Das Trio DEAD ELEPHANT hat Anfang 2008 mit „Lowest Shared Descent“ ein ziemlich abgefahrenes, sehr intensives Noise-Inferno auf die Welt losgelassen. Aus wahnwitzigen Distortion-Orgien, atonalem Krach, postapokalyptischen Ambient-Passagen und Psychedelic-Versatzstücken kreieren sie darauf ihre Variante von experimentellem, noisigen Hardcore. Die Musik der Italiener ist ungeheuer vielschichtig, klingt beklemmend und besitzt eine enorme künstlerische Ausdruckskraft. Um mehr über die Band und das Album zu erfahren, setzte ich mich mit den Jungs in Verbindung und sprach mit Gitarrist und Sänger Enrico Tauraso.
Italien hat politisch eine recht turbulente Zeit hinter sich, mit Regierungen, die eher an Kasperletheater erinnern. Wie nehmt ihr diese Sachen wahr? Beeinflusst das euer Leben und den künstlerischen Schaffensprozess in irgendeiner Weise?
Die politische Situation in Italien ist seit vielen Jahren ein Problem. Sie ist, man verzeihe mir den Ausdruck, ein großer Haufen Scheiße! Das Hauptproblem liegt darin, dass es keine wirkliche Gedanken- oder Redefreiheit gibt. Die absolute Unterdrückung! Seit Jahren treiben sich nur Quacksalber in der Politik herum. 17 aktuelle Parlamentarier sind vorbestraft. Gute Frage, warum eigentlich niemand von denen im Knast sitzt. Mit seiner unrechtmäßigen Übernahme der Regierung hat Berlusconi den letzten Schritt getan auf dem Weg zur totalen Kontrolle über Italien. Er hat jetzt die Presse in seinen Händen, das Fernsehen und auch die Staatsgewalt. Er nutzt das allein für seine Interessen und seinen Profit. Die Leute sehen keine Soldaten marschieren und denken deswegen, es sei keine Diktatur. Die Fakten sprechen aber eine andere Sprache. Unserem Album „Lowest Shared Descent“ wohnt eine gehörige Portion Negativität und Frustration inne. Das hängt sicherlich auch mit der frustrierenden Situation zusammen, dass die italienische Politik den Leuten – besonders den jungen – keinen Raum lässt, sich frei zu entwickeln oder auszudrücken.
Lass uns mal über eure Band reden. DEAD ELEPHANT ist ein eher ungewöhnlicher Name für eine Band. Was hat es damit auf sich?
Das Projekt DEAD ELEPHANT ist eigentlich eine Weiterführung einer im Jahr 2000 gegründeten Band namens ELEPHANT MAN. Als unser damaliger Bassist irgendwann die Band verließ, ist etwas in uns gestorben und wir wollten mit dem Bandnamen ausdrücken, dass nichts mehr so sein würde wie vorher.
Die Songtexte auf „Lowest Shared Descent“ sind, wie du schon angedeutet hast, ziemlich düster und lebensverneinend. Ist das Leben wirklich so scheiße?
Hahaha! Ja, manchmal. Ich denke, mein Alltag ist härter als DEAD ELEPHANT, erfreulicherweise aber auch glücklicher. Natürlich sind die Texte düster, aber einen Song zu schreiben, ist für mich eigentlich ein ehrlicher und positiver Ausdruck von Leben und Liebe. Ich versuche, das Beste von mir in die Band zu packen, den positivsten und konstruktivsten Teil.
Die musikalischen Zutaten, die ihr benutzt, scheinen recht vertraut beziehungsweise sind mehr oder weniger von anderen Bands her bekannt. Wie ihr die Dinge zusammenfügt, ist aber recht einzigartig. Irgendwie schafft ihr es trotz aller Schrägheit, den Hörer von Anfang bis Ende zu fesseln. Was ist eure musikalische Intention?
Ich bin instinktiv an extremen und dunklen Sounds interessiert. Wenn wir beginnen, an einem Song zu arbeiten, planen wir nichts vorsätzlich. Wir spielen einfach drauflos und versuchen dann zu verstehen, wo der Song hin will. Ich denke, das Beste, was man als Musiker machen kann, ist sich selbst mit verschiedenen Sprachen, die man mag, auseinanderzusetzen. Das versetzt dich in eine Position, von der aus man seine eigenen Ideen und musikalisches Schaffen diskutieren kann. Das ist ein erster Schritt, seinen Geist für neue Ideen zu öffnen, die einen in unbekannte Gebiete vordringen lassen. Dies zu praktizieren, ist immer wieder sehr aufregend für mich, speziell in Bezug auf extreme Sounds. Eine wirkliche musikalische Intention haben wir nicht. Musik ist für mich dann gut, wenn sie ein Gefühl von Kompromisslosigkeit und Ehrlichkeit hinterlässt.
Bei einem Song auf eurer Platte hat Eugene Robinson von THE OXBOW Text und Gesang beigesteuert. Wie kam denn diese Zusammenarbeit zustande?
Wir drei sind alle OXBOW-Fans. Ich kenne die Band seit „King Of The Jews“ und du kannst dir vorstellen, dass es das Größte für mich ist, dass Eugene mit uns zusammenarbeiten wollte. Wenn du jemanden für das, was er getan hat, schätzt, dann ist es sehr erfüllend, mit ihm zusammenzuarbeiten. Als wir Eugene fragten, ob er bei einem unsere Songs singen möchte, übertrugen wir ihm gleichzeitig auch alle Freiheiten. Wir hatten ihm nur gesagt, dass wir, als wir den Song schrieben, sehr von einer Passage der Bibel angetan waren, dem Buch Kohelet 3,19. Eugene mochte diese Passage auch sehr. Das war die einzige Absprache, die wir dazu trafen. Der Rest lief komplett übers Internet. Erst Monate später haben wir uns in Mailand getroffen, als OXBOW mit ISIS unterwegs waren.
Was genau begeistert dich an dieser Passage der Bibel? Bist du in irgendeiner Weise religiös?
Also ich gehe auf keinen Fall jeden Sonntag in die Kirche, aber ich glaube schon an eine gewisse spirituelle Dimension im Leben der Menschen. Für mich sind aber Religiösität und die ideologische Position zum Beispiel des Vatikans auf jeden Fall zwei komplett verschiedene Sachen. Ich habe versucht, das Buch Kohelet wie ein ganz normales Buch zu lesen, und es hat mich aus vielen Gründen sehr gefesselt. Viele darin enthaltene Aspekte sind sehr kontrovers und ich finde es unglaublich, dass so etwas in solchen „heiligen Schriften“ zu finden ist. Ich glaube, die Weitsicht, mit dem dort das menschliche Leben betrachtet wird, hat eine starke Affinität mit dem, was wir mit „Lowest Shared Descent“ ausdrücken wollten. Dem Buch wohnt eine sehr starke Dringlichkeit inne, das fasziniert uns. Das Verlangen, den Grund für unser Dasein zu verstehen, verleiht ihm eine Bedeutung.
Mit WITH LOVE, ONE STARVING DAY und DEAD ELEPHANT scheint es derzeit in Italien einige Bands zu geben, die ursprünglich aus einem Punk/HC-Umfeld kommen, musikalisch aber längst darüber hinaus sind. Offenbar sind diese Bands dem subkulturellen Konzept mit all seinem Tabus und Regeln entwachsen. Inwieweit, glaubst du, hat Punk/HC bei eurer musikalischen Entwicklung geholfen?
Als Jugendlicher lebte ich in einer Stadt, in der es nicht viel zu tun gab. Also hörte ich die meiste Zeit Musik. Ich glaube, für mich war Punk/HC am Anfang wichtig, um ein paar Gefühle, die in mir schlummerten, zu erkennen und zu benennen. Das hatte große Bedeutung für mich, denn ohne diese Phase hätte ich meine Energie wahrscheinlich mit weniger konstruktiven Aktivitäten vergeudet. Kurz danach entschloss ich mich, eine Band zu gründen.
Interessiert es euch noch, was musikalisch und ideologisch heute im Punk/HC vor sich geht? Fühlt ihr euch „der Szene“ noch verbunden?
Ich habe die Szene früher eigentlich immer nur von Außen betrachtet, da ich weit weg von den großen italienischen Zentren für diese Musik lebte. Erst mit dem ELEPHANT MAN-Projekt waren wir dann regelmäßig dort unterwegs und mit verschiedenen Leuten und Plätzen konfrontiert. Ideologisch bin ich mit einer ganzen Menge dessen, was ich gehört und gesehen habe, nicht einverstanden. Ich finde es aber sehr wichtig, dass jeder seine eigene Meinung haben kann. Musikalisch bin ich noch sehr an Punk und Hardcore interessiert, höre aber auch viel andere Musik. Insgesamt fühle ich mich schon der Underground-Szene verbunden, denn sie lebt durch Leute, die die Musik lieben. Kann es denn für Musiker etwas Besseres geben?
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