Der Bandname ist kein Tippfehler – Mann wird hier mit einem N geschrieben. Was man(n) natürlich weiß, wenn man mit dem gemeinhin als NDW bezeichneten Genre und seinen ursprünglichen Bands jenseits dessen, was die Musikindustrie in den frühen 1980er Jahren aus NDW machte, vertraut ist. 1982 war der NDW-Hype voll im Gange, die Plattenfirmen pumpten den Markt voll mit „lustiger“ neuer Musik von Bands und Sänger:innen, die vordergründig wie die Genrepioniere klang, aber meist nur banal adaptierten.
DER MODERNE MAN kamen aus Hannover, wurden 1979 geboren, bewegten sich im Kontext des No Fun-Labels und veröffentlichten mit „80 Tage auf See“ (1980) und „Unmodern“ (1982) zwei bis heute bemerkenswerte Alben. 1984 endete die Karriere – die Kopisten hatten das NDW-Rennen gewonnen, die Originale waren raus. 2009 kam mit „Drama, Spiel und Blut ... Das Archiv Teil 1“ eine erste Aufbereitung des Schaffens, 2011 folgte „Unmodern – plus“ ... und 2019 die Wiederbelebung. Sowieso waren etwa Gitarrist Eckart Kurtz – hier: EKT – wie auch Bassist Jens Gallmeyer nie aus der (Musik-)Welt. Ersterer macht bis heute (auch) mit den HAMBURG RAMÖNES von sich reden, Jens war unter anderem bei GIGANTOR. Hier nun eine Annäherung an die Bandgeschichte mit EKT, Mattus und Jens.
Wie ging das damals los mit der Band?
EKT: Losgegangen ist es tatsächlich mit den ersten englischen Punkbands und dann insbesondere mit den RAMONES. Wir waren damals in Hannover in der 13. Klasse und mit fünf Mann sind wir zusammen in einer Ente zum ersten Auftritt der RAMONES in Deutschland nach Hamburg gefahren, das war im September 1978. Nur die Fahrerin selbst hatte einen Führerschein. Man liest das ja oft, aber diese Erfahrung änderte bei uns alles. Ich konnte ein paar Akkorde auf einer Wandergitarre und zusammen mit ein paar enthusiastischen Mitschülern gründeten wir THE WORST, eine Schüler-Punkband der ersten Stunde. Höhepunkt unserer Karriere war ein gut besuchter Auftritt im Leine-Domizil mit einem Fazit in der Hannoversche Allgemeine Zeitung: „Es bleibt nur der Mut zu bewundern, sich mit so einem Krach auf die Bühne zu stellen.“ Anfang 1979 lernte ich dann Michael Jarick alias Ziggy XY kennen. Ziggy war drei Jahre älter als ich, hatte tonnenweise Texte und war eher in der Kunstszene zu Hause. Es klickte sofort, er schleppte mich dann in diverse Kunstausstellungen und Filmvorführungen, unter anderem zählte das Werk von John Waters zu unseren Favoriten. Während THE WORST mit englischen, RAMONES-artigen Texten agiert hatten, führten Ziggys deutsche Texte zu einem Quantensprung nach vorn. Ziggy war beeinflusst vor Heinz Erhardt, aber er hatte aber auch ein Faible für David Bowie, Divine, Nico und Herbert Achternbusch. Zu Beginn führten wir einfach die alten THE WORST-Songs und Ziggys deutsche Texte zusammen. „Das Discolied“ hieß zuvor „Batman“ und „Gib mir den Tod“ war vorher „Now I wanna be dead“. So fing es an ...
In der Interpretation späterer Jahre wird ja dann auch viel gewusst über musikalische Vorbilder und Inspiration. Was also steckt drin in eurer Musik und woher kam es rein? Da ist viel Dub zu hören, was damals in Deutschland schon eher eine Ausnahme war.
EKT: Am Anfang gab es diesen Mix zwischen meinem eher klassischen Punk-Ansatz und Ziggys Artschool-Touch. Aber wir haben damals alles, was aus London oder New York kam, regelrecht aufgesaugt. JOY DIVISION, Siouxsie, POP GROUP, DAMNED ... Erst mal nur als Fans, aber natürlich auch als Inspiration. Oft waren wir tagelang in London, um durch Plattenläden zu ziehen und auf diverse Konzerte zu gehen. Die ersten Dub-Einflüsse kamen von den RUTS und THE CLASH aus England, aber wir waren auch Fans von STEEL PULSE und ASWAD. Und dann kam Ska auf. Der Reggae Einfluss wurde dann noch einmal verstärkt, als Felix Wolter bei uns 1981 als Schlagzeuger einstieg. Fé war Reggae-Nerd und hat später jahrzehntelang als Reggae-Produzent gearbeitet, unter anderem mit THE VISION und DUBVISIONIST.
Mattus: Ich habe 1977 in New York ein Konzert der STOOGES mit Iggy Pop gesehen, bei dem die RAMONES Vorgruppe waren. Was für eine Kombination! Ich war völlig geflasht. Mit Dieter Runge, Gitarrist bei ROTZKOTZ, lebte ich in einer WG. Von einer New York-Reise kam er nicht zurück. Er spielte Gitarre bei den NEW YORK NIGGERS, als ich ihn 1978 besuchte. Mit ihm streifte ich nachts durch die Stadt. Wir gingen ins CBGB’s, ins Max’s Kansas City und viele obskure Läden, sahen RICHARD HELL & THE VOIDOIDS, DEVO, PATTI SMITH GROUP, B-52’S, TELEVISION ... Die RAMONES spielten in der Turnhalle des Queens-College, großartig! Die Halle war zu Beginn bestuhlt, hinterher a total mess. Ich kaufte mir einen Bass, denn zurück in Hannover wollte ich unbedingt in einer Band spielen.
Schon 1980 wunderte sich ausweislich eines kopierten Artikels aus der Hannoversche Allgemeine Zeitung im Booklet eines Rereleases ein lokaler Kritiker über die musikalische und textliche Versiertheit eurer Band, nach dem Motto: „Das sind ja gar keine stumpfen Punks.“ Post-Punk gab es eben nicht nur in UK, was seinerzeit auch von John Peel bemerkt wurde, der „Gib mir den Tod“ mehrfach spielte und euch damit adelte. Hat euch das damals was gebracht im Sinne von weiterer Wahrnehmung außerhalb Deutschlands?
EKT: Mit der Punk-Szene, wie es sie in Hannover zum Beispiel im UJZ Kornstraße gab, hatten wir in der Tat nicht viel zu tun. Man kannte und grüßte sich, aber den richtigen Punks waren wir eher suspekt. Wir waren Mittelschicht-Kids mit schrägen Texten und schrägen Melodien. Unser erster Sänger Ziggy XY liebte zudem die Provokation, was es nicht unbedingt besser machte. Aber natürlich merkten auch die Punks, dass wir gerade auch durch den Support von John Peel plötzlich bekannter wurden. Und wir bekamen auch plötzlich Auftritte im Ausland, Amsterdam und Wien zum Beispiel. Ein Freund hatte John Peel unsere erste EP „Umsturz Im Kinderzimmer“ in London vor dem BBC-Gebäude einfach in die Hand gedrückt, was dieser wohl in dieser Form noch nie erlebt hatte, und er spielte „Das Disco-Lied“ und „Gib mir den Tod“ wiederholt auf BFBS. Mit unserer ersten LP „80 Tage auf See“ wurde der Support aus London noch größer, bis auf zwei Songs hat John Peel das ganze Album über die Zeit in seiner Show gespielt. Wir erhielten dann auch eine Einladung für eine John Peel Session, „If you are ever in London, let me know“, aber leider hatte ich damals die blöde Idee, nach Reisekosten zu fragen, so dass sich das Ganze sofort wieder in Luft auflöste. Ein klares historisches Versagen.
Wie oft musstet ihr euch schon mit einem N zu viel bei eurem Namen abfinden? Und warum überhaupt nur ein N? Genialer Dilletantismus ...?
EKT: Gerade nach unserem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre 2019 sind Schreibfehler bei „Der Moderne Man“ wieder an der Tagesordnung. Der Grund für nur ein N ist total profan: 1978 liebte Ziggy XY den Song „Pop muzik“ der Band M. Es existierte damals scheinbar nur diese eine Single von M. Ohne Internet und angewiesen auf Infos aus dem New Musical Express, der einmal wöchentlich und mit einer Woche Verspätung am Hauptbahnhof in Hannover erhältlich war, gab es dann das Gerücht, dass M vor „Pop muzik“ doch schon einmal eine Single veröffentlicht hätten, nämlich „Moderne Man“. Ziggy fand das total cool und meinte, wir sollten unsere Band nach dieser Single MODERNE MAN nennen, was wir damals aber immer deutsch ausgesprochen haben. Da das niemand geschnallt hat und auf die Idee kam, MODERNE MAN deutsch auszusprechen, haben wir schließlich ein DER davor gesetzt und es ansonsten bei einem N belassen. Nur am Rande sei noch bemerkt, dass diese erste Single von M tatsächlich irgendwann auftauchte und eine ziemliche Enttäuschung war.
Ziggy XY, der die Band bis dahin geprägt hatte, verließ euch Ende 1980, um KOSMONAUTENTRAUM zu gründen. An seine Stelle trat Mattus Simons, der zuvor bei euch Bass gespielt hatte. Wie habt ihr den Wechsel damals als Band empfunden und gemeistert?
EKT: Wie schon erwähnt hatte Ziggy einen eher künstlerischen Ansatz und seine neue Band KOSMONAUTENTRAUM sollte aus „freien Dilletanten“ bestehen. Es war ein freundschaftlicher Bruch, der für alle Sinn machte. Anfangs spielte ich bei KOSMONAUTENTRAUM auch noch Schlagzeug, weil ich Gitarrist war. Gitarre spielte der Sänger meiner ersten Band THE WORST, Karl Mai, der davor noch nie ein Instrument in der Hand gehabt hatte, und als Bassist fungierte Süßkind, eigentlich ein Keyboarder. Die Band sollte einige spektakuläre Singles und Alben aufnehmen, die fast alle bei Alfred Hilsberg in Hamburg herausgekommen sind. Im Gegensatz dazu entwickelten sich DER MODERNE MAN mit dem Wechsel von Bassist Mattus Simons auf die Sängerposition und dem Zugang von Jens Gallmeyer, der zuvor bei PHOSPHOR war, und später Axel Wicke von ROTZKOTZ am Bass sowie Felix Wolter am Schlagzeug zu einer richtig guten Live-Band. Die bundesweite No Fun-Labeltour „Jubel 81“ mit HANS-A-PLAST, ROTZKOTZ, BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS, A5 und den 39 CLOCKS war damals unsere Initialzündung. Danach lief es richtig gut und mit der „Unmodern“-LP, die unter anderem im Sounds und Musikexpress Platte des Monats wurde, und den anschließenden Tourneen wurde das Ganze dann noch mal auf ein ganz anderes Level gehoben. Plötzlich gab es sogar Angebote für Fernsehauftritte und Interviewanfragen en masse.
Die damaligen Aufnahmen sind auch nach heutigen Maßstäben sehr gut produziert. Wie kam das, wie konntet ihr euch das leisten?
EKT: Gut produziert stimmt ja nur zum Teil. Unsere ersten Aufnahmen mit Ziggy XY, also die „Umsturz im Kinderzimmer“-7“ und „80 Tage auf See“, waren im Prinzip reine Zufallsprodukte. Wir hatten zwar jede Menge Ideen, aber von Studiotechnik selbst keine Ahnung und Geld für die Aufnahmen war auch kaum da. Vor „Umsturz im Kinderzimmer“ war keiner von uns je in einem Tonstudio gewesen und das hört man einfach. Vielleicht ist gerade das für viele ein besonderer Reiz, aber ich selbst habe mich für den schlechten Sound eher geschämt. Auch die „80 Tage auf See“-LP wurde in nur vier Tagen in einem Hamburger Bandkeller aufgenommen, mehr ging nicht. Aber irgendwie klang es nach Underground und es war eine aufregende Zeit, so übernachteten wir während der Aufnahmen zu viert in einem WG-Zimmer und nachts spielte John Peel auf BFBS im Radio „Das Disco-Lied“. Priceless! Technisch besser wurde es ab den Aufnahmen zur „Unmodern“-LP Ende 1981, Anfang 1982. Dank einer Vorfinanzierung des No Fun-Labels fanden diese in zwei „richtigen“ Tonstudios mit einem Profi-Mixer statt, was dem Sound durchaus zugute kam. Mit Felix Wolter hatten wir mittlerweile auch einen Schlagzeuger in der Band, der sich mit Studiotechnik auskannte und diverse Ideen einbrachte. Für unsere letzte No Fun-Veröffentlichung „Neues aus Hongkong“ wurden wir dann sogar ins relativ teure Horus Studio in Hannover gelassen, damals wie heute eine gute Adresse.
Jens: Nachdem ich zu der Band stieß, wurden zunächst in der hannoverschen Ton-Cooperative, dem damaligen Haus-und-Hof-Studio in Sachen Punk/New Wave von Bands wie HANS-A-PLAST, CRETINS, PHOSPHOR, Bärchen etc., fünf Titel aufgenommen, die zumindest teilweise in der neuen Besetzung entstanden sind. Als Veröffentlichung ist dabei die „Sandmann/Baggersee“-Single herausgekommen. Die Aufnahmen für die „Unmodern“-LP fanden in zwei Tonstudios statt. Es gab eine erste Session im November 1981 in einem Studio in Spenge in Westfalen namens Cottage Music, sehr hippiemäßig in einem alten Bauernhaus total abgelegen auf dem Land. Mehr war’s auch wirklich nicht, ein „Studio“ in einem ollen Haus mit einem Hippie als Soundmann. Wir haben dort sieben oder acht Titel aufgenommen, aber so richtig geil war das Endergebnis nicht, weswegen für Januar 1982 eine weitere Session in dem weitaus qualifizierterem IC Studio von Synthie-Guru Klaus Schulze in Winsen/Aller anberaumt wurde. An dieser Session habe ich aber bereits nicht mehr teilgenommen. Ich war damals nur einmal dort, quasi um mir meine „Kündigung“ abzuholen. Die Band wollte „richtig durchstarten“, und da ich gerade meine Ausbildung begonnen hatte, war ich nicht in der Lage, mal eben vier Wochen auf Tour zu gehen. Ich wurde deswegen gegen Axel Wicke von ROTZKOTZ ausgetauscht, der bei der Session im IC Studio spielt. Die Version des Albums, die dann letztendlich veröffentlicht wurde, ist ein Mix aus beiden Sessions.
Eure Biografie ist eng mit der Musikgeschichte von Hannover verbunden. In welchem Kontext – Club, Proberaum, andere Bands – habt ihr euch damals bewegt?
EKT: Auch bevor der Punk nach Hannover kam, existierte dort ja schon eine etablierte Krautrock-Szene. Von daher gab es Ende der 1970er Jahre bereits ausreichend viele Übungsräume und auch ein paar Auftrittsmöglichkeiten, allerdings jenseits des Punk, zum Beispiel das Leine Domizil, ein Live-Club, in dem bis dato überwiegend Blues- und Countrybands und auch Rockbands gespielt hatten. Dazu entwickelte sich dann schnell eine aktive Künstlerszene um die Werkstatt Odem herum, einem „Freiraum für Kunst“ mit einer sehr toleranten Inhaberin, wo auch viele Bands aus Deutschland und auch aus dem Ausland aufgetreten sind, beispielsweise DER PLAN, DEUTSCH-AMERIKANISCHE-FREUNDSCHAFT/DAF, MANIA D., DIE RADIERER oder BUSH TETRAS aus New York. Und für die Punks gab es gute Auftrittsmöglichkeiten in den Jugendzentren in der Kornstraße und in der Glocksee. Die Infrastruktur stimmte, es war für alle etwas dabei. Was unsere Band betraf, hatten wir während der Ziggy XY-Phase eigentlich weder mit den Punks, also BLITZKRIEG, ROTZKOTZ, CRETINS, noch mit den Anti-Atomkraft-Hippies wie HANS-A-PLAST oder KALTWETTERFRONT intensiveren Kontakt. Unser Übungsraum lag zunächst weit ab vom Schuss in der Vorstadt, alleine schon das machte Kontakte zu anderen Bands schwierig. Wenn traf man sich eher bei den Konzerten englischer oder amerikanischer Bands, die es plötzlich zuhauf gab. Nach dem Ausstieg von Ziggy änderte sich das, unser neuer Sänger Mattus lebte quasi Tür an Tür mit dem No Fun-Imperium, unser Schlagzeuger Felix wohnte auch gleich um die Ecke, so dass wir unseren Übungsraum in die Nordstadt verlegten. Aufgrund der dortigen Kneipendichte waren Kontakte mit anderen Bands fortan unvermeidbar und während der No Fun-Tournee „Jubel 81“ haben sich daraus auch richtige Freundschaften entwickelt.
Jens: Man darf trotzdem nicht vergessen, dass die damalige Szene natürlich doch eher überschaubar war und sich alle Bands nichtsdestotrotz natürlich kannten. So kam es auch zu legendären Paarungen wie zum Beispiel DER MODERNE MAN zusammen mit BLITZKRIEG im UJZ Kornstraße. Da gab es zwangsläufig schon Schnittmengen. Und natürlich gab es auch das No Fun Festival, das 1979 im Jugendzentrum Glocksee stattfand, bei dem fast alle hannoverschen Bands auftraten.
Mattus: Ich wohnte in der Nordstadt im selben Haus wie Hollow Skai, in dessen Wohnung das No Fun-Label sein Büro hatte. Abends ging man ins Fillmore List. Dort traf man immer auf Musiker anderer Bands, man spielte sich gegenseitig Kassetten mit neuen Aufnahmen aus dem Proberaum vor und diskutierte darüber. Ich war bei vielen Veranstaltungen in der Werkstatt Odem, einem Ort, der Kunst, Musik und Performance verband und von der vielseitig interessierten Gesine Weise betrieben wurde. Dort lernte ich eines Abends DER MODERNE MAN kennen. Es fehlte ihnen ein Kabel, das ich von zu Hause besorgen konnte. Kurz danach suchten sie einen Bassisten, weil Thomas Brandt zum Bund musste. Einen Bass hatte ich, so stieß ich zu der Band.
Und was machte das Besondere von Hannover aus, das man ja im Vergleich zu anderen Großstädten von außen immer als irgendwie farblos wahrgenommen hat?
EKT: Hannover hat vielleicht nicht wirklich etwas Besonderes, aber wenn man sich auskennt, hat diese Stadt hübsche Ecken. Sie ist nicht zu groß, aber auch nicht zu klein, alle nennenswerten Bands aus dieser Zeit sind dort aufgetreten. Und es gab und gibt dort jede Menge verrückte Leute, mit denen man interessante musikalische Projekte umsetzen konnte. Rückblickend war es vielleicht der Zusammenhalt unter den Bands, zumindest innerhalb der No Fun-Szene, der Hannover im nationalen Vergleich zu etwas Besonderem gemacht hat. Für Bands wie uns, die sich der Plattenindustrie verweigert haben, war es auf jeden Fall sehr wichtig, dass es mit No Fun Records ein Indielabel mit einem einigermaßen funktionierenden Vertrieb gab. Von „Unmodern“ wurden damals über 9.000 LPs auf alternativen Vertriebswegen verkauft, bei HANSA-A-PLAST waren es noch viel mehr, das hat sehr geholfen.
Die Geschichte der Szene von Hannover wurde 2023 in „Wie der Punk nach Hannover kam“ erzählt. Wie seht ihr als Beteiligte das darin gezeichnete Bild?
EKT: Zuerst einmal ist es toll, dass unsere Zeit damals in einem aufwendigen Buch festgehalten worden ist. Mancher findet diverse Bilder von sich selbst darin, und es ist erstaunlich, dass es heutzutage sogar organisierte Bustouren durch Hannover gibt, in denen die Schauplätze von damals besucht werden. Auch die Eröffnungsveranstaltung mit Konzert und Ausstellung war sehr gelungen. Das hatte schon fast einen Touch von New York oder London, cool! Andererseits stellt das Buch unsere Szene im Rückblick natürlich mit Weichzeichner dar. Es war nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, aber das Schöne ist, dass man sich mit 40 Jahren Distanz heute mit allen Beteiligten wunderbar entspannt unterhalten kann.
Jens: Für mich war es erstaunlich, wie unterschiedlich die Wahrnehmung der Szene von damals bei den einzelnen Akteuren ist und wie anders die jeweiligen Leute damals und heute den Begriff „Punk“ definiert haben beziehungsweise definieren. Da gibt’s doch die eine oder andere interessante Abweichung, was aber in der Natur der Sache liegt.
Wie war denn angesichts eures doch eher eklektischen Sounds das Verhältnis zu den doch eher roughen Punkbands, die sich Mitte der 1980er Jahre zu etablieren begannen?
EKT: Wie schon gesagt, wir haben 1982 und 1983 tatsächlich alles aufgesaugt, was aus London oder New York kam. Mit Punk hatte das dann nicht mehr viel zu tun. Back to the roots war sicher die richtige Richtung, damals wie heute.
Jens: Als die ersten Hardcore-Bands in unseren Gefilden auftauchten, zunächst nur auf Compilation-Tapes, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich war sowieso mit RAMONES und meinetwegen auch SEX PISTOLS sozialisiert worden, weswegen ich härtere Versionen davon gleich echt gut fand. Besonders die ganzen Bands, die auf einmal aus den USA herüberschwappten, hatten es mir sehr angetan. Davor hatte ich allerdings überhaupt keine Probleme, dass es meinetwegen nach den SEX PISTOLS und den BUZZCOCKS mit Bands wie GANG OF FOUR, WIRE, MAGAZINE oder THE MONOCHROME SET weiterging. Das war für mich eine natürliche Entwicklung. Ich habe nie gedacht „Ihhh, das ist ja gar kein Punk mehr!“ oder so.
Ihr wart damals ja mitten im „Sturm“ der NDW. Wie habt ihr diese Entwicklung wahrgenommen? Es heißt ja oft, dass damals aus undergroundigen, kreativen Anfängen die Musikindustrie schnell einen kommerziellen Trend – heute würde man Hype sagen – gedreht habe. War das wirklich so?
EKT: Die Bands der Underground-Szene der späten 1970er und frühen 1980er Jahre, also ABWÄRTS, S.Y.P.H., DER PLAN, FEHLFARBEN, MALARIA!, DAF, HANS-A-PLAST, die mittels Platten und Fanzines in deutscher Sprache im Selbstvertrieb bekannter wurden, hatten mit den NDW-Bands der Plattenindustrie tatsächlich nichts gemeinsam. Das waren ganz andere Leute, zumeist gestandene Musiker, die vorher mit Jazz-Rock-Bands gescheitert waren, und denen sich nun plötzlich wieder eine Perspektive auftat. Das waren zwei Welten. Der plötzliche Erfolg der Industrie-Bands lag darin begründet, dass es bis dahin kaum ernstzunehmende Rockmusik mit deutschen Texten gegeben hatte. Das war aber ein Verdienst der Underground-Pioniere, die bewusst auf englische Texte verzichtet hatten. Plötzlich waren alle verrückt nach originellen deutschen Texten. Musikalisch verschwammen die Grenzen zwischen Industrie und Underground leider schnell, weil auch die Underground Bands, wie wir, auf den Erfolg schielten. Kompliziert wurde es auch deshalb, weil die Industrielabels viele Underground-Bands unter Vertrag nahmen oder dies zumindest versuchten. DAF, FEHLFARBEN, ABWÄRTS waren 1982 ruckzuck auf die dunkle Seite gewechselt und auch wir bekamen ein lukratives Angebot von WEA für zwei Alben, das wir aber – nach großen internen Debatten – nicht annahmen. Stattdessen verlängerten wir bei No Fun Records, die kurz danach 1983 in die Insolvenz gingen ...
Wie ging es für euch und die anderen nach den nach heutigen Maßstäben kurzen fünf Jahren und der Auflösung 1984 im „normalen Leben“ und musikalisch weiter? Jens, du tauchtest irgendwann mit GIGANTOR wieder auf und bei zig anderen Bands, und Ecki, du hast mit den HAMBURG RAMÖNES seit gefühlt einer halben Ewigkeit eine „neue“ Band. Und Mattus ...?
EKT: Da ich mich selbst nie als Musiker gesehen habe, fiel es mir relativ leicht, nach der Auflösung von DER MODERNE MAN ins bürgerliche Leben abzutauchen. Studium, Job, Familie; aber Musik blieb wichtig, ich habe eine riesige Plattensammlung und nebenbei auch noch ein wenig musiziert. Nach 15 Jahren Babypause habe ich dann ab 2002 wieder regelmäßig mit den HAMBURG RAMÖNES gespielt. Das fing als Coverband für eine Privatfeier an und ab 2005 haben wir dann nur noch unsere eigenen Songs gespielt und mittlerweile im einem Drei-Jahres-Rhythmus sieben LPs herausgebracht. Just for fun, wobei wir mittlerweile über eine internationale Fangemeinde verfügen und schon in England, Irland und Polen aufgetreten sind.
Jens: Ich hatte seit meiner ersten Band PHOSPHOR nie aufgehört, Musik zu machen. Man sollte diesbezüglich noch erwähnen, dass EKT und ich nach dem Ableben von DER MODERNE MAN bei der Band BEATKLUB eine neue Heimat fanden. BEATKLUB bestand aus E.A. Wehmer, Gesang, und Markus Joseph am Schlagzeug, beide ex-ROTZKOTZ, dem Gitarristen Martin Fuchs, ex-BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS, und Ecki sowie mir am Bass. Die Band hatte einen echt hohen Output und eigentlich sollte bei ZickZack ein Album erscheinen, aber mehr als eine Maxisingle ist’s dann doch nicht geworden, weil Alfred Hilsberg das Material nicht überzeugend genug fand. Danach habe ich bei den SMARTIES, GRABSOUL, GIGANTOR, HAMBURG RAMÖNES, TERRY HOAX, MELONES und noch weiteren Bands gespielt und zudem noch angefangen, Musik zu produzieren, wie IHMESPATZEN, FAT BELLY, HAMBURG RAMÖNES, TERRY HOAX, THE LOVE ROCKETS ...
Mattus: Ich hatte 1979 als Bassist mitgewirkt bei TINY TRASH UND DIE NEUE WELT, bei der die heutige Radio Eins-Moderatorin Christine Heise sang, Ernie von ROTZKOTZ trommelte und Locke Gitarre spielte. Wir traten einmal im Bambule in Braunschweig auf, danach war Schluss. 1982 zog ich nach Berlin, das Proben mit der Band wurde etwas schwieriger. Ich pendelte viel, vor allem weil meine Freundin Annette, die bei BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS war, in Hannover lebte. Nach der Auflösung spielte ich in Berlin als Bassist bei TENNIS BOY BLUES, einer Band aus dem Loft-Umfeld, mit der „SFBeat“-Moderatorin Monika Dietl, Michael Schäumer von P1/E und dem Keyboard-Wizard Yuji Kimura. Wir flogen 1985 mit fünf weiteren Bands als „Kulturbotschafter Berlins“ nach New York, um in der Danceteria aufzutreten.
Wie kam es vor ein paar Jahren zur Reunion, was hat sich seitdem getan, was ist zu erwarten – neue Musik?
EKT: Die Reunion kam am 01.6.2019 in der Besetzung der No Fun-Tour von 1981 zustande, das war mein 60. Geburtstag. Back to the roots, nur noch Bass, Gitarre, Schlagzeug, Gesang. Eigentlich sollten nur ein paar Songs gespielt werden, aber das Hafenklang in Hamburg war in Windeseile ausverkauft, so dass wir tatsächlich etwas mehr liefern mussten. Da es allen großen Spaß gemacht hat, sind wir seitdem noch ein paar Mal überall in Deutschland aufgetreten, wobei wir festgestellt haben, dass sich das viele Touren 1982 und 1983 zumindest insoweit ausgezahlt hat, dass selbst in entlegenen Orten noch ordentlich Fachpublikum kommt. Berührend sind auch Fans aus dem Osten, die zum Teil weite Anreisen in Kauf nehmen, um uns zu sehen. Dass wir Fans im Osten haben könnten, hätten wir uns 1982 nicht träumen lassen. Da Felix Wolter seit 2021 aus gesundheitlichen Gründen passen muss, spielen wir seitdem mit Lars Horl am Schlagzeug, der unter anderem auch bei den großartigen MELONES und OSTZONENSUPPENWÜRFELMACHENKREBS ist. Und ja, neue Musik ist in Arbeit! Wir haben Ende letzten Jahres erst einmal vier Songs von „80 Tage auf See“ und „Verstimmt“ mit Mattus als Sänger neu aufgenommen. Eine entsprechende Vinyl-EP soll im Herbst dieses Jahres zum 45. Bandjubiläum beim Label Blitzkrieg Pop erscheinen. Darüber hinaus arbeiten wir seit Monaten an neuen Songs, im Sommer wollen wir diese Fragmente für ein neues Album zusammenpuzzlen. Wenn das klappt, könnten wir Ende des Jahres aufnehmen und irgendwann 2025 ein neues Album herausbringen.
Eure Diskografie wurde über die Jahre immer wieder neu aufgelegt. Wer kümmert sich bandintern darum, die Aufnahmen und alles Drumherum verfügbar zu halten und aufzubereiten, wie aufwändig ist das? So manche Band geriet ja allein dadurch in Vergessenheit, dass sich über Jahrzehnte keiner kümmerte.
EKT: Das machen im Wesentlichen Jens und Mattus. In der Tat sind die alten Sachen bereits schon mal in verschiedenen Formaten wiederveröffentlicht worden. Im Frühjahr 2025 steht eine umfassende Werkschau bei Tapete Records auf dem Programm. Neben den LPs im Originalformat soll auch eine Doppel-LP mit den Studio EPs und vielen Outtakes erscheinen, auf die wir uns schon sehr freuen.
Ich fand euren Auftritt in Wuppertal neulich erfreulich „unnostalgisch“. Ihr wärt 2024 nicht die Band für ein NDW-Festival mit Markus, Hubert Kah, NENA und SPIDER MURPHY GANG ... Was ist euer Ansatz und Anspruch?
EKT: Danke, ich finde auch, dass sich unser Repertoire 2024 noch gut sehen/hören lassen kann. Mit der neuen „alten“ Bandbesetzung ohne Keyboards und Saxophon klingen die Songs jetzt wieder roh, eher so wie in der Zeit, als alles anfing. Mit irgendwelchen NDW-Festivals und den genannten Gruppen haben und hatten wir wirklich nie etwas am Hut. Unser Anspruch ist es, unser Gesamtwerk auch heute noch würdig zu vertreten. Und ich finde, dass wir das richtig gut hinbekommen; das positive Echo nach den Auftritten gibt uns recht. Viele Leute sagen auch, dass sie unsere alten Songs auf den Platten gar nicht so gut in Erinnerung hatten, wie sie live klingen. Und das freut uns sehr.
Jens: Ich finde auch, dass die Songs besser rüberkommen, wenn sie roher dargeboten werden. Die klingen dadurch irgendwie intensiver. Abgesehen davon bin ich auch kein Fan davon, wenn „alte“ Bands, die wieder auftreten, schwächer klingen als in früheren Zeiten.
Zum Schluss: Kramt bitte mal drei Songs raus und erzählt uns, warum die für euch eure besten und interessantesten sind?
„Licht & Dunkelheit“ ...
EKT: „Wir brechen das Eis und tanzen in den Morgen hinein“ hat sich über die Jahrzehnte zu einer Hymne bei Live-Konzerten entwickelt. Musikalisch mit einer Prise JOY DIVISION gewürzt, mit einem dieser herrlich kryptischen Texte von Ziggy, in diesem Fall einer seiner besten.
„Anakonda“ ...
EKT: Unsere „Unmodern“-LP wurde in zwei Studios aufgenommen. Als am Ende fast alles im Kasten war, kam Felix Wolter mit diesem Basslauf um die Ecke. Der Song stand dann innerhalb von wenigen Stunden, der Text kam von Mattus. Einer der interessantesten Songs, weil so untypisch für uns.
„Blaue Matrosen“ ...
EKT: Eine der letzten Amtshandlungen von Ziggy war, diesen Song spielen zu wollen. Ich hatte das Gitarrenriff zunächst für einen anderen Track vorgesehen, aber er passte und so endete er hier. Die „Unmodern“-Version wurde in diversen Diskotheken zum Indie-Hit, wahrscheinlich unser einziger „Hit“.
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Im Wandel der Zeit
Phase 1 „Umsturz im Kinderzimmer“, 1979: Ziggy XY (voc), EKT (gt), Thomas Brandt (bs), Claudius Hempelmann (dr)
Phase 2 „80 Tage auf See“, 1980: Ziggy XY (voc), EKT (gt), Mattus Simons (bs), Claudius Hempelmann (dr, piano)
Phase 3 „Baggersee/Sandman“, 1980: Mattus Simons (voc), EKT (gt), Jens Gallmeyer (bs), Claudius Hempelmann (dr)
Phase 4 No Fun Tour/„Verstimmt“, 1981: Mattus Simons (voc), EKT (gt), Jens Gallmeyer (bs), Felix Wolter (dr)
Phase 5 „Unmodern“, 1982: Mattus Simons (voc), EKT (gt), Jens Gallmeyer & Axel Wicke (bs), Felix Wolter (dr), Tonio Scorpo (sax, key)
Phase 6 „Neues aus Hongkong“ 1983: Mattus Simons (voc), EKT (gt) Axel Wicke:(bs), Felix Wolter (dr), Tonio Scorpo (sax, key)
Phase 7 Reunion, 2019: Mattus Simons (voc), EKT (gt), Jens Gallmeyer (bs), Felix Wolter (dr)
Phase 8 seit 2021: Mattus Simons (voc), EKT (gt), Jens Gallmeyer (bs), Lars Horl (dr)
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Diskografie
„Umsturz im Kinderzimmer“(7“ EP, Heile Welt, 1980) • „80 Tage auf See“ (LP, No Fun, 1980) • „Der Sandman/Baggersee“ (7“, No Fun, 1981) • „Unmodern“ (LP, No Fun, 1982) • „Neues aus Hong Kong“ (12“, No Fun, 1983)
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