In einer der letzten Ausgaben warf ich ja bereits einmal meinen journalistischen Scheinwerferspot auf das Phänomen "Emsland-Hype". Derartig ausgeleuchtet kam heraus, dass die Bezeichnung irgendwie wohl nicht so ganz stimmig sein kann, da schließlich eine der gerade mal zwei gefeatureten Bands (nämlich die FREEBEES - die anderen waren die BACKWOOD CREATURES) gar nicht aus dem Emsland kommt. (Ibbenbüren, wo die wohnen, liegt nämlich im Münsterland.)
Mittlerweile weiß ich aber, dass das nicht die einzige Unwahrheit im Schlagwort "Emsland-Hype" ist. Und zwar kann nicht nur vom Emsland keine Rede sein (Okay, die BACKWOOD CREATURES wohnen natürlich (immer) noch da.), sondern auch den "Hype" können wir vergessen, denn: You don´t have to believe the hype, ´cause this is no fuckin´ hype, this is the goddamn truth! Das kann ich sagen, weil sich in diesem wie auch immer geheißenen Raum irgendwo zwischen Ruhrgebiet und Bremen derartig fiel getan hat, was definitiv kein hypegleicher Luftballon ist, sondern schlicht und einfach erstklassiger, kalifornischen Veteranen in nichts nachstehender Pop-Punkrock. Und davon will ich nun berichten.
Die Sensationsmeldung gleich am Anfang: die FREEBEES haben sich aufgelöst! Nachdem sich die von mir im ersten Teil meines "Emsland"-Reports zu absoluten Hoffnungsträgern hochstilisierten Jung-Punkpopper zwischenzeitlich schon einmal umformierten, weil sich der Peter (Sänger) mit dem Johann (Schlagzeug) gestritten hatte (woraufhin der die Band verließ), haben sie nun endgültig in den Sack gehauen. Der Grund ist paradoxerweise der, dass sich die beiden Streithähne wieder vertragen haben und deshalb nun gleich eine neue Band gründen. Dass es die FREEBEES nun nicht mehr gibt, muß freilich niemanden besonders traurig stimmen, die waren gegen Ende nämlich ganz schön öde, mit ihren elegischen, 5-minütigen Herz-Schmerz-Opern. Das haben sie dann wohl auch irgendwann selbst gemerkt und gründen deswegen nun die VADERS, bei denen neben dem Peter und dem Johann noch der Henning und der Püschel mitmachen. Laut eigener Aussage will man sich jetzt mehr in Richtung der amerikanischen INVALIDS bewegen. "Hey Moment mal!", sagt nun der Kundige und will damit zu Recht darauf hinweisen, dass diese INVALIDS doch nichts anderes als eine lupenreine SCREECHING WEASEL-Kopie sind, und die FREEBEES sich - jetzt mal ganz vorsichtig gesprochen! - auch nicht gerade unwesentlich an denen "orientiert" hatten. Ja, das sei so, wird dann erwidert, aber die INVALIDS seien ja schneller. Aha, die VADERS also als schnellere FREEBEES, da sind wir dann doch mal irgendwie gespannt!
Eine weitere relativ sensationelle Meldung ist (zumindest wenn man einigermaßen leicht in Erstaunen zu versetzen ist), dass sich ein musikalischer Brückenschlag zwischen dem Ems- bzw. Münsterland und dem Ruhrgebiet ereignet hat. Marky Nimrod von den NIMRODS, der zudem aus einem der dunkelsten Teile der zweitgenannten Region - die Rede ist von Gladbeck! - stammt, hat nämlich enge Beziehungen zum nord-westdeutschen Flachland aufgebaut, und dabei ist natürlich gleich, wie das bei den jungen Leuten halt so ist, eine Band ´rausgesprungen. Marky kam mit seiner hemdsärmeligen Art da oben scheint´s so gut an, dass gleich welche mit ihm eine Combo gründen wollten (oder andersherum). Das Resultat heißt MAHONYS, featuret neben Marky noch FREEBEES/VADERS-Peter und ein echtes Mädchen namens Hanne im Line-Up, und dass auch die wieder Pop-Punk ausfressen, habe ich jetzt wohl unnötigerweise hier hingeschrieben. Ihren ersten Auftritt hatten sie kürzlich bei der alljährlichen Leistungsschau des "Emsländer" Pop-Punk-Wesens, dem "Shake your legs"-Festival. Und ich muß sagen, "Respekt!", die waren wahrhaftig weitaus besser, als ich erwartet hatte und als man zudem aufgrund der gerade mal 4-5 Proben hätte erwarten können. Sie ballerten mal eben ihre ca. 8 simplen Pop-Punkditties runter, und deren Simplizität war auch ihr großes Plus. Freilich stehen sie noch ganz am Anfang ihrer Laufbahn, und man muß halt abwarten, wie es mit ihnen weitergeht.
Meine derzeitig absolute Lieblingsband aus dem "Emsland"-Punkrock-Kosmos sind aber die LOBOTOMYS. Wie der Name schon nahelegt sind das waschechte Ramones-Epigonen (s. Ox Nr. 36, S. 30), die ihren Stil daher auch konsequenterweise als "HUNTINGTONS meet RIVERDALES" bezeichnen (ebenda). Und an dieser Stelle will ich zugleich mal sagen, dass die LOBOTOMYS sicherlich auch kein Jota schlechter sind als die genannten US-amerikanischen Bands, nur jünger (zumindest als der Oppa Ben Weasel!), und das ist ja wohl mal kein Nachteil! Beim "Shake your legs ´99" waren sie für mich jedenfalls der Gewinner (was nicht heißt, dass die Mitbewerber Fallobst waren!) und mit ihrem Song "There is no school today" (die wissen wenigstens noch, wovon sie da singen) haben sie eine Nummer im Programm, mit der sie die Leute wirklich zum Springen bringen können. Neben den bajuwarischen REEKYS sind das momentan Deutschlands definitiv versierteste "Ramoneser" (womit sie also über die Tatsache hinaus, nicht den korrekten englischen Plural von auf y endenden Wörtern bilden zu können, noch etwas mit ihren Münchnern Altersgenossen (Stimmt, das auch noch!) gemeinsam haben).
Die FAVORATS, die ich bis dato nur vom Namen kannte, traten ebenfalls beim großen Ibbenbürener Scheunenfest auf. Auch deren Turf ist selbstverständlich der Punkrock der Harmoniegesänge und poppigen Melodien, so dass es an diesem Abend wahrhaftig zu einem Pop-Punk-Overkill kam, den man ohne ein gerüttelt Maß Liebe diesem Genre gegenüber sicherlich nicht schadlos überstanden hätte. Um so bemerkenswerter ist angesichts dieser Tatsache die enorme Qualitätsdichte, die die zu 90% "ungesignten" Bands auf die Bühnenbretter brachten. So waren auch die FAVORATS aus Meppen (also endlich mal wieder echte Emsländer!) keine Entäuschung, sondern konnten das Kompetenzlevel halten. Da sie direkt nach den LOBOTOMYS an der Reihe waren, konnten sie mir natürlich nicht noch einmal die Gymnastikschlappen ausziehen, aber wären die FAVORATS an diesem Abend die einzige Band gewesen, wäre ich nachher auch zufrieden eingeschlafen. Man könnte sie vielleicht am treffendsten als so eine Art kleine Brüder der BACKWOOD CREATURES beschreiben, die ihrerseits ja sowas wie kleine Brüder der QUEERS sind (und von wem die die kleinen Brüder sind, weiß ja wohl jeder!). Was den FAVORATS ein bißchen fehlt, ist vielleicht so ein richtiger Hit zum dufte mitsingen, und so. Aber den können sie ja noch irgendwann mal schreiben, der liebe Gott hat die Welt ja schließlich auch nicht an einem Tag erschaffen.
Wo ihr Name hier gerade schon mal fiel, kann ich ja auch gleich mal den neuesten Tratsch über die BACKWOOD CREATURES ausposaunen, schließlich sind die ja auch die eigentliche Keimzelle dessen, was ´98/´99 als "Emsland-Hype" durch die Gazetten ging. "Aus Kindern werden Leute!", so schießt es mir durch die hohle Rübe, wenn ich mir die Creatures heute so anschaue, und noch vielmehr, wenn ich solche Neuigkeiten höre! Ich rede davon, dass die Backwood-Buben bei ihrer Labelsuche fündig geworden sind. Und dabei haben sie nicht einfach bei irgendeiner hoffnungslosen Gurkenfirma angeheuert, sondern sind mit Screaming Apple bei einer international arrivierten Adresse gelandet, die zudem ausgewiesene Power-Pop/Pop-Punk-Fachleute beherbergt. Ich habe das Dingens, das Tommy Toilet, Heini Heartbreaker und Co. (Echt ulkig übrigens, eure Spass-Namen!) beim notorischen Christoph Rath, äh ´tschuldigung, ich meine natürlich bei "Chris Cadillac" diesen Sommer aufgenommen haben, zwar noch nicht gehört, aber da Richie Apple nach allem, was man so hört, bei deutschen Bands besonders lange Messlatten anlegt, muß das ja ein echt tolles Teil sein, was dann da irgendwann Ende des Jahres als LP erscheinen soll.
Der letzte Act, den ich im Rahmen dieses "Emsland-Report Updates" vorstellen will, ist ein echter Newcomer-solcher und neben FAVORATS und BACKWOOD CREATURES schon wieder ein tatsächlich dieser merkwürdigen Region entstammender. Klar, dass da inzestuöse Verwicklungen mit anderen Punkrockern dieses Landstrichs (in diesem Fall den BACKWOOD CREATURES) nicht ausbleiben. Das kann uns aber auch schnurz sein, wenn wie in diesem Fall eine derart sensationelle Truppe wie die BATTLEDYKES dabei herauskommt. Die sind (wie der Name Kampflesben ja schon ziemlich nahelegt) eine echte Mädchenband, Schlagzeuger und Bassist jetzt mal nicht mitgerechnet. Da sie aber insgesamt zu fünft sind, bleibt ja immer noch ein echtes Mädchentrio über, und was diese Tatsache allein schon für ein hormonstoßmotiviertes Aufmerksamkeitsplus beim (nunmal) männlich dominierten Punkrockpublikum erzeugt, muß ich hier keinem mehr erzählen. Bevor ich nun aber vollends in gender studies abdrifte, sei an dieser Stelle schnell erwähnt, dass die BATTLEDYKES-Mädchenband hin oder her - eine prima Punkrockband sind, die einem einen herben musikalischen Verlust der letzten 1-2 Jahre vergessen machen. Ich rede von dem Verlust, der entstand, als sich die vormals genialen DONNAS vom RAMONES-Stil verabschiedeten, stattdessen auf Glam- oder Hardrock umschwenkten und damit für ihre ehemaligen Fans ziemlich wertlos wurden (obwohl sie zumindest "live" auf ihrer diesjährigenTour ja noch ganz anständige Abendunterhaltung boten). Die BATTLEDYKES machen nun ungefähr da weiter, wo die DONNAS seinerzeit aufgehört haben gut zu sein, also "Girls play RAMONES-style punk!". Das ist fraglos ein simples/geniales Konzept bei dessen Umsetzung man freilich auch grandios scheitern kann. Nicht so die BATTLEDYKES! Ein fetter 2-Gitarren-Sound und sehr guter, bisweilen dreistimmiger weiblicher Gesang zusammen mit schnaften eigenen und geschmackssicher ausgewählten Cover-Songs ließen die Dykes zu der positiven Punkrocküberaschung im Herbst ´99 werden. Da starteten sie nämlich mit etlichen Auftritten im Bergischen-, Ems- und Münsterland richtig durch. Also, ihr lieben Leute da draussen, Augen und Ohren offen halten, und wenn die BATTLEDYKES in einem Tanzschuppen in deiner Nähe angekündigt sind: hingehen!
So, das war´s für 1999. Ihr Emslandreporter meldet sich wieder im Jahr 2000!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #37 IV 1999 und Stefan Moutty