Punk ist alt, diese Form des Protests und der Jugendkultur hat sich überlebt. Wer unter 20 ist, hört (deutschen) Rap und wird sprachlich und thematisch dort viel besser abgeholt als von Ü50-Punk-Opas. Ach ja, wirklich?
Dafür
Wäre man mir noch vor zehn Jahren mit Rap gekommen, geschweige denn mit der Behauptung „Rap ist der neue Punk“, hätte ich gelacht. Rap war für Menschen mit einer Affinität zu Punk ein No-Go. Zudem schwirrten Typen wie Bushido durch die Charts und prägten das Image des Genres auf desaströse Weise. Rap war die Musik der Proleten und Machos. Aber wenn man sich den heutigen Rap einmal genauer anschaut und die Anti-Brille absetzt, kommt man zum Schluss: Rap hat sich gemacht. Rap hat sich Gehör verschafft über Genregrenzen hinweg. Und, ja: Rap ist durchaus der neue Punk.
Nicht weil Punk nichts mehr zu sagen hätte. Das hat er immer noch. Sondern weil Rap die Musik der jungen Generation ist und sich hierzulande in den vergangenen Jahren gewandelt hat – zugegebenermaßen sogar mehr als Punk. Der zeitgemäße Rap bewegte sich weg von Bushido, hin zu Sozial- und Gesellschaftskritik, hin zu Relevanz. Seine erfolgreichen Künstler – ANTILOPEN GANG, ZUGEZOGEN MASKULIN, SWISS UND DIE ANDERN – haben sich politisch konsequent positioniert und gehen musikalisch beeindruckend abwechslungsreich zu Werke. Und wer sich die Mühe macht und hinhört, der entdeckt in hervorragende Wort- und Reimkunst überführte Botschaften, die sich mit dem Zeitgeist auseinandersetzen, und die der Rap einer nachwachsenden Menge von Musikhörern zugänglich macht. Musikhörern, die ohne Rap nichts von alldem mitbekommen und in sich aufsaugen würden – weil sie mit Punk als Musik schlichtweg nichts am Hut haben. Die Früchte dieser erfreulichen Saat – die verbunden ist mit den bereits von PUBLIC ENEMY und Co. propagierten Grundwerten dieses Genres – sieht man dann bei Konzerten, insbesondere Festivals: Menschen, die dem Punk zugetan sind, hören Rap. Und Menschen, die dem Rap zugetan sind, hören Punk. Die Gruppen mischen sich. Beide Seiten vertreten Werte, die dem Klischee nach Punk sind. Insofern: Punk lebt. Und Rap ist der neue Punk.
Frank Weiffen
Dagegen
Die Frage zielt bestimmt zunächst mal auf die ANTILOPEN GANG ab. Nein, sie sind nicht der neue Punk. Sie sind musikalisch betrachtet auch nicht einmal Rap. Wenn ich mir die sogenannten Zeckenrap-Combos ansehe, dann mag das musikalisch bei einigen schon mehr Rap sein, aber auch nicht immer. Das wird aber nicht gleich zu Punk, nur weil man Texte hat, die einige als links bezeichnen.
Klare politische Aussagen hatte Rap (zunächst in den USA) schon immer und hatte Punk ohnehin von Beginn an. Teilweise haben sich ja gerade aus diesem Grund Punkbands und Rap-Combos überhaupt gegründet. Eine Zusammenarbeit zwischen Punk und HipHop gab es auch schon in den Neunzigern, nicht nur in den USA auch in Deutschland. Das ist also auch nichts Neues.
Was wir hier momentan erleben, ist nach meinem Empfinden eher, dass überwiegend Punk-Opas (und -Labels) völlig blind auf den „neuen deutschen Polit-Rap“ abfahren, weil die Rapper deren alte T-Shirts anhaben. Da ist man schon mal stolz. Und eventuell fällt da auch was ab, weil man so – etwa durch gemeinsame Auftritte –- auch bei den jungen Leuten bekannt wird. Diese Einstellung wäre dann tatsächlich Punk! Und zwar von Punks und nicht von Rappern.
In der „Deutsch-Polit-Rap-Szene“ erlebe ich überwiegend die Fraktion der Antideutschen – ist Punk heute auch so eindimensional? Auf keinen Fall. Diese ganze Zeckenrap-Geschichte, von der sich viele Musiker übrigens gar nicht vereinnahmen lassen wollen, ist einfach eine aktuelle Entwicklung innerhalb des HipHop (bei der erst mal zu diskutieren wäre, ob es musikalisch überhaupt Rap ist). Es wäre ja ein absolutes Armutszeugnis, denen das Label „Punk“ auf die Hasskappe zu kleben. Das würde bedeuten, Punk wäre nicht mehr politisch – was er aber immer noch ist. Und das auch weitaus vielfältiger als das, was in der Fragestellung als „Rap“ bezeichnet wird.
Roman M. Eisner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #135 Dezember/Januar 2017 und