Was macht eigentlich Ryan Patterson, seit sich die famosen COLISEUM kurz nach dem 2015er „Anxiety’s Kiss“-Album in Luft aufgelöst haben? Er geht seiner Leidenschaft für Achtziger-Goth nach, speziell in der Machart von RED LORRY YELLOW LORRY und (frühen bis mittleren) SISTERS OF MERCY. Zusammen mit Nick Thienemann (YOUNG WIDOWS) an der Gitarre und Shelly Anderson am Bass hat er als Sänger und Mann an Tasten und Knöpfen als R. Pattern FOTOCRIME gegründet. Zuerst erschienen in Eigenregie zwei Singles, und nun mit „Always Night“ via Golden Antenna eine 6-Song-EP, welche die 7“s zusammenfasst. Im Dezember waren FOTOCRIME auf Europatour, das Konzert in Köln war so begeisternd wie die Platte, und so stellte ich Ryan nachträglich ein paar Fragen.
Ryan, bevor wir über deine neue Band sprechen, möchten wir noch erfahren, was aus COLISEUM geworden ist. 2015 habt ihr das großartige Album „Anxiety’s Kiss“ veröffentlicht und dann ... Stille. Was ist mit COLISEUM passiert?
Wir drei waren der Meinung, dass die Zeit von COLISEUM vorbei sei. Wir hatten mehr erreicht, als wir uns je vorgestellt hatten: fast 1.000 Shows in Nordamerika, Europa, Australien und Japan, fünf Alben und jede Menge verschiedener kleinerer Veröffentlichungen. Ich hatte immer gesagt, dass ich mit COLISEUM ein Vermächtnis schaffen will, und das habe ich getan. Wir waren vor allem mit unseren letzten beiden Alben „Sister Faith“ und „Anxiety’s Kiss“ sehr zufrieden und hatten nicht den Eindruck, als hätten wir mit der Band noch großartig etwas zu sagen oder zu erledigen. Wir stehen uns alle noch sehr nahe und könnten in Zukunft wieder zusammen Musik machen, wenn wir das alle wollten. Die Tür ist geschlossen, aber nicht verriegelt.
2017 haben FOTOCRIME zwei Singles veröffentlicht, die später von Golden Antenna aus Deutschland auf einem Mini-Album zusammengefasst wurden. Wie sind die Reaktionen bisher ausgefallen – habt ihr damit vor allem das COLISEUM-Publikum oder auch neue Leute erreicht?
Das Feedback war wunderbar. Es ist eine Herausforderung, eine neue Band zu gründen und zu versuchen, neue Leute und Fans zu erreichen. Aber wenn man bedenkt, wie neu die Band noch ist, bin ich sehr glücklich darüber, wie viel wir in so kurzer Zeit erreicht haben. Ich habe den Eindruck, dass FOTOCRIME jenseits von leidenschaftlichen COLISEUM-Fans hauptsächlich ein neues Publikum erreicht. Das ist schwer zu sagen und auch nichts, worüber ich lange nachdenke. Ich will einfach nur aktiv und produktiv sein.
Musikalisch sind FOTOCRIME eine Abkehr von den Hardcore-basierten Klängen von COLISEUM und haben auch wenig gemeinsam mit der Band YOUNG WIDOWS deines Bandkollegen Nick Thieneman. Welche musikalische Vision verbindet die Mitglieder von FOTOCRIME? Wer ist noch in der Band?
Ich hatte kein Interesse daran, dem direkten Weg von allem, was ich in der Vergangenheit musikalisch getan hatte, zu folgen, obwohl es sicherlich Stränge gemeinsamer DNA gibt. FOTOCRIME ist meine Vision und Schöpfung, mit den anderen Mitgliedern bin ich durch Freundschaften und Freude am gemeinsamen Musikmachen und Touren verbunden. Nick ist seit langem ein enger Freund, und wir haben über die Jahre viel Zeit gemeinsam auf Tour verbracht. Er war der Erste, an den ich dachte und den ich gebeten habe, bei FOTOCRIME mitzumachen. Er wollte lieber Gitarre spielen als Bass, weil das für ihn neu und spannend war. Bassistin ist jetzt Shelley Anderson. Shelley hatte ich vor längerer Zeit mal kurz kennen gelernt, aber wir hatten seit über einem Jahrzehnt keinen Kontakt. Als ich jetzt mich jetzt nach Leuten umgesehen habe außerhalb meines engsten Freundeskreises, sah ich sie auf der Bühne mit einer anderen Band und war schlicht beeindruckt. Also kontaktierte ich sie und hatte das Glück, eine großartige neue Freundin und Bandkollegin gefunden zu haben.
In meiner Rezension vergleiche ich euren Sound mit Bands, die ich in den Achtzigern gehört habe, wie RED LORRY YELLOW LORRY oder SISTERS OF MERCY. Welche Bands aus der Goldenen Ära des Gothic magst du am liebsten und warum?
Diese Bands sind sicherlich Einflüsse, insbesondere Red Lorry. Die Sisters sind ein offensichtlicher Bezugspunkt, gerade in Anbetracht der Drum-Machine und meiner vergleichsweise tiefen Stimmlage. Ich habe versucht, mich von allem zu distanzieren, was besonders Sisters-esque ist, aber „Always hell“ geht unbestreitbar in diese Richtung. Es gibt so viele Bands aus den verschiedensten Epochen, die mich beeinflussen und inspirieren, die Liste ist zu lang, um sie hier vollständig aufzuzählen. Ein paar Songs, die für mich besonders wichtig sind wie auch für FOTOCRIME, und die ich jedem ans Herz legen möchte, sind Robert Rental „Double heart“, Roy Orbison „I drove all night“, THE RUNABOUTS „The strangeness in me“, SUICIDE „Harlem“, LUNAPARK „Worte“, BLITZ „Into the daylight“, außerdem die beiden Soloalben von Rowland S. Howard. Und DEPECHE MODE natürlich auch.
Der Begriff „Fotocrime“ erinnert mich an den Film „1984“ aus den Achtziger Jahren, basierend auf dem Roman von George Orwell. Und der Titelsong war „Sex crime“ von EURYTHMICS. Zufall?
Das sind beides großartige Referenzen, das freut mich zu hören. Außerhalb der musikalischen Einflüsse bin ich sehr inspiriert und bewegt von Film Noir und den Romanen, auf denen diese Filme basieren, insbesondere den Romanen von Raymond Chandler. Neblige Gassen und löchriger Asphalt, Schwarzweißfilme und Fotografien aus Europa und den Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich habe mir einen Namen vorgestellt, der irgendwie etwas davon einfängt, ohne sich direkt auf einen bestimmten Film oder Roman zu beziehen. Ich wollte auch, dass es nicht gleich so amerikanisch wirkt. FOTOCRIME passt zu dieser Zeit und der Trivialkultur. Ich bin sehr froh, dass wir diesen Namen gefunden haben. Und es ist nicht schwer, etwas über dessen Herkunft herauszufinden, wenn man sich ein wenig Mühe gibt zu graben.
Ihr seid gerade von eurer ersten Europatour zurückgekehrt. Wie war’s?
Die Tour war wirklich wunderbar. Es war beinahe erschreckend, wie gut es lief und wie herzlich wir aufgenommen wurden. Es war schon mutig, sich als so neue Band auf eine Europatour zu wagen, ich habe mit katastrophalen Zahlen gerechnet. Wir waren angenehm überrascht, wie gut die meisten Shows besucht waren, dass uns so viel positive Energie entgegenschlug und die Leute zu unseren Stücken getanzt haben. Ich bin mir sicher, dass meine Vergangenheit mit COLISEUM zum Erfolg der Tour beigetragen hat, zumindest hat es das Booking erleichtert. Aber ich wurde jetzt nicht besonders oft auf COLISEUM angesprochen, also kann ich nicht sagen, ob mehr langjährige COLISEUM-Fans oder neu gewonnene Fans von FOTOCRIME bei den Konzerten waren. Eine Mischung aus beidem, nehme ich an. Ehrlich, es lief im Großen und Ganzen besser als viele COLISEUM-Touren. Wir können von Glück sagen, dass man uns gleich beim ersten Mal so freundlich aufgenommen hat.
Also kommt ihr 2018 ein zweites Mal nach Europa? Und bringt ein neues, erstes Album mit?
Das Album „Principle Of Pain“ wird auf jeden Fall im Mai auf Golden Antenna Records in Europa und auf Auxiliary Records in den USA erscheinen. Über eine weitere Europatour wird bereits nachgedacht, so dass es hoffentlich schon bald soweit ist.
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