Anlässlich des neuen DAG NASTY-Albums, das im August auf Revelation veröffentlicht wurde, trafen wir uns mit Dave Smalley vor dem Konzert von DOWN BY LAW im Oberhausener Altenberg. Hier nun die Fortsetzung des Interviews - erster Teil siehe Ox #48.
Auf dem neuen Album ist ja ein Lied mit dem Titel „White Flag“. Ich habe kürzlich ein Interview mit Pat Fear/Bill Bartell von WHITE FLAG gemacht und er bat mich darum dich nicht auf WHITE FLAG anzusprechen, weil ihr beide euch vor ein paar Jahren überworfen hättet. Du hast ja auch für einen WHITE FLAG-Song den Text geschrieben.
Ja, ich glaube schon. Aber ich kann mich nicht an ein Zerwürfnis erinnern. Ich muss ihn mal darauf ansprechen. Ich habe ihn wirklich ewig nicht gesehen. Bill ist ein schräger Vogel, total verrückt. Aber Bill, wenn du das hier liest: Ich liebe dich!
Im Washington D.C. Punkrock-Buch „Dance of Days“ von Marc Jenkins und Marc Anderson findet sich die Feststellung, dass die Besetzungswechsel von DAG NASTY auf der einen Seite zu einer wachsenden Popularität führten, auf der anderen Seite aber die Leute in Washington, D.C. keinen Bock mehr auf DAG NASTY hatten. Ist das wahr?
Ich denke, dass das Problem dieses Buches – und ich habe eine Menge Probleme damit – ist, dass der, der es geschrieben hat, ein persönliches Problem mit Brian hat. Immer wenn er erwähnt wird, heißt es dort: Brian war ein Rockstar oder Brian war ein Idiot. Ich finde das kindisch, wie sie Brian und DAG NASTY in diesem Buch behandeln. Es gab damals einen kleinen Prozentsatz an Leuten, die Veränderungen in ihrem Leben nicht ertragen konnten. Und wenn sich etwas änderte, was sie mochten, sind sie ausgeflippt. Aber nichtsdestotrotz, ich war zuerst ein Roadie von DAG NASTY. Als ich dann die Band verließ, war sie populärer als bei meinem Einstieg, und später ging es noch weiter nach oben. Die Typen haben kein gutes Buch geschrieben, denke ich. Es steckt so voller persönlicher Vorurteile. Ich hasse dieses Buch. Ich habe es nicht ganz gelesen, aber was ich gesehen habe, hat mir nicht gefallen.
Ich muss sagen, dass es für uns hier in Deutschland schwer zu beurteilen ist, wenn man über all diese Bands liest, die man mag, eine Szene, die weit weg ist, und man kann diese ganzen kleinen Feindseligkeiten nicht richtig bewerten.
Genau! Sie haben diese ganzen kleinen Feindseligkeiten in ihrem Buch. Ich erinnere mich nicht genau, aber sie haben KINGFACE eigentlich gar nicht erwähnt. KINGFACE waren zeitgleich mit DAG NASTY in D.C. unterwegs und waren die vielleicht beste Band, die je aus Washington gekommen ist. Und die werden verschwiegen, obwohl sie, zumindest für mich, eine der wichtigsten Bands waren. Was ich allerdings mag, ist das Buch ‚American Hardcore. A tribal history’. Das ist ein Buch, dass all die verschiedenen Szenen in den U.S.A. behandelt: L.A., Minneapolis, the South, D.C., New York, Boston. Alles von 1980 bis 1985, glaube ich. Das ist ein wirklich gelungenes Buch. Der Typ hat wirklich geforscht und sich Mühe gegeben. Die Bostonszene – wo ich ja ursprünglich herkomme – hat er z.B. wirklich treffend beschrieben. Ich fand das Buch richtig klasse und es enthält eben nicht diese Feindseligkeiten, die ‚Dance of Days’ enthält. Ich hätte es mir gewünscht, dass dieser Autor gekommen wäre und Brian oder mich über DAG NASTY ausgefragt hätte, was er leider nicht gemacht hat.
Was hatte es eigentlich mit der SHARPSHOOTERS / LICKICITY-Split-Single auf sich?
Keith, der DOWN BY LAW-Bassist, und ich sind sehr von Mod-Musik beeinflusst, die frühen THE WHO, THE KINKS, SMALL FACES und so, und dann die Mod-Revival-Bewegung aus England mit THE JAM, THE CHORDS. Die letzten DOWN BY LAW-Alben waren alle immer stärker davon beeinflusst, bis ich irgendwann meinte, dass DOWN BY LAW keine Modband wären und es besser sei, eine eigene Band ins Leben zu rufen. Ich habe das Keith dann vorgeschlagen. Er war mit den anderen beiden SHARPSHOOTERS-Leuten – Ben und James – in einer Band und sie sagten: Okay! Sie hatten damals noch keine Ahnung von Mod und ich habe ihnen dann ein paar Bücher gegeben, die sie lesen sollten, um sich in das Feeling reinzudenken. Ich habe dann ganz strikt vorgeschrieben, dass wir beim spielen scharf aussehen müssen – Jeans und T-Shirt war nicht drin – und sie sagten: Was?! Aber darum dreht es sich doch: Gut aussehen. Wir haben auch extra ein Mod-Label gegründet – Street Songs For Modern Rebels.
Wenn man Mitte der 80er Platten von Bands wie DAG NASTY, SOULSIDE, RITES OF SPRING, EMBRACE kaufte, war alles irgendwie mit dem Begriff Emocore verbunden und man wusste, was man sich kaufen konnte. Jahre später taucht der Begriff plötzlich wieder auf, und in den Infozetteln dieser Bands heißt es dann immer „klingt wie DAG NASTY und JAWBREAKER“.
Das finde ich klasse, auch wenn keine der Bands, die sich heute als Emo bezeichnen, auch nur annähernd wie die Bands aus den Achtzigern klingen. Ich sehe bei Bands wie z.B THE PROMISE RING, GET UP KIDS oder so auf der einen, und bei RITES OF SPRING und DAG NASTY auf der anderen Seite keine Ähnlichkeiten. Nichts gegen diese Bands, wirklich nicht, aber das ist doch eine völlig andere Welt.
Genauso wenig kann man Chuck Berry und SLIPKNOT vergleichen. Gleiche Wurzeln, wenn man so will, aber nicht vergleichbar.
Das ist ein gutes Beispiel. Die Verbindung ist sehr dünn, und das ganze Emoding ist doch völlig aufgeblasen. Wenn ich schon höre, dass Leute auf Konzerten weinen... Zwischen meiner ersten Band D.Y.S., die ja Straight Edge-Hardcore gemacht hat, und DAG NASTY gibt es ja auch einen himmelweiten Unterschied. Da mussten dann neue Begriffe her, weil die Umschreibung Hardcore alleine nicht mehr ausgereicht hat.
War euch bewusst, dass ihr was anderes gemacht habt?
Wir haben es nicht bewusst so gemacht. Aber da müsstest du eigentlich Brian fragen, denn er hat alle Songs geschrieben, bis auf ‚Values here’, das aus meiner Feder stammt. Wir haben nicht absichtlich etwas anderes gemacht, wussten aber, als wir es taten, dass es was neues war. Alle Bands aus der Zeit wussten das. Ich liebe z.B. die erste EMBRACE-Platte -und alle wussten, dass das was neues war.
Dischord Records hat ja soeben die ersten beiden DAG NASTY-Platten als eigenständige CDs neu herausgebracht und nicht mehr auf einer CD zusammengefasst wie früher. Warum kommen diese CDs gerade jetzt?
Der Hauptgrund ist, dass die technische Entwicklung so weit fortgeschritten ist und Ian die Platten in richtig guter Qualität veröffentlichen will. Die Platten wurden damals ja für Vinyl gemastert, denn es gab ja noch keine CDs, und die erste CD-Wiederveröffentlichung übernahm 1:1 das Vinyl-Master. Die neuen Versionen klingen einfach viel besser, wie ich finde. Die Bässe hört man besser.
Aber verfälscht man so nicht einen Klassiker, der in seiner ursprünglichen Form von allen Leuten jahrelang gemocht wurde. Irgendwie ist es nicht mehr das gleiche, oder?
Stimmt, wenn man es so betrachtet, stimmt das wohl. Als ich das erste Mal die remasterte Version von THE WHOs ‚Quadrophenia’, einer meiner Lieblingsplatten, gehört habe, hasste ich die Scheibe. Ich habe sie wirklich nicht gemocht. Ich höre mir auch heute noch die Originalversion an und nicht die neue, vermeintlich besser klingende. Hoffentlich sehen die Leute das bei den DAG NASTY-Platte nicht genauso. Ich bin’s nicht gewesen. Gebt Ian die Schuld, haha.
Seid ihr denn bei diesen Releases mit einbezogen worden?
Doch, klar! Jeder einzelne wurde vorher gefragt. Ian bat mich auch darum, Linernotes zu schreiben und Brian war beim Remastering dabei, weil er der Songwriter war und entscheiden konnte, wie es klingen soll. Das war schon alles völlig in Ordnung, so wie es gelaufen ist.
Warum ist die neue Platte nicht auch auf Dischord?
Sie haben nicht danach gefragt! Wir haben um die neue Platte keinen großen Wind gemacht und gesagt: Hey, DAG NASTY gibt es wieder, wer bietet uns das meiste Geld. Vor zwei Jahren entschlossen wir uns eben, dass es eine neue Platte geben soll. Brian hat dann langsam neue Songs geschrieben und mit Steve Hansgen aufgenommen, damit ich mir die Gesangsparts ausdenken konnte. Colin kannte Leary von Revelation Records und erwähnte so ganz nebenbei, dass wir an einer neuen Platte arbeiten würden, und er meinte, ob wir sie nicht bei ihm machen wollen. Wir haben das nicht an die große Glocke gehängt, es ist einfach so gekommen. Wie ich schon erwähnt habe, wir mussten diese Platte nicht machen.
Also ist es jetzt eher so, dass Dischord auf den Zug aufspringt und die alten Sachen nochmal unters Volk bringen will?
Nein, auf keinen Fall! Die Re-Releases waren schon lange beschlossene Sache und kommen eher zufällig zur gleichen Zeit. Dischord hatten schon lange vor, den ganzen Backkatalog, der bei den ersten CD-Versionen nicht so toll klang, neu abgemischt zu veröffentlichen. Aber für DAG NASTY, die es ja eigentlich gar nicht gibt, bedeutet das momentan natürlich eine Menge Aufmerksamkeit.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #48 September/Oktober/November 2002 und Joachim Hiller
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