Ich muss ehrlich sagen, als ich die alte DECIBULLY-CD „City of Festivals“ das erste Mal gehört habe, war ich nicht sehr beeindruckt. Also verschwand sie gleich in meinem Plattenregal in der hintersten Reihe. Irgendwann bekam ich dann durch Zufall „Sing Out America,“ das neueste Werk Band aus Milwaukee in die Hände. Und fand sie – ehrlich gesagt – auch nicht so toll. Allerdings dachte ich mir dann, vielleicht sollte ich ihnen noch eine weitere Chance geben, denn CAMDEN und THE PROMISE RING, die vorherigen Bands der beiden Freunde William Seidel und Ryan Weber, sind beide großartig gewesen.
Vor vielen Jahren hatte ich eine ziemlich große Affinität für THE PROMISE RING und somit auch für Milwaukee, wohin es mich dann auch bei einer Rundreise durch die USA einmal verschlug. Milwaukee ist dafür bekannt, das ganze Jahr so tolle Veranstaltungen wie das Italian Fest, das Harley Davidson Fest, das German Fest (welches ungefähr so „German“ ist wie ein Topf Borscht) und auch ein alljährliches Summer Fest auszurichten. Auf letzterem spielten vor Jahren einmal CAMDEN und ein Freund von mir managete sie, das bedeutet, ich saß einen Tag lang mit ihnen in einem Trailer und teilte mir Eiscreme namens „Hawaiian Ice Cream Shaver“ mit ihnen. Ich war jung, die Sonne schien und das Leben war schön. Somit gab ich – um der alten Zeiten willen - widerwillig auch DECIBULLY eine weitere Chance, und wurde überrascht. Beim zweiten Mal hören fand ich diese CD gar nicht einmal so schlecht. Also hörte ich sie wieder und wieder an, und fand sie mit jedem Mal besser. (Dasselbe Phänomen war mir damals bei „Dear You“ von JAWBREAKER passiert, am Anfang wollte diese Platte mir nicht so recht gefallen, dann hörte ich mich ein, und heute besitze ich vier verschiedene Versionen dieses Albums, da ich eben ein Musik-Nerd bin und „Dear You“ nun mal die beste Platte aller Zeiten ist.)
Aber zurück zu DECIBULLY, denn auch mit jedem Hören dieser Platte kommen sie meiner persönlichen und imaginären Hall of Fame immer näher. Denn 14 Jahre nach meinem ersten Konzert kann mich fast keine Band mehr beeindrucken, denn irgendwie hat man alles schon mal gehört. Doch DECIBULLY mischen American Folk mit Popmusik und – manchmal – kritischen Texten, und finden dabei ihren ganz eigenen Stil.
Das Konzert hatte ich aufgrund eigener Ignoranz zwar verpasst, doch wollte ich es mir natürlich, und genau aus diesem Grund, nicht nehmen lassen, wenigstens ein Interview mit William, dem Sänger von DECIBULLY, zu führen, denn Gerüchten zufolge gab es über ihre gerade abgeschlossene Europa-Tour sehr viel zu sagen. Als normaler Mensch stellt man sich das Touren ja so vor, dass man jeden Tag mit seinen besten Freunden abhängt, das tut, was man am meisten liebt (Musik), an den Orten, an denen man am liebsten seine Zeit verbringt (in Clubs); jeden Tag lernt man coole neue Leute kennen, man trinkt ganz viel Bier und Wein und wird jeden Tag bekocht oder zum Essen ausgeführt. Ein Leben wie aus dem Bilderbuch also. Vielleicht sollten wir doch noch mal bei William nachfragen.
Denn Europa muss ein richtiges Abenteuer für DECIBULLY gewesen sein. Dazu sagt William, er denke, dass die Tour für eine erste Europa-Tour an sich sehr gut war. Allerdings gab es einige Zwischenfälle. Denn die halbe Tour wurde gecancelled, was zum größten Teil an der Kommunikation zwischen Band und Booking-Agent lag. „Zum Schluss mussten wir auch noch ein paar Shows canceln, die wir lieber gespielt hätten.“ Zum Beispiel mussten sie die Show in Hamburg absagen, und das erklärt er so: „Wir hätten wirklich gerne dort gespielt, jedoch hatten wir keine Infos für die Show. Und wir hätten zehn Stunden gebraucht, um dort hinzufahren und hätten nach der Show gleich wieder weiter gemusst um über Nacht nach Großbritannien zu fahren. Wir hatten einfach keine Wahl, und Fahrten dieser Art hätten uns wohl emotional und finanziell ruiniert, also hatten wir wirklich keine andere Möglichkeit. Also blieben wir eine Woche lang in Bordeaux in Frankreich, tranken sehr viel Wein und kletterten auf Sanddünen herum.“
Weiter erzählt er, dass sie auch ein paar Tage dieser Zeit in Paris verbrachten um einige Pub-Gigs auf die Beine zu stellen. „Allerdings ist es sehr schwierig, in Paris Schlafplätze für sieben Leute zu finden und es ist auch sehr anstrengend, dort mit einem Indierock-Budget auszukommen. Wir wollten zwar dort bleiben, und hätten auch gerne eine richtige Show dort gespielt, aber stattdessen haben wir uns für den Urlaub in Südfrankreich entschieden.“ In Bordeaux blieben sie bei der Familie einer Freundin. Allerdings fanden sie es hin und wieder sehr frustrierend, kein Französisch sprechen zu können. Doch hatte die Tour, und insbesondere der abgesagte Teil, auch seine guten Seiten: „Das Beste an Paris ist,“ lächelt William geheimnisvoll, „mit Lippen, die vom Rotweintrinken schon ganz rot sind, durch die Stadt zu schlendern und so zu tun, als würde man die Stadt durch die Augen von Henry Miller sehen.“
Auch auf dem Rest der Tour wurden sie vom Pech verfolgt, denn an ihrem dritten Tag in Amsterdam wurden sie ausgeraubt. Es wurden ihnen zwei Laptops gestohlen, drei Handys und eine Kamera. Und danach mussten sie auch noch in einem Kloster übernachten. „Das war der schlimmste Tag, den wir soweit jemals auf Tour erlebt haben,“ schimpft William. Allerdings war es eben auch die erste Europa-Tour für DECIBULLY. „Ryan, unser Bassist, und ich waren vor einiger Zeit schon mal mit THE PROMISE RING hier, und die meisten von uns waren schon mal hier und sind herumgereist. Zusätzlich lebten Ryan und ich vor ein paar Jahren in England, und sparten uns das Geld zusammen, um ein Auto zu kaufen. Dann fuhren wir mit dem Auto rund um den Kontinent, bis es letztendlich am Tag, als wir nach England zurückkamen, kaputt ging. Ich verkaufte es für einen Appel und ein Ei und kaufte uns mit dem Geld eine Flasche Whiskey.“
Generell findet William Europa sowieso besser als sein Heimatland. Denn in Europa „ist es einfacher für Bands, auf Tour zu gehen. Wir bekommen Essen, eine Unterkunft und Bier. Und das sind schließlich die drei essentiellen Rock’n’Roll-Bedürfnisse! In den USA ist das nicht immer so. Ich denke es gibt einfach zu viele tourende Bands in den Staaten, und somit wird man dort schneller einfach nur zu dem Deppen abgestempelt, der seine Songs spielen will, hungrig ist, und einen Fußboden braucht, auf dem er schlafen kann.“ Er findet weiterhin, dass es zwar einfacher ist, in den USA zu touren, da man dieselbe Sprache spricht, und sie sich eben dort besser auskennen. Doch sagt er auch, dass diese Tatsache die ganze Sache nicht unbedingt besser macht. Das Beste am Touren sind für ihn sowieso solche Dinge, wie neue Leute zu treffen, und dass man jede Nacht seine eigene Musik spielen kann. Doch auf Fußböden zu schlafen, hungrig zu sein und die endlosen Fahrten, sind die Nachteile des Lebens als Rock’n’Roller.
Auch die Tatsache, dass DECIBULLY zu siebt sind, macht die ganze Sache nicht einfacher, da es natürlich teurer ist, die Band an einem Off Day unterzubringen oder Essen zu kaufen. Hinzu kommt noch, dass DECIBULLY mit doppelt so viel Equipment um die Welt reisen müssen wie andere Bands. „Aber,“ sagt William, „im Grunde ist es doch einfacher als man denkt.“ Denn Musik zu machen, ist das, was er schon immer machen wollte. Schon als er klein war, war er davon fasziniert. „Mein Großvater war ein Barbershop-Sänger und hat mich oft zu seinen Proben mitgenommen. Ich habe es geliebt, mich in dieser Umgebung aufzuhalten: einer Gruppe von Männern, die einfach sangen und viel Spaß dabei hatten.“ Fast so wie er heute. Nur gibt es inzwischen Klöster, ausgefallene Shows und gestohlene Laptops obendrauf.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Julia Gudzent
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