Diese Band war eine meiner ganz persönlichen Offenbarungen der letzten Jahre, von denen es wirklich sehr wenige gab. 2001 sah ich FROM ASHES RISE (FAR) aus Portland, Oregon eher zufällig in Leverkusen, als sie mit SONG OF ZARATHUSTRA auf großer Europatournee waren. Und seitdem hat mich diese Band in ihren Bann gezogen. Anlässlich der Veröffentlichung ihres dritten Studioalbums „Nightmares“ im Jahr 2003 auf Jade Tree hatte ich bereits mit Sänger und Gitarrist Brad Boatright ein Interview geführt. Wenige Monate später war dann aber erst einmal Schluss. In all den Jahren gab es einige Bands, die bemüht waren, im Stile von FAR zu punkten, aber wenn ich ganz kritisch bin, gibt es für meinen Geschmack niemanden, der Aggression, Depression, Melancholie und Melodie so gekonnt arrangiert. Ende 2009 kam dann die Nachricht, sie spielen wieder Konzerte. Anlässlich ihrer Live-Platte „Live Hell“, die im April auf Jade Tree in einer kleinen Vinylauflage veröffentlicht wurde, nahm ich erneut mit Brad Kontakt auf, um den aktuellen Stand der Dinge bei FAR in Erfahrung zu bringen.
Brad, wie verbringst du derzeit deinen Alltag?
Ich bin Vollzeit im Kundendienst für einen Motorradhandel tätig. Im Frühling und im Sommer arbeite ich saisonbedingt ziemlich viel. Aber gut, irgendwie muss ich ja meine Rechnungen zahlen. Und dann ist da auch noch meine „Familie“: Meine wundervolle Frau Terri, zwei Hunde und eine richtig coole kleine, schwarze Katze. Meine Freizeit verbringe ich mit Bandproben mit FAR oder LEBANON. Eigentlich fahre ich auch leidenschaftlich Motorrad, nur hatte ich im letzten Jahr einen ziemlich üblen Unfall, so dass ich es jetzt etwas ruhiger angehen muss. Und dann kann ich mich auch noch für Football begeistern.
Wie fing das bei dir an in Sachen Punk, Hardcore, Metal?
Ich fühlte mich von der Aggressivität dieser Musik angezogen. Da, wo ich aufgewachsen bin, fühlte ich mich wie ein Ausgestoßener. Aber beim Hören von Punk und Metal hatte ich ein gutes Gefühl.
Ist das für dich auch was Politisches, ein eigener Lifestyle oder doch alles nur austauschbare Mode?
Vordergründig sehe ich die Musik, die ich mache, nicht als politisches Mittel. Musik selbst darf für mich nicht zweitrangig sein. Ist Musik allerdings subversiv und bietet sie sich als Alternative oder Fluchtmittel an, dann ist das doch sehr fortschrittlich und etwas von Dauer. Mode hingegen kommt und geht.
Und wie siehst du die D.I.Y.-Szene, in der sich FAR bewegen?
Die Kommunikationswege sind durch das digitale Zeitalter direkter, einfacher und schneller geworden. 20 Jahre früher hätten wir dieses Interview wahrscheinlich via Briefpost geführt. Das heutige Netzwerk vereinfacht es, Tourneen zu buchen und auf eine Band aufmerksam zu machen. Andererseits schätzen wir die Zeit nicht mehr. Früher schrieben wir Briefe und gaben sie im Postamt auf. Heute drücken wir nur noch Knöpfe. Unsere digitalen Portale übertreffen die Größe des Posteingangs einer Zeitung. Facebook und MySpace haben das Demotape verdrängt. Nicht dass ich diese Entwicklung verdammen würde, aber man sollte sie mit einer gewissen Distanz nutzen und kritisch im Auge behalten.
FAR sind jetzt wieder da. Als ihr euch 2005 aufgelöst habt, hattet ihr in jeder Beziehung voneinander die Nase voll. Wie kam es doch zur Wiedervereinigung und was ist mit all den anderen Bands im Dunstkreis von FAR?
Wie das Sprichwort sagt: Die Zeit heilt alle Wunden. Unsere Freundschaft ist glücklicherweise tief verwurzelt und übersteht auch größere Probleme. Dave war sehr viel mit SMOKE OR FIRE auf Tour. Als er dort aufhörte, hatte er wieder mehr Zeit. Derek und ich spielen gemeinsam bei LEBANON, John und Derek spielen zusammen bei COLDBRINGER. So blieben wir doch irgendwie immer in Kontakt. Eigentlich ist es so, als ob wir einfach nur alle eine Weile tief geschlafen hätten. Jetzt, wieder hellwach, ist die Besetzung wie gehabt: John Wilkerson und ich spielen Gitarre und singen, Dave Atchison sitzt am Schlagzeug und Derek Willman zupft den Bass. Zu den Bands in unserem Umfeld: COLDBRINGER spielen nur noch gelegentlich. Bei WARCRY bin ich 2007 ausgestiegen. DEATHREAT werden vielleicht wieder auftreten. Die Chancen stehen derzeit gar nicht schlecht, jetzt, nachdem wir alle wieder in Portland, Oregon wohnen.
Ihr habt mit eurem sehr eigenen, düsteren und wütenden Hardcore nicht wenige Bands beeinflusst. Bedeutet dir das etwas?
Ich werde das immer wieder gefragt. Und darauf zu antworten ist für mich auch immer noch schwierig. Ich sehe unsere Musik eigentlich nur als eine Art Fusion aller unserer individuellen Musikeinflüsse. Also bedienen wir uns in gewisser Weise auch nur an bereits Bekanntem und fügen dies in unsere Arrangements ein, was dann wohl einen gewissen Fortschrittsprozess bedeutet. Ich persönlich sehe FAR als Weiterentwicklung alternativer Musik und wünsche mir, dass diese Entwicklung nie enden wird. Wenn wir dann als Teil dieses Prozesses gesehen werden, fühle ich mich in all unseren Bemühungen bestätigt. Ja, damit bin ich durchaus zufrieden.
Erläutere doch bitte mal genauer die musikalische Entwicklung von FAR, indem du kurz auf eure bisherigen Veröffentlichungen eingehst.
Da ist also gleich schon mal unser schwarzes Schaf, die „Fragments Of A Fallen Sky“-EP von 1998. Die Aufnahmen sind rauh und matschig und das Songwriting ein ziemliches Durcheinander. Aber trotzdem ermöglichte diese EP unsere erste Tour. Bei der „Life And Death“-EP ein Jahr später feilten wir schon etwas mehr an unserem Sound. An diesen Aufnahmen mag ich vor allem die düstere Atmosphäre. Unser erstes Album „Conrete And Steel“ von 2000 ist zwar immer noch rauh, allerdings schon ziemlich knackig und druckvoll produziert. Manchmal scheinen die Stücke etwas aus dem Ruder zu laufen, aber genau das macht die Platte aus. „Silence“ aus dem selben Jahr war trotz des gut durchdachten Songwritings und noch besserer Produktion am Ende doch eher enttäuschend für uns. Dieses zweite Album haben wir nur kurz nach unserem Debüt veröffentlicht, was im Nachhinein betrachtet alles viel zu übereilt war. Was den Klang angeht, ist das Split-Album mit den VICTIMS von 2003 mein persönlicher Favorit. Dafür haben wir uns endlich einmal viel Zeit genommen. Erst Monate nach den Aufnahmen gingen wir mit einem gewissen Abstand ans Mischen. Und das Resultat ist wirklich mächtig! Das Stück „Uniforms“ ist auf der Bühne immer noch eines meiner Lieblingsstücke. Unser letztes Studioalbum „Nightmares“ entstand auch 2003 und ist ohne Zweifel die bisher wichtigste Platte für FAR gewesen. Auch hier nahmen wir uns viel Zeit. Wir arbeiteten in einem richtig guten Studio mit dem großartigen Aufnahmetechniker Matt Bayles zusammen. Die Lyrics sind in sich stimmig. „The final goodbye“ ist das für mich beste FAR-Stück, das wir bisher geschrieben haben. Und jetzt aktuell „Live Hell“, ein Album mit richtig guten Live-Aufnahmen, die im wahrsten Sinne des Wortes aus einer Kiste voller CDs mit Live-Mitschnitten in meinem Keller kommen. Das Material besitzt wirklich eine beeindruckende Energie, wie man sie auch auf unseren Konzerten erfahren kann. Dass die Platte als eine Art „Best of Live“ angekündigt oder gar gesehen wird, ist mir bisher noch nicht in den Sinn gekommen und soll so auch nicht verstanden werden. Die „Discography“ von 2000 ist lediglich eine Zusammenfassung der ersten beiden EPs und Alben.
Aber ihr plant, in diesem Jahr noch eine EP mit neuem Material zu veröffentlichen, richtig?
Es gibt zwar bereits ein paar Ideen für neue Stücke, die müssen allerdings erst arrangiert werden. Und dann wollen wir die Songs auch erst einmal live ausprobieren. Sicher wird was Neues kommen, aber einen festen Zeitplan gibt es dafür noch nicht.
Wie gehst du beim Songwriting und Texteschreiben vor, was beeinflusst dich dabei?
Auch ich entdecke für mich immer noch neue Musik und mache neue Erfahrungen, sowohl im kreativen Bereich als auch im sozialen Umfeld. Und dann gibt es die Phasen, in denen ich ziemlich übel gelaunt und frustriert bin. Dann fange ich an zu hinterfragen und gehe den Sachen auf den Grund und will wissen, was das alles mit meinen persönlichen Dämonen zu tun hat. Dies und, ich nenne es mal „die Dunkelheit draußen“, beeinflussen mich beim Schreiben von Stücken.
Könntest du es mit dir vereinbaren, wenn du von der Musik leben müsstest, dass du angesichts sinkender Plattenumsätze Werbeverträge abschließen würdest?
Kann ich schlecht beurteilen, hat aber für meine Begriffe auch gar nichts mit der Musik zu tun, schließlich entscheidet darüber der einzelne Künstler. Stellt sich nur die Frage, ob die Musik dadurch aufgewertet wird oder eher nicht. Coca-Cola würde ich ganz bestimmt nichts von uns zur Verfügung stellen, um sich mit unserer Arbeit, unserer Kreativität und unserem Schweiß zu bereichern. Werbeagenturen sind Mist. Sie betreiben so viel Forschung in Dingen, die wir als selbstverständlich ansehen. Ganz ehrlich, solche Deals sind absolut inakzeptabel und gehen gar nicht. Ich wäre von der einen oder anderen Band sicher enttäuscht, wenn sie sich auf so was einlassen würde. Aber wenn mir Musik gefällt, lasse ich mir wegen so was trotzdem nicht den Spaß daran verderben.
Welche Reunion fandest du großartig und welche hätte man sich besser gespart?
Solange sich die Bands wirklich der Musik wegen wieder reformieren, weil sie einfach noch einmal das Gefühl von früher haben wollen, als die Musik – und man selbst – noch frisch war, finde ich das alles in Ordnung. Dann kam eben der feste Job, die Prioritäten mussten neu geordnet werden, weil das Leben anders verlief. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt und man vermisst doch etwas. Ich kann das den Leuten nicht verübeln, wenn sie aus dieser Motivation heraus handeln. So geschehen bei AMEBIX. Andererseits brauche ich echt keine Band wie QUEEN ohne Freddie Mercury, die stattdessen mit Paul Rogers tourt. Dabei gefallen mir die alten Sachen von Paul Rogers mit FREE und BAD COMPANY, aber QUEEN ist ohne Freddie Mercury nicht das Gleiche. Oder man denke an THIN LIZZY ohne Phil Lynott, THE GERMS ohne Darby Crash, THE MISFITS ohne Glenn Danzig, THE JAM ohne Paul Weller ... Nach wie vor höre ich gerne deren Musik, aber ich besuche ganz bestimmt keines dieser Konzerte.
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