Durch den Sound von ENON zieht sich eine Wasserscheide: Auf der einen Seite die sich an der zarten Stimme von Bassistin (und Sängerin) Toko Yasuda aufhängenden Popsongs, auf der anderen die harscheren Indie/Noiserock-Nummern, bei denen Bandgründer und einzig verbliebenes Originalmitglied John Schmersal nicht nur Gitarre spielt, sondern auch singt. Mir gefällt dieses Arbeitsteilung, diese Verbindung von süß und bitter, von lächelnd und grimmig, von Pop und Noise, doch ENON in der kontemporären Musiklandschaft zu verorten fällt dabei zunehmend schwer: Was immer an Trends und Stilen derzeit präferiert wird, es geht an den Klangwelten von Herrn Schmersal vorbei, der seinen Mad Scientiest-Phantasien auch auf dem neuen Album "Grass Geysers ... Carbon Clouds" wieder freien Lauf gelassen hat. Vor dem Konzert im notorisch verqualmten Kölner Tsunami-Club (Yeah, bald Rauchverbot!!!) sprach ich mit John.
John, dein Nachname Schmersal klingt ziemlich deutsch. Hast du auf Tour schon Ahnenforschung betrieben?
Nein, aber ich werde immer wieder auf meinen Namen angesprochen. Mittlerweile weiß ich, dass da mal ein zweites "H" hinten im Namen war. Und ein Cousin von mir mit dem gleichen Namen ist in den USA ein recht bekannter Dressur-Reiter. Das ist sowieso eine Tradition in meiner Familie, da gibt es noch weitere Pferdeliebhaber. Ich selbst habe es allerdings noch nie mit dem Reiten versucht, ich saß gerade mal auf einem Pony. Eines Tages aber ...
Aus welchem Teil der USA kommst du?
Aus Toledo in Ohio, mit vier zogen wir dann nach New Jersey, und später, als ich anfing Musik zu machen, gingen wir zurück nach Ohio, und das war gut so, denn in New Jersey war niemand, den ich kannte, an Musik jenseits von BON JOVI und Bruce Springsteen interessiert.
Ist New Jersey denn wirklich so düster und abgefuckt, wie das in Springsteen-Songs immer scheint?
New Jersey wird ja als "Garden State" bezeichnet, aber das trifft nur auf den Süden zu, der ist eher ländlich grün. Der Norden ist nahe an New York und ist eher industriell geprägt, Städte wie Astbury Park, wo Springsteen herkommt, und da zu leben ist schon recht traurig.
Welche war die erste Band, für die du dich interessiert hast?
Ich glaube, das war THE POLICE. Meine erste Platte war aber "Chipmonks Punk" von den CHIPMONKS, haha, eine Kinderplatte wie DIE SCHLÜMPFE. Später habe ich dann viel Radio gehört und angefangen Singles zu kaufen.
Seit dem letzten ENON-Album sind drei Jahre vergangen ...
Ich weiß, wir haben uns eine Pause gegönnt und sind nach Philadelphia umgezogen, haben uns mit anderen Dingen beschäftigt und schließlich damit begonnen, diverses Aufnahme-Equipment zu kaufen. Mit dem haben wir dann auch das neue Album selbst aufgenommen, von daher war die Pause gut genutzt. Und dann ist ja zwischendurch auch noch das Compilation-Album "Lost Marbles and Exploded Evidence" erschienen, in das wir viel Arbeit und Zeit gesteckt haben. Es sollte wie ein richtiges Album klingen, nicht so zusammengewürfelt. Das Remixen und die DVD haben dann auch noch viel Zeit beansprucht. Wir mögen das Album wirklich sehr, da schmerzt es manchmal, wenn das als reine Outtakes-Zusammenstellung angesehen wird. Außerdem habe ich zwischendurch auch anderen Bands beim Aufnehmen geholfen.
Du meinst als Produzent.
Ja, so in der Art. Zum Beispiel THUNDERBIRDS ARE NOW, THE HUMAN REUNION oder BARENS. Wir haben ja schon immer unsere Sachen selbst aufgenommen, und jetzt habe ich mich etwas genauer damit beschäftigt und helfe anderen Bands. Früher war mir Qualität nicht so wichtig, es musste halt irgendwie passen, und mit dem Umzug nach Philadelphia hatten wir endlich auch den Platz, uns selbst was aufzubauen. Von New York hatte ich am Schluss einfach genug, es ist auf Dauer anstrengend, wenn du nicht spontan Musik machen kannst, sondern immer genau planen musst, wann du einen Proberaum mietest und wie alle drei von uns Zeit haben. Du musst also auf Befehl kreativ sein, und das stört mich. Jetzt kann ich Musik machen, wann immer ich will.
Andere Bands finden es interessant und inspirierend, nach New York City zu ziehen.
Das war es für mich auch lange Zeit. 1998 zog ich nach New York, und die ersten fünf Jahre waren gut, und die Arbeitsbedingungen haben uns und unsere Alben auch positiv geprägt. Ich war damals nach dem Ende von BRAINIAC nach New York gezogen, um einen neuen Anfang zu machen - und nachdem ich damals mein Auto geschrottet hatte, machte es auch Sinn, in eine Stadt zu ziehen, wo man kein Auto braucht. Und es gibt ja Leute, die anführen, New York müsse doch aus kreativen Gründen toll sein, weil es da so viele andere Bands gibt, doch ich habe gemerkt, dass mir eher Isolation gut tut. Andererseits leben wir jetzt auch nur zwei Stunden von New York entfernt, das ist ja nicht die Welt.
Ein Merkmal von ENON ist der starke Kontrast von zuckersüßen Popsongs einerseits und harschen Noise-Songs andererseits. Wie kam es dazu?
Ich verstehe nicht, warum nicht viel mehr Bands Platten machen, die ganz vielfältig klingen und damit interessanter sind. Wir mögen so viel verschiedene Musik, dass das auch in unserer Musik zum Ausdruck kommt. Wir machen Platten, die für uns selbst interessant und spannend sein müssen, aber ich weiß auch Bands zu schätzen, die genau ihren Sound machen, etwa AC/DC. Und dann sind da Bands, deren Musik ich eigentlich mag, bei deren Alben meine Aufmerksamkeitsspanne nicht lang genug ist, um sie ganz durchhören zu können - ich langweile mich eben schnell. Deshalb wollen wir als ENON Platten machen, die von vorne bis hinten spannend sind. Und das auch in Zeiten, da Alben eine aussterbende Gattung zu sein scheinen, sich Leute nur noch einzelne Songs auf den iPod zu ziehen.
Schreibst du neue Songs ganz gezielt oder sammelst du über längere Zeit Ideen?
Eigentlich sammle ich gerne hier und da Ideen, speichere sie auf dem Laptop und arbeite später weiter daran. Doch leider ist unser Laptop vor einigen Monaten kaputt gegangen, so dass mir diese Möglichkeit fehlt. Jetzt habe ich ein Diktiergerät und nehme damit meine Ideen auf. Vielleicht haben wir ja nach dieser Tour das Geld für ein neuen Laptop, bislang ging aber unser ganzes Geld für Studioausrüstung drauf, von Krankenversicherung ganz zu schweigen ... Die Entscheidung ist mal wieder die zwischen Krankenversicherung und einem neuen Computer. Ich hatte vor ein paar Monaten Probleme mit meiner Hand, da war das ein extrem teures Vergnügen zum Arzt zu gehen.
Was wird 2008 für ENON bringen?
Eine neue ENON-Europatour, eine Tour in den USA, und jetzt, da wir unser eigenes Studio haben, wird es mit einem neuen Album auch sicher nicht so lange dauern. Wir fühlen uns derzeit so frisch und tatendurstig wie lange nicht mehr!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #76 Februar/März 2008 und Joachim Hiller
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