FAKE NAMES

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Alles Zufall

„Punkrock-Supergroup“ – das klingt anmaßend und falsch, schließlich hat sich diese Szene immer schon der Heroisierung der Rock- und Popwelt verweigert und Star-Gehabe mit dem nötigen Misstrauen betrachtet. FAKE NAMES haben sich selbst nicht als „Supergroup“ bezeichnet, würden das wohl auch selbst maximal mit einem gequälten, ironischen Anführungszeichen-Unterton tun, und so ist es wieder mal das Marketing, das zu so einem Begriff greift. Obwohl ... die Besetzung ist natürlich exquisit. So trifft man bei der Band, die im Mai auf Epitaph Records ihr (titelloses) Debüt-Album veröffentlichte, doch auf gleich vier illustre Namen: Brian Baker kennt man von MINOR THREAT, DAG NASTY und BAD RELIGION, Michael Hampton war unter anderem bei S.O.A., EMBRACE und ONE LAST WISH, und Johnny Temple, wie erstere beide auch in Washington, DC aufgewachsen, war und ist bei SOULSIDE und GIRLS AGAINST BOYS. Vierter im Bunde und Sänger ist Dennis Lyxzén von REFUSED, THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY und INVSN. Nicht zu erwähnen vergessen sollte man Album-Drummer Matt Schulz. Wir nutzten die Gelegenheit, Dennis, Brian und Johnny zu befragen.

Dennis Lyxzén
Ich sprach mit Dennis Lyxzén Anfang April am Telefon, der Corona-Schock war noch frisch, es war völlig unklar, wie es mit Livemusik 2020 weitergeht.

Dennis, ich erreiche dich ... zu Hause?

Haha, ja. Wir haben zwar keine Ausgangssperre hier in Schweden, aber es ist wohl derzeit am besten, so viel Zeit zu Hause zu verbringen wie möglich, wenn man nicht wirklich dringend etwas erledigen muss.

Wie sehr hat die Corona-Krise deine musikalischen Aktivitäten bislang beeinträchtigt?
Bislang nicht so sehr, aber das kommt noch. Die ganzen Festivals im Sommer sind schon oder werden wohl noch abgesagt, und damit wird mich das schon sehr treffen. Wir waren mit REFUSED auf einige tolle Festivals gebucht und hatten auch drumherum noch ein paar coole Shows, und das ist wohl alles betroffen. Ich hoffe das Beste, ich erwarte aber das Schlimmste. Wenn die Corona-Lage wieder etwas mehr unter Kontrolle ist, könnte es ja zumindest sein, dass im Spätsommer wieder was geht ... In den kommenden Monaten wird mein Leben also sehr betroffen sein von all dem.

Ich gehe mal davon aus, dass jemand wie du mit Bands in einer solchen Größenordnung wie REFUSED, INVSN und THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY vermutlich so klug ist vorzusorgen und ein paar Monate auch ohne Konzerte durchstehen kann, und du damit in einer anderen Situation bist als Musiker, die meist von der Hand in den Mund leben und jede Show brauchen. Wie also geht es dir, wie geht es befreundeten Musikern?
Wie du schon sagtest, bin ich in einer Situation, wo ich ein paar Monate ohne Shows zwar nicht toll finde, was ich aber überstehen kann. Der Festivalsommer ist oder wäre aber schon meine Haupteinnahmequelle dieses Jahr. Wenn das nichts wird, war’s das mit meinem Einkommen für dieses Jahr. Aber ja, ich habe auch einige Freunde, die, wie du es nennst, von der Hand in den Mund leben. Die spielen hier und da mal eine Show, legen hier und da mal auf als DJ, machen dies, machen das. Und die sind natürlich weit stärker betroffen als ich, ganz zu schweigen von all den Clubs und Konzertveranstaltern und so weiter. Für mich ist es jetzt nicht optimal, aber wahrscheinlich kann ich auch einen Sommer ohne Festivals überleben.

Meine Vermutung ist, dass jene Labels und Distros aus unserer Szene, die nie die Haupterwerbsquelle waren für ihre Betreiber, die wirklich unkommerziellen DIY-Projekte also, eher überleben können als jene, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben.
Klingt überzeugend. Wer es gewohnt ist, über eigentlich kein Produktionsbudget zu verfügen, ist es wohl auch gewohnt, mit wenig Geld klarzukommen. Große Bands und solche mittlerer Größe, bei denen bei jeder Tour und schon im Vorfeld eine Menge Geld im Umlauf ist, haben sicher ganz andere Probleme als eine DIY-Band, deren Shows gecancelt werden. In den USA und in Schweden sagt man den Leuten jetzt, sie sollten mindestens so viel Geld auf der Seite haben, dass sie zwei Monate ohne Einkommen überleben können. Und was ist mit den großen Konzernen? Die haben jetzt schon nach fünf Tagen nach Milliardenhilfen vom Staat geschrien. Was ist das für ein Denken, für ein Geschäftsmodell, wenn du nicht mal eine Woche Stillstand überleben kannst? Ich finde es interessant mitzuerleben, wie die Wirtschaft funktioniert, wie schlecht vorbereitet die freie Marktwirtschaft und der Kapitalismus auf solche Ereignisse sind.

Das ist eben die Denke, die auch dazu geführt hat, dass aus betriebswirtschaftlichen Gründen keine Lagerhaltung mehr betrieben wird, alles nur noch „just in time“ funktioniert, und wenn dann nicht alle Teile mit dem Lkw pünktlich angeliefert werden, steht die Produktion still. Nun warst du bekanntlich schon immer sehr kritisch eingestellt gegenüber dem Kapitalismus. Aus deiner Sicht, was lehrt uns die aktuelle Situation?
Zuerst einmal müssen wir feststellen, dass die normalen Arbeiter es sind, die unsere Wirtschaft am Laufen halten. Wenn diese Leute aufhören zu arbeiten, bleibt das ganze System stehen. Die Milliardäre, jene, die von Aktiengewinnen leben, das sind nicht die, die Gewinne erwirtschaften. Die nehmen nur denen das Geld weg, die es mit ihrer Arbeitskraft erwirtschaften. Die Arbeiter schaffen den Mehrwert, den die Bosse und Anteilseigner ausbeuten. Und man stellt in der aktuellen Situation auch fest, wie die Wirtschaft sofort auf ihrem Arsch landet, wenn die Leute wie jetzt einfach nichts mehr kaufen oder nur noch das Nötigste. In Schweden wurde in den letzten zehn, fünfzehn Jahren das Gesundheitssystem privatisiert und man konnte schon vor Corona sehen, dass das alles nicht funktioniert. Wenn man die Welt und die Menschen nur rein durch diese Wirtschaftlichkeitsbrille sieht, ist das eben kein nachhaltiges Denken. Und Schweden geht es ja noch ganz gut, aber schaut man sich mal die USA an, sieht man, dass man dort den Menschen nicht mal das Grundsätzlichste zur Wahrung ihrer Menschenwürde garantieren kann. Meiner Meinung nach ist der Staat aber dazu da, den Menschen zu dienen und sie in ihren Bedürfnissen zu unterstützen – sei es die Schule betreffend, Erkrankungen oder Pflege im Alter. Und der Staat sollte nicht dazu da sein, einer neoliberalen Wirtschaft zu Diensten zu sein, die im Grunde den Planeten ausraubt. Anfang des Jahres redeten wir alle noch über die Klimakatastrophe, die von genau dieser neoliberalen Wirtschaftsweise ausgelöst wurde, und das ist jetzt alles in den Hintergrund gerückt, weil wir nur noch über die Ausbreitung dieses Virus reden. Aber all das zeigt letztlich ja auch die Risse im Gebäude des Kapitalismus, wie schlecht dieser organisiert ist. Es ist ein kaputtes Wirtschaftssystem und ich hoffe, dass die Menschen das jetzt erkennen. Vielleicht schaffen wir es ja in der Folge der Corona-Krise eine andere Form des Wirtschaftens zu etablieren, die sich mehr an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und zur Erhaltung der Lebensgrundlagen beiträgt.

Parallel zum Fortschreiten der Krise die drei Staffeln von „The Handmaid’s Tale“ zu schauen über eine religiös-fundamentalistische Diktatur auf dem Boden der USA hilft nicht gerade, wenn weltweit Ausgangssperren verhängt sind und die Polizei kontrolliert, wer warum noch draußen herumläuft. Man bekommt ein ungutes Gefühl, wie leicht, wie schnell wir in so einer Gesellschaft wie in dieser Serie landen können.
Absolut! Wir könnten ganz schnell in eine totalitäre Situation geraten. Ich bin Sozialist, meine Einstellung war schon immer, dass das Gemeinwohl im Vordergrund stehen sollte und die Menschen alles haben, was sie brauchen – im Rahmen eines demokratischen Sozialismus natürlich. Und der starke Staat, der sich um seine Bürger kümmern kann, ist in diesem Kontext natürlich ein ganz anderer. Auch die ganzen Konzerne, die sonst möglichst wenig Einmischung verlangten, fordern jetzt plötzlich dessen Einschreiten. Es ist also allen klar geworden, dass wir den Staat brauchen, und zwar so, dass er den meisten Menschen hilft. Wir erkennen jetzt auch, dass die „kapitalistische Kultur“ nichts Naturgegebenes ist, sondern ein soziales Konstrukt der letzten 150 Jahre – geschaffen von denen, die davon profitieren. Und sobald sich mal eine Arbeiterbewegung aufmachte, an diesen Verhältnissen etwas zu ändern, wurde sie niedergeschlagen. Aktuell ist die Situation natürlich heikel. Es gibt auch weniger kluge Menschen, die man vielleicht wirklich davon abhalten muss, draußen herumzulaufen und das Virus zu verbreiten, aber wenn all das vorbei ist, müssen wir eben darauf achten, dass wir immer noch in einer offenen, freien Welt leben, die zudem nachhaltig wirtschaftet, und wir uns um die kümmern können, die Hilfe brauchen. Andererseits ... dachten wir ja auch, dass aus der Finanzkrise 2008 Konsequenzen gezogen werden würden, dass Banker bestraft werden würden, aber letztlich hatten zigtausende Menschen ihre Häuser und Wohnungen verloren, doch die Verantwortlichen wurden nicht bestraft, sondern es hieß bald wieder „business as usual“. Einerseits bin ich also Realist, andererseits aber auch Romantiker – sonst wäre ich kaum in der Lage gewesen die letzten dreißig Jahre meines Lebens über Politik zu reden, ohne den Verstand zu verlieren.

Dann sprechen wir doch endlich über FAKE NAMES. Eine richtige Band – oder nur ein Projekt?
Ich würde sagen: eine Band. Auch wenn es schon etwas von einem Projekt hat angesichts der Tatsache, dass alle Beteiligten auch anderweitig sehr beschäftigt sind. Und es ist auch als Band gedacht, selbst wenn wir durch unsere unterschiedlichen Wohnorte selten zusammenkommen.

Das heißt, es sind für die Zukunft Touren angedacht?
Ich denke nicht, dass wir je eine „Tour-Band“ sein werden, sondern eher eine, die hier und da mal ein Konzert spielt. Wir haben auf jeden Fall Interesse daran, Konzerte zu spielen und unsere Songs auf eine Bühne zu bringen. Wenn das Corona-Ding vorbei ist, werden wir das in Angriff nehmen, auch wenn das bei dem vollen Terminkalender aller Beteiligten natürlich eine Herausforderung ist.

Wie kam es zu dieser Bandkonstellation – und wie kamst du als einziger Schwede mit diesen drei US-Musikern zusammen, die ja zudem aus einer anderen Generation sind? Als diese drei schon in Bands spielten, gingst du gerade mal in die Grundschule.
Mein erster Gedanke, als sie mich fragten, war natürlich, dass ich mich geehrt fühlte, dass die mich haben wollten. Brian kam in Chicago beim Riot Fest 2016 auf mich zu und sagte: „Wir haben da was Neues am Start, willst du singen?“ Und ich antwortete etwas in der Art wie: „Klar singe ich in deiner Band.“ Was soll man denn sonst antworten, wenn Brian Baker von MINOR THREAT, DAG NASTY und BAD RELIGION so was fragt? Ich fühlte mich geschmeichelt und mittlerweile weiß ich, dass sie auch ein paar andere Leute gefragt und ausprobiert hatten. Brian und Johnny Temple sahen REFUSED damals beim Riot Fest, und Johnny hatte mal mit GIRLS AGAINST BOYS in Kopenhagen zusammen mit INVSN gespielt – wir kannten uns also, er wusste, wer ich bin. Johnny schlug dann wohl in Chicago Brian vor, mich mal zu fragen. Und ja, du hast recht, wir stammen aus einer anderen Generation. Die drei anderen sind alle aus der ersten Hardcore-Generation von Washington, D.C., also MINOR THREAT dort, BLACK FLAG in Kalifornien und so weiter. Dann kam die zweite Generation, Bands wie YOUTH OF TODAY oder GORILLA BISCUITS, Mitte/Ende der Achtziger. Und dann kam meine Generation. Meine erste Band hatte ich zwar 1987, meine erste Hardcore-Band 1989, aber ich lebte eben auch im Norden Schwedens, in Umeå, und da war man nicht gerade gut connected mit dem Rest der Welt. Es macht also einen großen Unterschied, wie man Hardcore wahrnimmt, wenn man aus so verschiedenen Generationen stammt. REFUSED waren ja eine Hardcore-Band, aber klangen doch sehr, sehr anders als MINOR THREAT oder FAITH. Aber letzten Endes ist es wichtiger, dass man so lange in Bands spielt, viele Platten gemacht hat, dadurch ist die Altersdistanz unter uns als Musikern nicht sehr groß. Als wir uns dann mal zusammensetzten und austauschten über unsere künstlerische Vision der Band, war es sehr leicht, zusammen loszulegen.

Wie muss man sich das konkret vorstellen? Wenn du in Schweden ein Bandprojekt startest, triffst du dich mit den anderen Musikern mal eben im Proberaum und ihr legt los. Jetzt waren die aber in New York und du in Schweden ... und alle haben noch ihr „normales“ Leben, andere Bands.
Ja, aber das Bandleben anno 2020 besteht auch bei uns wie bei vielen anderen Bands aus dem Hinundherschicken von Audiofiles. Bei INVSN machen wir das nicht anders, wir tauschen eine Menge Demos aus, bevor wir überhaupt im Proberaum stehen. Und mit FAKE NAMES war das genauso: die schickten mir Musik, ich nahm dazu Gesang auf, schickte den rüber und ein paar Wochen später meinten die, das sei cool, ich solle doch mal nach New York rüberkommen für eine Probe. Und dann schafften wir es, ein paar Tage zu finden, an denen wir alle Zeit hatten, und beschlossen, diese zu nutzen. Dem waren aber eine Menge E-Mails und Demos vorangegangen.

Auch wenn ich nicht naiv bin als Musikjournalist, hat man hat ja schon eher eine romantischere Vorstellung vom Bandleben, etwa von langen, nächtlichen Jam-Sessions, aus denen sich irgendwann Songs herauskristallisieren. Was du beschreibst, klingt nach dem Gegenteil: vier Leute, räumlich getrennt, vor dem Computer – und dann werden die Tonspuren am Rechner zusammengefügt.
Ja, aber letzten Endes standen wir gemeinsam im Proberaum und spielten die Songs. Ich bin zweimal nach New York geflogen – von Umeå nach New York, das ist ein weiter Weg zur Probe! Ich habe den gesamten Gesang in New York in nur zwei Tagen aufgenommen, und die Platte selbst entstand in Gegenwart von uns allen vier im Studio, innerhalb von vier Tagen. Die Platte selbst ist also nicht aus zu Hause aufgenommenen Tracks entstanden, sondern richtig im Studio. Das war schon eher die Oldschool-Herangehensweise, wir sind eben alle oldschool, auch wenn wir wissen, wie man am Computer ein vernünftiges Demo aufnimmt. Nein, eine Band wie FAKE NAMES muss live im Studio stehen, damit die Songs richtig reifen und funktionieren.

Wie anders war es, in dieser Konstellation zu arbeiten? Mit deinen vertrauten Buddies von INVSN oder REFUSED arbeitest du seit Jahren, ihr kennt euch ganz genau – nun aber warst du mit alten Hasen im Studio, die einen ganz anderen Hintergrund haben. Und mit alten Kumpels kann man ja auch mal direkter umgehen, stelle ich mir vor, kann Wut oder Frustration auch mal rauslassen und die anderen wissen das zu nehmen.
In den Neunzigern war man eher so drauf, dass man auf Prestige aus war, dass man seine Vorstellungen durchsetzen wollte um jeden Preis. Seitdem bin ich älter geworden und habe gelernt, dass man den Menschen, mit denen man zusammen Musik macht, vertrauen muss, auch deren Urteil. Wenn du das nicht kannst, solltest du nicht zusammen in einer Band sein. Ich habe gelernt, die Kunst immer vor mein Ego zu stellen. Wenn also jemand anmerkt, dass etwa mein Refrain nicht so toll ist, dass daran gearbeitet werden muss, dann akzeptiere ich das. Ich bin nicht der Typ, der dann laut wird und sagt: „Nein, ich habe das geschrieben, genau so wird das gemacht!“ Alle vier von uns wollten mit FAKE NAMES Spaß haben, gemeinsam was Schönes machen. Es war also eigentlich ziemlich leicht, auch im Vorfeld – ich schickte meine Gesangstracks, die gaben Anregungen, ich machte eine neue Version und dann passte das. Und Johnny Temple, der im Hauptberuf ja Bücher herausgibt – er ist Verleger und macht Akashic Press –, kommentierte manche Passagen meiner Texte, machte Änderungsvorschläge und ich vertraute ihm. Es war also unproblematisch, mit denen im Studio zu sein, ich bin da eher der flexible Typ und anpassungsfähig. Außerdem war schon deren erste Reaktion auf meine ersten Gesangstracks, dass das genau das sei, was sie sich vorgestellt hätten und was sie erwartet hatten. Es war alles sehr einfach, keine großen Egos, ganz entspannt und viel Spaß.

Musikalisch ist FAKE NAMES schon ziemlich anders als REFUSED, T(I)NC, INVSN. Und auch anders, als ich angesichts des musikalischen Hintergrunds der anderen Beteiligten erwartet hätte.
Ja. Wer an MINOR THREAT und REFUSED denkt und von FAKE NAMES Hardcore erwartet, liegt falsch. Von Brians Seite sehe ich da eher DAG NASTY, von Michael Seite EMBRACE, und außerdem THE DAMNED und RUTS, weil das Bands waren, die die damals sehr beeinflusst haben. Und die stehen auch sehr auf Sixties-Sachen, Powerpop, und das hört man da auch. Ich glaube, der ursprüngliche Plan der drei war eher, eine Punk- als eine Hardcore-Band zu machen. Ich bin dem Sound von FAKE NAMES wohl mit der LOST PATROL BAND am nächsten gekommen, das war eine Powerpop-Band. Wir haben ein paar schnellere Songs auf der Platte, aber insgesamt kommt es schon mehr auf den melodiösen Aspekt der Songs an – es ist also mehr DAG NASTY und EMBRACE als MINOR THREAT.

Du hattest eben den textlichen Aspekt erwähnt. War das allein deine Verantwortung?
Die haben mir da freie Hand gelesen. Ich hatte bei den Gesangsmelodien und den Texten keine Vorgaben. Aber wie ich vorhin schon erzählte, schaute Johnny vor der Aufnahme drüber. Ich fand das schön, dass sie mir da vollkommen vertraut haben.

Wie bist du die Texte inhaltlich angegangen? Es ist ja wahrscheinlich ein Unterschied, ob du für deine eigene Band mit klarer politischer Agenda textest oder eben für ein Projekt wie FAKE NAMES?
Ich finde es wichtig, für jedes musikalische Projekt eine eigene „Sprache“ zu haben. Bei REFUSED ist alles sehr politisch, mein Gesang sehr markant, aggressiv und wild. Bei INVSN ist alles etwas introvertierter, aber durchaus auch politisch, insgesamt aber sind die Texte persönlicher und poetischer. FAKE NAMES sind irgendwo dazwischen. Es sind vertraute Themen, aber ich wollte sie etwas anders rüberbringen, so dass sie zur Musik passen. Sie sind also etwas direkter als bei INVSN, aber weniger „gewalttätig“ als bei REFUSED.

Mit dem Tun von Brian Baker sind wir alle vertraut, Johnny Temple war aktuell mit seiner alten Band SOULSIDE wieder aktiv, aber schon da haben wenige seine Arbeit als renommierter Verleger im Blick. Und Michael Hampton nun hatte wohl keiner von uns noch irgendwie auf dem Schirm – oder ging es dir da anders?
Michael ist ja auch eine totale Legende, er war bei S.O.A., er war mit dabei, als Hardcore im Grunde erfunden wurde. Er war bei FAITH, bei EMBRACE, bei ONE LAST WISH, bei THE SNAKES und anderen. Er hat dann aber sehr lange nichts mehr gemacht, ich hatte also auch keine Ahnung, was der aktuell musikalisch so treibt, als wir uns kennen lernten. Ich fand dann heraus, dass er Musik für Dokumentarfilme und Filme generell macht. Er ist der Musik also treu geblieben, aber in anderer Hinsicht, nicht in einem Band-Kontext. Ich glaube, einer der Gründe für diese Band ist, dass sich Brian und Michael nach Jahren wieder trafen, die beiden waren ja zusammen in der Grundschule – Johnny war ein oder zwei Jahrgänge unter ihnen. Brian ist vor einer Weile nach New Jersey gezogen, die beiden sahen sich wieder öfter und ich glaube, Brians Plan war, Michael wieder in eine Band zu ziehen, damit der mal wieder vor die Haustür geht. Die beiden verbindet, dass man sie damals, Anfang der Achtziger, in Washington für die beiden besten Gitarristen hielt – die beiden spielten aber nie zusammen in einer Band. Erst jetzt mit FAKE NAMES kam es dazu.

Dass diese drei Typen dann auf dich zukamen, das muss ja wie Weihnachten und Ostern an einem Tag gewesen sein.
Hahaha! Alle Platten, die die aufgenommen haben, stehen in meiner Plattensammlung! Das war schon seltsam, aber auch sehr schmeichelhaft. Wenn mir jemand 1988, als ich das erste Mal MINOR THREAT hörte, prophezeit hätte, dass ich mit 47 mit diesen Leuten in einer Band spielen würde, ich hätte es nicht geglaubt. Manchmal bin ich wirklich ein Glückskind.

Du bist selbst ein Rockstar, du triffst bei verschiedensten Gelegenheiten auf „Rocklegenden“ – es gibt aber trotzdem noch bei dir solche „Wow!“-Momente, wenn du bestimmten Menschen begegnest?
Klar, ich bin ja selbst ein totaler Fanboy, bin ein super nerdiger Plattensammler, beschäftige mich schon fast zu viel mit amerikanischem Punk und Hardcore. Vor Jahren waren wir mal mit DEFTONES auf Tour, und da sah ich backstage diesen Typen und sagte zu ihm: „Sorry, bist du Gavin von BURN und ABSOLUTION?“ Ich war total begeistert und er verwundert darüber, haha. Ich schaue immer noch auf zu den Leuten aus den Bands, mit deren Musik ich aufgewachsen bin, und es ist völlig egal, ob REFUSED heute größer sind, als deren Bands es je waren. Brian Baker traf ich das erste Mal, als wir mit REFUSED bei einem Festival in Göteborg spielten, und RISE AGAINST auch. Mit denen singe ich, wenn wir zusammen irgendwo gebucht sind, gerne mal einen MINOR THREAT-Song, und so war das auch da. Und als ich auf die Bühne gehe, läuft mir Brian Baker über den Weg, der da Gitarre spielen sollte, was mich nur noch nervöser machte. Ja, so haben wir uns das erste Mal getroffen. Eine andere beeindruckende Begegnung hatte ich im Januar in New York, als wir das Foto aufnahmen, das jetzt auch auf dem Ox-Cover ist: Das sollte Glen E. Friedman machen, eine Punkfotografenlegende, und da musste ich mich schon selbst zwicken, um mir zu versichern, dass das kein Traum ist.

Da du gerade vom Plattensammeln gesprochen hast: Wie steht es um die schwedische Plattenladenlandschaft? In Sachen Streaming ist es ja in keinem anderen Land, glaube ich, so schlimm wie in Schweden. Kauft da überhaupt noch jemand Platten?
Ja! Auch hier hat Vinyl ein großes Comeback erlebt. Viele Plattenläden gibt es zwar nicht mehr, aber in den großen Städten gibt es noch welche, hier in Stockholm gleich ein paar echt gute. Die „normalen“ Leute streamen natürlich, Spotify ist riesig hier, aber trotzdem haben wir vom letzten INVSN-Album alleine hierzulande tausend LPs verkauft. Wenn man eine Indie-Band ist und viel tourt, kann man immer noch ganz gut Vinyl verkaufen. Aber die Käuferschaft für so was ist natürlich limitiert.

Brian Baker
Brian Baker ist ein Musikjunkie, eine Band hat ihm selten gereicht, und auch stilistisch ist er von Hardcore bis Hardrock überall zuhause. BAD RELIGION und deren Arbeitspensum sind ihm fast zu wenig, weshalb der Gitarrist, der seit einer Weile nahe New York City in New Jersey lebt, noch Kapazitäten für eine von ihm bewusst nicht als „Projekt“ bezeichnete (Neben-)Band wie FAKE NAMES hat.

Brian, wie geht es dir in dieser verrückten Zeit?

Ich bin zu Hause, drinnen, und verbringe meine Zeit damit, an verschiedenen Projekten zu arbeiten. Mir geht’s gut, meiner Familie geht es gut, aber ich habe auch ein paar Freunde, die sich mit COVID-19 infiziert hatten, es zu Hause durchgestanden haben und jetzt wieder okay sind. Das macht Mut. Aber wir sind alle angespannt, das ist eine völlig neue, unbekannte Sache, die Angst macht. Und Selbstisolation ist wohl das Einzige, was wir als Einzelperson derzeit dagegen tun können, denn unsere Regierung hier ist in der Hinsicht keine Hilfe. Als alter Punkrocker hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich das mal sage, aber die konservative Regierung in Deutschland und ihr Handeln finde ich beeindruckend. Und euer System ist eben anders als das hier, bei euch sind öffentliche staatliche Dienstleistungen noch wichtig. Das Gemeingut hat bei euch noch Bedeutung – bei uns nicht, das ist Vergangenheit.

Ein Paradies ist es hier aber auch nicht mehr, denn mit dem SPD-Kanzler Schröder setzte in Deutschland auch ein Ausverkauf des Staatseigentums ein, es wurde flächendeckend privatisiert, etwa die Krankenhäuser. Neoliberales Denken hat sich auch hier sehr ausgebreitet. Immerhin scheint die Corona-Pandemie da in Teilen für ein Umdenken zu sorgen, etwa, dass es nicht so klug ist, alle Krankenhäuser an rein in Wirtschaftlichkeitskriterien denkende Klinikkonzerne zu verkaufen.
Ja, das ist zu hoffen, haha. Obwohl, bei dem Thema sollten wir nicht lachen, die Situation ist zu ernst, überall. Ich habe das Glück, in einer dünn besiedelten Gegend in New Jersey zu leben, am Strand, eine Stunde von New York City entfernt. Für mich ist die ganze Situation recht leicht zu ertragen.

Konkret ist das sicher der Fall, aber wie sieht es im Hinblick auf deinen Beruf als Musiker aus? Wie ist deine Prognose, was Konzerte in den nächsten Monaten betrifft?
Meine Erwartung ist, dass ich in absehbarer Zeit keine Konzerte spielen werde. Die klügste Planung ist derzeit wohl, dieses Jahr abzuschreiben und das, was für dieses Jahr geplant war, so nach 2021 zu schieben. Das sagt mir mein Bauchgefühl. Ich meine, du kannst nicht live spielen, solange sich dein Publikum nicht sicher fühlt. Ich wäre schon bereit, ein Risiko einzugehen, zu dem ein Konzertbesucher nicht bereit ist, denn dieses Risiko ist Teil meines Jobs. Aber wenn keiner kommt, wenn die Lage nicht sicher ist, macht es keinen Spaß und man sollte es besser bleiben lassen. Sicher ist es aber wohl erst dann, wenn es eine Impfung gibt oder sonst eine Lösung für das Problem. Das alles ist aber wohl eher ein Jahr entfernt. Und ich bin ja jetzt ein Experte für all das, weil ich so viel freie Zeit habe und alles dazu im Internet lesen kann, haha. Ich bin jetzt Medizinexperte, Virologe und all das. Diese Einschätzung treffe ich als jemand, der Konzerte liebt und sein gesamtes Leben damit verbracht hat und der es nicht abwarten kann, das endlich wieder zu tun.

Wie hätte der junge Brian Baker auf all das, auf eine Ausgangssperre reagiert? Hier in Deutschland gab und gibt es Leute, die sich das Partymachen nicht verbieten lassen wollen, und wir als Punks waren ja nie gut im Befolgen von Regeln.
Ich war 1980/81 noch ein wirklich junger Punk, gerade mal 15 – damals kam ich zu MINOR THREAT. Sich mit den Cops anzulegen, das war mehr was für die Achtzehnjährigen unter uns. Ich wohnte damals noch bei Mami, und ich glaube, die hätte sich da ganz ordentlich eingemischt, wäre ich auf dem „Going wild in the streets“-Trip gewesen mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen und sich mit der Polizei anzulegen, haha. Ich bin also kein gutes Beispiel für so eine Attitüde, ich war einfach noch etwas zu jung, um so eine Art von Aggression zu zeigen.

Du warst ein braver Junge, das willst du damit sagen ...
Ja, ich war ein „good boy“. Meine Vorstellung von Rebellentum war damals, statt wie vereinbart um zehn erst nach Mitternacht zu Hause zu sein: „Hey mom, what you’re gonna do? Ich habe gerade die CIRCLE JERKS gesehen, mir egal, was du jetzt sagst.“

Ich sprach vorhin mit Dennis Lyxzén über eure ... Band? Euer Projekt?
Ich denke, es ist eine Band. Ja, doch, 100%. Eine Band, deren einzige Einschränkung darin besteht, wann wir es mal schaffen, zusammen zu spielen, denn Dennis, Johnny und ich haben jeweils noch andere Bands. Im Falle von BAD RELIGION und REFUSED sind das jeweils die Prioritäten in unserem Leben. Außerdem hat er noch INVSN, ich noch DAG NASTY und BEACH RATS, aber ich freue mich schon darauf, irgendwann so viel wie möglich mit FAKE NAMES zu spielen. Aber BAD RELIGION sind eben eine Institution, die Band ist mehr als ihre Mitglieder. Dennoch habe ich eigentlich genug Zeit, um mich auch anderen Bands zu widmen, und die werde ich immer nutzen.

Normalerweise reicht einem doch eine Band in seinem Leben, oder? Warum brauchst du noch Zweit- und Drittbands?
Weil ich nicht stillsitzen kann und ständig spielen muss. Und weil ich ständig neue Songs schreibe. Ich spiele jeden Tag Gitarre. Und mehr als nur eine Band zu haben, ist für mich keine Herausforderung. Es ist ein Vergnügen, es fällt mir leicht. Ich kann Gitarre spielen, und neue Musik strömt ständig aus mir heraus – so wie du ständig neue Reviews und Artikel schreibst und dir das keine Mühe macht. Oder wie ein Schriftsteller immer neue Bücher schreibt. Der macht eben seinen Job. Was ich mache, bereitet mir keine Mühe. Und am allerliebsten stehe ich auf einer Bühne und spiele vor Menschen. Da BAD RELIGION das nicht jeden Monat tun können, bleibt mir Zeit für andere Bands. Wir spielen mit BAD RELIGION ja nur vielleicht achtzig Konzerte im Jahr.

„Nur“ achtzig Konzerte?!
Ich kenne Leute, die spielen 300 Konzerte im Jahr, aber die sind auch irre. Aber eine halbwegs bekannte Rockband hat im Jahr schon so um die 150 Auftritte. Da bleibt mir bei unseren siebzig, achtzig Shows viel Zeit für anderes. Und warum sollte ich die nicht damit ausfüllen, das zu tun, was mir am meisten Spaß macht?

Gibt es sonst irgendwas, das dir so viel Freude bereitet wie Musik zu machen? Gartenarbeit, Wandern, alte Autos oder was weiß ich.
Ich bin einfach gerne draußen. Der Grund, weshalb ich vor einer Weile nach New Jersey gezogen bin, war ganz einfach, weil ich hier draußen ein günstiges Haus mit viel Grün drumherum gefunden habe. Ich liebe es, im Garten zu sein ... und ich liebe alte amerikanische Autos aus den Sechzigern. Ich habe aktuell aber keines, ich war gerade dabei, mich nach einem neuen alten Auto umzusehen, als die Corona-Pandemie losging, und so brauche ich das Geld jetzt, um durchzukommen, so ohne Einkommen aus Konzerten. Außerdem bin ich begeisterter Fahrradfahrer, ich versuche, mich jeden Tag aufs Rad zu setzen, zwanzig, dreißig Meilen zu fahren. All das betreibe ich mit Leidenschaft, aber nichts davon wäre möglich ohne die Musik. Ich bin immer wieder erstaunt, dass das funktioniert, also etwas zu tun, das man auch ohne Bezahlung tun würde – Musik machen – und damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Neulich noch sah ich auf Arte nach Ewigkeiten mal wieder den Coen Brothers-Film „Raising Arizona“, deutsch: „Arizona Junior“, von 1987 und jetzt lese ich in eurem Presseinfo, dass der Name FAKE NAMES eine Anspielung darauf ist. Verrätst du mir Genaueres?
Okay, also Gale und Evelle überfallen ja die Bank, und der jüngere Bruder spricht Gale da aus Versehen mit seinem richtigen Namen an. Und der sagt, nein, sie würden ja Codenamen verwenden. Und daher kommt unser Name. „Raising Arizona“ ist auch mein liebster Coen Brothers-Film, und er kam raus in eine sehr wichtigen Phase meines Lebens. Wir hatten damals so ein Band-Haus, als ich bei DAG NASTY war, wir lebten als WG zusammen, nannten es „Dag Haus“, in deutscher Schreibweise. Das war eine runtergerockte Bude in einer miesen Gegend, also genau das, was man Typen wie dir und deinen fünf Freunden vermietet. Jeder zahlte 100 Dollar im Monat, und unsere Entertainment-Optionen waren eher begrenzt. Wir konnten uns keinen Kabelanschluss leisten und im Fernseher lief nur, was wir auf unserem alten Videorecorder abspielen konnten. Die „Raising Arizona“-Kassette hing im Gerät fest, wir konnten also nur diesen Film anschauen, und das taten wir auch – sicher 150-mal. Eine Frau, die damals mit uns im dem Haus wohnte, nannte ihren Sohn später Nathan, haha. Jeder einzelne Dialog hat sich in mein Hirn eingefressen, bis heute – und das ist weit über dreißig Jahre her. Wenn ich die Jungs heute treffe, unterhalten wir uns eigentlich nur in Sätzen aus diesem Film.

Und falls dich eines Tages Alzheimer erwischt, sitzt du da und alles, was man noch von dir hört, sind Sätze aus diesem Film.
So könnte das aussehen. Das machen aber doch viele von uns, oder? Also sich in Filmdialogen unterhalten. So kann man sich ziemlich mühelos unterhalten, hehe.

An so was merkt man aber auch bisweilen sein Alter. Ich bin großer Monty Python-Fan ...
Ich auch!

... ich merke durchaus, dass Sätze aus Monty Python nur noch von Menschen einer bestimmten Altersbandbreite verstanden werden. Jüngere kennen das gar nicht mehr, da erntet man nur verwunderte Blicke. Man muss also feststellen, dass bestimmte popkulturelle Referenzen nur in einer bestimmten Altersgruppe funktionieren.
Ja. Aber man muss auch klar sagen, dass unsere popkulturellen Referenzen natürlich auf jeden Fall besser sind als jene, welche die Kids heute haben. Hahahahaha! Monty Python und „Raising Arizona“ sind einfach viel, viel besser und wichtiger als „RuPaul’s Drag Race“. Das muss man einfach mal klar aussprechen.

Klingen wir jetzt wie alte weiße Männer?
Alt ja, weiß oder nicht, das ist egal.

Du hast zwei andere alte Männer in der Band und einen etwas jüngeren. Wie kam das alles?
Michael Hampton und ich waren zusammen in der Schule, wir kennen uns seit der ersten Klasse. Wir lernten zur gleichen Zeit Gitarre spielen. 1972 oder 1973 bekamen wir beide eine Akustikgitarre zu Weihnachten geschenkt. Michaels ältere Schwester spielte bereits Gitarre, also wusste der schon mehr darüber als ich. Wir waren sieben, acht, er durfte mal bei mir übernachten, ich bei ihm, und wir nutzten solche Abende, um zusammen Gitarre zu spielen, ja, wir schrieben sogar eigene Songs – ich wünschte, ich hätte Aufnahmen davon. Wir waren gute Freunde, in der gleichen Schule, hatten die gleichen Interessen. Dann kam Punk um die Ecke und Michael war derjenige, der mich in die ganze Sache einführte. Er spielte mir THE CLASH vor, die SEX PISTOLS, und so weiter. Und dann waren wir zur gleichen Zeit in DC in Bands, ich bei MINOR THREAT, er bei S.O.A., zusammen mit Henry. Und dann war ich bei DAG NASTY und er bei EMBRACE. Wir haben immer ähnlich gedacht und ähnlich gespielt.

Aber ihr wart auf parallelen Gleisen unterwegs, bis zu FAKE NAMES nie auf demselben.
Exakt! Das Leben ging weiter und mittlerweile bin ich schon seit 25 Jahren bei BAD RELIGION, total verrückt. Und Michael wurde Komponist, arbeitete für Film- und Fernsehproduktionen. Der hatte seit Jahrzehnten nicht in einer Live-Band gespielt. Als ich vor ein paar Jahren nach New Jersey zog, war ich plötzlich nur noch eine Stunde von ihm in Brooklyn entfernt und wir wohnten endlich wieder so nahe beieinander, dass wir uns wieder regelmäßig sehen konnten. Wie es alte Freunde eben tun. Und wir fingen an, wieder zusammen Gitarre zu spielen und gleich beim ersten Mal kamen vier neue Songs dabei heraus. Das strömte nur so aus uns heraus. Er hatte Ideen, ich hatte Ideen, wobei er ganz klar der bessere Songwriter ist. Wir waren uns dann schnell einig, dass wir mehr daraus machen, einige weitere Songs schreiben sollten und das Ganze in eine Band verwandeln. Und so kam dann der Punkt, an dem wir ins Studio gehen mussten, weil man am Computer eben nur bis zu einem gewissen Grad was machen kann. Michael hatte allerdings in den Jahren davor auch immer wieder mal was mit Johnny Temple zusammen gemacht, der in die gleiche Grundschule ging wie wir, aber zwei Jahre jünger ist. Damals hatten wir nichts miteinander zu tun, zwei Jahre machen in dem Alter eine Menge aus, für Viertklässler sind Zweitklässler ja nur so was wie Ameisen. Allerdings war seine ältere Schwester in unserem Jahrgang und daher kannte ich ihn. Johnny wurde dann später auch Punk, er war bei SOULSIDE und GIRLS AGAINST BOYS. Wir kannten uns, ohne aber wirklich viel miteinander zu tun zu haben. Über Michael lernte ich ihn dann besser kennen und stellte fest, wie viel wir ehemaligen Georgetown-Grundschüler gemeinsam haben und fanden uns plötzlich gemeinsam in dieser Post-Punk-Powerpop-Band – oder wie immer man das nennen mag – wieder. Unsere Freund Matt spielte dann Schlagzeug für uns, und ... irgendwann hatten wir Demos. Nein, Demos ist nicht der richtige Ausdruck, es waren Proberaumaufnahmen und Pro-Tools-Sachen mit künstlichem Schlagzeug, und wir merkten, dass wir bald mal einen Sänger brauchen. Ich versuchte Michael zu überzeugen, denn er singt gut, aber er wollte nicht. In der letzten Band vor vielen Jahre hatte er Gitarre gespielt und gesungen und wollte das nicht mehr. Und so warfen wir ein paar Ideen in die Runde, ein paar Namen, Ted Leo zum Beispiel. Er war aber nicht interessiert, und Michael sprach Craig Finn von THE HOLD STEADY an, doch der hatte keine Zeit. Dann trat ich mit BAD RELIGION und Johnny mit GIRLS AGAINST BOYS 2016 beim Riot Fest in Chicago auf und REFUSED spielten da auch.

Und dann habt ihr einfach Dennis angesprochen?
Ja, wir kannten ihn, also eben so, wie man sich unter Punkrockern eben kennt. Irgendwie kennt ja jeder jeden. Wir plauderten, und ich glaube, es war Johnny, der ihn dann fragte, ob er nicht bei uns singen wolle. Dennis meinte nur, das klinge spannend, wir sollten ihm was zu hören schicken. Und das taten wir und er hatte Bock. Ich dachte mir nur: „Fuck, holy shit, really?“ Johnny kannte Dennis besser, für mich war Dennis ein schwedischer Rockstar – wir kannten uns, waren aber nicht befreundet. Und ich war echt aus dem Häuschen, dass dieser coole schwedische Rockstar echt Bock hat, für unsere kleine Band zu singen. Ich war echt aufgeregt und noch aufgeregter, als ich hörte, was Dennis zu unseren Songs an Gesang zu bieten hatte. Er hatte ja nur so Song-Skizzen bekommen und die Bitte, er solle einfach mal machen – keine Anweisungen oder so. Und er hatte diese tollen Melodien am Start und echt interessante, politische Texte, wie bei allen seinen Bands. Und dem setzten wir dann unsere Songs gegenüber, die irgendwie nach THE KNACK klingen, so gar nicht aggressiv. Wir fragten uns, ob das wohl funktionieren würde, und das tut es, und dieser Gegensatz ist der Grund, dass es funktioniert. Er brachte so eine gewisse Weirdness in die Band, die wirklich cool rüberkommt. Und das kam ja alles per Zufall zustande, nichts davon war geplant. Keiner hatte Erwartungen, alles ist einfach so passiert. Und an dem Punkt war uns dann klar, dass wir jetzt mal richtige Demoaufnahmen machen müssen. Wir beschlossen, dass wir jetzt eine richtige Band sind, dass wir uns FAKE NAMES nennen, ins Studio gehen und dann versuchen ein Label zu finden.

Und so kam es ja auch.
Wir hatten das Glück, dass unser Freund Geoff Sanoff im Renegade Sound-Studio in New York arbeitet, das Little Steven Van Zandt gehört. Den habe ich da aber leider nie getroffen, das ist wirklich schade – ich bin ein großer Fan von ihm, ich meine, jeder will doch mal Silvio treffen, oder? Immerhin habe ich einen seiner Verstärker benutzen dürfen. Geoff hat uns da also ins Studio „geschmuggelt“. Steven nutzt das für seine Arbeit, aber wenn er es nicht braucht, können da eben auch andere Leute rein. Und als mal was frei war, rief uns Geoff an und wir legten los. Das lief nicht am Stück, sondern mal hier ein paar Stunden, mal da. Das dauerte also recht lang, bis die Stücke im Kasten waren. Irgendwann hatten wir dann die Albumsongs zusammen, Michael hatte ein paar Ideen für ein Label, Johnny auch, und ich schlug dann vor, die Sachen mal an Brett von Epitaph zu schicken, um seinen Rat einzuholen, wen wir fragen könnten. Ich dachte mir, der kennt vielleicht ein cooles 7“-Vinyl-Label, das mir nicht in den Sinn kommt. Brett ist ja schließlich im Musikbusiness. Ich wollte also nur seine Meinung zu unseren Demoaufnahmen hören. Und stattdessen meinte er dann, das sei super, er wolle das machen. Ich antwortete, er müsse das nicht machen, um mir einen Gefallen zu tun, weil ich mit ihm zusammen bei BAD RELIGION spiele, aber er war echt begeistert und wollte uns sofort auf Epitaph signen. Für mich klang das super, ich bin da seit 1991, und dann fragte ich ihn, wann und wo wir denn ins Studio gehen sollten. Worauf er antwortete, nein, die Aufnahmen seien ja schon die Platte. Mein Argument, dass das ja nur ein Demo sei, wies er zurück: Die Aufnahmen seien gut, das könne man so veröffentlichen. Nun, Brett weiß mehr vom Plattenmachen als ich, also diskutierte ich nicht weiter. Und was du jetzt hörst, sind genau diese Aufnahmen, unser Album, auf das wir wirklich stolz sind – und alles ist ein Zufallsprodukt.

Habt ihr jemals live gespielt mit dieser Band?
Einmal!

Wow!
Wir haben uns wirklich den Arsch abgetourt, haha. Ein Konzert in Brooklyn im Januar 2019. Union Pool heißt der Laden, da passen vielleicht 150 Leute rein. Es lief gut, und immerhin waren auch zwei Leute da, die mit ihrem Smartphone gefilmt haben. Na ja, und dann sollte das Album also rauskommen, Dennis ist in Schweden, wir hatten ja keine Fotos! Michael fand dann immerhin die Leute, die bei der Show gefilmt haben, so dass wir daraus was für unser Video verwenden konnten. Die anderen Fotos hat jeder von uns zu Hause gemacht und wir haben das dann irgendwie zusammengebaut ... Das war also unser Debütkonzert und ich kann es nicht erwarten, wieder mit den Jungs zu spielen.

Klingt alles nicht wie ein planvolles Vorgehen, das man ambitionierten Bands zur Nachahmung empfehlen sollte.
Nein, aber es erinnert mich daran, wie wir damals jung waren und unsere Bands angegangen sind. Als ich bei MINOR THREAT war, hat keiner von uns darüber nachgedacht, was in zwei Wochen sein wird. Keiner hat über einen Plattenvertrag nachgedacht. Wir haben das zum Spaß gemacht, und überhaupt war ja der einzige Grund, dass ich in der Band war, dass ich die gleiche Highschool besuchte wie der Gitarrist und wie ein Punk aussah. Und ich konnte ein Instrument spielen. Die Szene war so klein, dass jeder, der ein Instrument halten konnte, schon an irgendeine Band vergeben war. Bei mir war das also wie beim Schulsport, wenn alle schon für eine Mannschaft vergeben sind und nur noch einer da sitzt und dann nimmt den eben auch jemand. So lief das damals und es ist unglaublich, was daraus wurde, wie viele Menschen dann von MINOR THREAT beeinflusst wurden. Es ist einfach nur passiert. Und FAKE NAMES sind jetzt so was wie die Erwachsenenversion davon, mit dem Riot Fest als Basis und dem Einsatz etlicher Vielfliegermeilen.

Das Problem für uns in Europa war ja damals, dass uns diese Musik mit Verzögerung erreichte. Die Bands in DC und im Dischord-Umfeld waren oft kurzlebig, wenn die Platte dann endlich erschienen war, dauerte es noch Monate, bis sie uns in Europa erreichte, bis man davon was mitbekommen hatte – und dann gab es die Band längst nicht mehr, sondern schon wieder andere mit den gleichen Leuten. Und dann musste man ohne Internet irgendwie rauskriegen, wie das alles zusammenhing – schrecklich!
Haha, ja, das war so typisch für DC. Einer verließ die Band und man löste die gleich ganz auf. Aber das war auch eine Aussage: Die Freundschaft war wichtiger als die Musik. In gewisser Weise war das toll, in anderer Hinsicht hat einen das natürlich eingeschränkt. Aber so war das eben.

Lass uns doch bitte noch über die musikalische Seite von FAKE NAMES sprechen. Was war eure Idee?
Wie du dir vielleicht jetzt denken kannst, gab es keinen Plan. „Brick“, unser erster Song mit dem Video, klingt ja nicht wie der Rest der Platte. Brett hat den ausgesucht, ich habe mit dem ganzen Marketingscheiß nichts am Hut, nie gehabt. Ich habe und hatte nie ein Händchen dafür, irgendwas zu verkaufen. Klar, es gibt sicher Vorstellungen davon, wie das Album klingt, auf Basis der Bandmitglieder. Aber wir sind alle alt, keiner von uns muss sich mehr irgendwas beweisen. Die Songs reflektieren eigentlich nur, was Michael und ich mögen, was wir für Musik hören. Letzte Nacht habe ich BADFINGER gehört, eine Band aus den Siebzigern, ich mochte da einen Part aus einem Song, und so etwas findet sich dann vielleicht in einem Stück wieder. FAKE NAMES spiegeln all unsere Einflüsse wider und welche Musik für uns immer noch wichtig ist. Diese Platte klingt also nach THE RUTS, ein bisschen nach THE DAMNED, da ist dieser Powerpop-Touch, da sind THE KINKS ... Viel alte englische Musik steckt da drin, und unser Bandlogo ist von den VIBRATORS geklaut. Und on top kommt dann das Gitarrenspiel von Michael und mir und dann hast du diesen DAG NASTY- und EMBRACE-Sound, was einfach daran liegt, wie wir spielen.

DAG NASTY haben ja einst schon mit „Staring at the rude boys“ THE RUTS gecovert.
Exakt. THE RUTS und THE DAMNED sind definitiv meine größten Einflüsse. Deshalb spiele ich so Gitarre, wie man es von mir kennt. Wann immer es geht, schaue ich mir THE RUTS live an, das sind einfach so gute Musiker und nette Leute noch dazu.

Um auf euer Album zurückzukommen ...
Das hat zig Einfüsse. Michael ist Komponist, wenn wir zusammen spielen, hat der ständig neue Ideen und manche hält der direkt fest und das ist dann vielleicht Grundlage der Hintergrundmusik einer National Geographic-Doku. Oder eben was für die FAKE NAMES. Dennis klammert dann schließlich alles zusammen mit seiner Art zu singen, und das gibt dem Album seine Tonalität. Es ist eine eigenwillige Platte, eine interessante Kombination von Einflüssen, und wer denkt, er bekomme hier eine Mischung aus REFUSED und BAD RELIGION, wird das Album wahrscheinlich nicht gleich verstehen. Es braucht ein paar Anläufe. Es ist einfach ... weird, ein passenderes Wort fällt mir nicht ein, um es zu beschreiben.

Ich schätze, bei einem BAD RELIGION-Album ist die Herangehensweise ganz anders.
Klar. Brett und Greg schreiben jeder für sich BAD RELIGION-Songs und dann treffen wir uns alle im Studio, suchen aus, welche uns am besten gefallen, proben die und nehmen sie auf. So war das immer schon. Wir haben da zwei Songwriter und die haben Skizzen von Songs, die wir zusammen ausarbeiten. FAKE NAMES war ganz anders, wir wussten ja nicht mal, wer singen wird – bei BAD RELIGION ist klar, dass es Greg Graffin ist. Und wir wussten ja nicht mal, wofür wir die Songs schreiben. Ich hasse den Begriff „organisch“ im Bezug auf das Entstehen von Musik, „organic“ ist okay für Gemüse, das sollte bio sein. Und deshalb ist „accidental“, also zufällig, unbeabsichtigt, eine bessere Beschreibung für das Zustandekommen der Songs. Das klingt nicht so angeberisch wie „organic“. Eine Gleichung mit vielen Variablen, so könnte man das auch beschreiben. Und das Resultat ist ein Album, das ich mir gerne anhöre. Ich kann es kaum erwarten, noch mehr Songs für diese Band zu schreiben, ich bin da auch an ein paar Sachen schon dran.

Johnny Temple
... spielte einst bei der Achtziger DC-Band SOULSIDE und ist bis heute bei GIRLS AGAINST BOYS, auch wenn deren Aktivitäten eher sporadisch sind. Im Hauptberuf ist er Mitbetreiber des popkulturaffinen US-Verlags Akashic Books.

Dennis sagt im Interview, er habe deinen Rat gerne angenommen und einige seiner Texte angepasst, weil er weiß, dass du ein Mann des geschriebenen Wortes bist. Was schätzt du an ihm als Sänger und Texter?

Dennis ist ein erstaunlicher Sänger. Er hat nicht nur einen exzellenten Instinkt und eine großartige Stimme, sondern er ist ein echter Musikliebhaber, der ständig neue Platten kauft und immer wieder seinen eigenen Geschmack herausfordert. Er glaubt fest daran, dass Worte wichtig sind, also täuscht er nie etwas vor.

FAKE NAMES entstanden bereits 2016, als GVSB beim Riot Fest spielten. Letztes Jahr warst du mit SOULSIDE auf Tournee. Gibt es irgendwelche aktuellen musikalischen Aktivitäten von GVSB?
SOULSIDE hat eine brandneue 7“ aufgenommen, die in ein paar Monaten auf Dischord erscheinen wird. GVSB hat Pläne für 2021, aber ich weigere mich, irgendwelche Einzelheiten mitzuteilen.

Willst du uns denn deine Gedanken zu FAKE NAMES mitteilen?
Ich fühle mich geehrt, mit Michael, Brian und Dennis zu spielen, sowie mit Matt Schulz, der auf der Platte Schlagzeug spielt. Sie alle sind so unglaubliche Musiker. Es gibt viele musikalische Gemeinsamkeiten, die zum Teil mit DC-Punk und seinen vielen Einflüssen und Vorgängern zu tun haben, und Dennis kennt die Szene, in der wir anderen aufgewachsen sind, sehr gut. Es ist irgendwie seltsam, dass drei von uns als Kinder auf dieselbe Schule gingen.

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Diskografie

Johnny Temple


GIRLS AGAINST BOYS: Tropic Of Scorpio (LP/CD/MC, Adult Swim, 1992) • Venus Luxure No.1 Baby (LP/CD/MC, Touch And Go, 1993) • Cruise Yourself (LP/CD/MC, Touch And Go, 1994) • **House Of GVSB** (LP/CD/MC, Touch And Go, 1996) • Freak*on*ica (CD/MC, Geffen, 1998) • You Can’t Fight What You Can’t See (LP/CD, Jade Tree, 2002)

SOULSIDE: Less Deep Inside Keeps (LP/MC, Dischord/Sammich, 1987) • Trigger (LP/MC, Dischord/Sammich, 1988) • Hot Bodi-Gram (LP/MC, Dischord, 1989)

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Diskografie