Seit 1993 haben die Wiener FETISH 69, die bereits seit Ende der 80er zu den österreichischen Pionieren in Sachen Industrial und Noiserock gehören, "nur" drei Longplayer und eine EP aufgenommen. Inzwischen ist es zwar eher eine Tugend als ein Makel, nicht jedes Jahr eine neue Platte aufzunehmen, dennoch hatte ich nach "Purge" (1996) irgendwie den Eindruck, dass man sich soundmäßig in eine Sackgasse manövriert und einen kreativen Endpunkt auf qualitativ hohem Niveau erreicht hatte, der nach Auflösung schrie. Nach drei Jahren gibt es in Form von "Geek" und nach einem erneuten Labelwechsel doch wieder ein Lebenszeichen dieser faszinierenden Band, die immer wesentlich mehr zu bieten hatte, als die ganzen Crossover-Nieten, die zeitweilig in der einschlägigen Presse penetrant abgefeiert wurden - ein Kontext, in den auch FETISH 69 leider nur zu oft gesteckt wurden. Obwohl die neue Platte in Österreich bereits seit April in den Läden steht, fanden die ersten Deutschland-Konzerte der Wiener statt, bevor die Platte hierzulande veröffentlicht worden war. Was zu einiger Irritation führte, denn wo bei alten Werken der knochentrockene harte Gitarrensound im Vordergrund stand, geht es diesmal verstärkt um ein Experimentieren mit skurrilen Samples und verschleppten Rhythmen, ein etwas überraschender, aber durchaus konsequenter Standortwechsel, wo doch momentan Bands wie TRICKY oder MASSIVE ATTACK auch den Mainstream mit extrem düsteren Sounds unterwandern. Wer der Band deswegen den berühmten Ausverkauf oder irgendwelche Trendkaspereien vorwirft, übersieht, dass "Geek" extrem scharfe Kanten und Ecken besitzt und genauso tiefe blutende Wunden wie "Anti Body" oder "Purge" hinterläßt. Hat man sich erst mal an die kleinen Veränderungen und Neuerungen gewöhnt, kann "Geek" ein richtig guter Freund werden, da das Album aufgrund seines Facettenreichtums und seiner wechselnden Klangfarben nur wenig Abnutzungserscheinungen zeigt. Ein Konzert in Salzburg, bei dem FETISH 69 auch live überzeugen konnten - dummerweise war nur die Anlage leicht überlastet, die bei den krachenden metallischen Beats ständig in die Knie ging -, gab mir die Gelegenheit, mich mit Sänger Christian Fetish bzw. Fuchs, dem kreativen Kopf der Band, über das neue Album zu unterhalten, dessen beherrschendes Themen natürlich wieder Isolation und Anderssein und deren extreme Auswüchse sind, diesmal aber verstärkt verpackt in ganz normale Alltagsgeschichten.
Ihr habt seit drei Jahren keine Platte mehr gemacht, was war der Grund dafür? Eine kreative Pause?
Das hat vor allem mit unseren bisherigen Labels zu tun, da haben wir sehr viele Odysseen durchlaufen, eigentlich mit jedem Album. Hoffentlich bleibt es jetzt mal stabil, denn momentan geht es uns sehr gut. Unser erstes Album "Anti Body" bei Nuclear Blast hat sich ziemlich gut verkauft, danach gab es dann das Angebot von einem Major-Label, eines, das wir sogar gemocht haben. Das war Interscope, die auch Bands wie HELMET oder COP SHOOT COP gemacht haben. Deswegen haben wir uns von Nuclear Blast gelöst. Die Verhandlungen haben uns fast ein Jahr gekostet, dann ist aus dem Deal doch nichts geworden, weil bei Interscope der A&R-Mann gewechselt hat. Danach sind wir bei Community gelandet, was auch recht gut gelaufen ist - bis zu einem bestimmten Punkt. Wir haben damals ein Demo mit unserem neuen Sound produziert, was sie zuerst mal nicht richtig einordnen konnten. Wir sind damit irgendwie zwischen alle Schubladen gefallen: zu düster für die Clubbing-Fraktion, zu wenig hart für die Leute, die uns vorher gehört haben. Genau das wollten wir aber! Dann sind wir noch mit Community gemeinsam mit den nicht völlig ausgearbeiteten Songs ins Studio in Weilheim spaziert, was auch super geklappt hat. Danach ist dann alles langsam im Sand verlaufen. Community hat einen Vertrag mit Virgin abgeschlossen und bei uns war wohl keine richtige Radio-Single drin, also eine Nummer, die irgendwie kommerziell auswertbar war. Dass die Abstände zwischen den Platten so lang waren, hat wirklich nichts mit unserer Faulheit zu tun, denn die Platten waren immer viel früher fertig. Die Sachen von der neuen Platte wurden bereits im Sommer ´97 aufgenommen und Anfang ´98 waren wir bei Mario Thaler im Studio in Weilheim. Im April ´98 hätte das Album herauskommen können. Jetzt erscheint es im Herbst ´99.
Mit "Geek" habt ihr jetzt eine Platte aufgenommen, die einen krassen Bruch zu euren alten Sachen darstellt. Was kannst du zu euren musikalischen Wurzeln und der Entwicklung der Band sagen?
Vor "Anti Body" gab es bereits recht viel, das ist aber nie über Österreich hinausgekommen. Es gab kurz davor noch eine Mini-LP, die hieß "Brute Force" und ist bei einem französischen Label erschienen. Der Bekanntheitsgrad der Band ist labelbedingt und durch viele andere Schwierigkeiten, die x andere Bands auch durchgemacht haben, immer auf und ab gegangen. Angefangen haben wir als sehr experimentelle Band mit selbst gebastelten Instrumenten, Tape-Loops und ein bisschen Gitarre. Am Anfang auf den Spuren von Bands wie PSYCHIC TV, THROBBING GRISTLE oder COIL. Dazu muß ich ergänzend sagen, dass es immer sehr viele Line-Up-Wechsel gegeben hat. Mit einer Ausnahme: der Percussionist ist seit ´95 derselbe. Wir sind halt bedingt durch den Wechsel in der Besetzung durch verschiedenste Mutationsphasen gegangen, immer stärker in Richtung Gitarrenband. An dem Punkt, wo viele andere Bands, die Anfang der 90er einen ähnlichen Sound gemacht haben, mehr in Richtung Elektronik tendiert sind, haben wir uns mehr in Richtung Rock orientiert. Wobei wir immer unser Ding durchgezogen haben, während über unsere Köpfe hinweg diese Wellen passiert sind. Ich erinnere mich noch, dass wir damals sehr viel mit Drumcomputer und Gitarren experimentiert haben, aber gar nicht wußten, wie man diese Mischung überhaupt einordnet. Dann sind Bands wie MINISTRY gekommen und mit dem Erfolg dieser Bands ist auch unser Erfolg gewachsen. Das ist immer weiter so gegangen, bis wir einen Punkt erreicht haben, wo uns Rockmusik nicht mehr interessiert hat. Die Vorlieben der Band waren schon lange woanders, aber wir haben uns auf einen harten, kontrollierten Gitarrensound verständigt. Nach dem Album "Purge" war dann der Punkt für uns erreicht, wo diese Vorlieben einfach einfließen mußten, egal ob es ein Label interessiert oder es jemand kauft. Das war eine Reaktion auf Bands, die immer wieder das gleiche Album gemacht haben. Heutige Bands gehen immer weniger Risiken ein, selbst solche, die es sich eigentlich leisten könnten, weil da inzwischen eine Maschinerie dahintersteht, die den Sound diktiert. Die andere Schwierigkeit bestand darin, diese Vorlieben nicht allzu offensichtlich einfließen zu lassen. Es hat uns auch nicht besonders gefallen, wenn Gitarrenbands plötzlich einen Drum & Bass-Beat unterlegt haben, das wirkt in der Regel irrsinnig krampfhaft. Wir waren aber immer Leute, die die unterschiedlichsten Sachen parallel gehört haben, wir waren nie nur Noiserock- oder Metal-Hörer. Bei dem neuen Album haben wir am stärksten eine Vision verfolgt, die aber auch immer noch in ganz verschiedene Richtungen ging. Die gegensätzlichen Pole sind eh der Gitarrist und ich, wobei bei diesem Album auch der Schlagzeuger sehr wichtig geworden ist. Der Gitarrist kommt eigentlich aus der Experimental-Musik-Szene und spielt in sehr vielen Improvisationsbands. Diese harten Gitarrenriffs waren auch ein Experiment für ihn, weil die gar nicht so sein Ding waren. Bei mir ist in den letzten Jahren sehr viel Dance-Musik oder Elektronik dazu gekommen. Aber auch unser Publikum hat sich ständig mit verändert. Es gab Zeiten, wo wir konstant den gleichen Sound gemacht haben, und irgendwann waren nur noch Kids im Publikum. Wir haben Konzerte mit Bands wie JESUS LIZARD, COP SHOOT COP oder den MELVINS gespielt und waren eigentlich immer Support, wenn die in Österreich unterwegs waren. Als wir später selber Headliner waren, hatten wir plötzlich drei Death Metal- oder Grindcore-Bands im Vorprogramm. Ein sehr bizarrer Sprung, der ohne unser Zutun passiert ist. Jetzt mischt sich das Publikum aus verschiedenen Zeiten wie heute Abend, die das scheinbar nicht so ganz nachvollziehen können.
Früher seid ihr ja vor allem zur Crossover-Fraktion gezählt worden, inzwischen hört man bei euch verstärkt TRICKY oder MASSIVE ATTACK heraus. Habt ihr euch überhaupt jemals mit der Crossover-Schublade anfreunden können?
Crossover ist ein rotes Tuch für uns. So etwas wie BLOODHOUND GANG ist entsetzlich. Was mir gefällt, ist BECK, weil der so etwas sehr charmant macht. Ich habe ihn auch mal bei einem Festival kurz kennengelernt, und nehme ihm das auch voll ab. Der kommt vom Blues und ist mit HipHop aufgewachsen. Das ist auch so eine Sache, dass viele Kids mit HipHop aufgewachsen sind, während ein zwei Generationen vorher mit Rock aufgewachsen sind. Und die Kids, die jetzt 14, wachsen nur mit Techno auf. Aber ich persönlich habe immer Querbezüge gesehen, die für mich offensichtlich sind, aber die viele Leute scheinbar nicht sehen. Ich habe mal TRICKY in Wien gesehen, die eine Nummer gespielt haben, die von MINISTRY hätte sein können. Als Intro gab es lustigerweise eine Nummer von DANZIG. Zu Techno habe ich überhaupt keinen Bezug. Unser Gitarrist war eine Zeitlang irrsinnig fasziniert von so extremen Hardcore-Techno-Sachen, weil ihn das An- die-Grenzen-Gehen interessiert hat. Bei mir persönlich herrscht eher eine gewisse HipHop-Neigung vor. Mich haben bereits früher Sachen wie GRANDMASTER FLASH, PUBLIC ENEMY und andere Underground-Rap-Geschichten fasziniert, nicht wegen des kulturellen Kontextes, sondern wegen des Umgangs mit Samples und Beats. Jon Spencer mag ich auch sehr gerne, der geht jetzt ebenfalls sehr nachvollziehbar in die Richtung, dasss er Remixe macht und sich sehr in alle Richtungen öffnet. Auch zu Zeiten von unserem "Purge"-Album gab es bereits bandintern lange Diskussionen über bestimmte Arten von Rhythmus-Strukturen. Die Entwicklung zu "Geek" ist deshalb nicht von einem Tag auf den anderen passiert.
Wie groß ist Techno bzw. die Clubszene eigentlich in Österreich? Hierzulande hat man momentan den Eindruck, dass sich viele Leute doch wieder verstärkt für klassische Gitarrensachen wie etwa aus Norwegen interessieren, nachdem Magazine wie die Spex eine Zeit genau das Gegenteil propagiert haben.
In Wien und Graz hat eine fast schon extreme Gegenentwicklung stattgefunden, da sind wir immer noch die Rockschweine - das ist ganz arg. Hier war es so, dass von einem Tag auf den anderen Tag jede amerikanische Band, die ansonsten vor ausverkauften Hallen gespielt hat, plötzlich vor 50 Leuten spielen mußte. Wenn Kruder & Dorfmeister auflegen, sind 2.000 Leute da. Man kann deshalb schon sagen, dass Österreich bis auf kleine Grüppchen voll auf elektronische Musik, Techno und Rave umgeschwenkt ist. Reine Gitarrenbands haben es wahnsinnig schwer, ihr Publikum zu finden. Selbst für völlig experimentelle Elektronik findet sich noch ein grösseres Publikum. Wenn etwa irgendwo ein One-Man-Artist mit Laptop auftritt, ist das regelmäßig ausverkauft, da gibt es eine Riesenszene. In Deutschland mögen die Skandinavien-Sachen groß sein, aber TURBONEGRO haben in Wien in einer 700er Halle vor 150 Leuten gespielt. Die HELLACOPTERS waren noch nie hier und hätten wahrscheinlich auch kein Publikum. Kommerzielle Bands wie BLUR spielen natürlich vor ausverkauften Hallen, aber die oben angesprochenen Bands bekommen medial kein Echo, höchstens in ein paar Fanzines. Es ist generell eine Party-Kultur geworden, wobei mir selbst auch irrsinnig viel daran gefällt. Mich hat dabei immer der enge Blickwinkel gestört, was bei den Musikern nicht der Fall ist, das ist eine reine Journalisten-Geschichte. Dazu kommt, dass die Leute in Österreich extrem medienabhängig sind und die Medien die Trends vorgeben. Aber Musiker wie MASSIVE ATTACK sind sehr viel offener, da gibt es mehr Gitarren beim Konzert als bei manchen Gitarrenbands.
Nach wie vor sehr bemerkenswert an euren ersten beiden Platten ist die Zusammenarbeit mit extremen Künstlerpersönlichkeiten wie dem Wiener Aktionisten Günter Brus und dem New Yorker Joe Coleman, die das Artwork lieferten. Was steckte denn hinter dieser Zusammenarbeit?
Vor "Anti Body" hatten wir eine extreme Amerika-Obsession in Sachen Literatur, Kunst und Musik. Irgendwann war ein Punkt erreicht, wo das für mich nicht mehr funktioniert hat. Vor allem, wenn ich mir andere Bands aus Deutschland, Österreich oder Belgien angeschaut habe, die so getan haben, als wären sie aus Brooklyn. Das wollten wir auf gar keinen Fall. In Österreich gibt es schon gar keine Wurzeln für Rockmusik, also haben wir nach Wurzeln gesucht, die unsere eigene Identität wiedergeben, ohne dass wir pseudo-amerikanisch wirken. Deutsch singen oder so eine dazugehörige Pose wollten wir aber auch nie. Der Aktionismus war dann genau das Richtige, wo wir Parallelen zu unseren Texten und dem Album gesehen haben. Wir haben Brus dann einen Brief geschrieben und haben ihn angebettelt, uns alles gratis zur Verfügung zu stellen. Der hat dann einen ganz netten Brief zurückgeschrieben und es hat alles funktioniert. Es ist das perfekte Artwork für dieses Album und den Sound gewesen, aber stammte nicht von einem amerikanischen Undergroundkünstler. Bei nächsten Album waren wir dann schon wesentlich befreiter. Bei Coleman war es so, dass ich ihn über einen eigenartigen Zufall kennengelernt habe. Er hat eine Europa-Tournee gemacht und war in Wien und der, der ihn in Wien hätte herumführen sollen, war verhindert. Ich habe das dann übernommen und mit ihm in zwei Tagen eine Tour durch die bizarrsten Orte von Wien gemacht. Das sind übrigens Leute, die vorher noch nie ein Artwork zu Verfügung gestellt haben, was uns schon stolz gemacht hat. WHITE ZOMBIE hatten auch mal bei Coleman angefragt und ihm viel Geld geboten, aber er macht das entweder gratis oder eben gar nicht.
Ich hatte vor diesem Abend noch nie eine Gelegenheit euch live zu sehen, hätte aber gedacht, dass ihr live mit irgendwelchen visuellen Spielereien arbeitet.
Das haben wir ganz am Anfang gemacht. Im ersten Jahr hatten wir diese selbstgebastelten Schrottinstrumente, billigste Keyboards und billigste Gitarren. Dazu kam, dass ein Bandmitglied eine extreme Videosammlung hatte. Wir hatten dann Videowände, was ziemlich aufwendig war. Die Reaktionen waren eigentlich ziemlich eindeutig, die Leute haben nur auf diese Bilder gestarrt. Es war wie ein Soundtrack dazu, was auf die Dauer sehr unbefriedigend und langweilig für uns als Band war. Bei uns hat sich immer stärker eine Abneigung gegen diese Art von theatralischem Rock entwickelt, weil es uns immer so unecht und überladen vorgekommen ist, was bis zum heutigen Tag so geblieben ist. Unsere Lieblingsbands waren jahrelang Bands wie die MELVINS oder JESUS LIZARD, wo das über einen ganz normalen Bandkontext gelaufen ist, was bei JESUS LIZARD viel schockierender war. Man könnte zu "Geek" sicherlich gut abstrakte Visuals schaffen, aber das wäre nicht mehr finanzierbar. Diese Sorte Rock-Theater ist inzwischen bei Bands wie RAMMSTEIN gelandet. Wenn wir im MARYLIN MANSON-Outfit auf die Bühne kämen, wäre das wahrscheinlich leichter vermarktbar.
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