FLAMING SIDEBURNS

Foto© by Aki Roukala

In der Bedeutungslosigkeit versunken

Als Mitte bis Ende der Neunziger die erste große Skandinavienrock-Welle über die Welt rollte, surften THE FLAMING SIDEBURNS aus Finnland nur ganz knapp hinter den Platzhirschen GLUECIFER, TURBONEGRO oder THE HELLACOPTERS. Mit letzteren teilten sie sich das empfehlenswerte Mini-Album „White Trash Soul“. Zwischen 1997 und 2007 veröffentlichten sie vier Studioalben und unzählige Singles, die die Band als tief im Garagesound verwurzelt präsentieren, aber immer auch einen souligen Touch haben. Nach 2007 wurde es ziemlich still um die Band, was auch an einigen Besetzungswechseln lag. Mit „Silver Flames“ erscheint nun nach 14 Jahren überraschend ein neues Studioalbum. Jay Burnside (dr), Eduardo Martinez (voc) und Arimatti Jutila (gt) beantworteten uns dazu ein paar Fragen.

A song for Robert“ ist HELLACOPTERS-Gitarrist Robert „Strings“ Dahlqvist gewidmet, der 2017 leider viel zu früh verstorben ist. Wie war eure Beziehung zu ihm?

Jay: Robert war ein Sonnenstrahl, einer dieser Menschen, die den ganzen Raum mit ihrem puren Enthusiasmus ausfüllen. Ich wünschte, wir hätten diesen Song nie schreiben müssen und er wäre noch bei uns, aber das Leben ist, wie es ist. Wir haben einen lieben Freund verloren, mit dem wir seit fast zwei Jahrzehnten in Kontakt waren.

Hat er bei einigen eurer früheren Aufnahmen mitgewirkt?
Jay: Er war auf dem „Sky Pilots“-Album und hat die Leadgitarre bei einem Song namens „Submarine sensation“ gespielt. Die HELLACOPTERS waren zufällig in Helsinki, während wir aufnahmen, und wir holten sie ins Studio. Wenn ich mich recht erinnere, brauchte er nur einen Take, um die Leads einzuspielen. Ja, so talentiert war er!

Habt ihr ihn zum ersten Mal während der „White Trash Soul“-Sessions getroffen?
Jay: Das war weit davor. Seltsamerweise habe ich eine sehr lebhafte Erinnerung an die erste Begegnung. Ausgerechnet in Bellingham, Washington spielten wir 1999 zusammen und er kam im Backstagebereich vorbei. Ich erinnere mich, dass ich etwas Dummes sagte wie „Du bist also der Neue in der Band“, haha! Es war seine erste Tour mit den HELLACOPTERS.
Eduardo: Ich erinnere mich, dass er und Schlagzeuger Robert zum Hultsfred Festival kamen, um sich uns und THEE ULTRA BIMBOS anzuschauen, so ungefähr ein Jahr später. Wir haben zusammen abgehangen, getrunken und geredet. Wir lernten ihn zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich gut kennen. Abgesehen davon, dass er ein sehr talentierter Performer auf der Bühne war, war er auch abseits davon ein Schatz.

Übrigens, wer hatte die ursprüngliche Idee zu der gemeinsamen Platte?
Eduardo: Ich weiß nicht, wer aus dem HELLACOPTERS-Lager die Idee dazu hatte, aber Kenny war der erste, der sie umsetzte. „Die Flammen schlagen immer höher“, begann er zu sagen. Das passierte 1998, kurz nachdem die HELLACOPTERS und Wayne Kramer im Troubadour von der Bühne kamen. Ich bekam einen billigen Flug nach L.A., als ich gerade meine Schwester in Arizona besuchte, so dass ich das Glück hatte, den letzten Abend ihrer zweiten US-Tour zu erwischen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Karriere der HELLACOPTERS im Höhenflug, aber sie hielten ihr Versprechen und wir brachten die Platte schließlich heraus. Das waren wirklich gute und besondere Zeiten. Ich denke, wir schulden ihnen immer noch eine Menge, wegen ihrer Freundschaft und Aufrichtigkeit uns gegenüber.

Eure Version des THE HELLACOPTERS-Songs „Psyched out and furious“ ist ein Killer, weil sie so ganz anders ist als das Original. Erinnert ihr euch daran, was sie damals über eure Version gesagt haben?
Eduardo: Ich habe hervorragendes Feedback von Nicke bekommen. Er war der Erste, der mir sagte, dass er die Idee, Spanisch mit Englisch zu mischen, wirklich mag. Das hat mich erst dazu gebracht, an meine Grenzen zu gehen, denn bis dahin hatte ich das noch nicht ausprobiert. Dregen hat auch öffentlich erwähnt, dass er unsere Version liebt. Lustigerweise haben sowohl die HELLACOPTERS als auch wir schnellere Versionen der jeweils anderen Songs gemacht.

Warum habt ihr die lange Pause eingelegt? War sie geplant oder ist sie einfach passiert?
Jay: Wir hatten nie wirklich eine Pause und haben uns auch nie getrennt. Wir sind einfach in der Bedeutungslosigkeit versunken und haben nichts Neues mehr veröffentlicht. Wir haben hier und da ein paar Shows gespielt und ab und zu eine Tour in Spanien oder so. Damals gab es eine Periode von, sagen wir, zehn bis fünfzehn Jahren, in der kein Tag verging, an dem ich nicht an die Band dachte, aber es gibt auch noch andere Dinge im Leben und die haben schließlich die Oberhand gewonnen. Wir haben einen Haufen anständiger Kinder großgezogen, also waren wir nicht völlig nutzlos!

Arimatti Jutila ist zurück in der Band. Lebt er wieder in Finnland?
Jay: Er ist schon eine ganze Weile zurück in Helsinki und ich bin aus London geflohen, kurz bevor der Brexit Realität wurde, also leben wir ausnahmsweise alle wieder in der gleichen Stadt. Oft geht es nur um das Timing, darum, dass die Sterne in einer Reihe stehen. Vor drei Jahren waren wir alle bereit, die ursprüngliche Band wieder zu vereinen, und es gab uns einen ziemlichen Schub. Bestimmte Mitglieder haben bestimmte Funktionen in der Band, und ich denke, ein Lücke wurde durch Arimattis Rückkehr gefüllt.
Arimatti: Ich wurde vor drei Jahren zuerst von Eduardo angesprochen, als er mich bat, für eine Tour in Spanien einzusteigen. Ich wollte wieder zur Band gehören, weil ich neue Musik machen wollte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Band ihr bestes Album noch nicht gemacht hatte, dass das Beste in musikalischer Hinsicht möglicherweise noch bevorstand.

Gibt es Pläne, auf Tour zu gehen, wenn diese Pandemie hoffentlich eines Tages vorbei ist?
Arimatti: Um es ganz offen zu sagen, THE FLAMING SIDEBURNS ohne Live-Shows sind eine lahme Ente. Sicherlich können wir auch sehr gute Aufnahmen machen, aber bei Live-Konzerten sind wir am absolut besten. Es ist vielleicht noch zu früh, um konkrete Tourpläne zu machen, aber ja, natürlich hoffe ich, dass wir wieder auf Tour gehen können.
Jay: Verdammt ja. Das Jahr 2020 war das frustrierendste überhaupt, das erste Jahr, in dem ich kein Konzert gespielt habe, seit ich zum ersten Mal Schlagzeugsticks in der Hand hatte. Jede Show wurde abgesagt oder verschoben und es sollte doch unser großes 25-jähriges Jubiläum werden. Ich sehne mich danach, wieder auf Tour zu gehen. Das Verrückteste ist, dass wir seit über einem Jahrzehnt nicht mehr in Deutschland gespielt haben, und es war eines der Länder, in denen wir früher am meisten getourt sind. Ich weiß mit Sicherheit, dass wir weit über hundert Shows dort gespielt haben, und ich kenne jede einzelne Tankstelle in Deutschland. Wir müssen so bald wie möglich wiederkommen, ich vermisse diese Tankstellen!

Sind die Songs auf dem Album neu oder wurden sie schon vor der langen Pause geschrieben?
Arimatti: Sie sind fast alle in den letzten drei Jahren entstanden. Die neuen Songs kamen zum Vorschein, sobald wir wieder zusammenkamen. Die erste neue 7“, „Soulshaking“, haben wir während der Spanientour vor drei Jahren geschrieben.
Eduardo: Die ursprüngliche Idee für „Trance-Noché“ geht bis 2002 zurück, aber hat sich über die Jahre weiterentwickelt. Erst als Arimatti wieder ins Spiel kam, nahm das eigentliche Arrangement Gestalt an. Das Gleiche passierte mit ein paar anderen Songs, an denen Jukka und ich gearbeitet hatten.
Jay: Weißt du, wie sich eine Flasche Ketchup verhält? Man schüttelt sie immer wieder, aber nichts passiert, bis alles auf einen Schlag herauskommt. So war es beim neuen Album. Die Songs strömten nur so aus uns heraus. Am Ende geht es wieder um die Bandchemie, schließlich haben wir mit „Hallelujah Rock’n’Rollah“ da weitergemacht, wo dieses Line-up aufgehört hat. Das Ergebnis ist anders, aber der Drang war derselbe.

Wurde das Album vor oder während des Lockdowns aufgenommen?
Jay: Wir haben mit den Aufnahmen vorher begonnen, aber die Platte wurde während des Lockdowns fertiggestellt. Das brachte ein neues Problem mit sich: Warum ein Album veröffentlichen, wenn es keine Möglichkeit gibt, damit zu touren? Letztendlich wurde der Release um etwa sechs Monate verschoben und wir hoffen, dass wir bald danach auf Tour gehen können. Mal sehen, wie sich das entwickelt ...

Ihr habt wieder mit Jürgen Hendlmeier zusammengearbeitet. Wie und warum seid ihr überhaupt mit ihm in Kontakt gekommen?
Jay: Jürgen, unsere Geheimwaffe aus dem Schwarzwald! Unsere allererste Aufnahmesession fand in Berlin statt und Jürgen war schon damals am Ruder. Ein paar von uns waren mit Bands wie JACK MEATBEAT und ISABEL’S PAIN in Deutschland auf Tour gewesen und so lernten wir Jürgen kennen. Irgendwann fing er an, mit uns zu arbeiten, lernte ein finnisches Mädchen kennen und lebte schließlich auf einer Insel in Nordfinnland. Jetzt ist er der Braumeister der besten Brauerei in Finnland, wenn nicht sogar in ganz Europa oder der Welt, um genau zu sein. Sie haben sogar ein FLAMING SIDEBURNS-Bier im Angebot. Habe ich schon erwähnt, wie lecker es ist? Wenn es darum geht, Dinge zu mischen, sei es Rock’n’Roll oder Bier, ist Jürgen ziemlich gut. Wir waren sehr glücklich, ihn für dieses Album wieder an Bord zu haben.
Arimatti: Wir haben die Originalbesetzung zusammen, also war es naheliegend, auch den Originalproduzenten zu haben. Jürgen kennt uns fünf wahrscheinlich besser als jeder andere, und er weiß auch, wie er das Beste aus uns herausholen kann. Jürgens Dogma für das Album war es, uns so einzufangen, wie wir im Proberaum klingen. Den Sound der Band zu dokumentieren. Keine Overdubs, kein Bullshit.

Wo habt ihr das Album aufgenommen?
Jay: In unserer derzeitigen Heimat, in einer versteckten Industriebrache im Osten Helsinkis. Dann wurde es in Hailuoto fertiggestellt, was so viel wie Shark Rock bedeutet, wo Jürgen jetzt wohnt.

Das Album ist auf Svart Records erschienen, einem Label, das sich anfangs auf Doom Metal konzentriert hat.
Jay: Aber sie haben auch eine Menge anderes Zeug. Sie haben zum Beispiel gerade die beste SONIC’S RENDEZVOUS BAND-Compilation aller Zeiten veröffentlicht. Mit MC5 oder den STOOGES unter demselben Banner zu stehen, kann doch nicht so schlecht sein, oder? Für mich ist Svart ein Qualitätslabel, sie investieren ihr Herzblut und vollen Einsatz in alles, was sie tun. Wir haben auch schon die andere Seite der Medaille gesehen, als wir Sachen für die Majorlabels lizenziert haben. Mitarbeiter:innen, die uns mochten, galten schon in der nächsten Woche als verschollen.

Fast alle eure Alben sind auf anderen Labels erschienen. Warum wechselt ihr die so oft?
Jay: Weil wir schon immer unabhängig waren. Wir haben die Platten in Eigenregie gemacht und erst danach haben wir sie an das Label gegeben, das zu dem Zeitpunkt die beste Option schien. Nicht unbedingt der ideale Geschäftsplan, aber zumindest gehören uns jetzt die Rechte an den meisten unserer Platten und wir hatten immer das letzte Wort, komme, was wolle.

Warum hat es fast 14 Jahre gedauert, ein neues Album aufzunehmen/zu veröffentlichen?
Eduardo: Mit den vorherigen Besetzungen waren wir nicht in der Lage, das zu toppen, was wir zuvor mit Arimatti gemacht hatten. Jetzt, da er zurück ist, können wir wieder versuchen, dieses Ziel zu erreichen.
Jay: Um ehrlich zu sein, gab es eine Periode, in der wir total unorganisiert waren, niemand hat uns gepusht, und wir hatten ein paar wirklich ernste andere Sachen zu erledigen. Dann hat jemand behauptet, dass die Ära des Rock’n’Roll vorbei ist, also waren wir gezwungen, aus unseren Höhlen zu kommen, um ihnen das Gegenteil zu beweisen!

Da ihr jetzt ein bisschen älter seid, habt ihr alle noch genug Zeit, euch so sehr eurer Musik zu widmen, wie ihr es vor zwanzig Jahren konntet?
Eduardo: Auf jeden Fall. Es ist jetzt alles ganz anders, aber ich übe heute viel mehr als vor, sagen wir, zwanzig Jahren. Auch wenn wir damals jede Woche geprobt haben, haben wir die Hälfte der Zeit an der Bar verbracht.
Jay: Als ich 15 war, war es keine Frage, wo ich nach der Schule hingehen würde. Die Bandproben waren die einzige Option. Als wir anfingen, mit den Sideburns zu touren und aufzunehmen, war das schon anders. Da war es nicht mehr nötig, jeden Abend zu proben. Also ja, sicher ist es jetzt, Jahrzehnte später, wieder ganz anders. Wir haben nicht ewig Zeit, also wenn wir zusammen spielen, können wir genauso gut alles geben, was wir haben.
Arimatti: Ich denke, es ist nicht wirklich die Frage, ob man die Zeit hat. Es geht darum, den Geist und die Inspiration zu haben, und einen klaren Fokus auf das, was man wirklich tun will. Wenn diese drei Dinge stimmen, regelt sich alles andere irgendwie von selbst. Wenn nicht, wird alle Zeit der Welt nicht ausreichen, etwas zu liefern.