Ich wünschte, die wären meine Nachbarn. FIYA haben vor wenigen Monaten ihr zweites Album „Better Days“ veröffentlicht und waren kurz darauf zum ersten Mal in unseren Gefilden zu Gast. Die LP ist ein großartiges 16-Minuten-Brett, das aufrichtiger, ehrlicher und wundervoller nicht sein könnte. Du hörst die Platte, musst lächeln und denkst: Schön, nicht alleine zu sein. Ich hatte das Vergnügen, die vier Jungs kennen zu lernen, da ich mit KURHAUS unterwegs war und die beiden Bands fünf Shows zusammen spielten. FIYA will man echt nur brutal durchknuddeln! Wegen solchen Bands ist „Emo“ noch nicht vollkommen zum Witz geworden, auch wenn sie eigentlich eh eine Punkband sind. Äh, Punk? Findest du unter „P“ ... Nach der Tour mailte ich ein paar Fragen rüber, beantwortet wurden sie von Drummer Ryan, sowie Patrick und Dru, die beide Gitarre spielen und singen. Bassist Joey war gerade nicht in der Stadt. Go!
Wie war die Europatour?
Patrick: „Sie war großartig! Schon vor der Tour haben uns einige Bands erzählt, dass sie total überrascht und glücklich darüber waren, wie gut sie in Europa behandelt wurden und alles organisiert war. Genau das war auch unser Eindruck. Unser Dank geht an alle, die uns geholfen haben, besonders an Ingo von The Company With The Golden Arm und an Jan von Yoyo Records.“
Dru: „Ja, durch die Staaten zu touren ist definitiv sehr spaßig, aber wenn man sich immer nur mit Amerika und der amerikanischen Punkszene befasst hat, ist es sehr erfrischend und inspirierend, eine neue Perspektive kennen zu lernen. Die Tour in Europa hat in meinem Kopf die Idee einer Hardcore Punk Community wieder zu neuem Leben entfacht. Hardcore und Punk als Ethos, oder auch einfach etwas, an das es sich zu glauben lohnt, war für mich immer eine wichtige Sichtweise.“
Ihr kommt aus Gainesville, bekannt für AGAINST ME!, HOT WATER MUSIC und Co., wie auch Sitz eures Labels No Idea Records. Wie ist es, dort zu leben? Ist es wirklich ein „Punk-Mekka“? Und wie steht es um „The Ark“?
Ryan: „Ich war schon in den meisten Städten in den USA, die als ‚Punk-Mekka‘ bezeichnet werden, und denke, dass Menschen, die nach Gainesville kommen und erwarten, dass die Straßen hier mit AGAINST ME!-Testpressungen gepflastert sind, recht enttäuscht sind. Viele sind überrascht, wie klein diese Stadt ist, wobei man schon sagen kann, dass überproportional viele Punks hier leben und es viele coole Läden gibt. ‚The Ark‘ ist ein riesiges Lagerhaus im Nordosten Gainesvilles, welches seit sieben Jahren existiert und in dem zwischen fünf und sieben Menschen leben. Ich lebe dort seit drei Jahren. In dem Haus veranstalten wir die größeren D.I.Y.-Konzerte in Gainesville und haben darüber hinaus noch andere Projekte am Start, wie beispielsweise ‚Books To Prisoners‘. Im Moment arbeiten wir hier an ein paar neuen Sachen, um das Haus hoffentlich zu einem etwas lebendigeren, kreativeren Raum zu machen, der nicht so punk-spezifisch ist.“
Dru: „Ich liebe es, in Gainesville zu leben. Es kommen ständig neue Leute in die Stadt, weil sie eine große Uni hat, und durch die damit verbundene Energie hat die Stadt ein großes Potenzial. Neue Projekte schießen ständig aus dem Boden. Allerdings ist es auch ein bisschen wie ein Fluch, sich in einem so beweglichen, wie auch schnell vergänglichen Raum zu bewegen, da es einem manchmal so vorkommt, als ob viele Leute nur kurz vorbeirauschen, anstatt eine bleibende Szene mit aufbauen zu wollen. Natürlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel, zum Beispiel haben sich ein paar Punks, die ich kenne, vor einiger Zeit Häuser und Gründstücke gekauft, was sehr schön zu sehen ist.“
„Better Days“ ist „dedicated to little babies“. Ich hab schon von Bands gehört, die ihre Platten Motorrädern oder Bier widmen, aber Babys? Wie passt das mit dem guten alten „No future“-Gedanken des Punk zusammen?
Patrick: „Das Album befasst sich damit, einfach nicht zu wissen, was wir tun sollen. Wir sind alle umgeben von dieser Brühe aus Hass, Gewalt, Angst und Traurigkeit. Es ist auf dieser Welt sehr schwierig, herauszufinden, was überhaupt gut und schützenswert ist. Dann sind da auch noch deine Familie und Freunde, welche auch Unterstützung brauchen, denn alle sind verängstigt und besorgt. Was sollen wir den ganzen Babys sagen, die geboren werden? Ich denke, dass wir alle mit unseren Familien und Freunden zu der Übereinkunft gekommen sind, dass wir auf einander aufpassen werden, uns ermutigen und für einander am Leben bleiben. Wir werden nicht aufgeben und dabei kommt es noch nicht mal darauf an, ob wir voll und ganz verstehen, warum.“
Dru: „Diese Widmung ist einer der Gründe, warum ich FIYA so liebe. Die Hoffnung, etwas zu erschaffen, an das es sich lohnt, zu glauben, und was es gilt aufrechtzuerhalten, nicht nur im hier und jetzt und nicht nur für Punks.“
Patrick und Ryan, wie ist es für euch, mit eurem Zwillingsbruder in einer Band zu spielen? Ist es anders, als mit anderen Leuten Musik zu machen?
Patrick: „Es ist auf jeden Fall anders. Seit unserer Kindheit spielen wir schon zusammen Musik. Ryan kennt und versteht mich besser, als irgendjemand sonst. Ich weiß, wie hart es sein kann, in diese Wellenlänge unter Brüdern zu stolpern und sich außen vor zu fühlen, da ich in anderen Bands auch mit Leuten zusammengespielt habe, die Geschwister sind.“
Dru: „Es gibt auf jeden Fall eine unausgesprochene Verbindung zwischen Geschwistern, die, sprechen wir über FIYA, mich und Joey oft im Dunkeln stehen lässt. Manchmal, wenn Patrick und Ryan sich anschreien, nicht aus Wut, sondern in der Art und Weise, in der nur Geschwister streiten, dann kann es schon etwas ungemütlich werden. Das sind witzige Situationen, in denen Joey und ich uns nur angucken ...“
Oft drehen sich eure Texte um das „Erwachsenwerden“. War es schwer für euch, die Kindheit hinter sich zu lassen und damit einen großen Teil Unbekümmertheit zu verlieren? Würdet ihr euch selbst als „kids“ bezeichnen?
Patrick: „Ich denke, jede/r hat ein paar Probleme mit dem Erwachsenwerden. Nein, ich denke absolut nicht, dass wir uns selbst als ‚kids‘ bezeichnen würden. Dieses Wort fasst für mich einige der unbefriedigendsten Elemente der Punk-Kultur zusammen.“
Dru: „Für mich ist der Begriff ‚kids‘ nicht notwendigerweise negativ belastet. Er klingt nach Spontaneität, Energie und Vitalität, was meiner Meinung nach wichtige Eigenschaften sind. Es ist aber genauso wichtig, zu realisieren, dass wir Punks, die einem – meistens – weißen Mittelklasse-Umfeld entstammen, auch Verantwortung tragen. Das ist, wovon Patrick sprach.“
Ryan: „Auch wenn ich das Wort ‚kids‘ ab und zu selbst gebrauche, nervt es mich jedes Mal gewaltig, wenn ich mich dabei erwische. In den letzten Jahren hat es mich mehr und mehr angekotzt, den Teil in der Punk-Idee zu betrachten, in dem es darum geht, ‚für immer jung‘ zu sein. Diese bizarre ‚Bloß nicht älter werden‘-Einstellung, gerade bei einigen, ähem, ‚positiven Kids‘, ist so verdammt beleidigend gegenüber Menschen, die wirkliche Probleme haben. Lass es mich so ausdrücken: Ich hatte Krebs. Mein Vater hat Multiple Sklerose. Somit hört es sich für mich nach Scheißdreck an, wenn ein weißer, 20-jähriger Punk mir erzählen will, wir sollten für immer so leben wie jetzt. Für immer so leben? Das heißt unfähig bleiben, mit Problemen umgehen zu können, wenn sie auftreten? Soll ich fröhlich Krebs-Medizin in den Müll schmeißen? Vergiss es.“
LEATHERFACE, I SPY ... Was sind die Einflüsse von FIYA, musikalisch und nicht-musikalisch?
Patrick: „Diese beiden Bands waren definitiv ein Einfluss für uns. Schön, dass du sie erwähnst, da wir oft genug mit Bands verglichen werden, die ich nicht mag. Ich persönlich stehe auf eine Menge alten Kram. Blues, oder auch Soul. Außerdem auf MOUNTAIN GOATS, (YOUNG) PIONEERS, Ted Leo und einige andere. Nicht-musikalisch beeinflussen mich hauptsächlich verschiedene Autoren und meine Freunde.“
Dru: „Ich finde es auf jeden Fall super, wenn wir mit guten Bands verglichen werden, aber wenn es um Einflüsse geht, ist das Feld wirklich weit. Das geht von Lee Perry über BLIND GUARDIAN und von James Brown bis zu DINOSAUR JR. oder BAD BRAINS. Man kann nicht wirklich eine deutliche Verbindung zwischen diesen Bands und unserer Musik erkennen, aber wenn wir Sachen für FIYA schreiben, schwirren Songs von ihnen in meinem Kopf rum. Es ist total wichtig, sich möglichst vieles anzuhören und sich inspirieren zu lassen, auch aus Quellen, die vielleicht im ersten Moment keinen Sinn machen. Ansonsten dürfte die Musik bald altbacken klingen.“
Ist FIYA eine D.I.Y.-Band? Das Artwork für eure beiden Alben hat ja Dru gemacht, aber könntet ihr euch zum Beispiel vorstellen, den visuellen Aspekt einer fremden Person zu überlassen?
Patrick: „Dru ist Grafikdesigner, somit lag das mit dem Artwork auf der Hand. Ich könnte mir nicht vorstellen, eine fremde Person so etwas machen zu lassen und bis jetzt haben immer Freunde geholfen. Es ist einfach toll, wenn sie so an der Band teilhaben und uns ihre Talente leihen. Hm, ich glaube schon, dass wir eine D.I.Y.-Band sind. Unser Label No Idea Records ist definitiv eine professionelle Plattenfirma, aber unsere Beziehung zu den Leuten da ist auch nicht anders als zu allen Leuten, mit denen wir bisher gearbeitet haben.“[/b]
Ryan: „Das ist eine sehr gute Frage, ob wir eine D.I.Y.-Band sind oder nicht. Diese Phrase wird ja so oft gedroschen und hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung verloren. Grundsätzlich buchen wir unsere Konzerte, machen die Flyer, wenn wir in Gainesville spielen, treffen die Entscheidungen bezüglich Touren und Platten und so weiter. Macht es uns weniger D.I.Y., dass jemand anderes unsere Alben veröffentlicht, oder wir dieses Jahr unsere T-Shirts nicht selbst gedruckt haben? Keine Ahnung. Es ist mir halt wichtig, nur mit Menschen zusammen zu arbeiten, mit denen wir absolut glücklich sind.“
Welches Lied soll auf euren Beerdigungen gespielt werden und warum?
Patrick: „Da fallen mir spontan David Grubbs’ ‚Seagull and eagull‘ oder Mississippi John Hurts ‚Let the mermaids flirt with me‘ ein. Der David Grubbs-Song, weil er wahrscheinlich mein All-time-Lieblingslied ist und der von Mississippi John Hurt wegen des Textes: ‚When my earthly trials are over, cast my body out in the sea. Save all the undertaker bills, let the mermaids flirt with me.‘“
Ryan: „Verdammt, wenn ich vor Patrick sterbe, nehme ich ‚Let the mermaids flirt with me‘! Sorry, brother. Falls nicht, würde ich irgendeinen Metal-Song wählen, in dem es über die Hölle geht, weil das ziemlich witzig wäre.“
Dru: „Interessante Frage. Ich glaube, da habe ich noch nie ernsthaft drüber nachgedacht. Jimi Hendrix’ ‚Castles made of sand‘ wäre wohl passend. Dieses Lied drückt für mich sehr gut die Traurigkeit aus, die von der Vergänglichkeit der Zeit ausgeht. Außerdem hat es ein fettes Gitarrensolo!“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #62 Oktober/November 2005 und Renke Ehmcke
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Renke Ehmcke
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #59 April/Mai 2005 und Kalle Stille
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #59 April/Mai 2005 und André Bohnensack