Sie sind noch ein Geheimtipp, die DEAD PIONEERS aus Denver, Colorado. Und ihr Debütalbum, 2023 in den USA erschienen und jetzt in Europa via Hassle zu haben, ist eine in mehrfacher Hinsicht spannende Angelegenheit, denn der derbe Hardcore-Punk wird immer wieder durch Spoken Word-Passagen aufgebrochen, die den Inhalten von Frontmann Gregg Deal maximalen Raum verschaffen. Der Mann ist Aktivist, Künstler, Musiker und sein Thema – daher auch der Bandname und das Bandlogo mit dem brennenden Planwagen – kämpft auf verschiedenen Ebenen für die Rechte der nordamerikanischen Ureinwohner.
Gregg, wann und wo und wie ist Punk in dein Leben gekommen und was hat sich dadurch verändert?
Ich bin schon sehr früh zum Punk gekommen. Zum ersten Mal kam ich damit in Berührung, als ich 13 Jahre alt war, in der achten Klasse. Das geschah durch die Soundtracks von Skateboard-Videos. Als ich auf die Highschool kam, war ich dann voll dabei und ging so oft und regelmäßig wie möglich zu Konzerten. Ich wuchs in Park City, Utah auf, einer Stadt mit drei großen Skigebieten, einem bedeutenden Filmfestival und vielen Prominenten, die ich dort sah. Trotzdem war die Stadt klein. Meine Abschlussklasse bestand aus etwa 100 Kindern. Meine Schwester und ich gehörten hier zu den wenigen, die nicht weiß waren. Außerdem war unsere Familie ziemlich arm, in einer Stadt, die eigentlich reich war. Da ich als braunes Kind von Natur aus anders war, zog es mich in andere Subkulturen, in denen ich meinen eigenen Wert und Sinn fand. Mich als indigene Person des nordamerikanischen Kontinents für Skateboarding, Snowboarding, Punk und HipHop zu begeistern, war für mich sehr wichtig. In diesem Umfeld fühlte ich mich wohl, wurde selbstbewusster, fand einen Sinn und Dinge, an die ich glaubte und die mit meinen eigenen Werten als Ureinwohner übereinstimmten.
Kannst du dich bitte kurz vorstellen? Du bist Künstler, Aktivist, Punksänger ...?
Ich gehöre dem Stamm der Pyramid Lake Paiute an, der aus dem Great Basin in Nevada stammt. Ich bin ein bildender Künstler mit einer fast zwanzigjährigen Karriere und landesweiter Anerkennung in den USA. Man hat mich auch schon als Aktivist bezeichnet, weil ich mich an mehreren sozialen und politischen Initiativen beteiligt habe, die von Indigenen angeführt wurden. Aber meistens artikuliere ich meine eigenen Ideen, die existieren, ob wir sie nun laut herausschreien oder nicht. Ich würde mich eher als Störer denn als Aktivist definieren, denn es kostet nichts, etwas auf politische, soziale oder kulturelle Weise zu stören, aber Aktivist scheint mir eine etwas offiziellere Bezeichnung zu sein. Ich begreife mich nicht als Sprecher für mein Volk. Ich kann akzeptieren, dass etwas, was ich sage, mit einer größeren Erzählung übereinstimmt, aber im Grunde spreche ich ausschließlich für mich selbst. Die Musik hat mit meiner Kunst zu tun und ist aus meiner künstlerischen Praxis entstanden, aber ich müsste lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass ich das, was ich mit den DEAD PIONEERS tun darf, nicht schon immer tun wollte. Ich bin in Utah aufgewachsen. Als ich 24 war, habe ich meine Frau kennengelernt und geheiratet und bin nach Washington, D.C. gezogen, wo ich fast 17 Jahre lang gelebt habe. Jetzt lebe ich in Colorado, wo ich jetzt seit beinahe neun Jahren bin. Ich habe fünf Kinder, bin seit 24 Jahren verheiratet und bin immer noch hauptberuflich bildender Künstler. Ich arbeite in den Bereichen Malerei, Wandmalerei, Konzeptkunst, Performance, Spoken Word und sogar ein bisschen Filmemachen. Kreativ zu arbeiten ist mein Leben, und zwar schon eine halbe Ewigkeit, und wenn ich ehrlich bin, kann ich auch nichts anderes.
Kannst du uns bitte über die richtige Begrifflichkeit aufklären? Ist „Indianer“ akzeptabel oder ist „amerikanische Ureinwohner“ oder etwas anderes besser?
Ich bin jemand, der glaubt, dass der Ton in dieser Diskussion wichtig ist, aber ich weiß auch, dass das nicht sonderlich beliebt ist. Diese Wörter sind einfach nur Wörter, die von der westlichen Kultur erfunden wurden, um einen ganzen Kontinent in eine Kategorie zu fassen und so die Einzigartigkeit der unterschiedlichen Identitäten, Sprachen, Traditionen und Kulturen systematisch zu eliminieren. Das heißt, dass mein Volk, die Nördlichen Paiuten, nicht dasselbe ist wie die Mohawks im Osten. Wir sind alle individuelle, souveräne Nationen mit eigenen Sprachen, Ideen, Traditionen und Kulturen. Das zu verstehen, ist für die Diskussion von größter Bedeutung, denn nicht einmal die Amerikaner verstehen die speziellen Feinheiten unserer Gemeinschaften. Deshalb ist es am sichersten, „indigen“ zu sagen. Wir als Ureinwohner sagen vielleicht sogar mal „Indianer“, aber dieses Wort gehört uns. Es existiert in der Welt, in der Populärkultur und sogar in den Dokumenten, die das große Experiment der Vereinigten Staaten von Amerika begründeten. Aber wir ehren auch die Geschichte und wissen, dass dieses Wort existiert, weil Kolumbus auf See die Orientierung verloren hatte und die Menschen, denen er auf den späteren Inseln Haiti und der Dominikanischen Republik begegnete, für Einwohner Indiens hielt und sie fälschlicherweise „Indians“ nannte. Um auf Nummer sicher zu gehen, sollte man „Indigene“ sagen, aber auch „amerikanische Ureinwohner“ oder „Natives“ ist möglich. Jemanden mit seinem Stammesnamen zu bezeichnen, ist das Beste, wenn du ihn kennst. Versuche, „Indianer“ zu vermeiden.
Würdest du uns ein paar Informationen über den Hintergrund und die Geschichte deiner Familie geben?
Mein Vater ist weiß und überwiegend englischer Abstammung. Meine Mutter ist indigener Abstammung und wurde in der Region geboren, aus der unsere Vorfahren stammen. Wir sind Mitglieder des staatlich anerkannten Stammes der Pyramid Lake Paiutes, und unser Reservat umfasst das traditionelle Heimatland unseres Volkes, in dem wir seit Tausenden von Jahren leben.
Kannst du uns Beispiele nennen, auf welche Weise Menschen mit einem Native-American-Hintergrund im Alltag der USA im Jahr 2024 sozial und wirtschaftlich diskriminiert werden?
Durch Rassismus. Als Maskottchen. Durch die Darstellung der Ureinwohner in der Popkultur. Durch den Mangel an Informationen über unser Volk und seine Geschichte. Den Mangel an Unterricht über Native People, insbesondere als modern lebende Menschen. Wir sind unsichtbar und unsere Existenz wird in der Geschichte und Populärkultur romantisiert und mystifiziert, und das ganz ohne Input der indigenen Bevölkerung als Ganzes. Das scheint sich langsam, aber sicher zu ändern, aber diese Probleme sind noch nicht überwunden. In den USA gibt es eine Statistik, nach der 40% der Amerikaner:innen glauben, dass die Ureinwohner:innen „ausgestorben“ seien. Das ist signifikant für das, um was es geht. Wir sind nicht das Objekt von Diskriminierung, sondern wir überleben eine Diskriminierung, die so weit verbreitet ist, dass sie in aller Öffentlichkeit passiert.
In „This is not a political song“ wendest du dich gegen jede Form von Diskriminierung. Warum ist diese Solidarität notwendig?
Die Solidarität ist inhärent. Jede Art von Diskriminierung oder Unterdrückung hat ihre Wurzeln in der weißen Vorherrschaft. Das bedeutet, dass der Ursprung der Diskriminierung von schwarzen Amerikanern derselbe ist wie der bei schwulen Amerikanern. Unser Kampf ist zwar nicht genau derselbe, aber wir haben denselben Gegner. Diese Form der Solidaritätsbekundung ist nicht nur notwendig, weil wir damit als Band unsere Gefühle und das, woran wir glauben, zum Ausdruck bringen, sondern auch, weil wir durch diese abscheulichen unterdrückerischen Kräfte im selben Boot sitzen.
Ich habe gelesen, dass DEAD PIONEERS entstanden sind „als Erweiterung einer Performance mit dem Titel ‚The Punk Pan-Indian Romantic Comedy‘“.
Als Teil meiner künstlerischen Arbeit hatte ich eine One-Man-Show, „The Punk Pan-Indian Romantic Comedy“, die davon handelte, wie ich aufgewachsen bin, von meiner Beziehung zur Musik, meinem Vater und bestimmten Erfahrungen in meiner Jugend. Die Musik war das große Thema, gepaart mit den Schwierigkeiten der Kindheit. Das Ganze bestand aus einer Reihe kleiner Spielszenen oder Geschichten, zwischen denen Musik als Übergang diente. Nach der ersten Aufführung erhielt ich eine Förderung, um das Konzept zu erweitern und eigene Musik für die Übergänge zu schreiben, und das führte letztlich zur Gründung von DEAD PIONEERS.
Wer sind die die anderen Bandmitglieder, was haben sie für einen Hintergrund?
Da sind Gitarrist Joshua Rivera, Bassist Lee Tesche, Gitarrist Abe Brennan und Schlagzeuger Shane Zwegardt. Sie alle hatten in ihrem jungen Leben bereits auf die eine oder andere Art professionell mit Musik zu tun. DEAD PIONEERS gäbe es nicht ohne sie. Wir sind Freunde, Verbündete, Mitverschwörer und Komplizen. Mit Shane und Josh arbeite ich seit 2020 zusammen, mit Lee seit 2021 und Abe kam Anfang 2022 dazu, als wir unser Album aufnahmen. Ich liebe diese Jungs.
Euer Album „Dead Pioneers“, das jetzt in Europa veröffentlicht wird, stammt aus dem Jahr 2023 und ist ziemlich kurz. Ist irgendetwas Neues in Arbeit?
Wir sind gerade dabei, unser zweites Album zu schreiben. Wir nehmen bald auf und hoffen, dass wir Anfang 2025 etwas veröffentlichen können.
Mir gefällt euer Bandlogo, ein brennender Planwagen, wie er von den europäischen Pionieren verwendet wurde, als sie vor einigen hundert Jahren in das Land der amerikanischen Ureinwohner eindrangen. Warum dieses Logo, warum dieser Name?
Warum nicht? Weiße Europäer fantasieren schon seit mehreren hundert Jahren über das Leben und den Tod der Ureinwohner. Es scheint an der Zeit zu sein, das einmal umzudrehen. In den Vereinigten Staaten wird die Ära der sogenannten Pioniere maßlos romantisiert, wobei die indigenen Völker durch Ignoranz oder offenen Rassismus ausgeschlossen werden. Weiße Amerikaner haben mir mein ganzes Leben lang signalisiert: „Wir haben gewonnen, ihr habt verloren, kommt drüber weg.“ Während sich ihre Sportmannschaften mit unserem Bildnis schmücken, sie uns in ihren Filmen zu zweitklassigen Figuren machen und zum Objekt romantischer Fetischisierung in ihren Romanen. Das jetzt umzudrehen ist nur fair. Seit Jahren heißt es „Fuck the Indians“. Wie wäre es mal mit „Fuck the pioneers“?
In letzter Zeit gab es den Vorwurf der kulturellen Aneignung im Zusammenhang mit Weißen, die Rasta-Dreadlocks tragen. Ich habe auch gehört, dass es in diesem Zusammenhang als fragwürdig angesehen wird, als Punk einen Irokesenschnitt zu haben. Was denkst du darüber?
Kulturelle Aneignung ist real. Es bedeutet, dass eine Mehrheit, eine Machtstruktur oder eine Gruppe, die über die meisten Ressourcen und die meiste Macht verfügt, eine Minderheit, wie eine kleine ethnische Gruppe, erst dezimiert und das Ungleichgewicht dann dazu führt, dass sie die Minderheit weiterhin zum Opfer macht, ohne Rechenschaft abzulegen oder an etwas anderes zu denken als an sich selbst, indem sie Kultur, Sprache, Geschichten, Spiritualität oder kulturelle Güter ausbeutet. Ich würde also einen Irokesenschnitt nicht mit kultureller Aneignung gleichsetzen. Sich die Haare in irgendeiner Form zu scheren, gehört nicht exklusiv zur Kultur der Ureinwohner Nordamerikas, wohingegen Dreadlocks zur Rasta-Kultur gehören.
In „Dreamcatcher“ sprichst du über diese weit verbreiteten Kitschobjekte – made in China –, die Menschen in westlichen Ländern sich etwa gerne an den Rückspiegel hängen. Was macht diese Traumfänger so exemplarisch für ... was?
In „Dreamcatcher“ beziehe ich mich auf ein bestimmtes kulturelles Objekt, das im Zuge von kultureller Aneignung missbraucht wird. Der Traumfänger ist also ein perfektes Beispiel für gestohlene Kulturgüter, die für den weißen Konsum umgewidmet werden.
Ich weiß nicht, ob du schon mal davon gehört hast, aber es gibt sogar in Deutschland Fans von „Indianern“, die sich wie „Indianer“ kleiden und sogar versuchen, deren Lebensstil zu imitieren. Einiges davon ist den bis heute populären Büchern von Karl May (1841-1912) und den Filmen, die auf diesen Büchern basieren, zu verdanken. Kennst du dieses Phänomen? Wie denkst du darüber?
Ich bin mir dessen schmerzlich bewusst. Die meisten Ureinwohner sind sich dessen bewusst. Ich halte es für beleidigend, ekelhaft, übergriffig und für das ungeheuerlichste Beispiel von Romantisierung. Es hält die falschen Vorstellungen aufrecht und die Idee, dass unser Bild, unser Aussehen und unsere Kultur einfach zu haben sind. Sie fetischisiert die Menschen, die noch existieren. Sie untergräbt die Autorität und das Vorrecht, das wir im Umgang mit unserer eigenen Kultur haben, und entmenschlicht letztlich unser ganzes Volk. Abgesehen von der Tatsache, dass Karl May nie einen Fuß auf diesen Kontinent gesetzt und nie einen Ureinwohner getroffen hat, was gab ihm das Recht, Geschichten über ein Volk zu schreiben, das im Zeichen des Kolonialismus um seine Existenz kämpft? Dass dieser romantische Mist von weißen Europäern seit über 100 Jahren weiter tradiert wird, ist nicht besser als der romantische amerikanische Nationalismus, der unsere Geschichte mit seiner weißen Dominanz auslöscht, der entscheidet, was „indianisch“ ist und was nicht, und unsere Existenz zu einer bloßen Fantasie degradiert, während die realen indigenen Völker von der Seitenlinie aus zusehen. Die indigene Bevölkerung insgesamt wird fast ständig mit solchen Dingen überschwemmt, und zwar so penetrant, dass es niemandem mehr auffällt. Es ist zur Normalität geworden. Doch wenn ich es laut ausspreche, erhalten ich und meine Familie Morddrohungen. Ich finde diese Praxis im besten Fall ungeheuerlich und im schlimmsten Fall geradezu unmoralisch. Es ist ein weiterer Beitrag zur Auslöschung und Zerstörung der indigenen Kultur durch koloniale Gewalt.
Punk-Labels aus Australien verwenden in ihren E-Mails Disclaimer wie „I pay my respects to the Wurundjeri people of the Kulin Nation; elders past, present and future, whose land I live and work on.“ Ist so etwas auch in den USA vorstellbar oder üblich?
Landanerkennungen dieser Art gibt es auch hier in den Vereinigten Staaten. In akademischen Kreisen gibt es das seit etwa zehn Jahren, wo es zur Normalität geworden ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Diskussion in der akademischen Welt auch an anderen Orten geführt wurde und auch in Australien zu finden ist. Ich finde es schön, aber ich denke auch, dass es nur eine Geste ist. Man kann Aussagen so lange wiederholen, bis sie bedeutungslos werden. Wenn eine Hochschule, die auf gestohlenem indigenen Land gebaut wurde, dieses als Heimat von wem auch immer anerkennt, ist das scheinheilig und bedeutungslos, solange sie darüberhinaus nichts tut, um dazu beizutragen, dass sich etwas verändert im Bereich der Bildung, beim Zugang zu indigenen Informationen, zur aktiven Rückgabe von Artefakten, Kulturgütern oder eben von Land an jene Gemeinschaften, denen es gestohlen wurde.
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