Pete Simonelli lebt in New York und verbringt seine Zeit mit dem Schreiben, er ist Schriftsteller, und auch so etwas wie ein Sänger. Mit „Blown Realms And Stalled Explosions“ (Exile on Mainstream) veröffentlichte seine Band, die ENABLERS, im Frühjahr 2011 ein neues Album, nach Releases auf Neurot und „Tundra“ (2009, EoM). Simonelli versucht zu vermeiden, seine Stimme über den plaudernden Tonfall eines Bar-Poeten hinaus zu erheben, und trägt so seine Geschichten und Gedichte zur eigenwilligen Musik seines Begleit-Trios vor. Jenes besteht aus Joe Goldring (der mal bei den SWANS spielte), Doug Scharin (unter anderem HiM, CODEINE, JUNE OF 44) und Kevin Thomson (NICE STRONG ARM, TIMCO), die im Hintergrund mal jazzig-loungige, mal noisig, post-rockige Lieder abbrennen.
Pete, wer bist du? Abgesehen davon, dass du angeblich in San Francisco lebst und Sänger der ENABLERS bist, brachte meine Internet-Recherche keine relevante Informationen über dich ans Tageslicht. Ein klägliches Resultat in diesem digitalen Zeitalter.
Ja, und ich lebe mittlerweile nicht mal mehr in San Francisco. Der Rest der Band übrigens auch nicht. Ich wohne seit drei Jahren in Brooklyn, bin 40 Jahre alt und Schriftsteller. Von mir gibt es drei Bücher mit Gedichten und Kurzgeschichten. Eigentlich gefällt es mir ganz gut, dass du nur so wenig Infos über mich auftreiben konntest, haha.
Wie arbeiten die ENABLERS? Ich habe den Eindruck, dass dein Gesang eine Einheit bildet und die Musik eine andere.
So sehe ich das nicht. Es verlangt ziemlich viel Arbeit und eine tiefgründige Reflexion der Songs, damit Musik und Text als Song Gestalt annehmen. Eigentlich sind die Texte Gedichte – also doch eine separate Einheit. Sobald ein Gedicht jedoch auf einen passenden Song trifft, wird es ein weiterer Bestandteil, der die Musik ausmacht – wie auch Schlagzeug oder Gitarre. Letztendlich vertragen sich Gedicht und Song dann doch und harmonieren wunderbar.
Wie habt ihr als Band zusammengefunden, welche gemeinsame musikalische Vision verfolgt ihr?
Kevin Thomson und ich arbeiteten früher zusammen in einer Bar. Damals war ich – und bin es heute noch – absoluter Fan von TOUCHED BY A JANITOR, der Band, in der Kevin und Joe Goldring spielen. Irgendwann kamen Kevin und ich dann zusammen, um eine Idee, die mir schon längere Zeit im Kopf herumspukte, zu bereden. Es ging um die Vertonung einer Gedichtsammlung, wofür ich die musikalische Begleitung suchte. Von Anfang an waren Kevin und ich uns einig, dass es nicht wie jede durchschnittliche „Spoken Word“-Aufnahme klingen sollte. Wir wollten eben kein lahmes Hintergrundgedudel und dominierendes Gelaber. Uns ging es um Komplexität, Arrangements, musikalische Strukturen und das Werk als solches – aus genau dieser Idee entstanden ENABLERS. Aus dem anfänglichen Projekt wuchs und entwickelte sich eine richtige Band und wir nahmen dann auch bald unser erstes Album „End Note“ auf. Neben Joe Goldring, Gitarre und diverse andere Instrumente, und Kevin Thomson, Gitarre und Background-Gesang, ist noch Doug Sharin dabei. Er sitzt hinterm Schlagzeug, spielt aber gelegentlich auch noch eine Menge anderer Sachen. Unsere Vision? Musik machen, die irgendwie anders und sexy ist und obendrein den Hörer fordert.
Dein „Gesang“ erinnert mich an Alan Vega, besonders an das „Cubist Blues“-Album zusammen mit Ben Vaughn. Und Vegas bezeichnete die Musik von SUICIDE auch mal als „New York City Blues“.
Mit der Zeit hat meine Stimme zunehmend eine Form angenommen, die man sicherlich als Gesang bezeichnen kann. Allerdings ist diese Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen. Auf dem neuen Album kann man stellenweise „richtigen“ Gesang hören. Ich habe das für mich entdeckt, als ein Gastmusiker, Christian Dautresme, eine Gesangspur für unseren Song „Visitacion alley“ eingesungen hat. Ja, es lassen sich sicherlich Blues-Eigenschaften in unserer Musik finden. Da ich selber ein ziemlicher Blues-Fan bin, gefällt mir das natürlich. Und der Vergleich mit Vega ist schmeichelhaft, danke.
Können deine Texte denn auch für sich alleine stehen oder funktionieren sie nur in Verbindung mit der Musik? Und wie genau funktioniert diese Synthese?
Ja, meine Texte können auch ohne die Musik funktionieren; und sie tun es auch. Einige durchlaufen gewisse Veränderungen, um der Musik angepasst zu werden. Ich freue mich, dass du das ansprichst, denn eine unserer elementaren Bestrebungen ist es, die Einzigartigkeit der Verbindung zwischen der Musik und den Gedichten zu berücksichtigen. Wenn ein Gedicht auf die Musik trifft, versuchen wir, beides harmonisch ineinanderfließen zu lassen. Entfernt man die Texte, ist die Musik lediglich provokant und kraftvoll. Genauso wie hoffentlich auch die Gedichte. Von daher ist „Blown Realms & Stalled Explosions“ wahrscheinlich unser zentrales Album. Hier gingen wir das gesamte Songwriting ganz anders an als auf den früheren Alben – eher aus der Perspektive der Musik. Die Texte waren der Musik diesmal offen ausgeliefert und ich denke, dass das ziemlich gut funktioniert hat. Dieser Ansatz wird unser zukünftiges Schaffen sicherlich stark beeinflussen – insbesondere die Art, wie wir beim Schreiben der Songs Musik und Text unter einen Hut bekommen.
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