DAS KAPITAL

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Alles andere als Kommerzpunk

Marc Ruvolo aus Chicago ist nicht nur Betreiber von Johann's Face Records, sondern auch Sänger und Gitarrist von DAS KAPITAL und war einst auch bei den TRAITORS und NO EMPATHY. Und zudem ist er Besitzer der wunderbaren Domain daskapital.us - ob man wegen sowas in den USA schon zum Staatsfeind abgestempelt wird? Mit "Died True" erschien unlängst das zweite Album von DAS KAPITAL, und der Vierer, der sich ironisch als "Kids of the Eighties" bezeichnet, hält hier einmal mehr die Werte von Punkrock jenseits von Style und Oberflächlichkeit hoch, huldigt alten Chicago-Helden wie EFFIGIES und NAKED RAYGUN.


DAS KAPITAL ist ein reichlich ungewöhnlicher Name für eine amerikanische Band. Wie seid ihr auf den Namen gekommen und welche Bedeutung hat er für dich?

Wir wollten einen Namen, der für Aufsehen sorgt. Er sollte unsere ablehnende Einstellung gegenüber der wachsenden Machtgier und dem ganzen kapitalistisch-globalen "Bullshit", welcher bei uns in Amerika immer mehr zur Norm wird, zum Ausdruck bringen. Ich denke, dass Marx viele gesellschaftliche Aspekte artikuliert hat, die gegenwärtig genauer betrachtet und mit jungen Menschen diskutiert werden sollten. Geleitet von Massenkonsum, Selbstsüchtigkeit und dem eigenen Ego, rennt die Rasse Mensch in ihr eigenes Verderben. Die Amerikaner liegen dabei ganz weit vorne, ein Leben ohne Kapitalismus ist für sie nicht vorstellbar - als hätte man die Leute einer Gehirnwäsche unterzogen. Außerdem wollten wir keine weitere Pop-Punk-Band mit niedlichem Namen sein, die bloß über Mädchen singt. Wir sind zwar keine dogmatische Band mit politischen Allüren, aber Dinge wie Umwelt, Menschenrechte und auch andere, für den einen oder anderen vielleicht ungewöhnliche Belange, liegen uns am Herzen. Der Name DAS KAPITAL soll die Leute quasi anspringen und dann ziehen wir sie über unsere Musik in einen Dialog über die genannten Themen.

Die McCarthy-Ära zerstörte das Leben tausender linksorientierter Amerikaner -musstet ihr euch schon irgendwelche Vorwürfe anhören, weil euer Name auf Karl Marx zurückzuführen ist?

Wir wurden von einigen recht aufgebrachten Marxisten kontaktiert. Sie fühlten sich durch unseren Bandnamen abgewertet. Auf der anderen Seite halten Amerikaner kommunistische Ideale für altertümliche und falsche, allerdings gegenwärtige Reliquien. Ich selber finde, dass die ökonomischen und sozialen Theorien des Marxismus heute relevanter sind als je zuvor, und wenn man sie ins richtige Licht rückt, könnten sie sogar in den USA durchaus ihre Wiederauferstehung feiern. Wenn wir als Band etwas aussagen möchten, dann sollte bereits der Name eine verlockende Wirkung haben und die Leute zum Nachdenken bewegen.

In Chicago gaben Bands wie THE EFFIGIES und NAKED RAYGUN den Startschuss für die Punk-Ära, heute werden auch oft ALKALINE TRIO und ähnliche Sounds hinzugezählt. Okay, das ist die Sicht von einem "Outsider", aber welche Bands sind deiner Meinung nach die Wichtigsten für die Szene in Chicago?

Im Moment erlebt Chicago ein grandioses Punkrock-Comeback, was es so in den letzten Jahren nicht gab. Kids veranstalten Shows an allen möglichen Orten, in Häusern, in Garagen und in Kellern, und das überall im Mittleren Westen. Sie gründen Bands mit dem einzigen Ziel, Spaß zu haben, und kreieren so eine Szene außerhalb der ganzen großen Veranstaltungsorte und das ist schön. Hier einmal eine kleine Liste von Chicagoer Bands, die man kennen sollte: SASS DRAGON, THE BROKEDOWNS, VACATION BIBLE SCHOOL, CANADIAN RIFLE, SHOTBAKER, M.O.T.O., THE STRAIT A'S, THE CUBAN MISSILES und die HEWHOCORRUPTS. Das sind alles großartige Bands. Sie ziehen ihr eigenes Ding durch und gehen ihren Weg.

Euer erstes Album war ein Konzeptalbum. Kannst du uns etwas zu den Hintergründen der Texte sagen? Welche Ideen stecken dahinter?

"Denying The West" spielt in den 30er Jahren und erzählt von einem jungen Amerikaner, der sein strenges, von den Mormonen geprägtes Zuhause verlässt, um die Welt zu erkunden. Seine Abenteuerreise endet damit, dass er sich mit einem Seil erhängt. Die Songs sind hauptsächlich Momentaufnahmen und Schnappschüsse, welche dann insgesamt eine komplette Story ergeben. Die übergreifenden Themen sind Wiedergeburt und Freiheit.

Ein anderer Song wurde von Gabriel Garcia Marquez beeinflusst. Wie kam es dazu?

Casey Ollin, unser Gitarrist und Sänger, hat das Lied geschrieben. Das soll er besser beantworten ...

Casey: "La vieja" basiert auf der Kurzgeschichte "Maria dos Prazeres" aus der Sammlung "Strange Pilgrims" von Garcia Marquez. Die Geschichte handelt von einer älteren Dirne, die glaubt, in einem Traum von ihrem bevorstehenden Tod erfahren zu haben. Der Rest der Geschichte dreht sich darum, wie sie mit ihren eigenen Moralvorstellungen fertig wird. Am Ende kommt sie zu dem Entschluss, dass sie völlig falsche Rückschlüsse aus dem Traum gezogen hat. Mich beeindruckte das, weil ich vorher noch nie eine Geschichte gelesen habe, die auf den ersten Eindruck so positiv erscheint, aber im Grunde zutiefst makaber ist. Das war mein erstes literarisches Erlebnis mit Garcia Marquez und ich war direkt hin und weg. Heute ist Marquez mein Lieblingsautor. Ich liebe gute Storys und der Song ist mein Tribut an ihn. Außerdem war es der Versuch, einen Song mit einem absolut unkonventionellen Thema zu schreiben.

Wenn eure Texte so wichtig für euch sind, warum habt ihr sie bei euren CDs bisher nie abgedruckt?

Das hat hauptsächlich finanzielle Gründe. Es sind eine Menge Texte und das Drucken ist teuer. Ich habe aber vor, sie auf unserer Webseite zu veröffentlichen, bisher war ich nur zu faul, oder beschäftigt.

Wie sehen eure Zukunftspläne für DAS KAPITAL aus? Kommt ihr nach Europa?

Für 2008 haben wir zwei 7"-Singles geplant, eine bei Let's Pretend in Bloomington, Indiana und eine bei Johann's Face Records. Wir werden erst einmal durch die Staaten touren. Die Tour hier organisiere ich selbst, aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo ich bei einer Europatour anfangen sollte Also, wenn uns dort jemand buchen möchte, meldet euch.

Was erscheint demnächst auf Johann's Face Records?

Zum einen natürlich die DAS KAPITAL-7", des weiteren eine 7" von THE STRAIT A'S aus Minneapolis, Minnesota, eine CD von SASS DRAGONS, und eine von VACATION BIBLE SCHOOL. Das sind alles klasse Leute, die für eine gute Sache großartige Musik machen. Ich veröffentlich auch nur Musik von Leuten, die ich als Freunde bezeichne. Es ist mir egal, ob es viel Geld bringt oder ob es cool ist. Wenn ich die Leute und die Musik mag, erscheint es auf meinem Label.

Wer ist oder war eigentlich dieser "Johann"?

Ich bin ein großer Fan von Johann Sebastian Bach, was viele Leute verwirrt, und das gefällt mir. Die Leute sollten mehr denken, lesen, zuhören und lernen, vor allem außerhalb ihres gewohnten Interessenbereiches. Und wie du am Bandnamen und dem Labelnamen erkennen kannst, interessieren mich die typischen Punk-Themen überhaupt nicht.

Wie hat sich das Labelmachen in den letzten Jahren verändert, und wo siehst du Johann's Face Records in fünf oder zehn Jahren?

Das rasant wachsende Internet war auf jeden Fall der wichtigste Faktor in den letzten zehn Jahren. Wir müssen erkennen, dass immer weniger Leute in die Läden gehen, um Platten zu kaufen. Stattdessen kaufen die Leute ihre Sachen online oder laden sie aus dem Netz.Ich denke, ich werde in zehn Jahren immer noch Platten rausbringen. Ich sehe auch überhaupt keinen Grund damit aufzuhören. Außerdem habe ich nie versucht, von meinem Label zu leben, sondern hatte immer nur ein Ziel: Musik zu produzieren, die mir gefällt. Ich mache das nun seit 1989, es macht mir nach wie vor Spaß, und ich glaube, ich bin der Hinsicht sowieso ein "Lebenslänglicher".