Viermal waren DIE ÄRZTE bereits interviewtechnisch im Ox vertreten und hätte ich alle diese vier Interviews gemacht, wäre ich wahrscheinlich nicht ansatzweise so nervös zum Promo-Gesprächstermin für das neue DÄ-Album mit Herrn Bela B. in dieses edle Kreuzberger Restaurant am Paul-Lincke-Ufer gegangen. So war es aber mein erstes DIE ÄRZTE-Interview ever und nicht nur die Tatsache, dass ich am Abend zuvor mein allererstes DIE ÄRZTE-Tape samt Bravo-Aufkleber wiedergefunden habe, machte mich etwas hibbelig. Aber warum denn so nervös, Herr Flanell? Nur weil DIE ÄRZTE die Band sind, die meine musikalische Sozialisation so entscheidend geprägt haben wie kaum eine andere? Nur weil sie für lange Teenagerjahre meine absolute Lieblingsband waren? Weil mir meine Schwester immer noch regelmäßig das neueste DIE ÄRZTE-Album zu Weihnachten schenkt und mir grinsend erzählt, dass sie glaubt, ein Song wie „Junge“ wäre extra für mich, ihren mittlerweile 38-jährigen Bruder geschrieben worden? Oder weil ich mich frage, mit welchen semi-interessanten Fragen man einen entspannten Bela B. konfrontieren könnte, die er in über 30 Jahren Rockstar-Dasein noch nicht gehört hat?
Bela, ich könnte mir vorstellen, dass ihr alle Fragen, die sich nur auf ein neues DIE ÄRZTE-Album beziehen können, schon in- und auswendig kennt. Also, was gibt’s über die neue Platte „auch“ zu sagen?
Über die Platte gibt’s zwei Sachen zu sagen. Die letzte Platte „Jazz ist anders“ war für uns sehr überraschend, eine Platte, die wirklich sehr anders und auch sehr melancholisch war. Dagegen ist „auch“ jetzt eine Platte, die viele Erwartungshaltungen erfüllt. Es zeigt halt DIE ÄRZTE von ihrer besten Seite. Ungewöhnlich ist, dass jeder von uns gleich viele Songs beigesteuert hat. Es gibt von Jan einen Song mehr, weil der Song, „Cpt. Metal“ unbedingt noch mit aufs Album sollte und nicht als B-Seite auf die erste Single. Aber wir haben alle wahnsinnig viele Songs geschrieben. Ich habe sogar erstmalig die meisten Stücke geschrieben, das war vorher noch nie so. Dann hatten wir auf einmal 42 Songs, und um uns die Auswahl zu erleichtern, haben wir gesagt: Okay, wir suchen jetzt mal drei Songs aus, die ein Votum von uns dreien kriegen, und die nehmen wir auf. Dann nehmen wir uns die nächsten drei vor und so weiter.
Ich habe mich gefragt, ob das bei euch nicht immer so war, dass das Songwriting so gleichmäßig verteilt ist.
Nee, der Hauptsongschreiber war immer Farin Urlaub. Ich muss sagen, dass ich beispielsweise bei „Geräusch“ sehr wenige Songs geschrieben habe. Rod hat bisweilen recht wenig geschrieben und jetzt waren es gleich zehn Songs für das neue Album, so viel hat er vorher noch nie geschrieben. Keine Ahnung, warum wir jetzt auf einmal alle plötzlich so dabei sind. Jan kam mit einer Anzahl von Songs an, die für ihn normal war, aber dass ich dann noch mal drei mehr hatte und Rod auch noch mal zehn Songs, war wirklich seltsam. Ich hatte dann vorgeschlagen, ein Doppelalbum zu machen, aber das wollten die anderen nicht.
Wo kommt bei dir dieser Kreativitätsschub her?
Ich beschäftige mich in den letzten Jahren stärker mit Musik. Ich bin auch ein bisschen häufiger zu Hause als früher und ich spiele besser Gitarre als früher. Bei meinem Soloprojekt spiele ich ja auch Gitarre, da kommen auch mehr Ideen und Sounds zusammen. Und da ich jetzt noch parallel ein zweites Projekt vorbereite, fallen mir genug Sachen ein, die ich dann aufnehme.
Das ist ja heute auch um einiges einfacher, du brauchst eigentlich nur ein digitales Aufnahmegerät und wenn du eine Idee hast und die aufnimmst, klingt das nicht total wie im Sandsturm, sondern schon recht gut.
Es klingt so gut, dass du alles raushören kannst. Ich habe noch alte Vierspuraufnahmen aus den Achtzigern, das ist schon lustig, wie das klingt, das ist fast schon wieder modern. Es ist halt eine total geile Sache mit der Technik heute. Parallel zu der DIE ÄRZTE-Platte habe ich King Khan persönlich kennengelernt, und wir haben ein Projekt begonnen, wo wir uns gegenseitig nur die Tracks auf einem Stick geben und jeder zu Hause den Gesang alleine aufnimmt. Dann war ich auch bei ihm zu Hause und habe den Schlagzeuger von den SHRINES kennen gelernt, der gerade in Khans Wohnung Schlagzeug gespielt hatte und fragte ihn: Wo ist denn hier das Schlagzeug? Und dann steht da so ein kleines Kinderschlagzeug, und das haben die so geil aufgenommen, dass das einen 77er kellermäßigen SLAUGHTER AND THE DOGS-Sound hatte. Und das mit einem Kinderschlagzeug!
Ich hatte nach dem ersten Hören von „auch“ den Eindruck, dass es bei den Songs auf der neuen Platte recht viel um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Da gibt es „Angekumpelt“, „Freundschaft ist Kunst“ oder den „Bettmagnet“. Bei „Ist das noch Punkrock?“ geht’s um den Kumpel, der jetzt lieber mit seiner Freundin rumhängt, „Fiasko“ handelt auch von den Problemen beim Frauen anquatschen und so ...
„Ist das noch Punkrock?“ geht aus meiner Sicht in Richtung „Junge“ vom letzten Album, das ist die Sache mit den unnützen Fragen, die sich mit DÄ beschäftigen. Mit DIE ÄRZTE und Punkrock ist das ja immer so eine Sache. Da stellte sich ja schon nach der ersten Single die Frage, ob das noch Punkrock ist. Aber es kann tatsächlich sein, das habe ich in dem Zusammenhang noch nicht gesehen. Es liegt vielleicht daran, dass Rods Songs oft diese Themen behandeln und wir jetzt alle gleich viele Songs haben. Bei mir war das auch so, dass es ein paar Songs gab, in denen es um das Ende von Beziehungen geht. Man schöpft ja auch oft aus Vergangenem. Mit 18 oder 19 ist das ja noch anders. „Angekumpelt“ ist von Rod, und wo das herkommt, ist mir völlig klar. Ich hatte das auf meiner Soloplatte mit „1.2.3.“ letztendlich genauso thematisiert. Es sind halt diese viele Millionen Freunde, die wir seit Jahren „sammeln“.
Das ist ja bei Facebook auch für jeden Nicht-Rockstar genauso, man ist dann schnell mal mit hunderten Leuten „befreundet“ ...
Den Text von „Angekumpelt“ hat Jan auch co-geschrieben: „Du willst Freunde adden/Ich verspreche dir dein Armageddon“. Ganz guter Reim. Und das ist ja auch alles total absurd. Damals bei MySpace habe ich noch ein bisschen mitgemacht, aber bei Facebook habe ich aufgegeben. Ich habe eine Facebook-Seite, um irgendwelche Infos oder Tourdaten rauszuhauen, weil da 70.000 oder wie viele „Freunde“ sind, aber da gibt’s ja auch viele Leute, die sich für uns ausgeben und teilweise mit Freunden von mir kommunizieren und so versuchen, Geheimnisse rauszukriegen. Wir leben in einer echt seltsamen Welt.
Das ist wirklich ziemlich paradox. Einerseits denkt man, es ist geil, dass man mit allen möglichen Leuten kommunizieren kann, aber andererseits vergisst man dabei schnell, dass man sich auch viel von sich selbst preisgibt.
Es ist echt absurd. Je jünger die Facebook-Benutzer sind, desto offener sind sie und da beginnt dann so eine Einsamkeit. Du teilst dein Leben ja nur noch mit einer virtuellen Masse, die du dir nach deinen Idealen vorstellen kannst, aber da ist ja kein Risiko mehr, du reibst dich nicht mehr an echten Beziehungen, das ist total bescheuert. Und es gibt sogar dieses neue KriminalitätsCrossover von virtueller und realer ... äh ... Hardware-Kriminalität, wenn Einbrecher es sich zunutze machen, wenn du postest, dass du im Urlaub bist. Irre.
Noch mal zur Frage „Ist das noch Punkrock?“. Gibt es für dich einen Unterschied zwischen Punk und Punkrock? Ist Punkrock „nur“ die Musik und Punk die Einstellung?
Das ist eigentlich genau das, was ich denke. Ich meine, jede verdammte Punkband, die mal irgendeine Single oder einen Samplerbeitrag gemacht hat, gibt es wieder. Die treten auf mit ihren Halbglatzen – wenn sie Glück haben, haben sie noch Haare. Ich bin auch auf ein paar solcher Konzerte gerannt. Da geht’s jetzt nur noch darum, die Vergangenheit zu zelebrieren. Das hat doch mit Punk nichts mehr zu tun. Trotzdem finde ich aber, dass es als Begriff für etwas steht. Punkrock ist natürlich ganz einfach eine Schublade, um zu wissen, das ist die Musik. Das kann man bei DIE ÄRZTE zwar bei dem Song sagen, aber nicht bei allen 16 Songs. Das ist natürlich das Schöne, dass wir nach wie vor die Erwartungshaltung erfüllen, was in dem Fall heißt, dass auch Sachen dabei sind, mit denen man nicht rechnet.
Ich finde, dass die Situation mit den alten Punkbands, die nach 25 Jahren Pause wieder auf die Bühne steigen, mich an genau die alten schnarchigen Bluesrock-Bands aus den Siebzigern erinnert, gegen die Punk mal angetreten ist.
Eben. Ich hatte diesbezüglich ein lustiges Aha-Erlebnis. Ein Freund von mir hat bei den RAZORS gespielt – die Reunion ist jetzt auch schon wieder zehn Jahre her –, deshalb bin ich da öfter mal hingegangen und habe da den Sänger mit so einem hübschen Metal-Mädchen gesehen, das aber viel zu jung für ihn war. Und wir haben alle abgelästert: Ha, jetzt feiert der sich hier noch mal ab mit so einem jungen Groupie, bis wir irgendwann mitgekriegt haben, dass das seine Tochter war. Da kamen wir uns schon ein bisschen dämlich vor.
Glaubst du, dass es eine Möglichkeit gibt, als Punk einigermaßen würdevoll und unpeinlich alt zu werden, ohne die ganze Einstellung vollends über Bord zu werfen?
Wie kann man als Punk in Würde altern? Indem man wie Johnny Rotten ins Dschungelcamp geht? Wir selbst sind nun mal Rockstars geworden, und ich finde, dass wir das schon verhältnismäßig würdevoll verwalten. Aber es ist natürlich so eine Sache. Irgendwann haben die TOTEN HOSEN auch angefangen, sich ein paar teurere Klamotten zu kaufen, sieht ja auch gut aus. Warum soll man immer im Secondhand-Pulli rumrennen? Und wenn ich mit einem Koffer zum Hauptbahnhof gehe, wissen die Punks, die mich dann anschnorren, gar nicht, wer ich bin, das ist total lustig.
Ich bekomme das nur bei jüngeren Hardcore-Typen mit, die gar nicht mehr diesen Punk-Background und deshalb eine ganz andere Einstellung zu manchen Dingen haben. Die ticken dann anders, da ist nicht mehr dieses „Einfach mal machen“-Feeling, sondern es kommt schon etwas anspruchsvoller rüber.
Aber wo ist der Unterschied? Das sind so Lifestyles, die dir angeboten werden, und die kannst du dir überstülpen. Als ich das erste Mal eine der ersten Punkbands im Radio gehört habe, das waren COCK SPARRER mit „Running riot“, da habe ich als 14-jähriger Angst gekriegt, war aber gleichzeitig davon so fasziniert, wie man davon angezogen ist, wenn man am Rand einer Klippe steht und runterschaut. Und sich nicht dagegen wehren kann zu denken: Was ist, wenn ich da jetzt runterspringe? Da war so eine Anziehungskraft. Genauso, als ich die erste MISFITS-Platte gehört habe oder bei der „Halloween“-Single, da hatte ich auch Angst, weil ich nicht verstanden habe, was die da singen und warum das so mies klingt und so. Jetzt gibt es halt die Vans Warped Tour, Lollapalooza und so weiter, das ist alles Lifestyle. Ich will und kann das gar nicht verurteilen, weil ich ja auch ganz gut davon lebe, dass meine Band von sehr vielen Leuten gehört wird, von denen sich nur der kleinste Teil Punkrocker nennt. Trotzdem ist diese Nostalgie eine komische Sache. Dieses „Wir halten die alte Punk-Fahne oben“- oder „Früher war alles besser“-Ding, das ist seltsam.
Ich finde, das passt nicht so recht zu Punk, dass man sich so auf sich selbst bezieht ...
Ich habe vor einigen Jahren ein Robert Plant-Interview gelesen. Das war natürlich eine Hassfigur, an dem sich ja auch Johnny Rotten gerieben hat. Der hat LED ZEPPELIN immer als Beispiel für diese Rock-Dinosaurier genannt. Aber später wollte er mit Afrika Bambaataa zusammen ein LED ZEPPELIN-Sample verwenden und da hat Robert Plant gesagt: Fick dich, du kriegst das nicht. Tja, und Robert Plant war eben noch nicht im Dschungelcamp. Er hat in diesem Interview ein paar geile Sachen gesagt, der war mir echt sympathisch. Der probiert sich immer noch aus, macht Country-Platten, das ist ein abgefahrener Typ. Wir haben ja zwei- oder dreimal mit den SEX PISTOLS gespielt und ich fand, das war echt eine traurige Veranstaltung. Ich will aber nicht über die ablästern. Letztendlich war ja auch dieses Comeback der SEX PISTOLS, dieses Cash-Cow-Ding. eine logische Weiterführung der ganzen Idee.
Quasi nach dem Motto „Take the money and run“, wir greifen noch mal Kohle ab und drehen euch die lange Nase?
Ja, aber diese Form von Ironie war halt nicht zu erkennen. Die hatten sie am Anfang und die haben sie jetzt nicht mehr. Die erkenne ich nicht bei Lydon. Hast du diesen Butter-Spot gesehen? Lydon hat für englische Butter Werbung gemacht, das ist super. Kann man sich bei YouTube ansehen und da ist er wirklich witzig, aber diese Dschungelcamp-Nummer war echt hart.
Wenn man sich mal den Veröffentlichungsturnus von DÄ anschaut, ist es meist so, dass alle paar Jahre eine neue Platte kommt, dann geht ihr auf Tour und dazwischen ist immer noch Zeit für eure diversen Nebenprojekte. Würdest du sagen, dass das so der Idealweg für die Band ist und es so bis in alle Ewigkeit weiterlaufen könnte?
Es ist natürlich so, dass Jan und ich uns jetzt über 30 Jahre kennen, wir haben ja schon im Kinderzimmer Sachen aufgenommen und dann muss man einfach Abstand voneinander gewinnen. Und dadurch, das wir eine eigene Plattenfirma haben, werden die Touren immer größer. Es ist ja nicht so, dass wir jedes Jahr eine Platte rausbringen und dann eine kleine Tour machen. 2007 haben wir das letzte Album rausgebracht, das ist fast fünf Jahre her. Dann waren wir drei Jahre lang auf Tour, erst ein Jahr lang die große Tour, dann ein Jahr noch eine Tour mit Festivals und im dritten Jahr noch mal so zehn Dinger. Dann ist man irgendwann an dem Punkt, wo man sagt, jetzt machen wir mal unseren eigenen Kram. Ich glaube, mit dem Alter ist meine Liebe zur Musik wieder sehr gewachsen. Ständig will ich Songs schreiben, bereite gerade ein weiteres Solo-Projekt vor und bin für Kollaborationen immer offen. Mark Lanegan zum Beispiel, der hat so viele Nebenprojekte und Soloalben, dass er fast nur im Studio und parallel noch auf Tour ist. Der existiert nur noch als Musiker und fast gar nicht mehr als Privatmensch. Da gibt es viele Beispiele und ich denke, das ist auf jeden Fall ein guter Austausch und für unser kleines Leben ganz gut. Meine Solosachen kommen ja DÄ auch zugute, weil ich als Songschreiber selbstsicherer werde. Jan tobt sich ja mit seinen eigenen Ding aus, Rodrigo hat jetzt neben ABWÄRTS noch sein Soloprojekt ¡MÁS SHAKE!, und ich hoffe, dass das ganz gut läuft.
Was war die letzte Platte, die du dir gekauft hast? Oder bekommst du sowieso alles geschenkt?
Ich kaufe mir echt viel Musik. Das mit den Hand-Outs hat so ziemlich aufgehört, wegen Musikindustrie-Krise und so. Ich kriege natürlich Platten in Clubs zugesteckt. Manchmal merk ich das gar nicht oder vergesse es einfach. Plötzlich reden alle von KRAFTKLUB und ich denke: Woher kenne ich die? Dann finde ich im Auto diese EP, die sie vor dem Album gemacht haben. Die habe ich dann zwischen der letzten KASSIERER-, EISENPIMMEL- und der K.I.Z-Platte gehört, welche wiederum für mich, K.I.Z eingeschlossen, die drei besten Punkrock-Platten des letzten Jahres waren. K.I.Z spielen ja demnächst mit uns, aber zu den mighty KASSIERERN konnten Rod und ich Farin leider nicht überreden, und die Vorliebe für EISENPIMMEL teilen Jan und ich leider auch nicht.
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