FAINT

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Omaha über alles

Gut zwei Jahre sind vergangen, seit City Slang sich einen Ruck gab und das „Danse Macabre“-Album von THE FAINT in Deutschland veröffentlichte. Zwei Jahre, in denen die fünf Herrschaften aus Omaha, Nebraska alles andere als untätig waren. Eine Tour mit RADIO 4 wurde absolviert, Remixe angefertigt, Side-Projects wie BEEP BEEP und BROKEN SPINDELS ins Leben gerufen und BRIGHT EYES tatkräftig unterstützt - und darüber hinaus auch noch tüchtig am Folgealbum „Wet From Birth“ gebastelt. Und dieses kommt jetzt, zu unser aller Entzücken, sogar ohne jegliche Verspätung für mehr oder minder kleines Geld direkt über das Mutterlabel Saddle Creek in die Regale der Plättenläden, obendrein noch pünktlich zum zehnjährigen Bestehen der Band. Klingt doch gut, genau wie das Neueste von THE FAINT.

Da sitzt er nun vor mir. In einer dieser schicken Designerhotel-Lobbys rekelt sich Todd Baechle, die Stimme von THE FAINT, in einem klassischen schwarzen Barcelona Chair. Von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, in der Rechten einen Donut, in der Linken eine Tasse schwarzen Kaffee, dauert es an diesem Vormittag eine Weile, bis der blasswangige Baechle sein Frühstück beendet hat und seine volle Konzentration auf das Interview richtet. Glaubt man den Gerüchten, die seine Person umgeben, verwundert es durchaus, dass Todd, zugegebenermaßen ein eher introvertierter Zeitgenosse, äußerst bereitwillig Frage um Frage beantwortet, und mit einem unterschwelligen Humor zu einem durchaus unterhaltsamen Gesprächspartner wird.

„Wet From Birth“ also. Das vierte Studioalbum von THE FAINT gleicht, um es bildlich auszudrücken, dem Gesicht einer fremden Person, die man zum ersten Mal sieht und dennoch meint, sie von irgendwoher zu kennen. Seit Ewigkeiten sogar. So in etwa fühlt sich das jüngste FAINT-Werk beim Hören jedenfalls an, auf dem um sämtliche Ecken „Danse Macabre” zu blicken scheint. Aber dann doch wieder alles ganz anders als erwartet. Kontrastreicher ist es geworden, fokussierter im Hinblick auf das Songwriting und weniger New Wave-lastig. Dafür jede Menge Streicher. Der Ursprung der Platte, daher wohl auch die passende Namensgebung, liegt im letzten Song. “Birth”, der, wie Todd leicht beschämt zugibt, während seines Selbstfindungstrips in Thailand entstand. „Es fällt mir unglaublich schwer, für ein neues Album Songs zu schreiben. Meistens schreibe ich fünf bis sechs Texte, um überhaupt zu wissen, in welche Richtung es gehen wird. Ich bin leider nicht der Typ, der während einer Tour neue Stücke ausarbeiten kann. Bevor ich mit dem Schreiben der ‚Wet From Birth‘-Texte begann, hatte ich aus verschiedensten Gründen das Bedürfnis, meinen Alltag hinter mir zu lassen. Nicht dass es ein Problem in meinem Leben gab, vielmehr brauchte ich Zeit für mich, um klare Gedanken zu fassen. Als ich auf einer dieser thailändischen Inseln saß, bekam ich die ersten wirklichen Ideen für „Birth“ und weitere Stücke.“

Ähnlich persönlich wie „Birth“ kommen auch sämtliche andere Stücke daher. Der Opener „Desperate Guys“ oder auch das himmlische „Southern Bells In London Sing“, eine Ode an die Beziehung zwischen ihm und Freundin Orenda Fink von AZURE RAY – sie ist auch auf dem Song zu hören –, spiegeln ein bis dato unbekannt intimes Gefühl in den Texten von THE FAINT wider. Ob sich dies auf das musikalische Spektrum der Band auswirkte, quasi eine neue Gelassenheit im FAINTschen Klangkosmos zu erschaffen, oder ob dieser Prozess entgegengesetzt verlief, sei dahingestellt. Das Ergebnis spricht für sich und für den auf Komplimente in absoluter Bescheidenheit reagierenden Todd. „Es ist wirklich schön zu hören, dass unsere Platte imstande ist, bei fremden Menschen ein positives Empfinden zu wecken, was uns wiederum auch als Gruppe bestätigt, wahrhaftige Songs schreiben zu können. Ich bin wirklich froh darüber“, lächelt Baechle zufrieden und nippt an seiner Kaffeetasse. „Die morbiden Beats auf ‚Danse Macabre‘ machten die Platte zu einem Album, was einfach nur für die Nacht bestimmt war. Wir wollten es damals genau so haben. Bei ‚Wet From Birth‘ hingegen hielten wir uns an keine Regeln, wir hatten nicht mal welche aufgestellt. Alles geschah aus dem jeweiligen Gemütszustand heraus.“

Dass THE FAINT gerade ein – ohne in übermäßige Schwärmereien zu geraten – ziemliches gutes Album fertig gestellt haben, lässt Todd relativ unbeeindruckt an seinen im Sessel vergrabenen Schultern abprallen. Auch die Tatsache, dass genreverwandte Kollegen von zum Beispiel THE RAPTURE, und in Kürze wohl auch die von LCD SOUNDSYSTEM in den vergangenen Monaten an Popularität gewannen, hält Baechle für weniger erwähnenswert, wenn es um die Zukunft der eigenen Gruppe geht. Okay, man hat sicherlich einen ähnlichen Background, was die Vergangenheit angeht, aber man ist eben schon eine Runde in der Musikindustrie Berg-und-Tal-Bahn gefahren und weiß allmählich, wie der Hase läuft. „Wir haben in den Staaten vor der Veröffentlichung unseres letzten Albums Angebote von verschiedenen Major-Labels erhalten. Alles, was diese Labels für uns tun konnten, hörte sich nicht überzeugend genug an, um Saddle Creek zu verlassen. Wir haben kein Interesse daran, wahnsinnig berühmt zu werden, warum sollten wir also Saddle Creek verlassen? Uns geht es dort sehr gut und können dort tun, was immer wir wollen. Wie es bei einem Major ist, wissen wir nicht. Ich schließe es aber auch nicht aus, dass wir irgendwann vielleicht doch bei einem landen“, erklärt Todd und ergänzt schmunzelnd: „Falls wir eines Tages total pleite sind, stehen die Chancen ganz gut für einen Wechsel zu einem großen Label. Die Band am Leben zu halten, kostet eine Menge Geld, und deshalb hoffe ich, dass den Leuten ‚Wet From Birth‘ gefällt.“ Dollarnoten in Todds Augen? Nein, nur ein Scherz.

Wie sämtliche anderen Saddle Creek-Künstler teilen auch THE FAINT eine beispiellose Loyalität gegenüber dem Label und dem Hausproduzenten Mike Mogis. Zum zweiten Mal bereits ist er es, der das kreative Schaffen der Gruppe technisch kanalisierte. Daneben existiert aber wohl ein nicht weniger elementarer Bund. Nämlich der zur eigenen Stadt – Omaha. „Wenn wir in New York leben würden, wären wir mit Sicherheit zu einer anderen Band geworden, als wir es heute sind. Wir haben eine Neigung dazu, Dinge zu tun, die andere Menschen nicht machen. Es ist uns sehr wohl bewusst, was wir wollen, aber falls wir andere Musiker hören würden, die genau das machen, was wir machen, würden wir sehr wahrscheinlich unterbewusst einen anderen Weg einschlagen. In Omaha anders zu sein, ist nicht wirklich schwierig. Allerdings frage ich mich in letzter Zeit immer häufiger, wo all diese neuen Bands herkommen. Früher waren bei Konzerten unter der Woche vielleicht 50 Besucher da, heute sind es 300. Ob vielleicht all diese Leute zugezogen sind? Ich kann es mir nicht vorstellen, Omaha ist doch nicht New York.“

Hört man zu, wie Todd über seine Heimat spricht, klingt es ein wenig nach einer romantischen Hass-Liebe: „Wenn du in Omaha lebst, lernst du mehr über Menschen, denn den wenig netten Leuten dort muss man einfacher offener begegnen, um sie zu verstehen.“ Ähnlich wie der Dualismus von „Wet From Birth“ mit konträren Songs wie „Drop Kick The Punks“ oder „Phone Call“. Baechle nickt bestätigend, sucht die Lobby nach einem Angestellten des Hotels ab und bestellt einen neuen Kaffee.