Schluss, aus, vorbei! Was 1995 zaghaft mit rustikalem Deutsch-Ska als FRAU DOKTOR begann, fand Ende 2010 sein – viel zu frühes – Ende. Was bleibt? Die Erinnerung an eine grundsympathische, stets etwas studentisch wirkende Ska-Punk-Soul-Rocksteady-Band, die etliche kleine Genre-Klassiker unters Volk gebracht hat. Nachzuhören unter anderem auf „Süße Ska-Musik“ (1997), „Dauercamper“ (2000) oder auch „Wer mich leiden kann, kommt mit“ (2006). Dass die Herren über die Jahre ihrem Stil und Sound treu geblieben sind, diesen perfektioniert haben und in ihren Texten so gehaltvolle Themen wie „Alte Männer“, „Sex, Musik und Prügeleien“ und die schöne Autobahn „A3“ humorvoll verarbeiteten, macht den Abschied nicht leichter. Dieser kam für viele äußerst überraschend, für die Band weniger. Denn der ewige Spagat zwischen „Musik als Hobby“, Familie, Job und permanenten Zeitproblemen, konnte dauerhaft nicht gelingen. So entschloss man sich wohl überlegt zum finalen Schlussakkord – und diesen haben sie fulminant begangen! Zum einen gab es mit „Grenzen der Gemütlichkeit“ (Review #92) eine amtliche Best-Of-Scheibe und zum anderen eine allerletzte Tour, die Sänger und Bandpapa Üni folgendermaßen zusammenfasst: „Wenn ich auf die Ereignisse der letzten Wochen blicke, ist aufzuhören die richtige Entscheidung, geiler wird es nicht!“ Noch Fragen? Ja, einige. Deshalb dieses posthume Interview, das außerdem für FD das erste Gastspiel im Ox überhaupt ist. Üni war so nett, uns den ersten Auflösungsversuch zu erklären ...
Das erste FRAU DOKTOR-Interview im Ox und auch schon das letzte, auf jeden Fall in dieser Konstellation, da sollte wenigstens gesagt werden, was zu 15 Jahren FD gesagt werden muss. Bitte!
15 Jahre FD?! Wir hatten Spaß, wir hatten Erfolg, wir hatten uns, aber, und das ist mir erst in den letzten Wochen so richtig bewusst geworden, wir hatten echte Fans! Leute, denen unsere Musik was bedeutet hat und bedeutet. Das ist ein großes Gefühl und macht das Aufhören einerseits traurig, andererseits gab es keine bessere Zeit als diese. FD waren auch: Matratzenlager, Vollsuff, Fußball, Punk, Ska, Soul, Tourbus, Autobahn, Studio, Proberaum ...
Was hätte anders und besser laufen können, was hättet ihr im Nachhinein lieber unterlassen?
Keine Ahnung. Außer vielleicht diese Story: Ich habe einmal vor einem Auftritt Nudelsalat mit Mais gegessen. Wir waren wie immer zu spät und ich hatte Wahnsinnshunger, also musste vor der Show noch ein riesiger Teller davon rein. Nach einigen Bieren und dem Gehopse auf der Bühne, fing das alles an in mir zu rumoren, drängte nach draußen, mit einigen beherzten Schlucken ist es dann aber drinnen geblieben – bis auf ein Maiskorn, das mir in die Nase flutschte! Dieses beschissene Korn hat die ganze Zeit über genervt und ich musste Geräusche machen wie ein Elch, um es wieder rauszubekommen. Die Leute haben gedacht, ich verarsche sie. Also besser kein Nudelsalat mit Mais kurz vorm Gehopse! Das eine oder andere Getränk hätten wir vielleicht auch stehen lassen sollen, und in Zürich nicht verboten parken ... auf einem Polizeiparkplatz.
Die definitive Abschiedstour ist passé. Wie hat es sich angefühlt, das jeweils „letzte“ Konzert zu geben?
Die Tour war der Hammer. Ich hatte noch nie eine so stressige Vorbereitung, aber von dem Moment an, als ich den Code vom Bus in mein Handy eingegeben habe, gab es keinen Stress mehr, wir haben uns ja alle Clubs bewusst ausgesucht und nur in unseren Lieblingsläden gespielt. Das war wie ein riesiger Familienausflug zu guten Freunden, die dann noch mehr Freunde eingeladen haben, um mit uns ein Fest zu feiern, bei dem wir auftreten durften! Echt toll, und auch ziemlich emotional, für mich traurig! Da sind einige Tränen geflossen. Vor, auf und hinter der Bühne. Anstrengend war’s. Jeden Abend feiern und drei Stunden spielen, aber es war keine Sekunde zu lang.
„Sag zum Abschied leise Servus“, scheint nicht euer Prinzip zu sein, wenn man den Rahmen eures eigenen Band-Begräbnisses betrachtet, es gab auf der Tour sogar neue Songs. Glaubt ihr wirklich, dass ihr loslassen könnt?
Wir haben also damals zusammengesessen und überlegt, wie das mit der Band weitergehen soll – und zwei Leute wollten sofort aufhören. Der „Rest“ konnte sich FD nicht ohne die zwei vorstellen, also war Feierabend. Aber wir wollten noch ein letztes Mal los. Schon allein, um sagen zu können: „Hey, Schatz, das ist das allerletzte Mal!“, der beste Vorwand, um noch einmal zu Hause rauszukönnen, haha. Ich glaube, das hat sich der eine oder andere rausgenommen. Jetzt ging es also noch mal ab. In welches Loch wir bald fallen werden, wird sich zeigen. Loszulassen wird, glaube ich, nicht das Problem sein, aber ich weiß, ich werde mich an den Sonntagen nun langweilen.
Zu eurer Abschiedsplatte: Wirklich süß sind „Hate List“ und „Kein Ska“ ja nicht. Daher der Plattentitel, „Grenzen der Gemütlichkeit“? Und wie erklärt sich der nette Herr TÜV-Prüfer auf dem Cover?
Mich hat oft genervt, dass Ska so eine „Scheiß-Gute-Laune-Mucke“ ist, wenn man was ernsthaft rüberbringen will! Es ist nicht leicht, einen Ska-Song über ernste Themen zu schreiben, bei mir rutscht so etwas meistens in Richtung Punk oder es ist ein „Augenzwinkern“ dabei, bei den erwähnten Liedern etwa. Nein, die Songs sind nicht so süß und das ist auch gut so! Mit dem Cover hat es allerdings nichts zu tun, das hat mit meinem Auto zu tun, es war kaputt und ich nicht sicher, ob es noch mal TÜV bekommt. Quasi mit dem Ende der Band kam auch das Ende unseres Busses, mit dem wir viel unterwegs waren. Daher die Idee, „die Kiste kommt nicht mehr drüber!“ Jetzt hat der gute Bulli aber einen neuen Motor und fährt wieder super – die Band nicht, haha.
Mal angenommen, ihr bekommt posthum massiv Anfragen für Auftritte, würde das ernsthaft Hebel in Bewegung setzen?
Wir haben eine Menge Angebote, FRAU DOKTOR könnte immer auf Tour gehen! Das klappt auch finanziell, in einem gewissen Rahmen. Bei Shows mit 2.000 Leuten bleibt auch mal was hängen. Die Abrechnung mache ich dann nicht mehr, Mathe 4-, haha. Geld ist allerdings nie ein Kriterium gewesen, wir haben immer nur da gespielt, wo es uns Spaß gemacht hat. Wenn jetzt jemand mit Scheinen winken würde, würde das nix bringen. Okay, kommt darauf an. Was ich damit sagen will, wenn wir ein tolles Angebot bekommen würden, Japan zum Beispiel, käme es nicht auf das Geld an, sondern mal wieder auf die Zeit. Ich habe in 15 Jahren gelernt, mich nicht mehr aufzuregen, wenn ich eine super Show absagen musste, weil jemand von der Band keine Zeit hat. Ich glaube, es müsste schon ein richtiger Hammer sein, um die Herren wieder im Proberaum zu vereinen ...
Wie viel „Süße Ska-Musik“ schwingt überhaupt noch durch dein tägliches Leben? Vorlieben ändern sich ja bekanntlich.
Hm, ich höre kaum Musik, vielleicht mal im Auto. Klingt komisch, ist aber so. Liegt wahrscheinlich an meinem Job, immer Musik. Ich habe in der ersten zehn Jahren FD immer nur Ska und Soul gehört, meistens den alten schönen. Prince Buster, SKATALITES und so weiter, aber auch SPECIALS, MADNESS, Northern Soul, Motown. Irgendwann war es dann mal gut. Ich bin aber auch ein fauler Hund, ich weiß, dass es da draußen noch sauviel super Musik gibt, die ich mir besorgen könnte, aber das passiert selten. Eben komme ich vom Fußball und habe im Auto FUTURE OF THE LEFT gehört, davor SUPERPUNK, davor THE JOLLY BOYS und DRAG THE RIVER, mit dem großartigen Jon Snodgrass und Chad Price.
Üni, du bist ja recht umtriebig im Wiesbadener Schlachthof. Kleiner Lagebericht bitte zu den derzeitigen Publikumslieblingen, und zum Live-Geschäft generell, in Zeiten, in denen nahezu alle on tour sind.
Also die große Halle wurde wegen Baufälligkeit geschlossen. Das bedeutet, eine Menge Leute sind gerade ohne Job, Veranstaltungen gehen nur noch in der „Räucherkammer“, wir sind in Verhandlung mit der Stadt, wegen einer Sanierung oder eines Neubaus. Das Ganze wirkt sich leider auch auf die Besucherzahlen aus, wir veranstalten auch recht viel auswärts in anderen Hallen, was viel Arbeit ist, alles von MOTÖRHEAD, SCOOTER, KETTCAR bis BULLET FOR MY VALENTINE. Bei den großen Sachen ist mir Musik mittlerweile fast egal, Hauptsache, die Typen sind nett – und Lemmy und seine Crew sind es! Eine kleine Show mit den SLACKERS oder DTR ist mir trotzdem lieber. Nur keine gehypeten Jungspunde, die ihre erste Live-Show vor 1.000 Leuten auf einer riesigen Bühne geben. Da läuft was quer, wenn Bands auf ihrer ersten Tour nicht wissen wie teuer ihre T-Shirts sind, weil das ja die „Merch-Firma“ macht. Aber das gibt es durchaus noch, das nette Konzi, bei dem man seine Freunde trifft, danach vielleicht ein paar mehr hat, weil’s einfach nett war.
Abschied bedeutet auch Raum für Neues. Gib uns mal einen Einblick, wie es für euch, für jeden Einzelnen von euch weitergehen wird oder soll. Was passiert mit der Band-Erbmasse?
Ich weiß tatsächlich nicht, was die anderen machen. Andi, unser Schlagzeuger, und ich haben ja noch ’ne Punkband, CRAPSTER. Da passiert gerade recht wenig, weil der Gute Papa geworden ist, aber wir werden da schon weitermachen, mal sehen, ob das jetzt mehr wird, jetzt, da wir mehr Zeit dafür haben. Es gibt noch ein Ska-Jazz-Projekt einiger Bandmitglieder, aber ich weiß nicht, ob die was machen beziehungsweise wieder was machen. Mal sehen, ich hätte gerne eine richtig fette Soul-Band, vielleicht machen wir ja was Neues, Richtung King Khan meets THE FOUR TOPS. Die FD-Bläser sind ja arbeitslos – wir haben schon gemailt! Der Proberaum wird jedenfalls noch von der Bandkasse bezahlt, das ist dann ja quasi auch Erbmasse. Nun, man sieht sich live!
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