DISTILLERS

Im Dezember fanden die DISTILLERS ihn endlich: den Weg nach Europa. Im Doppelpack mit AGNOSTIC FRONT wurde die Unity Tour 2001 beackert, und mit dem Debüt im Rücken und dem kommenden "Sing Sing Death House"-Album in der Hinterhand wurde Klasse bewiesen. Im Berliner SO36 entstand an einem frostigen Winterabend in Kooperation mit Kai/Waste Of Mind folgendes Interview.

Nachdem der erste Anlauf schief ging, wie war eure ersteEuropa-Tour?


Brody: Es war richtig gut. Die Leute scheinen uns hier und da zu kennen und haben uns dementsprechend Feedback gegeben, das war schön. Leipzig, Italien und München waren die besten Shows.
Casper: YEAH!
Brody: Wir haben ganz verschiedene Eindrücke gesammelt. Es ist lustig, in Europa kannst du dir deine eigene Scheiße im Klo anschauen. Überall siehst du Abbildungen von nackten Leuten, das ist in den Staaten unmöglich. Es hat mich echt ein bisschen gewundert, wie liberal hier im Gegensatz zu den USA z.B. mit Sex umgegangen wird. Es ist die ganze Mentalität in Europa. Mein Eindruck ist, dass die Leute in vielerlei Hinsicht lockerer sind als in den USA. Ich find es in dieser Hinsicht nicht einmal sexistisch, es ist halt ein lockerer Umgang mit Sex, für mich geht das ok.
Ryan: Es ist generell viel besser. Du siehst Kids überall mit Alkohol. In Amerika wäre das auf keinen Fall in diesem Maße möglich. Allein schon deswegen, weil sich alle an die Regeln halten. Es ist lustig zu sehen, wo die Gegensätze zwischen Europa und Amerika sind.
Brody: Amerika hat zudem kaum eine Geschichte und hier in Europa kann man vieles sehen. Kunst und verschiedene Stile der Architektur, das ist toll. Alles in allem lässt sich also sagen, dass es eine tolle Tour war und wir die neuen Stücke live mal ausprobieren konnten.

Beim Hören von "Sing Sing Death House" hat man schnell den Eindruck, dass im Gegensatz zum Debüt eine ziemlich klare Linie und auf den Punkt gespielte Stücke vorliegen...

Brody: Ja, es hat sich viel geändert. Das Songwriting haben wir, denke ich, sehr verbessert. Unsere neue Rhythmus-Besetzung mit Andy an den Drums und Ryan am Bass ist wie ein eigenes Kraftwerk. Casper an der Gitarre ist ebenfalls super. Wir haben momentan ein Line-Up, welches mich sehr zufrieden macht. Mit unserem Debüt verglichen ist "Sing Sing Death House" ein großer Schritt nach vorne, wir sind alle sehr glücklich mit der Platte. Und die Platte macht bei uns das "Suffer More Second"-Ding ungültig. Das ist so eine Art Regel, bei welcher die Leute dir sagen: Hey, deine erste Platte war gut, aber pass auf, deine zweite wird es nicht sein.
Ryan: Das Ganze ist so ein Schwachsinn. Fast keine Debütplatte ist der Hammer. Es ist oft mehr so, dass Kids ihren eigenen Weg finden. Kommt dann die zweite Platte, hören die Leute davon und alles ist ein bisschen größer. Und die Kids schreien dann irgendwann doch wieder nach den alten Sachen. Das ist ein verrückter Kreislauf, aber ich kann Brody auch nur zustimmen. Mir gefällt die Platte auch richtig gut und die Arbeit hat Spaß gemacht.

Wie hat sich die Arbeit mit Brett Gurewitz gestaltet?


Brody: Brett hat "Sing Sing Death House" "nur" gemixt. Nachdem TJ Johnson auf unserem Debüt die Regler bediente, haben wir dieses Mal selber produziert und Jon Cameron hat uns hier und da geholfen. Ein paar Sound-Techniker waren auch noch dabei. Aber der Mix von Brett hat der Platte dennoch mehr als gut getan, er hat dem Ganzen noch einen speziellen Charme gegeben.

Brody, du bist mit Tim Armstrong verheiratet. Denkst du, dass die DISTILLERS da im RANCID-Schatten stehen bzw. nervt dich der dauernde Vergleich?

Brody: Was soll ich machen? Wir sind verheiratet, das ist Fakt. Es nervt mich nicht, wäre es anders herum, wäre es trotzdem genauso. Das war bei Paaren in der Musik und anderen Medienbereichen immer so und das wird auch immer so bleiben. Also, um auf deine Frage zu antworten: Nein es nervt mich nicht und ich denke die DISTILLERS sind eine eigenständige Band. Und von daher stehen wir nicht im Schatten von RANCID bzw. es ist mir egal, wenn Leute denken, wir würden es. Aber weißt du, was wirklich lustig ist: ich habe das Gefühl, die Leute versuchen mir immer einzureden, dass ich genervt davon sein sollte. Da kommen immer wieder Fragen wie: Bist du dir ganz sicher, dass es dich wirklich nicht nervt, mit dem Sänger von RANCID und dem Hellcat-Labelboss verheiratet zu sein? Ok, dass war etwas übertrieben, aber manchmal geht es in die Schiene.

Wo du Hellcat ins Spiel bringst: Inwieweit bist du in die Labelarbeit involviert?

Brody: Na ja, Hellcat ist Family-Business. Wir haben Lars Frederiksen, der mit Tim zusammen bei RANCID spielt und die beiden sind seit jeher beste Freunde. Ebenfalls bei RANCID ist Matt Freeman, der mit DEVILS BRIGADE eine verdammt gute Psychobilly-Band hat, die ebenfalls auf Hellcat rauskommen werden. Brad Logan von F-MINUS lebt seit Jahren mit mir und Tim zusammen in einem Haus. Dazu kommen noch die US BOMBS, DROPKICK MURPHYS, TIGER ARMY und die ganzen anderen guten Bands auf dem Label. Es ist wie ein kleines Baby, um das man sich liebevoll kümmert. Das Büro ist nicht weit von unserem Haus und so bin ich fast jeden Tag dort und mache dort etwas. Also kann man schon sagen, dass ich stärker in die Labelarbeit involviert bin.

War 2001 ein heißes Jahr für Hellcat?

Brody: Wenn nicht sogar das beste bis dato. Hellcat ist immer noch ein junges Label, aber es wächst langsam und konstant. Für mich persönlich gibt es auf der Welt kein besseres Punkrocklabel. Es gibt momentan kein anderes Label, auf dem so viele verschiedene Bands sind, die ich gerne mag.

Die Mischung macht´s!

Brody: Du sagst es. Du hast Bands wie LEFTÖVER CRACK oder F-MINUS, die auf Bands wie SLACKERS oder die leider aufgelösten HEPCAT treffen. DROPKICK MURPHYS treffen auf Bands wie TIGER ARMY oder die NEKROMANTIX aus Dänemark, und dann hast du wieder Bands wie RANCID oder die NERVE AGENTS, die alle zusammen einen sehr guten Mix abgeben.

Zu Beginn hatten wir kurz eure Tour angesprochen, die eigentlich mit CAPDOWN im September hätte stattfinden sollen...

Brody: Ja, es war beschissen. Wegen der Ereignisse vom 11. September haben wir keinen Flug nach Europa bekommen. Wir hätten zwei Tage nach den Ereignissen fliegen sollen. So mussten wir die ganze Tour absagen. Es stand von Anfang an aber auch fest, dass wir die Tour auf jeden Fall nachholen werden und AGNOSTIC FRONT haben uns eingeladen mitzufahren, was toll von ihnen war. Und so sagten wir zu. Endlich haben wir es geschafft auch mal in Europa zu spielen.
Ryan: Es war, wie Brody schon sagte, beschissen. Ich hatte alles gepackt und war noch in einem Laden, um mir die restlichen Sachen zu kaufen, als Andy mich anrief und mir sagte, dass wir nicht fliegen werden. Ich war sauer. Was mich aber genauso sauer macht, ist die ganze scheiß Medien-Hetze. In Kalifornien brauchst du nur die Zeitung aufzuschlagen und du liest jeden Tag irgendwas anderes von irgendwelchen Anschlägen, die bald geschehen werden, dass Brücken oder was auch immer bald gesprengt werden etc. Sie wollen auf der einen Seite die Leute da behalten, wo sie sind und auf der anderen bestimmte Meinungen schüren. Und letztendlich auch die Auflage erhöhen, denn die Sensationsgeilheit der Leute ist ja nirgends zu übersehen.

Wie ist es denn in den USA mit möglichst objektiven Informationen?

Ryan: Schwer. Du kannst dir zehn Nachrichtensender anschauen und dir dann deine eigene Meinung bilden. Jeder erzählt was anderes und jeder Sender nützt die Angst der Menschen für sich selber aus.
Brody: Journalismus an sich ist sehr rhetorisch. Die amerikanische Öffentlichkeit ist auch noch dumm genug alles zu glauben. Hollywood verarbeitet alles irgendwie und die Leute fressen die Scheiße, die ihnen vorgesetzt wird. Die andere Sache ist, dass keiner über die Wahrheit informiert, was in einer Situation wie dieser ziemlich scheiße ist. Kontroverse entsteht und alles geht schief. Die Leute bekommen doch in den Nachrichten auch nur das gesagt, was die Regierung will.

Denkt ihr, dass in einer Situation wie dieser die "Punk-Ideologie" wieder ein Bedeutung bekommt?

Ryan: Na ja, was ist Punk-Ideologie? Für mich persönlich hieß es immer mein eigenes Ding machen und mir meine eigene Meinung bilden und zu mir selber ehrlich zu sein. Wenn du das meinst, dann denke ich schon. Aber ich habe mich auch nie wirklich drum gekümmert, ob ich "Punk" bin. Punk hat eine Definition, die sehr weit gefasst ist. Von daher kann man auf diese Frage keine Patentantwort geben. Aber meine gerade genannte persönliche Definition findet ihre Bedeutung.

Brody, du kommst ursprünglich aus Australien, erzähl doch noch kurz was zu der dortigen Szene.

Brody: Ich bin seit fünf Jahren nicht da gewesen. Es gab dort immer eine Punkszene mit guten Bands wie den SAINTS oder den LIME SPIDERS oder Rockbands wie ROSE TATTOO. Einige Undergroundbands findet man auch noch. Aber ich bin zu lange nicht dort gewesen, um viel darüber sagen zu können.

Vielen Dank für das Interview!