Nachdem die Postcore-Band FRODUS das Zeitliche gesegnet hatte, spielte deren konspirativer Kopf Shelby Cinca mit Weggefährte Jason Hamacher unter dem Namen THE BLACK SEA weiter. Nun haben die beiden mit DECAHEDRON und dem Longplayer „Disconnection Imminent“ einen weiteren Neuanfang hinter sich. Und was für einen, sogar Joe Lally von FUGAZI ist auf dem Debüt zu hören, und so langsam sind DECAHEDRON in aller Munde. Mir bot sich die Gelegenheit, mich mit Shelby mal über Comics, Populärkultur und das Dasein als Kritikerliebling zu unterhalten.
Wieso haben sich FRODUS damals aufgelöst?
„FRODUS haben sich aufgelöst, weil wir das Gefühl hatten, dass die Band an ihrem Ende angekommen war. Wir kamen nicht mehr miteinander klar und es gab schlimme Ereignisse in unserem Privatleben, welche die Band noch zusätzlich unter Druck setzten. Es machte einfach keinen Spaß mehr, und so beschlossen wir aufzuhören und dadurch unsere Freundschaft zu retten, statt die Sache zu forcieren und dadurch alles kaputt zu machen.“
Würdest du „Disconnection Imminent“ als Konzeptalbum betrachten, und ist ein Konzeptalbum vom künstlerischen Standpunkt her gesehen ein besseres Album?
„Ich würde nicht sagen, dass das Album ein Konzeptalbum ist, aber Moresco ist ein durchgehendes Thema mit seiner Referenz zur Verbindungsunterbrechung und der soziokulturellen Botschaft. Ein Konzeptalbum ist nicht unbedingt eine bessere oder schlechtere Platte, aber es ist schon wichtig, dass ein Album einen roten Faden hat, der die Sache zusammenhält. Damit es einen Fluss gibt und nicht nur lose, wenig zusammenhängende Songs.“
Denkst du, dass die zunehmende Technologisierung unserer Umwelt ihren Zerfall beschleunigt?
„Die Technik kann ebenso mächtig sein, wie sie einen von sich abhängig machen kann. Sie hat die Kraft, Bewegungen zu mobilisieren, zum Beispiel in der Kunst. Man kann allerdings auch anders denkende Leute aufspüren, und das ist nicht das, was man als ‚sozial akzeptabel‘ bewertet. Die Technik kann jemanden auch versklaven, wenn sie zu einer Sache wird, die dein Leben bestimmt, anstatt es zu bereichern.“
Joe Lally von FUGAZI war Teil der Band, hat sie aber mittlerweile wieder verlassen.
„Ja, Joe hat die Band verlassen, damit er sich mehr um seine Familie kümmern kann. Jonathan Ford, der bisher bei ROADSIDE MONUMENT spielte, und zur Zeit auch bei UNWED SAILOR ist, stieg für Joe ein.“
Ihr habt das gesamte letzte Jahr mit Aufnehmen verbracht.
„Tatsächlich haben wir sogar viel mehr Zeit damit verbracht – es hat sich alles sehr in die Länge gezogen. Wir mussten ein Jahr Pause machen, weil wir ja arbeiten mussten, und Joe mehr Zeit mit seiner Familie verbringen wollte.“
Wieso seid ihr von Fueled By Ramen zu Lovitt Records gewechselt?
„Als völlig neue Band waren wir vertraglich nicht an Fueled By Ramen gebunden. Wir sind seit Jahren mit Brian von Fueled By Ramen befreundet, und eine Weile habe ich auch dort ausgeholfen. Aber irgendwo waren Lovitt eben eine nahe liegende Entscheidung.“
In „Not These Homes“ gibt es die Textzeile „a hundred buildings fall for two that once stood tall“, die sich auf den 11. September 2001 bezieht. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht, gab es negatives Feedback?
„Bis jetzt nicht. Wenn überhaupt Feedback kommt, dann sind die Leute unserer Meinung. Es gab allerdings diese Show in Austin, Texas, wo ich auf der Bühne ziemlich direkt war, und später kamen ein paar besorgte Leute zu mir, und ich erklärte ihnen, dass wir eben darüber singen, wie wir die Ereignisse wahrnehmen, und damit endete das Gespräch eigentlich auch schon wieder. Es gab keine Konfrontation.“
Du bist auf der MCD „Sweet, Sweet Suicide“ der norwegischen Band SILENCE THE FOE zu hören. Hast du die Jungs getroffen, oder war alles nur ein Filetrade?
„Ein Jahr lang war ich in Kontakt mit ihrem Sänger Anders und er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, auf ihrer EP mit zu machen, und sagte, sie würden mir auch das Flugticket bezahlen. Da ich ihre Musik mag, entschloss ich mich, das zu machen, weil es auch mal gut ist, mit anderen Leuten kreativ zu sein. Das erweitert die eigene Wahrnehmung. Ich wollte sowieso nach Schweden fahren, und daher hat die Sache geklappt. Ich habe meinen Gesang und die Gitarre in ihrem Studio in Trondheim eingespielt, und so bin ich jetzt auf dieser Platte zu hören.“
DECAHEDRON scheint mir eine Band mit Science-Fiction-Background zu sein. Was gefällt dir daran?
„Ich mag Science Fiction wirklich sehr, weil immer eine gewisse Vorahnung über die Zukunft darin steckt, die sich dann auch meist irgendwie bewahrheitet. Es ist aber auch der Versuch, die Probleme und Träume der Menschheit in die Zukunft zu übertragen und zu spekulieren, wie die Dinge eben sein werden. Und letztlich steckt in der Fiktion auch immer ein Kommentar zum sozialen Zustand der Gegenwart, der natürlich eine Herausforderung für unsere Lebens- und Wissenschaftskonzepte sein kann.“
Für „No Carrier“ habt ihr ein Video gedreht. Wer war daran beteiligt und war die Location auf dem Dach eure Idee?
„Eric Hunsaker von der neuen Produktionsfirma Black Lab hatte die Idee dazu und hat alles mit seinem Team aufgenommen. Es gibt eine lose Verbindung zu den Comics ‚Channel Zero‘ und ‚Jennie‘ von Brian Wood. Eric hat mich angerufen und meinte, er würde gerne ein Video mit uns drehen, und wir machten uns dann noch am Telefon Gedanken über verschiedene Konzepte. Ich erzählte ihm, dass ich mir etwas in Richtung der Brian Woods-Comics vorstellte, die ich während der Arbeit am Layout für das Album gelesen hatte. Es gibt viele thematische Parallelen zwischen dem Inhalt der Comics und unserem Album.“
Habt ihr mit DECAHEDRON schon den Bekanntheitsgrad erreicht, den ihr damals mit FRODUS hattet, oder seid ihr früher bekannter gewesen?
„Es macht den Anschein, als ob wir wieder dort beginnen, wo FRODUS aufgehört haben. Nachdem wir uns aufgelöst hatten, gab es bei den Leuten diese Illusion, dass FRODUS so richtig groß im Geschäft gewesen wären, aber wir bewegen uns jetzt in ähnlichen Strukturen wie FRODUS. Wir stehen jetzt sogar etwas besser da als FRODUS zum Jahresende 1999. Es ist aber schon schwer, weil die Leute nichts über uns wissen, und wir uns ihnen nochmals näher bringen müssen. Aber es läuft eigentlich so, wie wir das erwartet haben.“
Manchmal gibt es diese Bands, die von den Kritikern vergöttert werden, denen es aber an Fans fehlt. Betrifft das DECAHEDRON?
„Das wird die Zukunft zeigen. Bei FRODUS war es so, dass uns Musiker allgemein sehr schätzten. Musikfans fanden auch Gefallen an uns, aber wir kamen bei den kreativen Leuten noch besser an. Ich denke sowieso, dass die Leute mehr komplexe Musik hören sollten. Durch die enorme Vermarktung und dadurch, dass alles in eine Schublade passen muss, ist die Musikszene ziemlich stupide geworden. Alternative war in den 80ern ein so weites Feld mit solch unterschiedlichen Künstlern, das war unter gewissen Gesichtspunkten weitaus interessanter. Man hörte vieles, was eben nicht nur aus dem Grund entstanden war, einen hohen Absatz zu erreichen und viel Geld einzubringen.“
Foto: Jaret Ferratusco
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #57 November 2004/Januar/Februar 2005 und Thomas Eberhardt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Thomas Eberhardt