DIE ART

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Die Lieblingsband im eigenen Garten

Es war ein ganz wunderbarer Abend, der vom 10. Juli 2021. Denn an diesem Datum kehrte das Leben zurück. Mein letztes Live-Konzert zuvor, ich kann mich noch genau erinnern, war am 7. März 2020 im ZAKK in Düsseldorf. Das Ox feierte seinen 31. Geburtstag mit den SPERMBIRDS, Frankie Stubbs und LOVE A. Danach kam die große Leere. Pandemie, Lockdown, Masken, Abstand. Anfang Juni 2021 erreichte mich dann die Einladung zu dieser Gartenparty. Bei einem Freund namens Uwe, der gleich um die Ecke wohnt. Adresse: Am Entensee. Uwe hatte seine Lieblingsband DIE ART aus Leipzig für seinen kleinen Garten gebucht und etwa fünfzig Leute zum Mitfeiern eingeladen. Da musste ich natürlich hin und habe vorher noch DIE ART-Sänger Makarios, der eigentlich Holger Oley heißt, zum Interview getroffen.

Ihr spielt ein Gartenkonzert in Schweinfurt vor handverlesenem Publikum. Wie ist es dazu gekommen?

Uwe und seine Freunde sind schon ewig Fans von uns. Gekommen ist das durch ein Konzert in Schweinfurt, das wir 1992 gegeben haben. Das hieß damals Umsonst & Draußen. Da haben sie uns entdeckt und sind seitdem Fans. Wir haben dann regelmäßig Konzerte in Schweinfurt gespielt, in der Schreinerei und später im Stattbahnhof. Aber irgendwann hat sich das ausgedünnt. Deshalb haben diese Jungs immer den langen Weg nach Erfurt auf sich genommen, wenn wir dort gespielt haben. Und irgendwann sind wir in Kontakt gekommen. Ich habe noch eine zweite Band, die RUSSIAN DOCTORS, die hat Uwe vergangenes Jahr zu sich in den Garten geholt. Und schon damals hat er gesagt: Nächstes Jahr muss ich DIE ART machen. Und so sind wir hier gelandet.

Viele Schweinfurter kannten euch damals vom DDR-Radiosender DT64, den konnte man hier empfangen. Ihr wart ja eine der so genannten „anderen Bands“ der DDR. Kannst du mir erklären, was damit gemeint war?
Dazu gehörte praktisch alles, was ein bisschen alternativ angehaucht war. Alles, was nicht von der Musikschule kam. Alle Bands, die nicht beim staatlichen Plattenlabel Amiga veröffentlicht haben. Das waren also Punkbands oder Avantgarde-Bands wie zum Beispiel AG GEIGE, die eher so verschrobene Kunstsachen gemacht haben. Ob uns dieses Etikett wirklich gefallen hat, kann ich dir nicht sagen. Alle diese Bands hießen eben so. Wir haben immer versucht, uns nicht in irgendwelche Kategorien einordnen zu lassen. Wir wollten immer nur DIE ART sein.

Welche gehörten zu diesen „anderen Bands“?
Natürlich FEELING B, SANDOW oder DIE ANDEREN. Von denen kommt vielleicht sogar die Bezeichnung. Und auch DIE DREI VON DER TANKSTELLE, DER EXPANDER DES FORTSCHRITTS, DIE VISION oder FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER.

Einige davon veröffentlichen heute noch Platten. Viele über das Major Label in Jena. Gibt es dadurch noch eine Verbindung zu all diesen Bands von damals?
Mit einigen sind wir gut befreundet. Allerdings finde ich, dass es immer schwierig mit Musikerfreundschaften ist, weil jeder sein eigenes Ding macht. Gemeinsame Aktionen auf die Beine zu stellen, fällt da oft schwer. Außerdem ist ja seit dem Mauerfall schon eine lange Zeit vergangen. Wir spielen im Frühjahr drei Konzerte mit FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER in Leipzig, Rostock und Potsdam. Das mussten wir schon zweimal verschieben. Mit RUSSIAN DOCTORS hatten wir kürzlich in Rostock ein Projekt mit Robert Beckmann, dem Sänger von INCHTABOKATABLES. Das sind also einzelne Kooperationen, eine dauerhafte Zusammenarbeit gibt es nicht. Aber wenn wir uns sehen, freuen wir uns.

Wir in den alten Bundesländern können uns gar nicht vorstellen, unter welchen Bedingungen ihr vor dem Mauerfall als Künstler arbeiten musstet. Kannst du da zumindest einen kleinen Einblick geben?
Die erste Hürde war die sogenannte Einstufung. Um mit Musik Geld verdienen zu können, musstest du dich der unterziehen. Da saß eine Kommission aus Kulturpolitik und Künstlern und die bewerteten dann deinen Auftritt. Wir nannten das die „Pappe“. Da stand dann drauf, was du verdienen darfst. Wenn man diese Hürde genommen hatte, war man aber noch lange nicht im Paradies. Dann war man erst mal so genannter Amateur-Tanzmusiker. Dieser Begriff bezog sich aber vor allem auf Bands, die bekannte Titel nachgespielt haben. Das war aber nicht unser Ding. Wir hatten ja unsere eigenen Songs und unsere eigenen Texte. Damals war unser größtes Ziel, ein Album zu veröffentlichen. Das war aber praktisch unmöglich. So sind wir auf eine sehr lukrative Idee gekommen, die nicht kontrollierbar war: Wir haben ein Kassettenlabel gegründet und in Handarbeit unsere Kassetten bespielt. So haben wir unsere Demos quasi als Alben veröffentlicht. Diese Kopien haben wir dann bei Konzerten oder per Mailorder verkauft. Der große Traum blieb aber eine Schallplatte, das ist uns leider nicht gelungen. Amiga hatte uns zwar schon im Visier, man musste aber damals seine Texte zur Zensur einreichen. Wir hatten dann eben einen Text, der lautete „I wanna see the wide wide world.“ Da hieß es dann: Das geht gar nicht. Das ist eine Aufforderung zur Republikflucht. Den Titel dürft ihr nicht aufnehmen. Wir wollten uns aber nicht reinreden lassen, deshalb ließen wir es bleiben. Deshalb haben wir zu DDR-Zeiten nur einen Samplerbeitrag veröffentlicht.

Damit habt ihr ja eigentlich die DIY-Kultur der Punks vorweggenommen, die heute viele Bands pflegen. Habt ihr nach der Wende die DDR-Zeit irgendwie aufgearbeitet? Habt ihr euch an den Verantwortlichen von damals gerächt? Eure Stasi-Akte angeschaut?
Nicht wirklich. Wir sind eher fatalistisch an die Sache herangegangen. Die Pappenheimer, die dann irgendwann enttarnt wurden, kannte man sowieso schon. Wir hatten außerdem keine Lust, im Schlamm von damals herumzuwühlen. Als Band waren wir nach der Wende eher glücklich, weil wir gleich bei Our Choice/Rough Trade gelandet sind. Das war für uns als Indie-Musiker das Größte, was wir uns vorstellen konnten. Deshalb haben wir uns weniger mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. Wir waren viel zu sehr mit der Gegenwart beschäftigt. Und zum Thema DIY: Diese Erfahrung haben wir von Grund auf gemacht. Wir haben gelernt: Wenn du dir nicht selbst helfen kannst, bist du verloren. Du musst dir selbst einen Weg bahnen, deine Musik zu veröffentlichen. Außerdem haben wir das Glück, dass wir eine konstante, mittelgroße Fanbasis haben, die sich dann auch freuen, wenn sie ein neues Album von uns selbst zugeschickt bekommen.

Spielt es heute noch eine Rolle, wenn ihr Konzerte spielt, dass ihr aus der ehemaligen DDR stammt? Unterscheiden sich die Konzerte in Ost und West?
Da gibt es große Unterschiede. Weil wir im Westen viel weniger bekannt sind, kommen natürlich weniger Leute. Dadurch fällt es uns auch schwer, die weiten Wege auf uns zu nehmen. Wenn wir wissen, wir können für eine ordentliche Festgage in Dresden und in Erfurt spielen, ziehen wir das natürlich eher mäßig dotierten Verträgen in Köln oder Frankfurt vor. Wir haben das lange gemacht, haben aber nie wirklich einen Fuß in die Tür bekommen. Wir hätten wahrscheinlich noch mehr Energie investieren müssen, um noch mehr Konzerte zu spielen als im Osten. Wir haben uns aber irgendwann gesagt: Wenn uns wer die Gage bezahlt, die wir wollen, dann kommen wir. Und wenn nicht, dann nicht.

DIE ART sind ja Teil einer ganzen Bandfamilie, die ihr Hauptquartier in Leipzig hat. Wer gehört da alles dazu?
Die beiden Hauptbands sind DIE ART und das Duo RUSSIAN DOCTORS. Dann gab es das Zwischenprojekt WISSMUT und DIE ZECHT. Letztere war unsere Ursprungsband, bevor wir DIE ART hießen. Mit denen haben wir jetzt gerade unsere allerersten Songs in einer vernünftigen Tonqualität wiederveröffentlicht. Das Album kam im November 2020 heraus und wir konnten leider wegen Corona keine Konzerte dazu spielen. Da kommt vielleicht noch was. Dann hatte ich vor den RUSSIAN DOCTORS noch ein Projekt namens PRUMSKIBEAT und ein weiteres Projekt namens GOLDECK. Das sind eigentlich alle Bands, die irgendwann mal was mit mir zu tun hatten.

Zusammen mit der Band PEPPONE habt ihr am 25. September zwei Schiffskonzerte auf der Elbe gespielt, „Kaffeefahrt“ und „Fahrt in den Sonnenuntergang“. Klingt sehr skurril.
Die Schiffstour war eigentlich auf zwei verschiedenen Schiffen geplant. Eines in Hamburg und eines in Magdeburg. Das Hamburger Schiff sollte die MS Stubnitz sein, die früher in Rostock vor Anker lag und jetzt eben in Hamburg liegt. Und in Magdeburg war es die MS Marco Polo. Die beiden Konzerte haben unsere Labelmates PEPPONE organisiert. Durch Corona durften aber nicht so viele Leute auf die Schiffe, damit es sich rechnet. Deshalb konnten wir am Abend zuvor nicht in Hamburg spielen. Also fuhren wir zweimal in Magdeburg auf die Elbe raus und bei beiden Fahrten gaben PEPPONE und wir Konzerte auf dem Schiff. Außerdem erschien extra für dieses Event eine limitierte Splitsingle von beiden Bands auf dem Major Label, vor allem für die Passagiere.

Konzerte auf dem Schiff, Konzerte im Garten. Warum sucht ihr euch so ungewöhnliche Orte für eure Auftritte?
Diese Orte finden uns einfach, haha. Wir machen solche Sachen gerne. Da kommt uns auch die Erfahrung zugute, die ich mit den RUSSIAN DOCTORS gesammelt habe. Die können ja überall spielen, weil wir nur zu zweit sind. Akustische Gitarre und Gesang, dadurch werden wir an die unterschiedlichsten Orte eingeladen. Und meistens überschneiden sich die Fans der RUSSIAN DOCTORS mit den Fans von DIE ART. Deshalb folgt auf ein Konzert der RUSSIAN DOCTORS oft auch eins von DIE ART, wie eben hier in Schweinfurt. Wenn das dann auch finanziell machbar ist, dann kommen wir eben auch mit der größeren Band.

Ich habe gehört, dass du noch ein zweites Standbein hast. Du bist am Verkauf von Wodka beteiligt.
Da bin ich nur der Botschafter. Den Wodka verkauft unser Tourmanager. Der ist in seinem richtigen Leben Wodkahändler und zwar ist er alleiniger Importeur der Wodka-Marke Bulbash. Das ist ein weißrussischer Wodka, der aus Minsk stammt. Wir hoffen, dass die Geschäfte noch eine Weile gut laufen, weil das ein sehr guter Wodka ist. Obwohl es ein Premium-Getränk ist, ist er noch einigermaßen bezahlbar. Das ist also eigentlich das Business von Frank, aber vor allem mit den RUSSIAN DOCTORS nehmen wir diesen Wodka mit auf Tour, um den Leuten dieses Getränk nahezubringen. Die RUSSIAN DOCTORS haben durch ihren Namen und ihre Songs einen großen Bezug zum Wodka. Bei uns geht es oft ums Saufen, da passt das ganz gut.

Du verdienst mit all deinen musikalischen Projekten also genug Geld, dass es zum Leben reicht?
Das ist schwer. Da gibt es bei mir aber eine Besonderheit, denn ich muss eigentlich nicht arbeiten gehen. Ich hatte nämlich mal einen Arbeitsunfall und beziehe seitdem eine Unfallrente. Die nimmt mir alle Sorgen um Miete oder Lebensunterhalt. Was ich mit der Musik verdiene, ist also „für schön“, haha.

Was ist da passiert?
Das war 1981. Ich war damals Drucker und bin mit der Hand in so eine Druckmaschine hineingeraten. Seitdem trage ich eine Prothese an der rechten Hand.

Plant ihr mit DIE ART ein neues Album?
Geplant ist, dass wir dieses Jahr ein neues Album aufnehmen. Wir haben das große Glück, dass unser zweiter Schlagzeuger Besitzer eines Tonstudios in Leipzig ist. Dort können wir auch immer proben und jederzeit unkompliziert Demos aufnehmen. Ursprünglich hieß es Midas Tonstudio, da haben wir früher schon aufgenommen. Die alten Besitzer machen aber nichts mehr, deshalb hat unser zweiter Schlagzeuger das Studio mit einem Freund übernommen. Für uns ist diese Situation natürlich sehr günstig.

Was kannst du zum neuen Album schon verraten?
Nicht viel. Wir stecken noch mittendrin. Es wird aber auf jeden Fall wieder deutsche Texte geben. Geplant ist auf jeden Fall, die Songs im Frühjahr 2022 zu mischen, sie dann im Herbst 2022 zu veröffentlichen und eine Tour dazu zu spielen. Ob das wirklich so klappt, wird sich herausstellen. Es wird ja immer schwerer, ein neues Album herauszubringen. Wir sind jetzt nicht mehr die Jüngsten und die Tonträgerindustrie ist auch nicht mehr so fit wie früher. Wir haben zum Glück mit dem Major Label ein paar Enthusiasten am Start, die uns unterstützen und sich um alles kümmern.