Singende Schlagzeuger sind schon an sich eine seltene Spezies, aber wenn es sich dabei um weibliche Drummer in deutschsprachigen Punkbands handelt, werden sie zu einer echten Besonderheit. Fatima von THE DEAD END KIDS begeistert nicht nur durch ihr wahnwitzig schnelles Schlagzeugspiel, sondern auch durch ihren melodischen Gesang, der trotz aller körperlichen Anstrengungen immer locker und kraftvoll aus den Boxen kommt. Wie es dazu kam, hat uns Fatima vor dem Auftritt der Band im Mephisto in Hannover verraten.
Fatima, hast du eigentlich schon als kleines Kind auf den Kochtöpfen deiner Eltern herum getrommelt?
Die Frage kann ich ganz schnell mit nein beantworten. Ich komme aus einer Familie, die mit Musik nicht besonders viel am Hut hatte. Meine Eltern waren weder Musiker noch hatten sie mit Musik viel zu tun. Bei uns zu Hause wurde zwar Musik im Radio gehört oder Musiksendungen im Fernsehen angeschaut, jedoch in musikalischer Hinsicht waren meine Eltern keine Vorbilder, bei denen ich mir etwas abschauen konnte. Ich erinnere mich aber, dass ich mit sechs oder sieben Jahren einen Kassettenrekorder hatte, mit dem man mit einem externen Mikrofon eigene Gesangsaufnahmen zur Musik aufnehmen konnte.
Wann bist du das erste Mal mit einem Instrument in Berührung gekommen?
Das war, als ich im Ferienlager an der Ostsee war und meine damals beste Freundin eine Gitarre dabeihatte. Bei ihr habe ich mir dann viel abgeschaut und wir haben viel zusammen Musik gemacht. Die Jugendlichen in diesem Sommercamp kamen alle aus Freiberg und viele haben auch schon in Bands gespielt, denn zu dieser Zeit gab es bei uns zu Hause in Freiberg eine ziemlich große Szene mit einer Jugendkultur, aus der damals viele Bands entstanden sind. In unserem Jugendclub waren immer viele Leute, die zusammen gejammt haben, und so bin ich dann mit Musikinstrumenten in Kontakt gekommen.
Aber zunächst hast du dich eher für die Gitarre interessiert?
Ja, tatsächlich, obwohl meine beste Freundin zu mir gesagt hat, ich sollte das lieber lassen, weil ich es nicht kann. Sie hat mir zwar immer neue Sachen gezeigt, weil ich unbedingt Songs nachspielen wollte, aber das war doch sehr schwierig. Wir haben häufig bei ihr zusammen zu Hause gesessen und Gitarre gespielt, aber ich bin dann doch relativ schnell zum Schlagzeug gekommen. Meine Freundin und ich sind in den Proberaum des Jugendclubs gefahren und wollten zusammen Musik machen. Sie spielte halt Gitarre und da das Schlagzeug frei war und schließlich jemand trommeln musste, war das dann ich. Der Jugendclub war das Pi-Haus in Freiberg und das war für die Jugendlichen hier der wichtigste Ort überhaupt. Ein soziokulturelles Zentrum, das es auch heute noch gibt, und in dem damals ein Übungsraum zur Verfügung stand, in dem sich gefühlt alle Bands aus Freiberg gegründet haben. Der Raum war voll ausgestattet mit Verstärkern und Instrumenten und man konnte sich die früher für einen Euro ausleihen. Die Sozialarbeiter:innen haben es uns auch wirklich leicht gemacht, und wir als damals 13- oder 14-Jährige fanden es natürlich toll, Zugang zu Räumlichkeiten zu haben, in denen sonst nur ältere Jugendliche abhängen.
Hast du dir damals alles selbst beigebracht oder hattest du jemanden, der dir die Basics gezeigt hat?
Ich habe mich einfach an das Schlagzeug gesetzt und auf der Standtom und der Snare immer den gleichen Rhythmus gespielt. Wir haben auch Songs gecovert und irgendwie ging das ganz gut. Ich weiß auch nicht, wie ich das gemacht habe, aber ich muss wohl schon so ein Grundgespür für Rhythmus in mir gehabt haben. Schlagzeugspielen konnte ich damals natürlich noch nicht, aber für unsere Anfänge hat es gereicht. Meine Freundin war großer ROSENSTOLZ-Fan und sonst haben wir eben Songs aus dem Radio gecovert. DIE ÄRZTE-Songs waren so das Punkigste, was wir gemacht haben.
Hattet ihr damals schon das Ziel, eine Band zu gründen oder wolltet ihr lieber zu zweit bleiben?
Ein Ziel hatten wir damals überhaupt nicht. Es ging nur darum, sich auszuprobieren, und wir waren froh, dass wir uns hatten und zusammen Musik machen konnten. Durch einen Zufall habe ich dann Caro, unsere Gitarristin bei THE DEAD END KIDS, kennen gelernt, weil sie in meinem Jahrgang war und irgendwann mit in den Jugendclub gekommen ist. Das war dann so ein schleichender Prozess, der sich über ein Jahr hinzog, weil die andere Freundin irgendwann nicht mehr kam und dann Caro und ich zu zweit im Übungsraum waren. Wir machen jetzt also schon über 14 Jahre zusammen Musik.
Haben deine Eltern dich bei deinem musikalischen Werdegang unterstützt?
Nach zwei Jahren im Proberaum war mir klar, dass ich Unterricht nehmen muss, wenn ich musikalisch weiterkommen wollte. Ich bin dann meinen Eltern so lange auf die Nerven gegangen, bis sie mir den Schlagzeugunterricht bezahlt haben. Mein Vater hat mich dabei voll unterstützt, aber meine Mutter war eher zurückhaltend. Sie hätte es wohl lieber gesehen, wenn ich Gitarre gelernt hätte, weil die weniger Platz braucht und man sie wenigstens am Lagerfeuer spielen kann. Mit einem Schlagzeug allein kann man halt kein Lied spielen. Ich bin meinen Eltern aber sehr dankbar, dass sie mir den Unterricht finanziert haben, und konnte so für ein paar Jahre zur Musikschule gehen. Mein Lehrer dort war auch tatsächlich so ein Jazzmusiker, der sehr viel Wert auf die Basics gelegt hat, und ich war eine Schülerin, die zwischen den Unterrichtsstunden nicht viel üben konnte. Wir hatten nur eine kleine Wohnung und ich hatte nicht die Möglichkeit, wie viele andere in der Musikschule, zu Hause im Keller auf einem eigenen Schlagzeug zu üben. Ich hatte nur den Gemeinschaftsübungsraum im Pi-Haus, den ich mir mit vielen anderen teilen musste und auch nur zu bestimmten Zeiten nutzen konnte. Aber mein Lehrer war cool und hatte Verständnis für meine Situation. Ich habe wohl die Rudiments auch ganz gut abgeliefert und außerdem Notenlesen und Improvisationen gelernt. Später hat dann Caro bei demselben Lehrer Unterricht gehabt und einmal im Jahr haben wir beim jährlichen Weihnachtspercussionkonzert der Musikschule zusammen gespielt.
Wie bist du zum Punk gekommen?
Bei uns im Pi-Haus waren immer viele Punks und Metaller und das war natürlich ein großer Einfluss. Ich selbst habe früh melodische Bands wie BAD RELIGION oder GREEN DAY gehört, bis ich mit Caro zusammenkam, die schon vorher viel Deutschpunk gehört hatte. Bei uns im Nachbardorf Brand-Erbisdorf gibt es das IMI, wo schon immer viele Konzerte stattfanden und wir häufig zu Besuch waren. Bei uns im Pi-Haus war mehr Metal angesagt, und wenn wir selbst Konzerte veranstaltet haben, waren das meist Metal-Konzerte. In der Band haben wir ja zunächst mehr Punk gespielt, bis dann Charlie als Gitarrist dazukam, und es hat ganz schön lange gedauert, bis wir die Punk- und Metal-Einflüsse miteinander vereinen konnten. In dieser Zeit habe ich häufig zwischen den Stühlen gesessen.
Hattest du damals am Schlagzeug irgendwelche Vorbilder?
Im IMI habe damals das erste Mal RASTA KNAST gesehen und die fand ich so unglaublich geil. Nils am Schlagzeug war so wahnsinnig gut, dass ich mir wünschte, ich könnte genauso gut spielen wie er. Bei uns in Freiberg gab es THERAPIE ZWECKLOS und ich fand schon damals, dass deren Schlagzeuger David Schleif ein sauguter Musiker war. Unterbewusst war der bestimmt auch ein Vorbild für mich, weil ich einfach merkte, dass er mit seinen coolen Fills-Ins den Sound wahnsinnig aufwertet.
Warst du als Metal-Kid auch von Doublebass begeistert?
Begeistert ja, aber ich habe mir damals eingeredet, dass ich für Doublebass selbst zu schlecht bin und habe es auch nicht ernsthaft versucht. Unsere Musik heute erfordert ja auch keine Doublebass und deswegen habe ich auch nicht mehr angefangen, das zu trainieren. Ich hatte zwar mal eine Doppelfußmaschine, aber die habe ich schnell wieder verkauft, weil ich keinen Nutzen darin gesehen habe. Hätten wir Metal gespielt, wäre die Sache vielleicht anders gelaufen, aber dann hätte ich auch nicht gesungen, und Singen hat bei mir immer eine große Rolle gespielt, wobei ich mich ja auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren musste. Dadurch habe ich auch nicht so intensiv Schlagzeug geübt, wie ich es vielleicht hätte tun sollen.
War dir von Anfang an klar, dass du eine singende Schlagzeugerin sein wolltest?
Nein, überhaupt nicht. Das war wirklich notgedrungen, weil niemand anderes singen wollte. Die damalige Freundin hatte die Band verlassen und Caro wollte partout nicht singen. Sie wollte einfach nicht, obwohl sie es gut gekonnt hätte, aber bis auf ein oder zwei Ausnahmen musste immer ich singen, sonst hätten wir mit der Band nicht weitermachen können. Als wir anfingen, eigene Songs zu schreiben, hat sich das geändert, weil Caro dann ihre eigenen Sachen gesungen hat. Wir haben es zwischenzeitlich auch mal mit anderen Sängerinnen probiert, aber es hat nie wirklich gut gepasst und wir haben niemanden gefunden. Also blieb der Gesang an Caro und mir hängen, wobei wir jeweils unsere eigenen Texte singen, weil wir uns ja den jeweiligen Gesangsstil und die Melodie für die Songs schon beim Schreiben überlegt haben.
Erinnerst du dich noch an eure ersten Auftritte?
Wir waren damals noch zu zweit, aber auf der Suche nach einer zweiten Gitarre. Charlie ging bei mir in die Klasse und ich wusste, dass er bei sich zu Hause so für sich allein Gitarre spielte. Er hatte sich das Gitarrespielen autodidaktisch beigebracht und war schon richtig gut. Also habe ich ihn gefragt, ob er nicht bei uns mitspielen will, und es hat ihm so viel Spaß gemacht, dass er bei uns geblieben ist. Eine weitere Freundin hat bei uns Bass gespielt und in dieser Besetzung haben wir bei uns in Freiberg die ersten Konzerte gespielt. Bei Stadtfesten auf der Jugendbühne, in unserem Club und den Dörfern ringsherum haben wir angefangen, unsere ersten Erfahrungen zu sammeln. Damals lief ja noch alles über Mund-zu-Mund-Propaganda, während heute jede Band ihren eigenen Instagram- oder YouTube-Kanal hat. Deshalb hat es auch seine Zeit gedauert, bis man aus seinem Umfeld herauskam und das erste Mal in weiter entfernten Städten spielen konnte.
Wann hast du deine ersten Erfahrungen mit Aufnahmen im Tonstudio gemacht?
Das war bei Thomas Baumgärtel im Hip-Gun-Studio, als Caro schon in Dresden wohnte und über Bekannte aus dem Bandumfeld viele Kontakte hatte. Sie wusste also, wen man fragen könnte, und dann haben wir uns für Thomas entschieden. Wir waren dann eine Woche bei ihm im Studio und haben unser erstes Album eingespielt. Ich war natürlich sehr aufgeregt, weil ich als Erstes meine Drumparts aufnehmen musste und auch noch nie mit einem Klick im Ohr gespielt hatte. Da waren am Anfang schon viele Selbstzweifel dabei, ob ich wohl gut genug für die Aufnahmen bin, aber zum Glück waren wir ja alle zusammen im Studio und die anderen beiden haben mir immer Feedback gegeben und mich bestärkt. Das hat mir viel Selbstvertrauen gegeben und auch mit dem Klick im Ohr bin ich ganz gut zurechtgekommen. Bei einigen Songs steckte schon mal der Wurm drin, so dass ich sie auf den nächsten Tag verschoben habe, aber nach zwei Tagen hatte ich die Drumparts im Kasten. Natürlich konnten wir damals nicht so gut spielen wie heute und ich habe die Snare und die Bassdrum viel zu soft gespielt, aber am Ende haben die Aufnahmen unseren damaligen Stand gut widergespiegelt. Wir waren jedenfalls so zufrieden damit, dass wir auch unser zweites und drittes Album wieder mit Thomas aufgenommen haben.
Spielst du als singende Schlagzeugerin anders, als wenn du nicht singen würdest?
Ja, bestimmt. Wenn ich nicht singen würde, könnte ich mich nur auf das Schlagzeugspielen konzentrieren und hätte mehr Möglichkeiten, schwierigere Rhythmen oder andere Fills auszuprobieren. Beim Gesang muss ich mich natürlich immer auf den Text und die nächste Strophe konzentrieren und da muss man beim Schlagzeug schon mal etwas reduzierter vorgehen. Da ich unsere Songs live aber genau so spielen möchte wie auf der Platte, kann ich im Studio auch nicht anfangen, irgendeinen abgedrehten Scheiß zu spielen. Ich würde also nicht anfangen zu zaubern, was ich auch gar nicht kann, aber das würde mich am Ende auch nicht widerspiegeln. Manchmal muss ich aufpassen, dass ich nicht in so eine abwärts führende Gedankenspirale komme. Dann denke ich, dass ich weder gut singen noch gut genug Schlagzeug spielen kann, und ziehe mich damit selbst runter. Ich kann eben beides so ein bisschen, aber nichts richtig gut. Das war früher für mich wirklich schwierig, aber heute schaffe ich es zum Glück ganz gut, wieder aus dieser negativen Gedankenspirale herauszukommen.
Wie fordernd ist die Doppelbelastung rein körperlich für dich?
Es ist wahnsinnig anstrengend. Nach unseren Konzerten sehe ich jedes Mal aus wie frisch geduscht. Ich bin aber grundsätzlich sehr fit, weil ich seit Jahren Handball spiele und versuche, trotz der Bandaktivitäten, regelmäßig zum Training zu gehen. Außerdem fahre ich viel Rad und das Schlagzeugspielen selbst hält mich ja auch fit.
Hast du auf Tour Drummer kennengelernt, die dich begeistert haben?
Als wir letztes Jahr die DONOTS supporten durften, war ich von deren Drummer Eike Herwig total beeindruckt. Der ist nicht nur ein technisch großartig, sondern auch noch die ganze Zeit am Headbangen. Außerdem hat er an seinem Drumset auch ein paar interessante Gimmicks. An seinem Drumhocker hat er einen Trigger, durch den er seine Bassdrum spüren kann. So ein abgefahrenes Teil hatte ich bisher noch nie gesehen. Dann ist da noch Tüddel von unserem Label RilRec, die bei den TRÜMMERRATTEN Schlagzeug spielt. Vor Tüddel habe ich einen riesigen Respekt, weil sie erst seit ein paar Jahren Schlagzeug spielt und ich es total mutig finde, wenn erwachsene Menschen noch anfangen, ein Instrument zu lernen. Tüddel spielt heute schon so schnell, dass ich im Zweifel bin, ob ich selbst jemals so schnell sein könnte.
Kannst du dir vorstellen, neben THE DEAD END KIDS mit anderen Leuten ganz andere Musik zu machen?
Nein, die Vorstellung fällt mir zur Zeit eher schwer. Wir sind mit der Band gerade in einer Phase, wo wir so gut miteinander funktionieren wie noch nie. Es war ein jahrelanger Prozess, bis wir unseren jetzigen Mix aus Punk, Metal und meiner poppigen Stimme gefunden hatten. Die letzten ein bis zwei Jahre waren super intensiv und wir freuen uns einfach darüber, was wir alles zusammen geschafft haben. Wir machen Platten, haben unsere erste eigene Tour und da bleibt für andere Projekte einfach keine Zeit. Im Moment fühlt sich mit der Band alles so vertraut an, aber sollte ich mal Zeit haben, fände ich HipHop ganz cool.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #174 Juni/Juli 2024 und Christoph Lampert