ES WAR MORD

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Analyse und Gegenreaktion

Seit nicht allzu langer Zeit hat die Hauptstadt ein neues düster klingendes Deutschpunk-Wunder namens ES WAR MORD. Die fünf Jungs haben bereits einiges an Punk-Geschichte mitschreiben dürfen, nicht zuletzt die beiden Gitarristen Sepp Ehrensberger (VORKRIEGSJUGEND, JNGO DE LUNCH) sowie Tom Schwoll (ZERSTÖRTE JUGEND, DIE SKEPTIKER, JINGO DE LUNCH, KUMPELBASIS). Mit letzterem unterhielten wir uns über das finstere E-Moll-Gewitter, welches die Band mit ihrem Debüt „Unter Kannibalen“ aufziehen lässt.

Tom, KUMPELBASIS gibt es wohl nicht mehr, DIE SKEPTIKER spielen selten, da brauchtest du offenbar eine weitere Band.

Das stimmt so nicht, SKEPTIKER sind gerade dabei, eine neue Platte aufzunehmen.

Danke für die Info. Mit Sepp, eurem anderen Gitarristen, hast du bereits bei JINGO DE LUNCH und ZERSTÖRTE JUGEND zusammengespielt, von daher gehe ich davon aus, dass ihr hier die treibenden Kräfte wart.

Nein, alle in unserer Band treiben kräftig beziehungsweise gleich kräftig mit. Aber Sepp und ich hatten anfangs die Idee, noch mal eine gemeinsame Band zu gründen, die etwas ursprünglicher klingt. Zuerst stand sogar im Raum, nur Aufnahmen zu machen und gar nicht live zu spielen. Es war eher so eine Art Konzept. Als dann Dietmar und Markus dazukamen und kurze Zeit später Stunk, haben wir begonnen, die Songs auszuarbeiten. Dabei hat die ganze Sache eine Dynamik entwickelt, die eher einer Live-Band entsprach.

Das düster wirkende Cover eurer LP stammt von Fritz Ebeling, einem verstorbenen West-Berliner Künstler, und passt ausgezeichnet zu eurem Sound. Was drückt das Motiv für dich genau aus?

Mir ist das Bild das erste Mal aufgefallen, als ich ungefähr sechs Jahre alt war: Ich war bei meiner Oma zu Besuch in der Goethestraße 47 in Berlin-Charlottenburg und habe Ebeling dabei zugeschaut, wie er die Abzüge gemacht hat. Du musst wissen, der Holzschnitt ist im Original circa 100 mal 60 Zentimeter groß, das war für mich damals sehr beeindruckend. Als Stunk mit dem Namen ES WAR MORD ankam, fiel mir ein, dass mein Vater mir vor ein paar Jahren einen Abzug überlassen hat, den ich dann Stunk gezeigt habe. Chrissy von GHOSTMAKER, ex-SHARKSOUP, hat das dann abfotografiert und den Schriftzug entworfen und einmontiert. Stunk hat das eine Weile als Bildschirmhintergrund auf dem Rechner gehabt und dann war die Sache klar.

Wenn du die Grundaussage eurer Musik in Prozente aufteilen müsstest, zu wie viel Prozent ist es Kunst und zu wie viel Politik?

Keine Ahnung, Prozentrechnung ist nicht mein Ding. Kunst und Politik sind dehnbare Begriffe. Kunst ist erst mal gut und wichtig, aber manchmal künstlich und bemüht. Politik ist notwendig, aber der Hang zum Dogma nervt.

Wie kamen die anderen Musiker hinzu? Sänger Stunk, ex-SITUATIONS, passt ja stimmlich wie die Faust aufs Auge.

Das war Dietmars Idee. Stunk macht was her, ist absolut authentisch und seine Inszenierungen sind wirklich einmalig. Bei der dritten Probe im Schaltraum hat er einen Mikrofonständer zerbrochen, quasi komplett zerstört. Da wussten wir, der ist es. Ich glaube, er ist als Kind mal in den Zaubertrank gefallen, er hat es einfach drauf!

Ich muss mich ein wenig an euren Texten abarbeiten, die einen zusammen mit der Musik mit ihrer Wucht fast erschlagen. So frage ich euch, was man einst Erich Kästner fragte: Wo bleibt das Positive?

Bloß weil wir düstere Musik machen, heißt das nicht, dass das Positive nicht stattfindet. Ich fahre mit meiner Familie in den Garten oder laufe mit dem Hund durch den Wald. Lieder möchte ich darüber nicht schreiben, weil ich das als Gefühl nicht rüberbringen könnte. Bei Musik geht es nun mal in erster Linie darum, Gefühl zu transportieren.

Ihr brecht das große Ganze oft sehr gut auf das Individuum herunter. Der Opener „Gespenster“ wirkt dunkel und depressiv. Ist der einzelne Mensch dem Leben oft fast hilflos ausgeliefert?

Das ist eine Interpretation, aber natürlich ist „Gespenster“ eine krasse Nummer und da geht es auch irgendwie ums Scheitern. Aber ich glaube, Mitleid ist weder erwünscht noch angebracht. Wichtiger sind Analyse und Gegenreaktion.

Andererseits richtet ihr euch auch an konkrete Adressen. „Gier“ zielt ab auf die Manager der Rüstungsindustrie, nur fürchte ich, die werden den Song nicht anhören.

Ja, da ist was dran. Kapitalismus ist eher ein wirtschaftliches Modell und kein philosophischer Entwurf. Keiner wird sich denken: Oha, da gib es jetzt diese neue Band aus Berlin, wir müssen unbedingt die Waffenproduktion einstellen! Aber zum Schluss fand ich, dass der Text doch diese ursprüngliche Achtziger-Note hat, die ES WAR MORD ausmacht. Natürlich ist Kapitalismuskritik oft verkürzt, aber von den Gruppen, die das so diskutieren, kommt danach auch nicht viel.

Dieses Wechselbad an kryptischen, vagen und gezielten Lyrics erinnert nicht nur mich sehr an RAZZIA zwischen 1983 und 1986. Damit könnt ihr sicher gut leben, oder?

Die Frage ist sehr gut! Sepp und ich kennen RAZZIA mehr vom Namen her. Das war sicher ein Fehler, aber ab einer bestimmten Zeit haben wir nur noch amerikanische Punk- und Hardcore-Bands gehört. Im Nachhinein ist das ein bisschen peinlich oder fachidiotisch, aber so haben wir damals Gitarrespielen gelernt. Der Vergleich kam allerdings schon öfter, und da Stunk ein großer RAZZIA-Fan ist, gehe ich davon aus, dass das ein Kompliment ist.

„Blut an den Fahnen“ scheint für mich an die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gerichtet. „Das will doch keiner mehr hören“, singt ihr da. Stellt Kunst für euch ein Gegenkonzept zur Gleichgültigkeit dar?

Keine Ahnung, meine Erfahrung mit Künstlern, die sich ausschließlich über Bildende Kunst definieren, ist eher so, dass das Schaffen ein Konzept ist, um seelische Schmerzen wegzuschleppen. Bei „Blut an den Fahnen“ geht es um Fußball-Länderspiele. Dass es ernsthaft Leute gibt, die sich darüber aufregen, wenn einer bei der Nationalhymne nicht mitsingt, deren Melodie ja der dokumentierte Soundtrack für zwei Weltkriege war. Zum Schluss singt Stunk dann: „Auch du machst mit“, mit dem Hintergrund, dass eine Probe ausgefallen ist, weil drei von uns lieber ein „wichtiges“ Länderspiel sehen wollten. Wir haben also keinen Hang zum Dogma, aber der unfreiwillig zur Schau gestellte Patriotismus und quasi Fußball als Erlaubnis zum stolz sein auf was auch immer, nimmt dann oft niveaulose Formen an. In Berlin werden bei jedem Tor der Deutschen bei einem internationalen Wettkampf, Silvesterböller und Raketen in die Luft gejagt. Ob im gleichen Moment an einem anderen Ort Bomben fallen, ist dann nebensächlich. Das Deutschland-Geschrei finde ich extrem schäbig.

Ich finde eure Platte atemberaubend gut, die vielen schönen Tempowechsel übertönen die schwer verdaulichen Texte aber auch nicht. Wolltet ihr dabei einen „roten Faden“ beibehalten? Ein Akustiklied oder ein 77er-Punk-Song auf Englisch hätten da für euch wohl nicht gepasst?

Wir hatten von Anfang an die Idee, eine in sich geschlossene Platte zu machen. Wir haben alle Songs in vier Tagen live aufgenommen. Es gibt nur einen Overdub bei dem Outro von „Substanbul“, da war das Arrangement noch nicht so klar. Der Gesang kam erst nachher, aber Stunk hat relativ viele Lieder in ganzen Takes eingesungen. Dietmar, unser Bassist, ist da sehr kritisch, was unsere Stücke betrifft. Da herrscht ein strenges Auswahlverfahren. Ich würde sehr gerne mal eine Sixties- oder Seventies-Platte à la MONSTERS oder SHOCKS machen, aber nur mit deutschen Texten, und am liebsten mit dem one and only Smail Shock, der ja ein fantastisches Aufnahmestudio in Berlin-Karlsdorf aufgebaut hat. Leider will er selbst ja nicht mehr spielen, aber wer weiß, vielleicht schaffe ich es irgendwann doch noch mal, ihn zu überreden ...

Womit steuert ihr gegen aufkommende Verzweiflung an beziehungsweise was könnte als Bandmotto durchgehen?

Verzweiflung resultiert doch meistens aus Depression, das ist ja nichts, was man sich leistet, sondern ein gegebener Zustand, also eine Krankheit, egal ob wirtschaftlich oder psychisch. Wichtiger als Durchhalteparolen finde ich auch hier Analyse, Diagnose und Gegenwehr. Und unser Bandmotto könnte heißen: Bis einer stirbt. Klingt vielleicht ein bisschen hart, ist aber gar nicht so gemeint. Und ob das dann Mord war, muss im Zweifelsfall noch ermittelt werden.