Die siebte Platte von FOR THE FALLEN DREAMS bleibt selbstbetitelt. Nach einer bereits zwei Dekaden umspannenden Bandkarriere erfindet sich das US-Quintett größtenteils neu, jedoch ohne allzu krass mit ihrer imposanten Historie zu brechen. Alte und neue Fans dürfen sich freuen.
Wenn nicht jetzt, wann dann?“, fragt Frontmann Chad Ruhlig zurück. „Dies ist für uns der beste Zeitpunkt, um ein selbstbetiteltes Album zu veröffentlichen. Mit diesem wollen wir eine neue Ära und Richtung in der Struktur unserer Band zementieren.“ Unter diesem Gesichtspunkt ist auch der Labelwechsel konsequent: „Wir haben eine sehr lange Geschichte mit Rise Records, das stimmt“, bestätigt der Sänger, dessen Band mit „Changes“ (2008) und „Relentless“ (2009) zwei viel beachtete Rise-Core-Klassiker vorgelegt hat. „Sie waren das erste Label, das uns vor all den Jahren eine Chance gegeben hat. Deshalb konnten wir die Legende und das Erbe unserer Band weiter ausbauen. Trotzdem war es an der Zeit für eine Veränderung. Arising Empire glauben an die Zukunft der Band. Ihr Enthusiasmus für das, was wir geschaffen haben, ist sehr erfrischend und bestätigt uns darin, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ So viel hat sich aber bei genauerem Hinhören gar nicht verändert. Der Fünfer ist gewohnt experimentierfreudig und zeitgemäß unterwegs. Elemente aus dem NuMetal und Rap/HipHop erweitern das Core-Spektrum, wobei Chad Ruhlig und Co. vor allem daran gelegen ist, maximal starke Songs abzuliefern, die sich im Album-Kontext, aber auch im Abgleich mit der bisherigen Release-Historie, voneinander absetzen: „COVID-19 hat die Art und Weise, wie wir an den Schreibprozess herangegangen sind, definitiv verändert“, erklärt der Sänger. „Wir alle haben viel Zeit investiert, um herauszufinden, wie FOR THE FALLEN DREAMS in einem neuen musikalischen Zeitalter überleben können. Jeder Künstler versucht nach wie vor herauszufinden, was am besten funktioniert, und auch wir haben definitiv ein paar Tricks aufgeschnappt, um die Band auf und abseits der Straße voranzubringen.“
Die Gruppe baut einerseits auf ihr starkes Songwriting und andererseits auf ihre ungebrochene kreative Neugier. Und dann sind da natürlich noch die eingeführten Trademarks: „Das neue Album verstärkt auf jeden Fall all die Elemente, die wir im Laufe der Jahre entwickelt haben“, weiß auch Chad. „Eine Konstante in der Diskografie von FOR THE FALLEN DREAMS ist, dass es kein Album wie das vorherige gibt. Die Inspirationen und Referenzen, die wir von jeder früheren Veröffentlichung mitgenommen haben, helfen uns, die Dinge frisch zu halten und uns als Künstler und Gruppe weiterzuentwickeln.“ Rekapituliert man die Entwicklung der früheren Rise-Kombo seit ihrer Gründung im Jahr 2003, erkennt man, dass die Musiker tatsächlich permanent auf der Suche nach einem neuen Zugang zu ihrem Musikkosmos sind und ihr Spiel kontinuierlich verändern. Denkverbote oder Restriktionen bestehen für die Band dabei nicht und der Mut zahlt sich aus: „Für mich gibt es keine Grenzen“, stellt der Frontmann klar. „Es kann keine Obergrenze für die Kreativität oder Mentalität geben, so dass man nicht in der Lage ist, ohne Ketten zu experimentieren und Songs zu kreieren. Wir machen das, was wir gut können, also bleiben wir bestimmten Elementen treu, die den Sound der Band definiert haben. Das neue Album ist ein großartiges Beispiel dafür. Es ist unbestreitbar anders als alles, was wir bisher veröffentlicht haben, enthält aber immer noch einige sehr klassische FOR THE FALLEN DREAMS-Elemente. Deshalb hat es auch so viel Spaß gemacht, es zu schreiben. Es kam alles ganz natürlich aus uns heraus, obwohl es so anders ist.“ Der Bitte folgend, die Andersartigkeit der selbstbetitelten Platte an einem Beispiel zu erklären, verweist Chad insbesondere auf einen Song: „,Searching ...‘ weist einen sehr langsamen, heruntergestimmten Groove, aber auch einen sehr ruhigen, HipHop-beeinflussten Flow auf. Es ist unbestreitbar eines meiner liebsten Stücke, die ich je geschrieben habe. Und man hört dem Text an, dass ich meine, was ich in diesem Song sage. Es ist ein sehr gefühlsgeladener Track, den man unmöglich ignorieren kann. Selbst wenn man kein Fan dieses Stils ist.“
Die Gruppe aus Lansing, Michigan freut sich schon darauf herauszufinden, was als Nächstes kommt, denn den einen Stil gibt es bei ihnen nicht: „Was das Einreißen von Mauern angeht, könnte alles Mögliche als Nächstes kommen“, freut sich der Sänger. „Nichts ist jemals vom Tisch. Wir konzentrieren uns einfach darauf, Musik zu schreiben, die uns und unsere Fans anspricht und uns dabei herausfordert.“ Solange das Ergebnis der kreativen Arbeit für sich steht, sind FOR THE FALLEN DREAMS zufrieden: „Heutzutage geht es mehr denn je darum, gute Songs zu schreiben“, weiß der Musiker. „Nicht alles muss gleichförmig in Strophe-Refrain-Strophe-Refrain unterteilt sein, um ein guter Song zu sein. Deshalb stecken wir in alles, was wir veröffentlichen, viel Zeit und Sorgfalt. Wir wollen glänzen, wenn wir glänzen müssen, und die Talente jedes Einzelnen dort zur Geltung bringen, wo sie zum Wohle des Songs am besten passen. Hörer sollen Spaß haben und den Prozess genießen.“ Um die gesteckten Ziele zu erreichen, blicken die Musiker allein auf sich selbst. Das nötige Selbstvertrauen in die eigenen Fertigkeiten und Qualitäten bringen Chad Ruhlig und Co. mit: „Es gibt ein schönes Zitat, das besagt: ‚Wenn du du selbst bist, kann niemand anders du sein, außer dir selbst.‘ Wenn du dich entscheidest, du selbst zu sein und dich wirklich auf das einlässt, was dich einzigartig macht, dann bietest du der Welt etwas an, das niemand sonst anbieten kann. Nur du selbst. Es ist großartig, sich von Dingen beeinflussen zu lassen, die man liebt und genießt, aber zu finden, was dich einzigartig macht, braucht Zeit und geht nicht von heute auf morgen. Bis vor kurzem hatte ich meine Stimme noch nicht wirklich gefunden. Und diese Aussage stammt von jemandem, der bereits etliche Alben veröffentlicht hat und auf fast zwei Jahrzehnte Erfahrung zurückblickt. Es gibt also immer Raum für Wachstum und die Suche nach dem, was einen besonders und die Kunst auf ihre eigene Weise originell werden lässt. Sobald man das gefunden hat, passt alles.“
In dieser glücklichen und erfüllenden Position befinden sich FOR THE FALLEN DREAMS seit geraumer Zeit. Dass die Musiker mit sich im Reinen sind, hört man ihren Platten an – gerade der neuen: „Es ist fünf Jahre her, dass wir ein Album veröffentlicht haben, also sind die Fans natürlich sehr gespannt darauf, wie es bei uns weitergehen wird“, zeigt sich der Frontmann überzeugt. „Ich bin mir sicher, dass einige Hörer gerne in das Jahr 2008 zurückreisen und eine weitere Platte wie unsere erste bekommen hätten. Das ist aber einfach nicht mehr die Band, die wir heute sind. Unser selbstbetiteltes Album ist das Ergebnis von sieben Platten und fast zwei Jahrzehnten voller Höhen und Tiefen sowie persönlichem und musikalischem Wachstum. Und es hätte nicht natürlicher ausfallen können. Wir haben genau das erreicht, was wir mit dieser Veröffentlichung erreichen wollten, ohne unsere Wurzeln zu verleugnen.“ Dasselbe gilt für die Einflüsse der Musiker, die immer wieder mit durchscheinen: „Ich versuche nie absichtlich, mich von einem bestimmten Album oder Künstler beeinflussen zu lassen“, stellt Chad klar. „Wenn mich etwas anspricht und es klick macht, notiere ich es mir vielleicht, um es im Hinterkopf zu behalten, aber unser Songwriting geschieht definitiv sehr spontan und ohne bewusst nach irgendetwas Bestimmten zu suchen. Ich höre nach wie vor viel von der Musik, die ich schon mochte, als ich noch jünger war. Oftmals bin ich ein harter Brocken und greife auf Bands aus meiner Jugend zurück: LIMP BIZKIT, SOUNDGARDEN und so weiter.“ Hört man die Songs des selbstbetitelten Albums denkt man bisweilen auch an LINKIN PARK: „Es geht wirklich nur darum, was am besten zum Song passt“, so der Sänger. „Nichts kann jemals erzwungen werden. Was wir beabsichtigen, erkennen auch unsere Zuhörer. Öfter schon habe ich bestimmte Stile in einer Strophe oder einem Refrain ausprobiert, doch es hat einfach nicht gepasst. Dann musste ich wieder zurück ans Reißbrett und etwas anderes ausprobieren, damit es für den Song funktioniert.“
In den Stücken von FOR THE FALLEN DREAMS verbinden sich die genutzten Einzelteile zu einem größeren Ganzen, wobei der Erfahrung der Musiker eine besondere Bedeutung zukommt: „Das Album ist auf jeden Fall ein Produkt der Reife, sowohl musikalisch und geistig als auch kollektiv zwischen uns allen“, findet auch Chad. „Wachstum und Erfahrung bringen besser strukturierte, abgerundete Songs hervor und erhöhen die Dynamik.“ Nimmt man all das Gesagte zusammen, repräsentiert das selbstbetitelte Album des US-Quintetts sowohl eine neue Identität als auch nochmals gewachsene musikalische Güte: „Das kann man mit Fug und Recht sagen“, unterstreicht der Frontmann abschließend. „Es fühlt sich gut an, von dem Vorurteil befreit zu sein, dass wir nur einen bestimmten Musikstil spielen können. Es war eine sehr willkommene Herausforderung und hat mir geholfen, mich als Sänger, als Frontmann und als Musiker weiterzuentwickeln. FOR THE FALLEN DREAMS sind hier, um zu bleiben.“ Die Band erfindet sich auf ihrem neuen Album ein gutes Stück weit neu, baut aber gleichzeitig viele Brücken zu ihren früheren Veröffentlichungen, um ihre bestehenden Fans mitzunehmen und neue Hörer:innen an sich zu binden.
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