Dave Smalleys musikalische Vita liest sich wie ein Best-Of-Mixtape: DOWN BY LAW, DYS, ALL, DAG NASTY, um nur die bekanntesten zu nennen. Neben kontinuierlichen Veröffentlichungen und Konzerten mit DOWN BY LAW steckt er ständig in irgendwelchen Projekten, aktuell mit Marcelo Pesoa (ROCKWEILERS) als Singer/Songwriter-Duo. In den frühen Nullerjahren sorgte er für Kontroversen in der Szene mit einer angeblich (kultur-)konservativen Kolumne, die bei genauerer Auseinandersetzung aber eher eine klassisch-libertäre Haltung offenbarte. Im Essener Don’t Panic-Club traf ich einen interessierten, witzigen, höflichen und mitteilsamen Hardcore-Veteranen.
Dave, das Jahr 2016 ist zur Hälfte vorbei. Wie ist es für dich bislang verlaufen?
Der ständige Spagat zwischen Privatleben und Musik hat das erste halbe Jahr geprägt und privat ist einiges Verrückte passiert. Das Beste bislang war mein Umzug in ein neues Haus. Ich lebe in Nord-Virginia, quasi im Norden des Südens, in Fredericksburg. Die Menschen dort sind keine typischen Südstaatler, viele arbeiten in Washington, D.C. Hier passe ich deshalb gut hin. Ich schreibe für die Tageszeitung The Free Lance-Star, eine lokale, aber inhaltlich anspruchsvolle Zeitung, die viel für das Leben in der Stadt tut. Leider ist das ja insgesamt eine rückläufige Entwicklung, verbunden mit dem generellen Zeitungssterben, aber das wisst ihr als Herausgeber eines Printmagazins ja selbst. Als Politiklehrer habe ich auch schon gearbeitet. Deshalb versuche ich, hier Verknüpfungen zu schaffen und veröffentliche auf den Jugendseiten Gastbeiträge von Schülerinnen und Schülern lokaler Highschools. Ich gelte in der Redaktion dann gerne mal als Unruheherd, wenn ich mit 15 Teenagern ankomme und ihnen einen Schnellkurs in journalistischem Schreiben gebe. Ich liebe das.
Wie stehst du als Lehrer zu der Aussage, dass man oft mehr von Punk-Platten lernt als in der Schule?
Das kann man nicht so verallgemeinern. Du kannst vielleicht Englisch lernen, wenn du BAD RELIGION-Platten hörst und jedes zweite Wort nachschlagen musst, aber Grundlegendes wie Geometrie, Schreiben oder Rechnen natürlich nicht. Sehr wohl aber etwas über Dinge wie Wut, Freude, Leidenschaft, Herausforderungen und Freundschaft. Bands wie die DEAD KENNEDYS haben mein politisches Bewusstsein geprägt. Beides ist wichtig, ich würde keines über das andere stellen.
Marcelo Pesoa und du seid nicht zum ersten Mal gemeinsam auf Tour. Wie kommt diese Kooperation zustande?
Marco von Riot Booking fragte, ob ich nach Europa kommen möchte, und ich sagte zu. Allerdings bin ich gerne mit einem Freund unterwegs, was förderlich für meine Stimmung ist wie für die Qualität der Musik. Ich nötigte also den armen Marcelo dazu, mich zu begleiten, und glücklicherweise hat er zugestimmt.
Macht es mehr Spaß zu zweit zu touren oder doch lieber als komplette Band?
Auch wenn es nicht so wirkt, aber DOWN BY LAW ist eine wirklich witzige und sarkastische Band, den größten Spaß habe ich auf diesen Touren. Sam, unser anderer Gitarrist, und ich sind so etwas wie beste Freunde und uns für keinen blöden Witz zu schade. Mit Marcelo habe ich auch ernsthafte Gespräche über die Liebe und das Leben. Im Bandumfeld kommt es dazu nicht so häufig, jeder ist im Relaxmodus. Für neunzig Minuten liegt der Fokus auf einer guten Show, der Rest ist Chaos und Spaß.
Du hast in den letzten Jahrzehnten ein breites Spektrum an Musik veröffentlicht, von Hardcore und Metal mit DYS , First Wave-Emo bei DAG NASTY, über Punkrock – DOWN BY LAW/ALL – und Mod-Revival mit SHARPSHOOTERS bis hin zu Folk als DAVE SMALLEY AND THE FARMHOUSE 5. Was inspiriert dich dazu?
Gute Frage! Ich glaube, das alles zeigt, dass Punkrock den Einzelnen und der Einzelne die Welt verändern kann. Das ist der Gedanke hinter allem, was ich mache. Hardcore und Punk, Boston ab 1981, das hat mich komplett geprägt und verändert. Es hat mir die Angst vor Herausforderungen genommen und den Mut gegeben, über für mich wichtige Dinge zu singen. Soweit zur persönlichen Entwicklung. Mit DAG NASTY konnte ich mich dann musikalisch entwickeln, sowohl stimmlich als auch technisch. Man kann einen Stil über die Jahre glaubwürdig durchzuziehen, viele schaffen das. Aber ich als Musiker verstehe mich eher als eine Art Maler, der unterschiedliche Töne auf der gleichen Leinwand ausprobiert und nicht nur mit einer Farbe malt. Ich ändere weder die Staffelei noch die Leinwand, das heißt der Hintergrund bleibt derselbe, aber es geht immer darum, neue Farben für sich zu finden.
Momentan bist du als Singer/Songwriter unterwegs. Aktuell gibt es davon einige mit Wurzeln im Punkrock. Würdest du diese Richtung als eine eigenständige Entwicklung oder als ein Subgenre von Punkrock bezeichnen?
Es ist doch so: Jemand wie Kevin Seconds oder ich können uns nicht grundlegend verändern. Man kann hier die gleiche Analogie verwenden. Es ist eine andere Farbnuance, in diesem Fall wohl auch ein anderer Pinsel. Wenn Punk und Hardcore ein Jackson Pollock-Gemälde mit wilden Farbsprenklern sind, dann werden in der Akustik-Variante eher feine Linien und klare Konturen gezeichnet. Gleicher Hintergrund – anderer Zugang. Das ist nicht jedermann Sache, man muss beides genießen und die größere Intimität der Darstellung zulassen können. Auf einem Festival aufzutreten und das Publikum zum Ausrasten zu bringen, ist nicht alles, es geht auch mal um die unmittelbare Nähe zwischen Künstler und Publikum. Ich möchte das nicht ausschließlich machen, aber wenn die Zeit es zulässt, dann genieße ich das sehr. Die Gefahr bei der Sache ist, dass Künstler mit einer Akustikgitarre häufig denken, sie müssten immerzu tiefschürfend und traurig sein. Nach dem Motto: Warum hast du mich verlassen, die Welt ist ungerecht! Nur weil du akustische Musik machst, muss es dir nicht automatisch mies gehen. Darum spiele ich auch auf der E-Gitarre, nur Marcelo spielt unplugged. Die Mischung ist gut und wir versuchen, nicht zu niedergeschlagen zu wirken. Wie könnte ich ohne gute Laune einen Song von ALL oder DOWN BY LAW spielen? Mein Vorschlag für ein Leben als Musiker respektive Künstler ist ganz einfach: Pass auf dich auf, bilde dich, achte auf andere, mach die Welt zu einem angenehmeren Ort. Sieh mal, man hat bestenfalls siebzig Jahre, um produktiv zu sein. Also fang so früh wie möglich damit an. Ändere, was du ändern kannst. Am Ende des Tages checkt jeder aus dem Hotel aus. Wie möchtest du dein Hotelzimmer verlassen?
Im Song ,,American Dream“ sprichst du von einer anderen Seite des amerikanischen Traums. Welche ist oder war das für dich?
Ich weiß nicht, ob man überhaupt alle eigenen Lebenswünsche konkret benennen kann, dafür sind sie zu komplex. Die Übergänge gegensätzlicher Wünsche sind fließend, es gibt kein klares Schwarz oder Weiß. Interessanterweise habe ich vor ein paar Tagen darüber mit ein paar Schweizern gesprochen. Sie sagten, sie seien in vielen Punkten stolz auf die Schweiz, andererseits finden sie Nationalstolz an sich befremdlich. Meiner Meinung nach ist es okay, stolz auf einzelne positive Dinge zu sein, die ein Land hervorgebracht hat, im Falle der Schweiz ihre Neutralität beispielsweise. Genauso muss man aber auch zu den Verfehlungen seines Landes stehen, sich den Spiegel vorhalten und Lehren für die Zukunft aus ihnen ziehen. Staaten sind genauso wenig perfekt wie ihre Einwohner. Mit dieser Einsicht können Menschen ihr Land jedoch verbessern. Hierin besteht der Zusammenhang zu meinem amerikanischen Traum – dabei zu helfen, die Lebensumstände für die Menschen in den USA stückweise zu verbessern, auch dann, wenn dieser Traum in seiner Gesamtheit niemals erfüllt sein kann. Die Gewissheit, dass es immer noch etwas zu verbessern gibt, sollte die beste Motivation dafür sein, egal ob für den amerikanischen, französischen, deutschen oder sonst einen Traum. Stück für Stück, in dem Bewusstsein, dass es den Zustand der vollkommenen Glückseligkeit nicht gibt.
Das nächste Zitat knüpft daran an. In „Million days“ fragst du dich, ob eine Million Tage ausreichen, um zu finden, was im Leben wirklich zählt. Hast du es für dich gefunden?
Auch eine Million Tage werden niemals genug sein. Ich werde niemals vollständig glücklich, erfüllt oder sicher sein, das für mich Richtige zu tun. Gefühle wie Angst, Zweifel, Unsicherheit und Sorge habe ich ständig. Ich weiß nicht, ob es jedem so geht, bei mir jedenfalls ist es so. Ich bin glücklich und zufrieden, wenn ich Gespräche mit Leuten führen kann, so wie im Moment, aber alles finden, wonach ich suche, werde ich niemals. Es krampfhaft zu versuchen, wäre nur frustrierend. Eine Sisyphusarbeit – so empfinde ich es manchmal.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #127 August/September 2016 und Daniel Schubert