CRIME & THE CITY SOLUTION

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Swamp Blues und Katharsis

Manch einer behauptet, dass es der Gesang von Simon Bonney und die Musik von CRIME & THE CITY SOLUTION gewesen seien, die Nick Cave zu einer Zeit beeinflussten, als dieser noch mit seiner Band THE BOYS NEXT DOOR wie David Bowie und Art Rock klingen wollte. CRIME & THE CITY SOLUTION, 1977 in Sydney von Sänger Simon Bonney ins Leben gerufen, waren die ersten Jahre bis 1985 überschaubar produktiv in Sachen Veröffentlichungen, was sich schlagartig änderte, als die Band 1985 mit dem Multi-Instrumentalisten Mick Harvey und dem 2009 verstorbenen Gitarristen Rowland S. Howard von den zuvor aufgelösten THE BIRTHDAY PARTY mit neuem musikalischen Rückgrat wie Phoenix aus der Asche auferstand und fortan von Swamp Blues und Katharsis geprägte Alben auf Daniel Millers Mute Records veröffentlichten. Bereits ihre erste EP „The Dangling Man“ war ein dunkles Fanal. Während der Studio-Sessions kam Schlagzeuger Epic Soundtracks als Bandmitglied hinzu, welcher zu diesem Zeitpunkt für Mute Musikerbiografien schrieb und bereits in Bands wie den SWELL MAPS (mit seinem Bruder Nikki Sudden) und bei RED CRAYOLA mitgewirkt hatte. Gerade Rowland S. Howard erschien die Band nach der Zeit mit THE BIRTHDAY PARTY wie eine kreative Befreiung.

Nach dem fulminanten Album „Room Of Lights“ fand mit „Shine“ ein musikalischer Wandel statt, nachdem die Brüder Rowland und Harry Howard die Gruppe verlassen hatten, um THESE IMMORTAL SOULS zu gründen, und Gitarrist Alex Hacke (EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN) sowie Thomas Stern und Chrislo Haas, Gründungsmitglied von DAF und LIAISONS DANGEREUSES, die Band verstärkten. Die Musik wurde durch den sphärischen Einsatz elektronischer Versatzstücke melodiöser, weniger kantig und verlor die einfache Struktur des Blues, generierte aber immer noch eine dunkle Faszination.

Anfang der Neunziger Jahre löste sich die Band auf und Simon Bonney zog in die USA. Vor Ort suchte er neue Musiker, mit denen er sein erstes Soloalbum „Forever“ (1992) einspielte. Nicht nur in seinen Songs beschwört Bonney das Schicksal des unsteten Wanderers, denn dieses Leben führte er auch. Nach der Veröffentlichung des Albums packte er alle seine Habseligkeiten zusammen, um mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter die Reise durch den amerikanischen Kontinent anzutreten. Das Cover zum Folgealbum „Everyman“ (1995) zeigt Bilder der reisenden Familie. Die Songs spiegeln die Gegebenheiten des unermüdlichen Nomadendaseins wider: sie entstanden größtenteils auf den Highways. Dann wurde es ruhig um den Musiker, der sich mittlerweile in Detroit niedergelassen hatte.

Im Herbst 2011 belebte er mit seiner Frau Bronwyn Adams CRIME & THE CITY SOLUTION neu. Alex Hacke ist auch wieder mit dabei und dessen Lebensgefährtin, die Künstlerin Danielle de Picciotto, ist für die Illustration der Website der Band und das Artwork des neuen Albums zuständig. Im Herbst 2011 gab die Band einige Konzerte in den USA, bei denen auch Bonneys Freund David Eugene Edwards (WOVEN HAND, 16 HORSEPOWER) mitwirkte. Im April 2012 waren sie im Studio in Detroit und anschließend nahm sich Simon Bonney ein wenig Zeit für ein Interview.

Simon, du hast CRIME & THE CITY SOLUTION nach etwas mehr als 20 Jahren wieder ins Leben gerufen. Was hast du neben deinen beiden Soloalben sonst gemacht in der Zeit und wie bist du in Detroit gelandet?


Die Band hat sich ja offiziell nie aufgelöst, aber als Bronwyn und ich in die USA zogen, hatten wir so viele andere Dinge zu tun. Die Familie spielte eine große Rolle. Aber nun sind wir zurück und die Aufnahmen zum neuen Album sind sehr gut gelaufen. Wir sind sehr zufrieden damit. Seit Mitte der Neunziger Jahre mache ich immer wieder Musik in Detroit, aber zuletzt war nun das erste Mal, dass daraus wirklich ein eigenständiges Album entstanden ist. Ich denke, dass Detroit – so wie damals Berlin vor der Wiedervereinigung, als wir am Soundtrack zum Wim Wenders Film „Der Himmel über Berlin“ mitwirkten – sehr gut zu CRIME & THE CITY SOLUTION passt. Detroit hat etwas von einer zerfallenden Erhabenheit, ein gefallenes Empire und nicht zuletzt wie Berlin einen sehr lebendigen musikalischen Underground.

Wie bist du nach all den Jahren wieder mit Alex Hacke von EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN in Kontakt gekommen und was war deine ganz persönliche Motivation, CRIME & THE CITY SOLUTION wieder zu beleben?

Nun, das bringen wohl die Möglichkeiten des Internets mit sich. Es scheint so, dass man nun wirklich jeden weltweit mit einem Click erreichen kann: alte Freunde, sogar Lehrer, verloren gegangene Eltern und eben befreundete Musiker. Ich hatte schon lange geplant, ein neues Album mit CRIME & THE CITY SOLUTION einzuspielen. Die Idee ist über viele Jahre gewachsen, aber letztlich ist eben immer etwas dazwischen gekommen. Ich hatte kleine Kinder, und wäre ich zu dieser Zeit mit der Band auf Tour gegangen, wäre ich sehr lange unterwegs gewesen, was für mich nicht in Frage kam. Jetzt sind meine Kinder älter und eigenständiger, und ich kann auch wieder regelmäßig auf Tour gehen, ohne dass meine Familie darunter leidet. Und letztlich ist die Zeit erst jetzt für mich, Bronwyn und Alex reif gewesen, wirklich mit den Aufnahmen loszulegen.

Danielle de Picciotto, die Lebensgefährtin von Alex Hacke, hat das Artwork für eure Website gestaltet. Wird Danielle auch das Coverartwork des neuen Albums entwerfen?

Danielle ist ein richtiges und vollwertiges Mitglied von CRIME & THE CITY SOLUTION und sie wird für das gesamte Artwork des Albums zuständig sein. Dies schließt auch diverse Projektionen und Aufbauten auf der Bühne mit ein, wenn wir auf Tour gehen werden. Ich freue mich sehr darüber, dass sie dabei ist, da ich schon immer wollte, dass das Gesamtbild der Band – und dazu gehört eben auch das Bühnenbild – in einem stimmigem Gesamtkonzept steht, wie wir das beispielsweise auch bei unseren Auftritten während der Arbeit für „Der Himmel über Berlin“ mit Wim Wenders hatten. Ich wollte die Musik schon lange stärker mit visuellen Arrangements ergänzen. Dies verstärkt nicht nur die Musik, sondern auch die Texte und das Verständnis und die Fantasie der Zuhörer. Für mich wird das Gesamtbild der Band besser als es jemals zuvor.

Im März 2012 haben Mick Harvey, Phil Calvert, der ehemalige Schlagzeuger von THE BIRTHDAY PARTY, der erstmals nach 30 Jahren wieder mit Mick auf der Bühne stand, sowie die Schwester von Rowland S. Howard, Angela Howard, ein Konzert zu seinem Gedenken in Melbourne gespielt. Rowland war auch Mitglied bei CRIME & THE CITY SOLUTION. Wie ist deine Erinnerung an ihn?

Meine schönsten und intensivsten Erinnerungen an Rowland sind sicherlich ganz frühe, als ich ihn 1978 in Sydney getroffen habe. Er kam gerade mit Ollie Olsen aus Melbourne, um seine damalige Band YOUNG CHARLATANS musikalisch zu verstärken. Beide – Rowland und Ollie – gehörten sicherlich zu den aufregendsten, interessantesten und exotischsten Menschen, die ich bis dato getroffen hatte. Sie verkörperten so ziemlich alles vom dem, was ich idealerweise mit Musik assoziierte, und wohin ich mit meiner Musik und der Band wollte. Dieses erste Treffen war ein starkes und prägendes Erlebnis in meinem Leben.

Ihr habt soeben die Songs für das neue Album eingespielt. Unter welchen Einflüssen stehen die Texte und die Musik?

Meine Texte sind stark von den Erlebnissen und Eindrücken auf meinen Reisen geprägt. Manchmal sind es auch Filme oder ganz spezielle Themen, die ich in der Zeitung gelesen habe, die Eingang in die Lyrics finden. Da ich so gut wie keine Musik höre, spielen andere Musiker und deren Texte eher eine untergeordnete Rolle als Quelle der Inspiration. Als ich jung war, habe ich viel Bob Dylan, Lou Reed und Van Morrison gehört und das waren auch alles damals wichtige Einflüsse. Um ehrlich zu sein, bin ich oft auch zu wenig motiviert, neue Musik zu erkunden und für mich zu entdecken. Die meisten Sachen, die ich höre, finde ich durch Zufall. Irgendwann hat mich ein guter Freund auf WOVEN HAND aufmerksam gemacht. Die Texte von David Eugene Edwards sind sehr beeindruckend und inspirierend für mich. Sie zeigen ein tiefes Verständnis für die Dinge, die wirklich von Bedeutung sind, die Wert und Wahrhaftigkeit haben. Es findet sich in seinen Songs immer eine wunderbare Hingabe, da gibt es keinen überflüssigen Ballast: alles ist stimmig und hat Tiefe. Musikalisch ging meine Reise oft über LED ZEPPELIN, DEEP PURPLE, BLACK SABBATH oder FUNKADELIC.

Wenn du auch nicht unbedingt bewusst nach neuer Musik suchst, gehst du noch zu Konzerten, um dich mit neuen Einflüssen zu beschäftigen?

Nicht wirklich, aber ich war sehr froh, eben WOVEN HAND für mich entdeckt zu haben, und ich bin natürlich immer offen dafür, was meine Freunde für Musik hören. Aber um ehrlich zu sein, passiert das nicht zu oft. Ich lese eher ein gutes Buch, schaue mir einen guten Film an oder beschäftige mich lieber mit Malerei als mit Musik, die gerade irgendwie angesagt ist. Kürzlich bin ich auf die Band SUAVITY’S MOUTHPIECE aufmerksam geworden sowie auf eine Künstlerin namens Monique Ortiz, die bereits in der Band A.K.A.C.O.D. gemeinsam mit Musikern von MORPHINE und BINARY SYSTEM gespielt hat. Ich mag ihre Musik sehr. Sie spielt Bass und singt, aber ich habe ihre Musik auch eher beiläufig entdeckt.

Wie hat Daniel Miller von Mute Records reagiert, als du ihn wegen des anstehenden neuen Albums angerufen hast?

Um ehrlich zu sein: zurückhaltend bis verhalten.

Du lebst in Detroit, das einst mit Bands wie MC5 und THE STOOGES so etwas wie die Keimzelle in Sachen US-amerikanischem Punk war. Gibt es diesen Geist in Detroit noch?

Detroit ist natürlich seit einiger Zeit in erster Linie vom ökonomischen Zerfall geprägt. Die Wirtschaftskrise hat Detroit sehr viel härter getroffen als die meisten anderen amerikanischen Städte. Unglaublich viele Menschen haben ihren Job und ihr Haus verloren. Aber ganz typisch für Detroit ist, dass die Stadt nicht klein zu bekommen ist und so gibt es einen immer noch enorm lebendigen musikalischen Underground. Die Szene ist hier sehr aktiv. Musiker wie Mathew und Troy, die Bass und Keyboards bei CRIME & THE CITY SOLUTION spielen, richten sich zu Hause ihr Heimstudio ein und lassen den Geist weiterleben, der diese Stadt bestimmte. Man kann die beiden für keinen Moment davon abhalten, Musik zu machen. Solche Musiker treiben die Szene an. Und so ist das Szenario gegenwärtig eher zweigeteilt: ökonomisch stirbt die Stadt, aber musikalisch lebt sie weiterhin sehr intensiv.

Du bist in Australien geboren, hast unter anderem in London und Berlin und vielen anderen Orten gelebt und seit vielen Jahren in den USA. Wie würdest du deine „emotionale Bindung“ zu diesem Land beschreiben?

Ich lebte in der Zeit der beiden Präsidentschaften von Bush Senior und Bush Junior in Los Angeles. Meine Kinder sind dort aufgewachsen. Ich hatte einen regulären Job, einen Pickup-Truck, ein Haus und um ehrlich zu sein, war ich die meiste Zeit glücklich mit diesem Leben. Ich mochte es, meinen Kinder bei ihrer Entwicklung zuzusehen, mit dem Truck herumzufahren und einfach mein eigenes Ding zu machen. Ich weiß, das mag sich für dich etwas gewöhnungsbedürftig anhören, aber ich habe es immer sehr geschätzt, meinen Lebensunterhalt mit solider handwerklicher Arbeit zu bestreiten, und auf diese Weise war Los Angeles eine wichtige Durchgangsstation und generell eine entscheidende Zeit in meinem Leben voller Höhen und Tiefen.

Bist du noch in Kontakt mit Musikern aus der Vergangenheit, speziell aus deiner Zeit in Berlin?

Ich habe noch engen Kontakt mit einem Freund aus dieser Zeit, aber ansonsten ist das im Wesentlichen Alex Hacke von EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, mit dem ich in Kontakt bin.

Zum Schluss die ganz entscheidende Frage nach dem Erscheinungsdatum der neuen Songs und einer möglichen Tour auch in Deutschland.

Wir planen mit 13 Musikern und Künstlern eine kleine Tour in Europa im Oktober und November. Es wird definitiv einige Dates in Deutschland geben, aber ich kann dir jetzt noch nicht genau sagen, wann und in welchen Städten. 2013 wird es dann noch eine umfangreiche Tour geben. Im September wird dann auf Mute noch eine Compilation mit Songs von CRIME & THE CITY SOLUTION aus der Zeit in Berlin erscheinen und im Februar 2013 kommt das neue Album „American Twilight“ raus.

Simon, vielen Dank für das Interview.