„Meat Is Murder“ ist in inhaltlicher, musikalischer, aber auch in grafischer Hinsicht ein Ausnahmealbum. Ikonen der Popkultur finden sich auf nahezu allen THE SMITHS-Covern: Elvis Presley, James Dean, Alain Delon, Truman Capote oder Joe Dallesandro (dessen Leistenregion auch Warhols „Sticky Fingers“-Coverfoto ziert). Oft sind die Motive Filmen und Serien entnommen: Bei „This Charming Man“ stammt es aus Jean Cocteaus „Orpheus“, bei „How Soon Is Now“ aus „Dunkirk“, bei „The Queen Is Dead“ aus „Die Hölle von Algier“, bei „The Smiths“ aus „Flesh“, bei „Shakespeare’s Sister“ und „Barbarism Begins At Home“ aus dem britischen „Lindenstraße“-Vorbild „Coronation Street“ (eine von Morrissey verehrte Manchester-Soap). Meist zeigen sie porträtähnliche Aufnahmen, manchmal auch provokant homoerotische Posen („Hand In Glove“, „The Smiths“, „How Soon Is Now?“, „William, It Was Really Nothing”, „Hatful Of Hollow”).
Zwar erfüllt auch das „Meat Is Murder“-Cover die Kriterien „einem Film entnommen“ und „provokant“, spielt aber dennoch in einer ganz anderen Liga als die bereits genannten. Wohl um die politische Dimension des Albums zu unterstreichen, wurde ein Standbild aus der 1968 veröffentlichten Dokumentation „In the Year of the Pig“ gewählt, in der Regisseur Emile de Antonio die Ursachen des Vietnamkriegs beleuchtete. Zu sehen ist eine Aufnahme des Marine-Unteroffiziers Michael Wynn, der seinen Helm mit dem abgewandelten Hippie-Spruch „Make War Not Love“ versehen hatte. Von der THE SMITHS Hof-Layouterin Caryn Gough auf Morrisseys Wunsch hin zu „Meat Is Murder“ abgeändert, kann das Bild als Aufruf zum Kampf für Tierrechte gedeutet werden, der Morrisseys Ansicht nach zu nachlässig geführt wurde. Auch eine Auslegung als Metapher für das Thema Gewalt, das sich wie ein roter Faden durch das Album zieht, ist denkbar.
Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass „Meat Is Murder“ mit flirrenden Gitarren, Funk- und Rockabilly-Anleihen auf Nummer eins der UK-Albumcharts schießen und damit Bruce Springsteens Rockbombast-Album „Born In The U.S.A.“ kurzfristig entthronen konnte. Es sollte das einzige THE SMITHS-Album bleiben, das es bis ganz an die Spitze schaffte. Und es dürfte neben der 1981 gedrehten und 1982 erstmals im britischen Fernsehen ausgestrahlten Tierrechtsdoku „The Animals Film“ eines der wenigen Medienprodukte dieser Zeit sein, das große Massen dazu bewegen konnte, Vegetarier zu werden. „It’s not natural, normal or kind / The flesh you so fancifully fry / The meat in your mouth / As you savour the flavour / Of murder“ ... Noch deutlicher kann man Protest kaum ausdrücken.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #123 Dezember 2015/Januar 2016 und Anke Kalau