin-Punk-Legende, die von 1980 bis 1986 aktiv war, neu auf und presste auch die Single „Peace?“ nach. Aber es war zugleich ein hartes Jahr für Gary Floyd, den einstigen Sänger der neben BIG BOYS und MDC wichtigsten Punkband, die in der texanische Haupstadt Anfang der Achziger beheimatet war. Denn Anfang 2012 musste der legendäre DICKS- und SISTER DOUBLE HAPPINESS-Frontmann – möglicherweise der beste Sänger, den Austin, Texas jemals hervorgebracht hat und einer der wenigen Musiker der Punk-Szene in den Achtzigern, der seine Homosexualität offen auslebte und thematisierte – eine Herz-OP über sich ergehen lassen und hatte lange Zeit mit seinem schlechten Gesundheitszustand zu kämpfen. Als er dieses Interview gab, kam er gerade von einer Nachuntersuchung im Krankenhaus. Dennoch war er in bester Interviewlaune und war gewillt, im ersten Teil dieses Interviews auf den Anfang seine Karriere zurückzublicken – die zweite Hälfte in Ox 107 wird sich dann den späteren Jahren widmen –, eine Karriere, die sicher noch nicht zu Ende ist, denn Gary arbeitet gerade an einem neuen Album.
Gary, ein richtig herrlicher Tag für ein Interview, oder was meinst du?
Ja, das Wetter ist auch der Grund, warum ich von Austin nach San Francisco gezogen bin, denn es herrschen heute fast 40 Grad in Austin, aber hier sind es nur 22 ...
Ich bin immer davon ausgegangen, dass du von Austin nach San Francisco gezogen bist, weil San Francisco eine viel tolerantere Lesben- und Schwulen-Community hat. Wobei Austin auch relativ tolerant ist, oder?
Das stimmt. Es ist die große Oase inmitten von Texas. Ich bin 1974 das erste Mal nach Austin gekommen und da war es schon eine sehr progressive Stadt inmitten einer großen Jauchegrube. Austin hat eine sehr aktive homosexuelle Musikszene. Das alljährliche South By Southwest-Festival ist ein guter Beleg dafür.
Es ist immer noch schwer zu glauben, dass in den Achtzigern einige der ihre Homesexualität am offensten auslebenden Musiker ausgerechnet aus Austin, Texas kamen. Ich meine, da gab es dich und Randy „Biscuit“ Turner von den BIG BOYS, und dann war da noch Dave Dictor von MDC ...
Und es war gut, dass es damals passiert ist, denn ich würde das heute mit absoluter Sicherheit nicht mehr tun, ich hätte viel zu viel Angst. Ich weiß auch nicht, woran es lag, denn so verdammt jung war ich damals gar nicht! Ich war Mitte Zwanzig, als das mit dem Punk-Kram losging bei mir, und 25 oder 26, als wir mit den DICKS angefangen haben. Ich weiß nicht, woher ich den Mumm hatte. Einige Sachen – speziell die progressive und liberale Ader von Austin – haben mir die Angst davor genommen. Dazu kam noch, dass ich drei Kerle in der Band hatte, die wirklich hart drauf waren und jederzeit bereit, die Scheiße aus jedem rauszuprügeln, der mir etwas antun wollte. Das hat mich sehr mutig gemacht. Biscuit von den BIG BOYS und ich sind durch die Stadt gelaufen, mit unseren bekloppten Klamotten und Irokesenschnitt, und ich trug immer diesen großen Mao-Button. Ich wundere mich echt, dass ich nie zusammengeschlagen wurde. Einmal kam es mal zu einer kleinen Rangelei mit ein paar beschissenen Typen von irgendeiner Studentenverbindung, die Hippies und jeden, der irgendwie alternativer drauf war oder politisch aktiv, dumm anmachten. Aber es gab auch ein Menge tougher Leute in der Punk-Szene, von daher war das meist kein Problem. Aber ansonsten habe ich in Austin nie irgendwelchen krassen Scheiß erlebt, weil ich schwul bin. Ab und zu hat mal jemand im Vorbeifahren „Schwuchtel!“ gerufen, aber mehr als das war nie. Ich denke, das lag auch daran, dass ich viel in der linken Punk- und Hippie-Szene unterwegs war, und die meisten wussten gar nicht, dass ich schwul bin. Die haben eher „Hippie“ oder so was gerufen. Und dann, als die Punk-Szene zu wachsen begann, hat es nicht lang gedauert und ich war bei den DICKS. Wie du schon gesagt hast, es gab eben mich und Biscuit – Dave Dictor war immer mehr bisexuell und etwas unentschlossen diesbezüglich. Unsere Bands waren sehr populär in Austin, wir hatten viele Freunde in den Clubs. Also habe ich nie viel von Schwulenfeindlichkeit mitbekommen. Dann bin ich nach San Francisco gezogen, was wieder eine glückliche Fügung war, weil nicht einfach nur als schwul geoutet war, sondern auch politisch. Das war 1980. Ich wusste damals nicht, dass das irgendwie mutig war, es war einfach ganz natürlich. Wenn ich mir das jetzt so überlege, denke ich mir: „Verdammt, das hat echt viel Mut erfordert!“
Ich habe letztens ein paar jungen Punks ein Bild von dir als Drag Queen gezeigt: „Schaut mal, das wurde 1980 in Texas aufgenommen!“ Die haben vielleicht große Augen gemacht.
Weißt du, was komisch ist? Es gibt ein Bild von mir, das irgendwer ins Internet gestellt hat, und da trage ich diese riesige, alte, blonde Perücke und einen Slip und strecke meine Zunge raus und schneide eine Grimasse. Das war im Internet ziemlich verbreitet. Letztes Jahr laufe ich durch San Francisco und auf einmal kommt dieser junge Punk an, der war noch keine zwanzig, und spricht mich an: „Gary Floyd?“ – „Ja!“ – „Oh du meine Güte, ich muss dir etwas zeigen!“ Also zieht er seinen Ärmel hoch und zeigt mir genau dieses Bild als Tattoo auf seinem Arm. Und ich glaube, ich muss so was geantwortet haben wie: „Du kleines Arschloch! Was denkst du dir dabei?“ Ich war echt schockiert, hahaha! Und er meinte dann noch: „Danke, dass du ein Pionier für uns alle warst.“ Ich habe in dem Moment gelacht, aber um ehrlich zu sein, hat mich das sehr berührt. Es gibt auch ein ähnlich bekanntes Bild von Biscuit und mir, auf dem wir auf in Austin Karneval feiern. Wir haben beide Frauenklamotten an und sehen richtig hübsch aus. Ich hatte so eine Art Militärhaarschnitt und war geschminkt im Stil von Divine. Die haben das Foto für das Cover von irgendeinem Magazin in Austin benutzt, 1981 war das. Und ab und zu geht irgendwer hin und kopiert das und macht daraus Poster. Da steht dann drauf: „Who are your heroes?“ Meine Freunde erzählen mir oft, dass sie die dauernd überall sehen. Solche Sachen finde ich wunderbar. Und so was relativiert manche Scheiße, die man erlebte.
Alte DICKS-Songs, speziell „Saturday night at the bookstore“, klingen so, als stecke da sehr viel Wut drin. Trotzdem wirkst du aber gar nicht wie jemand, der besonders wütend ist. Stammte diese Wut eher aus der Zeit, bevor du nach Austin kamst?
Vieles stammte daher, aber da kam auch die grundlegende Atmosphäre hinzu. Ich selbst bin zwar nie zusammengeschlagen worden, habe aber immer wieder mitbekommen, wie das anderen passiert ist. Ich habe eine Weile in einem Krankenhaus in Rusk, Texas gearbeitet, das war bekannt dafür, dass dort kriminelle Geisteskranke eingewiesen wurden. Es war das Hospital, in dem Roky Erickson untergebracht war, wenngleich ich ihn gar nicht kannte, als ich dort war. Jedenfalls habe ich da für sechs Monate gearbeitet, das war schlimm. Da ich ja schwul bin, war es für mich leicht, andere Schwule zu erkennen und so habe ich einige der Leute, die dort eingewiesen wurden, kennen gelernt. Das waren oft einfach junge Leute, die man dorthin brachte, weil sie „komische“ Sachen machten, Transvestiten oder so was, dafür wurden sie dann in die Psychiatrie gesteckt, obwohl ihnen gar nichts fehlte. Und man hat sie regelrecht gefoltert dort: man hat ihnen Mädchenkleidung angezogen und ihnen dann Elektroschocks verpasst. Wenn sie die Klamotten dann ausgezogen haben, dann haben sie den Strom schwächer gestellt, bis sie die Klamotten ganz ausgezogen hatten, dann kamen keine Stromschläge mehr. Das ist die Wahrheit, das ist wirklich passiert. Ich musste das gar nicht selbst durchmachen, um davon eine Scheißwut zu bekommen. Vielleicht lag es bei mir daran, dass ich ein recht kräftiger Kerl war, was mich eventuell vor einigem bewahrt hat, nur hatten andere leider nicht so viel Glück. Und was die Wut in den Songs betrifft: als ich mir die im Zuge der Rereleases noch mal angehört habe, fragte ich mich, ob ich mich damals hätte selbst kennen wollen! Aber ich war eigentlich immer nett. Ich besitze ein friedfertiges Gemüt. Aber ich war immer fähig, im Spiegel mehr als nur mich zu sehen. Die Wut kommt also daher, sich der Ungerechtigkeit, der Minderheiten aller Art ausgesetzt sind, auch der armen Leute, bewusst zu sein. Das macht mich immer noch verrückt, aber ich gehe jetzt anders damit um.
Selbst einige Sachen von dir, die später auf Glitterhouse erschienen, beispielsweise der Song „Spirit in the wind“, sind ziemlich politisch. Das steckt offenbar in deiner Musik.
Ja, ich denke, das ist immer so bei mir gewesen. Seit zwanzig Jahren praktiziere ich die verschiedensten spirituellen Dinge – ich bin Buddhist, kann man sagen, mit Hindu-Anklängen –, aber das hat nie die Wut verdrängen können über all diese Ungerechtigkeiten, die andauernd passieren, etwa dass ein reiches, kaltschnäuziges Ekelpaket wie Romney Präsident werden will. Es gibt irgendwas, womit diese Typen die Armen dazu verleiten, sie zu unterstützen. Diese Leute handeln komplett gegen ihre eigenen Interessen. Ja, ich bin immer noch sauer, aber das lasse ich nicht mehr an mich ran. Ich schaue mir das an und denke: Wenn da etwas ist, das ich verändern kann, dann mache ich was, wenn nicht, dann brauche ich deswegen nicht an die Decke zu gehen.
Deine Songs liefern ja generell einiges an Zündstoff. Wir sprachen ja schon von „Saturday night at the bookstore“, der mehr oder weniger bei der ersten DICKS-Show überhaupt entstand, im Mai 1980. Der Song klingt wie ein einziger endloser Wutanfall. Hattest du dafür überhaupt vorher einen Text geschrieben? An der einen Stelle sagst du so was wie: „Hey, motherfucker, I want to suck your cock after the show!“ ...
Nein, absolut nicht. Das war alles spontan. Wir hatten das Lied ein paar Mal geprobt, aber es gab uns erst seit zwei Wochen, in dem Sinne, dass wir vier zusammenhockten und an Songs arbeiteten. Die Nummer war schon ein wenig improvisiert. Wir hatten den Beat, wir hatten den Gitarrenteil und wir sind das Stück, wie gesagt, vorher schon einige Male durchgegangen. Ich hatte auch einige Textzeilen dafür. „Saturday night at the bookstore“ war schon ein eigenartiger Song. Er wurde in diesem großen Hippie-Club namens Armadillo World Headquarters aufgenommen, ein sehr großer und bekannter Laden. Frank Zappa hat da ein Live-Album aufgenommen, THE CLASH haben dort gespielt, also das war wirklich groß. Das war auch eine komische Zeit: Es war 1980 in Austin, die Hippies waren immer noch da, doch die mochten die Punks nicht. Da ich früher selbst eine Art Hippie war, war ich sicherlich ein richtiger Arsch ihnen gegenüber, nachdem ich Punk wurde, einfach weil ich wusste, wie einfach es war, sie zu ärgern. Und das hat Spaß gemacht. Aber es hat mich auch einiges an Mut gekostet, diesen Song zu singen. Ich glaube, da ich das auf der Bühne gemacht habe, hatte ich das Gefühl, ich sei immun dagegen, dass ich dafür abseits der Bühne Ärger bekomme. Die Leute haben auch nie was gesagt, mich bedroht oder so ... Aber es war lustig, wenn ich so Sachen auf der Bühne gemacht habe damals. Bei Leuten, die so aussehen, als würden sie mich hassen, hatte ich auch kein Problem damit.
Habe ich da nicht mal was von mit Mayonnaise gefüllten Kondomen gehört, die du ins Publikum geworfen hast?
Wer würde denn so etwas machen? Hahaha! Ich glaube, ich habe mal einen Porno gesehen, wo irgendjemand ... na ja, vielleicht ist es besser, das auszusparen. Aber ich fand das jetzt nicht wirklich abstoßend. Wenngleich zu dieser Zeit eigentlich niemand Gummis benutzt hat, es gab die auch nicht überall, die hast du vielleicht mal an einer Tankstelle zu kaufen bekommen. So kam es, dass Leute, wenn du dann mal wirklich ein Gummi dabei hattest, davon sehr fasziniert waren. Eines Abends hatte ich mir gedacht, mal dieses hübsch enge Kleid auf der Bühne zu tragen, fand es nur ein wenig schlicht und überlegte, wie ich es dekorieren könnte. Also verdünnte ich ein wenig Mayonnaise und füllte sie in Kondome – und wer hätte das gedacht, es sah aus wie Sperma! Also hab ich mir ungefähr dreißig von den Dingern vorne am Kleid befestigt. Ich schaute so auf die Leute im Publikum und dachte: Ich wäre furchtbar egoistisch, wenn ich nicht mit ihnen teilen würde ... Also riss ich sie ab und bewarf sie damit. Natürlich wussten die nicht, dass das nicht echt war. Obwohl, vielleicht wollten sie auch keine Mayonnaise abbekommen, wer weiß. Die, die am schockiertesten aussahen, habe ich dann sogar mehrfach eingedeckt. Ich glaube aber, das habe ich höchstens einmal gemacht.
Ich habe von vielen verschiedenen Sachen gehört, die du damals mit auf die Bühne gebracht hast – eine Kuhzunge, Leberbrocken im Schlüpfer, biergefüllte Klistierspritzen ...
Ja, das hatte ich alles. Die Klistierspritze war aber neu und nicht gebraucht! Ich hatte auch irgendwo meine Grenzen. Ich bin in die Drogerie gegangen und hab eine neue gekauft. Die Kuhzunge hat mir irgendwer einfach in die Hand gedrückt, das war selbstredend vor meinen Hindu-Tagen. Die Idee mit der Leber fand ich einfach total schräg. Ich glaube, ich hatte normale Unterwäsche an und darüber trug ich einen Damenschlüpfer, in den ich die Leberstücke reinsteckte. Ich habe nicht wirklich mitbekommen, was geschah: Ich hatte einen sehr kurzen Rock an und dachte mir, dass ich mir im richtigen Moment ins Höschen greife und die Leber rausziehe. Die Leber hatte jedoch wohl eigene Pläne und sie hing ein bisschen raus und als ich mich gebückt habe, um ein Bier zu nehmen, stöhnten alle angewidert auf. Als mir das auffiel, dachte ich mir, ich geb’s ihnen besser ganz. Aber ich war nicht so wie GG Allin, der Typ hat die Leute mit Scheiße beschmissen! Der war auf jeden Fall härter drauf als ich, das muss ich ihm zugestehen. Ich wollte die Leute nie mit Scheiße bewerfen. Wir haben uns aber Schokoglasur in die Hosen gekippt, die konnte ich unserem Bassisten dann ins Gesicht schmieren, ohne dass er mich dafür mit dem Bass zu Tode prügelt, er wusste ja, was abgeht. Ich finde solche Showeinlagen prima, aber ich muss sagen, hätte ich den Eindruck gehabt, dass die Leute nur noch deswegen zu unseren Shows zu kommen, hätte ich es komplett gelassen. Mir war immer wichtig, dass es auch möglich ist, auf die Bühne zu gehen, in ganz normalen Klamotten, und Musik zu machen und gut ist. Wenn ich den Eindruck hatte, dass das gewährleistet ist, gab es das noch extra obendrauf. Wenn du erst beginnst, „eine Show abzuliefern“, musst du den Einsatz ständig ein bisschen erhöhen.
Gab es irgendwelche Requisiten oder Kleider bei den Reunion-Shows 2004/2005?
Nein, gar nicht, nichts. Hätte ich jetzt keinen Bart, hätte ich mir das noch einmal überlegt, aber ich stand noch nie auf diese Drag-Queen-mit-Bart-Geschichte. Ich hätte bloß ausgesehen wie eine alte Frau, haha.
In „American Hardcore“ erzählt Dave Dictor ja, er hätte immer in Frauenklamotten gespielt, wenn er mal wieder eine Rasur nötig gehabt hätte – er genoss offenbar den Kontrast ...
„Everybody to your own, you know, said the old woman when she kissed the cow’s butt!“, wie meine Großmutter zu sagen pflegte, von der ich meinen Humor geerbt habe. Aber ja, Biscuit, David und ich, wir haben manchmal schon abgefahrenen Kram gemacht. Austin war da sehr speziell, da konnten wir solchen Scheiß machen.
Der andere DICKS-Song, nach dem ich dich fragen muss, ist „Little boys feet“. Was hatte es damit auf sich?
Das war hauptsächlich so eine Schocknummer. Es stand mal was in der Zeitung über jemanden, der in einem Schuhladen gearbeitet hat, und dann wegen Fußlecken oder so was festgenommen wurde, das hatte nichts mit Kindern zu tun. Und du kennst mich ja, ich lasse mich immer gerne von Nachrichten inspirieren. Also habe ich einen Song draus gemacht. Später habe ich dann mit Kids gearbeitet, die von zu Hause weggelaufen sind, und ich hätte dieses schockierende Bild wohl nie verwendet, wenn ich gewusst hätte, was tatsächlich alles für krankes Zeug mit Kindern passiert. Aber ich habe nie in einem Schuhladen gearbeitet, genauso wenig wollte ich jemals einem Kind die Füße lecken. Aber es ist ein gutes Bild.
Trotzdem: Schwule müssen sich so viel Mist anhören, letztens meinte der Moderator Bill O’Reilly im Fernsehen, Pädophilie sei ein Problem Homosexueller. Ich kann mir deshalb gut vorstellen, dass ein schwuler Zuhörer sich bei dem Song fragte: Was hat er sich bloß dabei gedacht?!
Ich singe aber auch: „Gimme your sister! I want her feet too.“ Also bekommt da jeder seinen Teil ab. Und noch einmal – wenn ich die Chance hätte, es anders zu machen, hätte ich die Kinder weggelassen, dann hätte ich „Give me grandma’s feet“ gesungen oder so was. Das wäre aber wahrscheinlich noch anstößiger gewesen. Ich möchte mich da keineswegs entschuldigen, außer dass ich eben sage, dass ich es heute anders gemacht hätte. Trotz alledem, 1980 hat das für Aufruhr gesorgt, es schockte jeden.
Eines ist mir bei den alten DICKS-Aufnahmen allerdings stark aufgefallen: die zeigen kaum, wie gut du eigentlich singen kannst. Deine Stimme hast du anscheinend erst mit SISTER DOUBLE HAPPINESS so richtig gefunden – jener Band, bei der du von 1986 bis 1995 gesungen hast. War es für dich schwer, wieder einen Schritt zurückzugehen, und die DICKS-Songs zu singen? Musstest du das Singen verlernen?
Nein. Ich denke, meine Stimme klingt wie früher, weil diese Ehrlichkeit immer noch da ist, in der Art zu singen und im Inhalt. Wir hatten ja 18 Jahre nicht zusammen gespielt und zwischendurch haben wir auch nicht viel geredet. Aber weil wir uns eben so sehr schätzen, haben wir wieder zueinander gefunden. Und als Glen starb, kamen wir alle wieder zusammen; ich und Buxf Parrot und Pat stehen uns sehr nahe. Sie waren mit SHOOTING PAINS unterwegs und ich bot ihnen an, dass sie bei mir unterkommen könnten. Als sie dann kamen, dachten wir uns, dass wir doch mal wieder ein paar alte DICKS-Songs spielen könnten. Und langsam, aber sicher wurde das Ganze zu dieser großen Reunion-Nummer. Wir machten eine Songliste, gingen alle Stücke durch, probten sie und sie klangen unglaublich gut, so wie bei der letzten Probe vor 18 Jahren. Da war dann wieder die gleiche Intensität da und es lief wirklich gut. So vieles ist immer noch genauso, dass es immer noch die gleichen Gefühle hervorruft, die für diese Ehrlichkeit in unserer Musik sorgen.
Lass uns noch mal über die neu aufgelegten DICKS-Alben sprechen. Die „Kill From The Heart“-Masterbänder sind anscheinend nicht wieder aufgetaucht und die CD wurde von Vinyl gemastert, richtig?
Ja, und ich denke auch nicht, dass die Bänder je wieder auftauchen werden, ich habe mich jedenfalls von dem Gedanken verabschiedet. Mir ging es vor allem darum, „These People“ auf CD rauszubringen, weil die Platte nie als CD erschienen war, was mich immer genervt hat. Also habe ich mit Alternative Tentacles gesprochen, aber Jello Biafra wollte unbedingt auch „Kill From The Heart“ rausbringen. Ich sagte ihm, dass er das mit den anderen aushandeln sollte, da wollte ich nichts mit zu tun haben. Am Ende haben wir dann beide bekommen, was wir wollten.
Ich habe oft das Gefühl, dass ich der einzige bin, der „These People“ mag. Alle anderen finden die erste Platte viel besser ...
Ich bin sehr froh, dass du das sagst, mir hat sie nämlich auch sehr gefallen. Für mich war das ein wichtiger Schritt, die perfekte Verbindung von den DICKS zu SISTER DOUBLE HAPPINESS. Einige von den Songs wie „George Jackson“ oder „Off duty sailor“ hätten auch auf dem ersten SISTER DOUBLE HAPPINESS-Album sein können, ein bisschen verändert vielleicht. Aber mich hat das echt angekotzt, diese Erwartungen zu erfüllen, dass ich diese Songs schreiben muss und immer den Punk-Ethos im Hinterkopf behalten muss. Als wir „These People“ aufnahmen, waren da drei andere Leute in der Band, neben mir Lynn Perko, Tim Carroll und Sebastian Fuchs. Sie wollten, dass ich die Band anführe. Die anderen vorher sind nicht so drauf gewesen, die haben gemacht, worauf sie Bock hatten, ich wollte zwar immer der Anführer sein, aber sie ließen mich nie. Bei „These People“ war mein Einfluss dann viel größer und ich wollte nicht einfach nur den Hardcore-Kram machen, ich wollte das ein bisschen erweitern. Wir kamen dann an einem Punkt an, an dem die Leute sagten: „Spielt lauter, spielt schneller!“ Und ich sagte: „Fuck you! Ich will nicht schneller spielen, ich will langsamer spielen.“
Das ist genau das, was ich daran liebe – die langsameren Songs, da hat deine Stimme viel mehr Raum sich zu entfalten.
Ich hatte keine Angst mehr, richtig zu singen. Ich weiß noch, dass ich „Dead in a motel room“ oder „Sidewalk begging“ von „These People“ zuerst nicht singen wollte. Ich war mir nicht sicher, ob sie auf das Album passten, ich dachte, dass die Leute diese Songs hassen würden. Aber im Nachhinein bin ich glücklich, dass ich das gemacht habe. „Sidewalk begging“ ist immer noch ein großartiger Song, wenn ich das sagen darf. Wie gesagt, ich mag das Album sehr. Ich weiß, alle anderen mögen das andere lieber. Aber mir ist das erste DICKS-Album sicher nicht peinlich – ich finde, dass das auch ein ziemlich gutes Album ist. Es ist nur irgendwie interessant, ich habe so viel unterschiedliche Musik aufgenommen, aber worüber die Leute immer noch reden, ist das, was ich ganz am Anfang gemacht habe.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #106 Februar/März 2013 und Allan MacInnis