D.I.

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Orange County life

Casey Royer, Jahrgang 1958, ist eine Legende des Orange-County-Punkrock. Er war in der Gründungsphase als Drummer bei SOCIAL DISTORTION involviert, er war in der Frühphase bei den ADOLESCENTS, er gründete 1981 D.I., was damals angeblich eine Abkürzung für „Drug Ideology“ war und durchaus einen Hinweis liefert auf ein bisweilen nicht immer so glatt verlaufenes Leben. Aber seit einigen Jahren schon scheint er die Dinge unter Kontrolle zu haben. D.I., deren einziges Urmitglied der hier als Sänger agierende Royer ist, hatten in Europa nie die Live-Präsenz anderer Bands aus jener Zeit, aber nach einer begeistert aufgenommenen Tour kurz vor der Pandemie kehrten sie im Sommer 2023 auch nach Deutschland zurück und ließen nicht nur beim Ruhrpott Rodeo (wo dieses Interview stattfand) ein begeistertes Publikum zurück.

D.I. hatten wir in den Achtzigern immer als so was wie eine „Spin-off“-Band der verehrten ADOLESCENTS angesehen, erst 1985 war ihr Debütalbum „Ancient Artifacts“ mit dem mysteriösen Song „Hang ten in East Berlin“ erschienen, 1986 folgte „Horse Bites, Dog Cries“, das so halb eine Neuauflage des Debüts war, aber mit teils anderen Songs, wobei „Pervert nurse“, „Hang ten in East Berlin“ oder „Living in the U.S.A.“ damals zu Instant-Hist wurden und das bis heute sind. Weitere Platten konnten nie an dieses Klassiker-Album mit dem eigenartigen Artwork anknüpfen, denn die Konstellation hier, mit den Agnew-Brüdern Rikk und Alfie an den Gitarren, war einfach zu perfekt. Heute setzt Royer parallel zu den personell runderneuerten D.I. die Zusammenarbeit mit den Agnews fort und stichelt in den USA (und hier im Interview) mit den RADOLESCENTS gegen die ADOLESCENTS um Sänger Tony. Im Gespräch erweist sich Casey als anekdotenfreudige Plaudertasche ohne Punkt und Komma ...

Casey, ich erinnere mich, dass ich euch 1990 auf eurer Europatour in Filderstadt bei Stuttgart gesehen habe. Das T-Shirt von damals habe ich sogar noch irgendwo.
Das war die „State Of Shock“-Tour, glaube ich. Das Motiv hatte ich aus einer Zeitschrift in Amerika, das benutzte ich für das Cover. Und als wir nach Italien kamen, spielten wir in einem Squat, und das Symbol war überall. Die Zeichnung war wahrscheinlich aus Italien nach Amerika gekommen. Es war seltsam. Das war noch vor dem Internet, im Punk gab es damals solche magischen Momente.

Damals – noch vor dem Internet – wurde auch getratscht, bei D.I. seien Drogen im Spiel ...
Keith Richards hat mal gesagt, es heiße, er habe ein Problem mit Drogen. Aber er habe kein Problem mit Drogen, er habe ein Problem mit der Polizei. Und du hast ein Problem mit Drogen, wenn du daran stirbst. Wenn jemand damit Spaß haben will, bitte, was soll man da machen? Und wenn du verhaftet wirst, ist es ein Problem. Ich habe früher schon mal Gras geraucht. In den Achtziger Jahren habe ich nie wirklich viel genommen. Und dann bin ich mal umgekippt, nachdem ich was genommen hatte, das war im Jahr 2000, und da wurde ich dann als Junkie abgestempelt, aber ich war nie einer. Ich habe an einem Wochenende einen Fehler gemacht und es war wie ein Albtraum. Aber weißt du, man kommt über solche Dinge hinweg, übersteht sie, hat Durchhaltevermögen. Heutzutage rauche ich hin und wieder mal was und surfe und habe Spaß. Und wenn ich nach Deutschland komme, suche ich einen Strand mit schönen Wellen.

Dafür ist Deutschland das falsche Land.
Ja, Frankreich ist da besser, der Atlantik. Tom Curren, der legendäre Surfer, lebt da irgendwo, glaube ich.

Mir scheint, dass die Drogenthematik in der Punk-Szene früher größer und problematischer war – damals, als Punk noch jung war und auch oft Menschen mit Problemen anzog.
Ja, da hat sich eindeutig ein sozialer Wandel vollzogen. Damals waren wir Kids, niemand wusste wirklich, was Drogen anrichten können, bis in den Achtzigern reihenweise Punks starben. Leute wie Darby Crash starben an einer Überdosis. Heute kommen ganz andere Fans zu unseren Shows, ob in Bremen oder New York. Die Leute sind zwanzig Jahre jünger als ich, die wissen nicht, wie es sich damals anfühlte, ein Punk zu sein. Die haben keinen Bock mehr, ständig Ärger zu bekommen oder im Gefängnis zu sitzen. Damals hatten die Eltern der Punks ständig großen Ärger. Heute wissen die Kids, dass sie diesen Weg nicht einschlagen wollen, auch weil ihre Eltern, die früher mal Punks waren, klar sagen: Tut das nicht! Schaut, was mit uns passiert ist! Wenn ich mir heute unser Publikum anschaue, dann ist das eine bunte Mischung von Straßenpunks bis hin zu ganz normal aussehenden Leuten. Heute sind unsere Konzerte eine „sichere Zone“, das ist der große Unterschied.

Damals, in der frühen Punk-Szene, gab es einfach mehr Wildheit und Verrücktheit, oder? Das ist ein Faktor, den heute manche vermissen.
Weißt du, viele Kids wünschen sich, sie wären zu unserer Zeit dabei gewesen, damals als wir zwanzig Jahre alt waren. Sie wollen erleben, was wir erlebt haben. Ich weiß aber nicht, ob sie wirklich hätten dabei sein wollen ... Die Polizei in Los Angeles trat damals wie eine Armee auf und hat wirklich versucht, die ganze Punk-Bewegung gewaltsam niederzuschlagen. Anstatt alle zu verhaften, versuchten sie, die Bewegung brutal zu aufzulösen. Ungewollt half die Polizei damit aber der Punk-Szene, denn wir wurden immer bekannter, wir Punks waren ständig in den Nachrichten, und viele Kids sahen das und wollte da mitmachen: „Punks fighting the police“, „Punks winning the Police war“ – das waren die Schlagzeilen! Heute gibt es das nicht mehr, weil die Regeln und Vorschriften so zugenommen haben und die finanziellen Konsequenzen deines Handelns dein Leben ruinieren würden. Wenn du heute tun würdest, was wir damals getan haben, würdest du wahrscheinlich ins Gefängnis kommen. Aber damals wussten sie nicht, was sie mit uns tun sollten. Wir forderten die Regierung heraus, es war fast wie ein Bürgerkrieg. Ja, es war aufregend, aber Kids von heute, die glorifizieren die damalige Zeit und manche Medien, Filme und Bücher haben unsere Ära ziemlich sensationsheischend dargestellt. Da wirkt es, als sei die damalige Szene so was wie der Wilde Westen der Musik gewesen. Aber wenn ich heute ein Jugendlicher wäre, würde ich mich wohl auch dafür interessieren. Wenn man etwa die Autobiografie von Ross Lomas von GBH liest oder Jello Biafras YouTube-Channel folgt, erkennt man schnell, was für Genies diese Leute sind, und die Kids werden immer schlauer, das merke ich, ob in Europa oder in den USA.

Wie haben deine frühen Erfahrungen in der Punk-Szene dein Leben beeinflusst, zum Guten oder zum Schlechten?
Zum Besseren. Auf jeden Fall. Ich habe so viel Cooles erlebt überall und so viele tolle Leute auf der ganzen Welt getroffen. Es ist wie ein wahr gewordener Traum, und ich träume immer noch. Wir haben damals diese Bubble erschaffen, und diese Blase ist immer weiter gewachsen und heute sind so viele in dieser Bubble und es ist einfach nur cool – und auch irgendwie unwirklich. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Szene ist einfach großartig, all die Leuten sind miteinander befreundet. Punks sind einfach netter als normale Leute. Also ja, Punk hat mein Leben definitiv verändert. Ich wohnte noch bei meinen Eltern und ging noch zur Schule, als ich die Idee für SOCIAL DISTORTION hatte. „Mama’s little monster“ haben Mike und ich im Haus meiner Eltern geschrieben, und sie haben unsere Aktivitäten geduldet. Wir hörten SEX PISTOLS und RAMONES und David Bowie, AEROSMITH, LED ZEPPELIN, GENESIS und QUEEN zur gleichen Zeit. Ich war 17 Jahre alt, ging zur Highschool und bei uns im Plattenladen tauchte die „God Save The Queen“-Single auf, die hatten gerade eine Kiste Platten aus England bekommen. Und wir legen die Single auf, und dann setzt die Gitarre von Steve Jones ein und ... wow! Das war was ganz anderes als JOURNEY, CHICAGO, STEELY DAN oder FLEETWOOD MAC. Deren Songs fangen nicht mit so einer harten Gitarre und einem Typen an, der was vom Antichristen schreit. Plötzlich ballerte dieser Sound aus unserer Stereoanlage – und unsere Eltern hielten das irgendwie aus. Mike Ness und ich probten anfangs in meinem Zimmer und meiner Mutter war es egal, dass wir in dieser neuen Szene unterwegs waren. Irgendwann war es ihr dann aber doch nicht mehr egal und ich musste versprechen, dass ich aus der Band aussteige. Aber was soll ich sagen, ich habe doch weitergemacht und dann waren wir im Fernsehen und sie hat gesehen, was ich letztes Wochenende gemacht hatte. Es gab da eine Menge Ärger am Stardust Ballroom, und meine Mutter schaute mich an und sagte nur: „Ich dachte, du seist aus der Band ausgestiegen.“ Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe. Meine Mutter war auf ihre Art auch recht speziell, sie stammte aus einer deutschen Familie, aber ich war adoptiert. Ich habe aber auch deutsche Vorfahren, bin aber zu 38% aus dem Osten, aus Polen beziehungsweise dem einstigen Preußen. 32% sind französisch oder deutsch. Meine Schwester hat das mal analysieren lassen. Ich komme mit allen gut aus, weil ich was von allen in mir habe, hahaha. Ich weiß das seit meinem vierzigsten Lebensjahr. Meine damalige Frau sagte: Ich glaube, du hast da eine Schwester. Und ich: Was? Wer? Wo? Und dann habe ich meine Schwester getroffen, sie wohnte bei meiner Highschool die Straße runter. Ich war schockiert! Am Ende hätte ich als Jugendlicher damals unwissentlich was mit meiner Schwester angefangen, haha.

Und dann hast du sie getroffen?
Ja, und so habe ich herausgefunden, dass ich polnischer Abstammung bin und mein Vater ein berühmter Rodeostar und Schauspieler war. Sein Name war Eddie Adamek, eigentlich Adamekski. Er war ein Unterhaltungskünstler. Er trat in Disneyland auf, und Steve Martin war sein bester Freund, er kannte John Wayne und Ronald Reagan. Er brachte Steve Martin Tricks mit dem Lasso bei, die er dann später bei „Drei Amigos!“ zeigen konnte. Mein Vater und Steve Martin arbeiteten als Jugendliche zusammen in Disneyland. Mein Vater war also genau wie ich ein Entertainer. Er konnte auf dem Rücken eines Pferdes stehen, hatte alle Arten von Kunststücken drauf. Ich bin selbst auch sehr sportlich und das habe ich von ihm. Er starb im Alter von achtzig Jahren und leider habe ich ihn nie getroffen. Meine Freundin hat eine ganze Menge über ihn herausgefunden, das ist total spannend. Er ist neben Tex Williams begraben, in Saugus bei den Magic Mountains in Nordkalifornien. Meine Freundin hat sogar den Grabstein gefunden. Er hat wohl auch in einer Band gespielt, er zog mit einer Rodeo-Show durch das Land ... jetzt bin ich auf dem Ruhrpott Rodeo! Alles hängt mit allem zusammen, haha! Ich kann es immer noch kaum glauben, was wir damals für eine heute so riesige Bewegung losgetreten haben. Hat nicht Malcolm McLaren einst zu den SEX PISTOLS-Jungs gesagt: „Warum benehmt ihr euch nicht einfach wie Arschlöcher? Ich gebe euch 100 Dollar und ihr gründet eine Band und wir versuchen, sie zu promoten.“

Ihr wart in Orange County, nicht in London ...
Die Punk-Pioniere in Amerika haben einfach nur herumgespielt und was dabei herauskam, war dieser neue Sound. Und ein paar Songs. Und dann stellte sich heraus, dass die Songs sogar ganz gut waren. Und dass diesen Kids nicht alles egal war, auch wenn sie total abgefuckt wirkten. Nach der Highschool bin ich von zu Hause ausgezogen, ging aufs College, drei Jahre lang, und die Bands von mir und meinen Kumpels fingen an durchzustarten. Wir spielten an den Colleges, organisierten uns gegenseitig Konzerte. Wir kifften viel, gingen ab und zu zum Unterricht und dann haben wir die Uni einfach abgebrochen. Wir hingen in der Punk-Szene rum, wohnten bei Freunden, hörten Musik, all die Debütplatten von Bands wie den DICKIES. Es war ein großer Spaß und wir haben gar nicht realisiert, dass wir gerade dabei waren, eine neue Jugendkultur aufzubauen.Uns war nicht bewusst, wie viele Leute darauf angesprungen sind. Die Bullen hassten uns. Ich erinnere mich an ein Konzert in Los Angeles, bei dem es ein bisschen Randale gab. Die Bullen kamen und dann rannten alle davon und die Cops mit ihren Knüppeln hinterher. Die Punks flüchteten in ihre Autos, und die Cops fingen an, mit ihren Knüppeln die Scheiben einzuschlagen! Ich weiß noch, wie meine Freundin schrie, es klang wie in diesem Horrorfilm „Freitag der 13.“. Es war echt beängstigend.

Wie viele Leute waren damals in der Punk-Szene in deiner Gegend?
Ich würde sagen, dass es in Orange County weniger als 500 waren. Und die gleiche Anzahl von Leuten in L.A. Paul Roessler von den SCREAMERS und Darby und Pat von den GERMS waren zur gleichen Zeit auf der gleichen Highschool, und ich und Rikk Agnew auch – also auf einer anderen Schule. Wir hörten alle zur gleichen Zeit die gleichen Platten und hatten alle die gleiche Idee, eine Band zu gründen. Von diesen anfangs wahrscheinlich nur 500 Leuten wuchs das dann sehr schnell, es war wie eine Lawine. Ich weiß noch, wie wir mal mit FEAR und ADOLESCENTS im Whisky a Go Go gespielt haben, das war 1982. Da müssen 4.000 Leute auf der Kreuzung gestanden haben. Die Autos kamen nicht mehr durch, also musste die Polizei anrücken. Sie schlugen auf alle ein, die da rumstanden. Dadurch wurde die Szene aber nur noch größer. Die Polizei bekämpfte uns zu Unrecht, und je mehr wir die Cops bekämpften, desto größer wurde die Medienberichterstattung. Die Punks schlugen zurück! Und die Bands führten die ganze Sache an. Aus ein paar hundert Punks waren viele Tausende geworden. Das war wie eine Revolution. „Houston, we have a problem! Da gibt es diese neue Szene und sie versuchen, die Gesellschaft zu zerstören. Sie haben Irokesenfrisuren und sie sind betrunken und wild.“ Es war also eine wirklich tolle Zeit. Ich bin froh, dass ich dabei sein konnte, denn es hat Spaß gemacht.

Wie weit ging die Repression seitens der Polizei? Stand die auch mal bei euren Eltern vor der Haustür?
Nicht bei uns. Wir lebten ja in Surburbia, unsere Eltern hatten Jobs, wir hingen nicht an irgendwelchen öffentlichen Orten herum, sondern zu Hause. Das war also kein Problem. In Downtown L.A. war das wohl anders, Bands wie CIRCLE ONE traten aber auch aggressiver auf als wir. Die L.A.-Punks waren krasser drauf als wir in Orange County aus dem ADOLESCENTS-Umfeld. Wir gingen nach Disneyland und an den Strand. Wir waren eher Musiker, wir waren von all den neuen Platten begeistert. SOCIAL DISTORTION war dann die erste Band, die ich gegründet habe. Der Name setzte sich zusammen aus „Social“ wie „Gesellschaft“ und „Distortion“ wie ein Verzerrerpedal für die Gitarre. „Distortion“ stand für Punk, das Harsche, Rauhe. Ich hatte einen Soziologiekurs in der Highschool und „Social“ stand für mich für den Kulturwandel. Punkrock stellte eine solche Veränderung dar. SOCIAL DISTORTION spielten über einen Big Muff-Verzerrer, wir waren zunächst nur zu zweit, spielten Songs von Bowie, SEX PISTOLS, VAN HALEN und RAMONES. Sogar „Dazed and confused“ von LED ZEPPELIN. Mike spielte seine Gibson SG und ich das Schlagzeug, wir probten in meinem Kinderzimmer, wir hängten eine bunte Lichterkette an mein Drumkit, wir hatten alle lange Haare bis zu den Schultern. Dann haben wir Mikes Haare abgeschnitten und die erste Band gegründet. Dann löste sich die Band auf und ein Mädchen namens Diane [die Grafikerin und Musikerin Mackie Osborne, verheiratet mit Buzz Osborne] schenkte uns zwei Zeichnungen, weil sie unsere Freundin war. Sie gab Mike dieses kleine Skelett, das zum SOCIAL DISTORTION-Logo wurde, und sie gab mir den Hund, der zum D.I.-Logo wurde. Wir haben damals einfach gemacht und nichts dabei gedacht. SOCIAL DISTORTION habe ich dann bald wieder aufgelöst, ich war der Sänger. Dann fragten mich Tony Adolescent und Steve Soto, ob ich Schlagzeug spielen will in einer neuen Band namens ADOLESCENTS, und ich habe zugesagt. Mike hat den Namen SOCIAL DISTORTION behalten und für eine neue Band verwendet, aber er weiß, dass ich ihn erfunden habe. Sie nannten sich zunächst SOCIAL DISTORTION 2. Aber alles ist gut, es ist egal, es kümmert mich nicht. Mit den ADOLESCENTS lief es gut, wir haben 1981 einen Plattenvertrag bei Frontier Records bekommen, und da waren die ersten Veröffentlichungen die von uns, CIRCLE JERKS und T.S.O.L.

Es gibt seit einer Weile unter deiner Federführung eine zweite Version der ADOLESCENTS namens RADOLESCENTS. Was hat es damit auf sich?
Das ist eine Band mit den echten ADOLESCENTS-Leuten. Rikk Agnew spielt Gitarre , ich bin am Schlagzeug, Frank Agnew Jr. singt und Alfie Agnew spielt Bass. All die Agnew-Jungs sind hier also mit von der Partie. Es kommt übrigens bald ein Film über die Agnews heraus, er heißt „The Agnews – An American Family“. Gabriel Zavala heißt der Filmemacher, er macht einen Film über unsere Szene. Ganz unglaublich, er hat Kinder gecastet, die aussehen wie wir als Jugendliche. Es gibt da auch eine Szene von einem CHRISTIAN DEATH-Konzert mit Rozz Williams. Ein Freund meinte, es wirke wie eine Vampirfilm-Szene auf Netflix, und ich sagte nur: „Nein, so sah das damals wirklich aus!“ Diese Leute sind Vampire. Rozz Williams war ein Vampir. Allein diese Szene ist schon großartig, und sie haben sogar uns, D.I. gecastet und mit Kids besetzt. Der Film wird also wirklich großartig sein, wenn er rauskommt. Und die RADOLESCENTS, nun, wir sind besser als die ADOLESCENTS, weil Tony in seiner Band nur neue Leute hat und da fehlt der ganze Flair. Wir spielen vor allem die „Blaue Platte“, die überwiegend Rikk und ich geschrieben haben, ein paar Sachen sind auch von Steve Soto und Tony, aber wir waren das Rückgrat. Rikk und ich waren zusammen bei SOCIAL DISTORTION, wir waren in D.I., bei den ADOLESCENTS. Wir machen irgendwie immer alles zusammen. Wir fliegen zusammen nach Maui, wenn ich von der Tour zurück bin – Rikk sieht heute ein bisschen aus wie Kenny Rogers, er hat einen langen Bart, er ist mein bester Freund. Wir sind zusammen aufgewachsen, wir sind beide Jahrgang 1958. Die Tatar-Brüder Eddie und Joey sind acht Jahre oder so jünger, und Clinton ist sieben Jahre jünger. Eddie kam damals mal in einem Nazi-Outfit in die Schule, da war er acht Jahre alt. Die haben ihn direkt rausgeschmissen. Er versuchte immer, Ärger zu machen. Ihr Vater war ein Musiker, sie wuchsen mit Musik auf. Die haben Musik in ihrer DNA. Ich bin echt stolz auf meine aktuelle Band. Trevor Lucca ist der Jüngste in der Band, er hat D.I. mit 17 das erste Mal gesehen in Hollywood im House of Blues, zusammen mit SHAM 69 – er war mit seinem Vater da. Die Band funktioniert auch einfach nur mit guten Musikern. Es macht so unglaublich viel Spaß, mit diesen Leuten in einer Band zu sein. Mit solchen Freunden in dieser Szene was zu machen, das gibt dir das Gefühl, dass es alle Anstrengungen wert ist. Egal, ob du Schulden hast oder einen schlecht bezahlten Alltagsjob, egal, das spielt dann alles keine Rolle.

Was arbeitest du, wenn du nicht auf Tour bist?
Ich habe schon eine Million Jobs gemacht. Ich bin eigentlich Elektriker in der dritten Generation, seit 1927 arbeitet meine Familie in Anaheim in diesem Handwerk. Meine Großeltern kamen 1898 nach Anaheim. Es gab damals noch keinen Strom in der Stadt. Und als das Elektrizitätsunternehmen Straßenlampen installierte, wollten die Leute zunächst nicht darunter lang gehen. Sie hatten Angst davor. Sie dachten, es sei etwas Satanisches. Also stellte die Edison-Gesellschaft Blumenkästen unter den Laternen auf, um zu zeigen, dass das elektrische Licht den Pflanzen nicht schadet. Meine Familien lebten also schon lange in Südkalifornien, als ich geboren wurde. Ich hatte zwei verschiedene Elternpaare. Eddie Adamek kam 1927 nach Kalifornien, und mein Vater wurde in Fullerton geboren, was direkt nebenan liegt. Es waren also zwei verschiedene Familien in der selben Gegend.

Und was arbeitest du derzeit?
Also ich habe schon alles gemacht, ich war auf dem Bau, aber mittlerweile habe ich mich auf Garten- und Landschaftsbau spezialisiert. Ich habe da sogar einen Abschluss als Ingenieur, war dafür noch mal auf dem College. Also ich gestalte Gärten, grabe Löcher für Bäume und all so was. Bei euch hier in Europa stelle ich mir das Geschäft etwas einfacher vor, da pflanzt du was ein und es wächst. Aber in Südkalifornien, da muss sich ständig ein Gärtner kümmern, gießen, beschneiden und so weiter. Das ist ein großes Geschäft, du musst ständig jemanden für irgendwas bezahlen. Die Natur bei uns ist schon sehr speziell, du musst viel gießen, die Leute verschwenden ihr Geld mit Blumen in der Wüste. Dabei sollte man eine Wüste einfach Wüste sein lassen! Ich hatte vor Jahren schon angefangen, in einer Baumschule zu arbeiten, mein Chef war sogar mein Trauzeuge. Und der sagte, ich solle aufs College gehen, dann könne ich mehr Geld verdienen, indem ich Millionären Bäume in den Garten pflanze. Und was soll ich sagen, es macht Spaß. Wir graben ein paar Löcher, dann fahren wir zum Strand und kiffen und surfen. Landschaftsbau ist echt eine große Sache bei uns in der Gegend, ich kenne jetzt die ganzen Pflanzennamen und so weiter.

Aber man macht sich in dem Job auch schnell den Rücken kaputt ...
Oh ja, das ist mir auch passiert. Auch deshalb ging ich aufs College, damit ich die Schreibtischarbeit machen kann und andere die Löcher graben. Mittlerweile würde ich gerne als Schlagzeuglehrer arbeiten. Oder ich werde Chirurg, das könnte auch lustig werden.

Wie hältst du dich fit für die Bühne? Machst du Sport?
Ich liebe Sport. Zu Highschool-Zeiten schon surfte ich viel, ich war so ein typischer Sportler, hatte Cheerleaderinnen als Freundin und so. Meine Eltern hatten ein kleines Strandhaus, das war wie ein Wohnwagen, das nutzte ich ausgiebig, das war eine tolle Jugend in der Hinsicht. Heute spiele ich viel Basketball, ich gehe am Strand viel laufen, ich wohne in Newport direkt am Wasser. Ich laufe von einem Pier zum anderen, die sind zwei Meilen voneinander entfernt. Ich mag die Verbindung mit dem Meer, mit dem Wasser, schon immer. Schon meine Großeltern hatten in den Dreißigern ein Strandhaus, einen kleinen Wohnwagen, der hat bis in die Achtziger überlebt. Später bin ich nach Laguna Beach gezogen und habe seitdem immer nahe am Strand gelebt.

Was ist mit neuer Musik, haben D.I. was in Planung?
Ja. Ich war vor ein paar Wochen bei Fat Mike zu Besuch und er fragte mich dasselbe. Also ja, wir arbeiten gerade an neuen Sachen. Mike lebt ja jetzt in Las Vegas, die Zeit mit NOFX ist bald vorbei für ihn und er kümmert sich jetzt um sein Punkrock-Museum. Ich mache da ja auch Führungen, Mike hat mich darum gebeten. Die haben da echt unglaubliche Sachen, wie etwa Requisiten von DEVO, das Eiserne Kreuz von Darby Crash, die Jacke von Johnny Thunders, die er bis zu seinem Tod trug – einfach nur verrücktes Zeug. Etwa das Acetat von „Forming“ von den GERMS. Oder Gitarren von BAD RELIGION, GREEN DAY, THE OFFSPRING ... Das ist wirklich unglaublich – das musst du echt vor Ort gesehen haben, um es zu glauben. Es wirklich überwältigend cool. Ich kenne ja fast alle der Leute und Bands, um die es da geht, aber selbst für mich ist es schwer zu fassen. Bei meiner Führung versuche ich Verbindungen zwischen den Bands aufzuzeigen, etwa zwischen BLACK FLAG und den RAMONES. Bei den Führungen sind immer 15 bis 20 Leute in einer Gruppe. Ach ja, die Vergangenheit ... Mike Ness behauptet ja immer, er habe SOCIAL DISTORTION 1978 erfunden und ignoriert meine Rolle. Ich habe vor kurzem eine Aufnahme gefunden, ein Lied, „Moral threat“ – das war der erste Song dieser neuen Band, von 1976, und Mike hat gelogen. Da müsste wohl mal jemand was bei Wikipedia ändern. Denn in Wirklichkeit wurde die Band 1976 in meinem Kinderzimmer gegründet, als ich in der achten Klasse war. Irgendwann damals entstand ja auch diese Gesangslinie, die zuerst „Atom bomb ... TNT“ ging und dann zu „Amoeba“ wurde. Viel von dem Songwriting stammt von mir.

Kommst du denn mit Mike Ness heute klar?
Nicht wirklich. Wir haben uns mehrfach gestritten, ich habe ihn mal rausgeschmissen. Der ist ja jetzt trocken, da heißt es immer, man solle sich von seinem alten Umfeld fernhalten. Vielleicht ignoriert er mich, weil er sich nicht an die dunklen Tage erinnern will. Bei den AA sagen sie dir, du sollst dich nicht für irgendwas entschuldigen, was du früher getan hast, aber ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Er scheint irgendwie Vorbehalte gegen mich zu haben, na ja.

Was hast du mit den RADOLESCENTS vor? Eine Europatour?
Wir arbeiten analog zum „Blue Album“ am „Rad Album“. Rikk schreibt die Songs mit dem gleichen hymnischen Ansatz wie die Stücke auf dem blauen Album. Neulich haben wir in Redondo Beach gespielt und Fletcher von PENNYWISE und Milo von den DESCENDENTS kamen vorbei, weil sie die Straße weiter runter wohnen. Sie waren erstaunt und begeistert, wie wir da abgeliefert haben. Es gibt da so einen Vibe auf dem ersten ADOLESCENTS-Album, auf dem ich Schlagzeug spiele, weil ich einen gewissen Jazz-Einschlag habe und Rikk alle Songs geschrieben hat. Rikks Gitarrespiel und mein Schlagzeug, das ist dann auch live wie das „Blue Album“. Fletcher sagte, er habe so einen Sound seit dreißig Jahren nicht mehr gehört. So habe es sich damals angehört, sagte er. Wenn man in diesem Sound „Kids of the black hole“ hört, möchte man weinen vor Freude. Und „Amoeba“! Und ja, wir werden irgendwann mit dieser Band auch nach Europa kommen. Weißt du, die Konzerte sind echt ein Phänomen, die Leute sind ergriffen. Sie gehen total ab, sie singen mit und sie checken, dass sie die Songs gerade so hören, wie sie damals entstanden sind. Bislang kannten alle nur die Platten, aber niemand hat sie je richtig live gehört. Ich finde zum Beispiel den aktuellen Drummer der ADOLESCENTS völlig unpassend. Der spielt ganz anders als ich damals, ich bin eher der Keith Moon-Typ. Als Alfie bei uns, bei den RADOLESCENTS, einstieg, dachte ich mir, was soll da jetzt noch kommen? Wie willst du eine noch bessere Band haben als mit diesen so talentierten Musikern? Und das gilt auch für die aktuelle Besetzung von D.I., die Jungs sind so gut, wie es nur geht.

In letzter Zeit wurde verstärkt die männliche Dominanz in der Punk-Szene thematisiert. Wie erinnerst du die Szene von Orange County, von Kalifornien in dieser Hinsicht?
Cyndi Lauper, Madonna, THE ALLEY CATS, THE AVENGERS ... Es gab eine Menge cooler Frauen und auch einige Bands mit Frauen, um ein Gegengewicht zu bilden zu ADOLESCENTS, BLACK FLAG, CIRCLE JERKS und DEAD KENNEDYS. Und dann kamen die GO-GO’S, das war cool. Ich erinnere mich, wie wir ... das muss 1977 gewesen sein ... zu einem Konzert ins The Masque in Los Angeles gingen. Brendan Mullen buchte da die Shows, das war ein schon etwas älterer Typ. Rikk Agnew, Mike Ness und ich waren so eine kleine Gang, wir hingen viel zusammen rum, kifften zusammen, wir waren „beerdrinkers and hellraisers“. Wir fuhren also in meinem Auto zum The Masque, um THE SCIENTISTS aus Long Beach und THE GO-GO’S zu sehen. Wir waren noch total jung, Achtklässler, ich hatte gerade erst meinen Führerschein gemacht. Wir saßen da also rum, verpeilte Kids aus Orange County, und THE GO-GO’S hatten gerade gespielt, Belinda Carlisle kommt raus, macht ihr Kleid auf ... und hat nichts drunter! „So was“ hatten wir Kiddies noch nicht gesehen, höchstens im Playboy. Wir waren völlig baff, hahaha. Das war so ungefähr unsere erste Erfahrung mit der L.A.-Punk-Szene. Viele andere Ausflüge folgten dann, zum Starwood, zum Stardust Ballroom, zu Madam Wong’s, zum Palladium ...

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Diskografie
D.I.: „s/t“ (12“, Revenge, 1983) • „Ancient Artifacts“ (LP, Reject, 1985) • „Horse Bites, Dog Cries“ (MC/LP, Reject, 1985) • „Don’t Do It“ (7“, Triple X, 1988) • „What Good Is Grief To A God“ (LP/CD, Triple X, 1988) • „Surfin’ Anarchy“ (7“, Triple X, 1989) • „Tragedy Again“ (LP/CD, Triple X, 1989) • „Live At A Dive“ (CD/MC, Triple X, 1993) • „Colors And Blood / Get Used To It“ (Split-7“ w/ THREE CHORD WONDER, Lost And Found, 1994) • „State Of Shock“ (CD/MC, Doctor Dream, 1994) • „Zwei Frau und Eins Stein“ (7“, Sessions, 1996) • „Caseyology“ (CD, Cleopatra, 2002) • „Richard Hung Himself“ (7“, Anarchy, 2007) • „On The Western Front“ (CD, Suburban Noize, 2007) • „United We Slam“ (7“, Hand Grenade, 2013) • „Dethrone Your Masters“ (Split-7“ w/ POTBELLY, Portnow/Moribund/Little Mafia, 2018) • „Flashback Favorites“ (LP/CD, Cleopatra, 2020) • „Greatest Hits A-Z“ (LP/CD, Cleopatra, 2021) • Casey Royer: ADOLESCENTS „Blue Album“ (LP, Frontier, 1981) Drums • ADOLESCENTS „Welcome To Reality“ (7“, Frontier, 1981) Drums • ADOLESCENTS „Live 1981 And 1986“ (LP/CD, Triple X, 1989) Drums • ADZ „Where Were You?“(CD, Lethal, 1992) Drums • ADOLESCENTS „Return To The Black Hole“ (CD, Amsterdamned, 1997) Drums