Als Tourbooker und Bandbegleiter hat man nach über 15 Jahren mit veganer Ernährung sicher einiges zu erzählen, haben wir uns gedacht. Wenn ihr also etwas über die Abgründe von veganem Bandcatering, Pioniergeist und veganem Spaß im Supermarkt erfahren wollt, solltet ihr hier weiterlesen. Marc von der Berliner Booking-Agentur M.A.D. erzählt von seinem Verhältnis zu Fleisch.
Marc, du bist seit 15 Jahren Veganer und hast davor auch schon jahrelang vegetarisch gelebt. Wie bist du zur dieser Philosophie gekommen?
Das war eine Folge von komplexen Wirkungsgefügen sozialer und politischer Prozesse. Oder kurz gefühlt - Punk! Ich habe '78 angefangen mit Punk, darüber bin ich in den frühen 80ern zum Vegetarismus gestoßen und habe dann circa 1988 den Schritt zum Veganer vollzogen. Das war aber auch nur eine normale Weiterentwicklung meiner ganzen "Anti"-Haltung gegen Konsum, Staat und System! Dass der vegane Lebensstil für meine Gesundheit wichtig ist, wurde mir aber erst später bewusst. Es ging primär immer darum, alle Formen der Ausbeutung von Lebewesen und Grausamkeit gegen Tiere für Nahrung, Kleidung oder jeden anderen Zweck auszuschließen.
Wie reagiert deine Umwelt darauf?
Damals, na ja, mit völligem Unverständnis und Ungläubigkeit - auch seitens einiger der Bands, die heute für ihre Tierrechtshaltung bekannt sind, gerade auch aus den USA, wo wir einen starken Einfluss ausübten, wie wir später erfahren haben. Mit "uns" meine ich M.A.D.!
Wie wichtig ist es für dich, diesen Gedanken nach außen zu tragen?
Kann ich nicht wirklich sagen. Ich mache das nicht, um Aufmerksamkeit zu bekommen oder aufzufallen. Aber ich will dafür werben, speziell die Sinne zu schärfen und den Geist mehr zu fordern, als nur mit einem oberflächlichen Blick auf einen Aspekt des Konsums. Unser Kopf kann mehr. Für mich ist das nicht eine Phase von ein paar Jahren voller Sturm und Drang, sondern bis der Enthusiasmus verkürzter Radikalität der Aufgabe jeglichen Idealismus' wieder weicht.
Du hast ja Kontakt zu jeder Menge Leuten, Bands. Bist du eine Art Vorbild für den Nachwuchs? Kann und will man das sein?
Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht, ich fühle mich nicht als Vorbild. Ich dachte eigentlich immer, ich bin ein Anti-Held. Ich will nur frei sein und die Fähigkeit haben, von dieser bürgerlichen Gesellschaft mit dem konkurrenzorientierten, dominanten Leistungsdruck nicht abhängig oder daran beteiligt zu sein.
Wie schwierig ist es, als Veganer auf Tour zu sein, sich gesund zu ernähren?
Damals: ohne Worte ... trockenes Brot und Wasser, und damit übertreibe ich nicht! Ich kann mich an Sätze erinnern wie: "Ohne Käse kostet es 1,- DM mehr." Oder als ich einem Koch im AJZ einmal mitteilte, dass ich Veganer bin und das bitte zu berücksichtigen sei, ich die Antwort erhielt: "Ist egal, wo du her kommst, wir sind alle gleich!" Das kann sich heutzutage keiner mehr vorstellen. Wir waren ja auch mit dafür verantwortlich, dass sich das geändert hat und heute Vegetarismus zum guten Ton gehört und Veganismus zur Selbstverständlichkeit machte, na ja das Wissen, was das zumindest ist!
Jedes Jahr sterben laut PETA allein in Deutschland 500 Millionen Tiere für die Fleischproduktion. Der ganz normale Wahnsinn?
Erzogen zum Weggucken und Nicht-Hinterfragen sind die primären Fähigkeiten dieser Gesellschaft! Diese Dominanzgesellschaft hat keinen Platz für Herz und Liebe, keine Ecken, keine Hintertürchen, und so lange Menschen denken, Tiere können nicht fühlen, müssen die Tiere fühlen, dass die Menschen nicht denken.
Fleisch spielt im Leben vieler eine wichtige Rolle. Zum Beispiel ist "Mann und Fleisch" ja auch so ein Mythos. Eine Theorie ist, dass das etwas mit Macht über ein anderes Leben, dem Entscheiden über Leben und Tod zu tun hat. Wie ist deine Meinung dazu?
Das ist mir zu einfach und nicht genug hinterfragt. Ich mag diese Beispiele auch überhaupt nicht. Mann - Fleisch - Mythos. Da fängt es schon an mit Vorurteilen und Ausgrenzungen, die ich mir nicht zu eigen machen möchte. Es ist eine Frage der Erziehung, der Handlungs- und Denkfaulheit eines jeden Einzelnen, ein Teil dieser Konsumgesellschaft zu sein oder nicht! Das hat nix zu tun mit Frau oder Mann, groß oder klein.
Wo ist für dich der Zusammenhang zwischen Punk/Hardcore und Veganismus?
Eigentlich gibt es da keinen Zusammenhang, aber für mich ist das eine untrennbar von dem anderen. Das ist aber meine Philosophie und nur meine, allerdings sehe ich das mit dem Punk genauso.
Was macht eine vegane Lebensweise aus?
Gerecht zu sein, mitfühlend zu sein, das Leben zu lieben, einfach keine Tiere auszubeuten. Und das ist heutzutage wirklich nicht mehr schwer. Es ist eine Bereicherung! Man "darf" zwar bestimmte Dinge nicht essen, genauer gesagt: Man will bestimmte Dinge nicht essen. Man bekommt eine ganz andere, eine bessere Beziehung zu seinen Nahrungsmitteln. Vielleicht, weil man sich als Veganer endlich Gedanken über sein Essen machen kann. Jede/n Veganer/in, den ich kenne, hat viel mehr neue Zutaten und Rezepte kennen gelernt, als er weglässt - und das, ohne auf tote oder gequälte Tiere zu stoßen! Also essen ohne schlechtes Gewissen.
Fütterst du deinen Hund auch vegan/vegetarisch?
Ich halte keine Tiere, sondern hatte nur von Organisationen Tiere als Durchgangsstation aufgenommen, um neue Familien zu finden. Da wollte ich nicht noch in dieser komplizierten kurzen Phase dieser Lebewesen in ihre Entwicklung und Ernährung zwangsweise eingreifen. Nichtsdestotrotz liebten sie Tofu oder Soja!
Wie und wo siehst du deine Verantwortung, wenn du einkaufen gehst?
Ich lehne diese MacBillig-Massenkultur ab, diese Ausbeutung und Unterdrückung von Mensch oder Tieren. Wer glaubt, es wäre umsonst, überhaupt im Alltag zu konsumieren, zeigt Realitätsfremdheit und ist einfach nur Teil dieser kapitalistischen Ausbeutungsform. Jede Konsumentscheidung hat Wirkungen. Jeder Blick auf die Wirkungen des eigenen Handelns fördert interessantes Wissen zutage, für den, der es hinterfragt. Wer nicht hinguckt, hinterlässt trotzdem eine weit verzweigte Spur auf dem Planeten. Der Mensch hat die Freiheit zu entscheiden, viel oder wenig davon mitzubekommen - und zu beeinflussen. Ich habe mich entschieden, diese Freiheit zu nutzen.
Hängt in deinen Augen Veganismus automatisch mit Tierschutz zusammen?
Vegan zu leben bringt Verzicht mit sich. Freiwilligen Verzicht. Tierschutz - dieser Begriff ist zu generell. Eigentlich müsste man das voraussetzen, aber was jeder unter Tierschutz versteht, ist der Definition und den Handlungsmöglichkeiten eines jeden einzelnen zu überlassen.
Wie hast du das für dich ernährungstechnisch hingekriegt? Bücher gewälzt? Eine Ernährungsberaterin besucht? Oder einfach drauf los? Vegane Ernährung besteht ja nicht nur daraus, Fleisch und Milchprodukte wegzulassen ...
Einfach drauf los. Ich habe nicht mal drüber nachgedacht, was der erweiterte Verzicht bedeuten könnte. Vielleicht klingt das oberflächlich betrachtet nach großen Einschränkungen und nach kompliziertem Leben. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass die Umstellung einfach ist. Man muss sein ganzes Konsumverhalten hinterfragen, man muss jedes einzelne Produkt, das man kaufen möchte, aus dem Regal nehmen, die Zutatenliste lesen, eine Alternative suchen, wieder aus dem Regal nehmen und wieder die Zutaten durchlesen. Aber irgendwann hat man dann auch seine veganen Produkte. Und da muss man dann ja genauso wenig Zutaten lesen oder Alternativen suchen, wie man das früher gemacht hat. Und dann ändern sie die Rezeptur ...
Welchen Rat kannst du jemandem geben, der sich vegetarisch oder vegan ernähren möchte, aber nicht so recht weiß, wie er oder sie es angehen soll?
Keine Angst haben. Heutzutage gibt es doch zahllose Internetshops und Bioläden, wo man alle Produkte, die man sich vorstellen und nicht vorstellen kann, bekommt. Es gibt fleischlose Bratwürstchen und Steaks, veganen Käse und Eiersatz, Eis und tolle Brotaufstriche. Und bei Obst und Gemüse hat man das ganze Jahr über eine riesige Auswahl. Der Verzicht ist aus einem ganz einfachen Grund nicht schwer. Wenn man sich nämlich anschaut - und es verinnerlicht -, wie tierische Produkte hergestellt werden, und wie dafür die Tiere leiden, dann wird man zwangsläufig bei Käse nicht an Fondue oder eine Käseplatte denken, sondern an die Mutterkuh mit dem entzündeten Euter und an das Kälbchen, das geschlachtet wurde. Die Produktion tierischer Nahrungsmittel gibt nahezu unendlich viel Stoff. Und dabei ist es egal, ob wir uns über Eier, Fleisch oder Milch unterhalten.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #70 Februar/März 2007 und