Erst 2019 haben DEUTSCHE LAICHEN ihre titellose Debüt-LP bei Zeitstrafe veröffentlicht. In schnellen Auf-die-Fresse-Songs, die sowohl im AZ als auch im Feuilleton gut ankamen, geht es um Polizeigewalt, Rassismus und antifeministischen Gegenwind. Es wäre zu schön gewesen, wenn ein bloßes Besingen der beschissenen Zustände zu deren Auflösung geführt hätte. Aber nein, die Scheiße scheint sich 2020 nur zu potenzieren – also wird weiter geballert. „Team Scheiße“ heißt entsprechend die neue EP, bei der weder groß rumgetüftelt noch ein Label gesucht wurde. Die Wut ist akut, die Message muss raus.
Brauner Feinstaub zieht übers Land“, singt Asche direkt im Opener „Deutschland, ein Alptraum“. Auf vermeintliche Winter- und Sommermärchen bei Heine und zur WM folgten Fascho-Aufmärsche. NSU, Halle und Hanau sind zu Chiffren geworden, die unter anderem an die rassistischen Ausschreitungen in Lichtenhagen, Mölln und Solingen anknüpfen – und das ist scheiße! „Ich mach mein Maul auf“, schreien DEUTSCHE LAICHEN da nur konsequent und fordern von ihrem Publikum: „Du machst jetzt dein Maul auf!“
In den drei knackigen Songs auf „Team Scheiße“ scheint derweil eine alte Design-Weisheit als akustisches Leitprinzip zu gelten: „Form follows function“. Der Ärger über die Gesamtscheiße-Scheiße musste schnell produktiv werden und diese Dringlichkeit schlägt sich entsprechend im Sound nieder: „Die EP klingt rough, weil wir sie in einem Betonklotz aufgenommen haben. Es ging uns darum, die Songs schnell rauszuhauen und uns nicht mit Musikgequatsche aufzuhalten, daher war diese Art des Sounds schnell Konsens.“
Konsens, das ist ohnehin ein gutes Stichwort, denn so sind auch die Antworten auf meine Fragen zu verstehen. Asche, Bi, rollsplitt, Kralle und Lila wollen ausschließlich als Kollektiv sprechen. Nun gut, wenn es denn zum Konzept gehört. „Punk muss sich mehr mit Inhalten auseinandersetzen und sich weniger um sich selbst drehen. Das nervt und so kommen wir nicht weiter.“ Was die fünf hier dem Punk als ‚Subkultur‘ abverlangen, könnte demnach auch für den gemeinen Ego-Punk gelten. Die Frage nach dem Sich-selbst-Feiern zur neuen Veröffentlichung ist entsprechend schnell abgehakt: „Wir hatten eine tolle Release-Show: Sitzveranstaltung, Open Air, Abstand, Masken und all das. Pogen auf Plastikstühlen ging aber trotzdem.“ So ganz ohne Spaß ist es schließlich auch nix.
Aber in diesem Jahr ist die Kacke nun mal am Dampfen und „Team Scheiße“ ist aufgefordert zu handeln. Wer genau? „Alle zusammen sind das Team Scheiße und es gibt keinen Coach. Wer spricht, wer wird nicht gehört? Was tust du dafür, um gegen das Missverhältnis zu kämpfen?“ Statt glasklare Antworten zu geben, haben DEUTSCHE LAICHEN immer und immer wieder die unbequemen Fragen im Gepäck.
2020 ist es unmöglich, um diese unbequemen Fragen herumzukommen. In den USA werden etwa die „Black Lives Matter“-Proteste, die unter diesem Namen nun schon seit 2013 stattfinden, unüberhörbar laut, nachdem Breonna Taylor, George Floyd und zu viele weitere Schwarze Menschen Opfer von tödlicher Polizeigewalt geworden sind. Die Bilder verbreiten sich rasend schnell und die Reaktionen werden als Protest, Wut und Trauer auch hierzulande unmittelbar spürbar. Online ist dann fix eine Solidaritätsbekundung gepostet – das ist auch erst mal gut. „Die Solidarität von weißen Menschen darf aber nicht nur rein performativ sein, zum Beispiel über die inhaltsleere Nutzung von ‚Hashtag BLM‘“, wenden DEUTSCHE LAICHEN ein. „Wenn der Aktionismus beim Instagram-Post endet, kommen wir nicht weiter.“
Als Kulturpessimist:innen darf man sie sich derweil aber nicht vorstellen: „Wir sind Instagram-Kids und finden Social Media gut. Stimmen, die vorher nicht so laut gehört wurden, haben nun eine größere Reichweite.“ Um das mitzubekommen, muss man sich natürlich den eigenen Social Media-Feed entsprechend kuratieren, etwa mit den „vielen schlauen Menschen, die Education posten“. Fürs Erste gilt also: „Fresse halten und zuhören auch, wenn Betroffene erzählen.“
Mir geht ja seit Monaten die Zeile „Before I talk I should read a book“ von den B-52’S (auf „Mesopotamia“) überhaupt nicht mehr aus dem Kopf – statt blindem Aktionismus könnte mal Innehalten angesagt sein. Das finden DEUTSCHE LAICHEN nicht grundsätzlich falsch: „Sich informieren und nachlesen ist extrem wichtig. Wichtig ist aber auch, dass die antirassistische Auseinandersetzung nie zu Ende ist. Ein Buch lesen reicht nicht, die Menschen müssen dranbleiben, auch in ihren Gruppen, Szenen und Kontexten.“
Das müsste doch gerade für Punk gelten. Für DEUTSCHE LAICHEN „ist Punk ganz grundlegend eine Haltung, bei der Auflehnung gegen Ungleichheitsverhältnisse und Machtstrukturen an erster Stelle steht. An wirklich progressiven Strukturen mitzuwirken, die über den eigenen Tellerrand hinaus gehen, das hat die deutsche Punk-Szene allerdings schon ordentlich verpennt.“ Im Song „Szeneputzen“ wird der Satz „die Szene hat nicht reagiert“ folglich zum vorwurfsvollen Schlachtgesang für eine hoffentlich engagiertere Zukunft.
Fest steht, auch wir leben nicht in einem Land der Glückseligkeit. Das war in den Neunzigern schon mal Thema innerhalb der Musikszene. In Hamburg, Köln und anderen Orten haben sich im Anschluss an die rassistisch motivierten Angriffe in Rostock und Mölln die so genannten Wohlfahrtsausschüsse gegründet – daran muss ich während der Beschäftigung mit „Team Scheiße“ denken. Bands wie DIE GOLDENEN ZITRONEN, ABSOLUTE BEGINNER und DIE STERNE, aber auch Autor:innen aus dem Spex-Umfeld etwa haben damals versucht, aus der Subkultur heraus Aufklärungsarbeit zu leisten. Gehen die Bestrebungen bei DEUTSCHE LAICHEN in eine ähnliche Richtung? „Wir wollen den Diskurs verschieben. Aufklärung würden wir das nicht nennen, da politische Haltung etwas ist, was man sich selbst erarbeiten muss. Weiße Personen müssen endlich anfangen, sich mit ihren eigenen Rassismen zu beschäftigen, das heißt auch, white happyland verlassen.“
„Happyland“, das ist ein Begriff, den unter anderem die Antirassismus-Trainerin Tupoka Ogette verwendet. Darin leben Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, recht unbedarft, bevor sie sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen. „Um wirklich etwas zu verändern, muss jede weiße Person bei sich selbst anfangen, den eigenen (Anti-)Rassismus reflektieren und sich nützlich machen. Das bedeutet, BIPOCs [Black, Indigenous, People of Color, Anm. d. Verf.] im eigenen Umfeld supporten, Hintergrundarbeit leisten und Kritik an weißen Strukturen und an sich selbst ernst zu nehmen.“
Fresse halten, zuhören – und dann eben ganz bewusst agieren. Das Team Scheiße muss sich etwa fragen: „Warum haben viele BIPOCs keinen Bock auf die DIY-Szene, obwohl die Wurzeln des Punk in der Schwarzen Community liegen?“ Ob man das nun Arbeit an der eigenen Haltung nennt, oder nicht – irgendwie sind es dann doch Aufklärungsbemühungen, wenn die Gruppe hierzu etwa über ihre Social-Media-Kanäle die Dokumentation „Afro-Punk“ von James Spooner aus dem Jahr 2003 verlinkt.
Diese Forderungen nach Selbstreflexion waren bereits in den Lyrics auf Demo und LP präsent. „Über Macker pöbeln, Bullen beschimpfen, Sexismus anprangern, ‚Nazis klatschen‘ – das reicht offenbar als Szenekonsens. Aber zurück zur Scheiße vor deiner eigenen Tür: Was machen du und deine Friends dafür, dass Rassismus aus unserem Alltag verschwindet? Für wen setzt ihr eure Privilegien ein? Was macht ihr, wenn bei einer Polizeikontrolle wieder nur Schwarze Personen durchsucht werden?“ An diesen Fragen muss sich die Haltung messen lassen – mit einem prominent auf der Jeansjacke angebrachten Patch oder einem Hashtag als Lippenbekenntnis sei es eben nicht getan.
„Feminismus und Anti-Rassismus sollte man nicht feiern, weil’s woke ist, sondern weil’s eben richtig und wichtig ist. Dahinter steckt Arbeit und Auseinandersetzung. Ob man dahintersteht, warum es richtig und wichtig ist, kann man am eigenen Aktionsgrad messen. Es ist eine Frage der Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion. Engagierst du dich?“ Eine ehrliche Antwort auf die vielen schmerzhaften Fragen scheint der erste Schritt in Richtung weniger Kacke am eigenen Schuh zu sein. Wenn das geschafft ist, kann sicher auch mal eine EP „Pogen auf Plastikstühlen“ heißen. Bis dahin: „Team Scheiße“.
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