Drei Monate nach meinem Umzug nach München weiß ich zwar immer noch nicht so recht, was ich vom musikalischen Angebot dieser Stadt halten soll, aber zumindest ist Weilheim nicht weit, die Heimat von Labels wie Payola, Kollaps und dem sich zum Vertrieb gemauserten Hausmusik-Mailorder. Bei Kollaps unter Vertrag ist auch seit drei Platten das Münchner Trio COUCH, mittlerweile verstärkt durch die Keyboarderin Stefanie Böhm, Bass und Stimme von SUBATOMIC und auch unter dem Namen MS. JOHN SODA aktiv. COUCH-Bassist Michael Heilrath betreibt noch ein rein elektronisches Solo-Projekt namens BLOND und hat kürzlich bei Payola eine ganz hervorragende Platte mit verzerrten Breakbeat-Strukturen und abstrakten Synthie-Schleifen veröffentlicht, die ich nur jedem ans Herz legen kann, der sich ansatzweise für innovative Elektroniksounds interessiert. Gitarrist Jürgen Söder spielt dafür in der seltsamen Avantgarde-Pop-Band SCHWERMUT FOREST mit, die ebenfalls auf Kollaps eine sehr schöne Platte namens "Sort Of" veröffentlicht hat. Bei COUCH stellt sich aber vor allem die Frage, welchen Stellenwert diese Band momentan überhaupt hätte, wenn es nicht so etwas wie Postrock bzw. Bands wie TORTOISE gegeben hätte, wodurch auch etwas abgefahrenere Bands in Deutschland inzwischen mal ein paar Platten mehr verkaufen können. Diese Überlegung schmälert aber nicht im geringsten die offensichtlichen Qualitäten der bisherigen drei Platten der Münchner, die mit ihrem letzten Werk "Fantasy" extrem clever Pop, klassischen instrumentalen Indierock und Improvisationsstrukturen zu einem äußerst originären, homogenen Ganzen verschmolzen. In seiner Münchner WG traf ich mich mit Bassist Michael Heilrath, damit nicht nur wieder in der Spex etwas über diese exzellente Band zu lesen ist.
Erzähl doch mal kurz etwas zum Background von COUCH.
COUCH gibt es jetzt ca. sechs Jahre und schon davor kamen wir aus der Instrumental-Ecke. Wir haben in den 80ern mit Noise- und Improvisations-Kram angefangen und das zwei, drei Jahre durchgezogen. Zu dieser Zeit hatten wir noch nicht einmal einen richtigen Namen. Eigentlich waren wir eine klassische Proberaum-Band, die höchstens zweimal im Jahr einen Auftritt an Land zog. Es hat sich dann herausgestellt, daß das nicht unser Ding ist und wir haben alles komplett aufgelöst, weil das super frustrierend wurde. Wir haben schließlich mit den Namen COUCH doch noch mal neu angefangen, wieder mit denselben Leute, aber diesmal mit richtigen Stücken.
Was für musikalische Einflüsse haben damals eine Rolle gespielt?
Eigentlich komme ich ja aus der Hardcore-Ecke. Das ist ganz klar mein Haupteinfluß und ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich zu diesem anderen Kram gekommen bin. Irgendwann habe ich begonnen, mich für diese komischen Avantgarde-Leute zu interessieren. Dementsprechend hart und frei war am Anfang unsere musikalische Ausrichtung - eine Mischung aus Hardcore und dieser John Zorn-Avantgarde-Ecke. Das ist aber mittlerweile nicht mehr so interessant für uns. Instrumental wird es wahrscheinlich aber immer bleiben, da einfach kein Anliegen für Gesang da ist.
Wie meinst du das, es gäbe kein Anliegen für Gesang, bzw. was hat man als Instrumentalband überhaupt für ein spezielles Anliegen? Was transportiert man dann letztendlich, wirklich nur die pure Emotion?
Was ankommt, weiß ich leider auch nicht. Ich kenne nur den Effekt, wenn man die Musik macht. Ich finde es aber auch gar nicht so abwegig, nicht singen zu wollen. Man will Musik machen, man will Stücke schreiben, aber es gibt eben keinen Text, sondern alles reduziert sich auf die Musik und deren Strukturen. Die ganze Techno-Bewegung beruht darauf und das scheint dort sehr gut zu funktionieren.
Gut, aber der Techno-Bewegung wirft man eine extreme Sprachlosigkeit und einen ungehemmten Hedonismus vor und bei euch würde man wahrscheinlich doch eher von ausgeprägter Kopfmusik reden.
Nur weil der Gesang fehlt, ist es aber nicht automatisch Kopfmusik. Im Grunde lassen wir einfach nur etwas weg und konzentrieren uns verstärkt auf den Rest, der übrig ist. Ich weiß nicht, warum das kopflastiger sein soll, als wenn ich mir irgendwelche Texte ausdenke. Ich glaube, wenn wir jetzt mit Gesang anfangen würden, wären wir eine schlechte Gesangsband, so sind wir wenigstens eine mittelmäßige Instrumentalband.(lacht)
Ich will jetzt nicht wieder mit dieser Postrock-Leier anfangen, aber ihr hättet es vor ein paar Jahren noch wesentlich schwerer gehabt, mit rein instrumentaler Musik Aufmerksamkeit zu erregen.
Es ist klar, daß sich die Frage mit Postrock stellt, denn sehr viele Instrumentalbands im Indiebereich sind eindeutig durch TORTOISE geprägt. Wie schon gesagt, wir machen das auch schon ziemlich lange und haben nicht erst nach der dritten Postrock-Platte damit angefangen. Der Ansatz ist ja tatsächlich ähnlich: Typen, die vorher in Punk/Hardcore-Bands gespielt haben und jetzt Instrumentalmusik machen. Jeder hat dabei natürlich seine Vorlieben, wobei ich echt nicht besonders scharf auf Postrock bin. Persönlich höre ich mir öfters eine TOCOTRONIC- als eine TORTOISE-Platte an.
Trotzdem hat die Sache mit Postrock natürlich etwas praktisches, denn bei damaligen Interviews wurde grundsätzlich zuerst nach dem Gesang gefragt. Mittlerweile ist es nicht mehr so, daß man das dauernd erklären muß. Es gibt glücklicherweise ein paar Bands, die etwas bekannter sind und dadurch die Hörgewohnheiten verändert haben. Es geht dabei gar nicht darum, daß es jetzt eine passende Schublade gibt, sondern daß es irgendwie legitimiert ist, was man macht. Wir brechen aber auch nicht offensiv mit Rock oder sagen, Gitarren oder Rock würden uns nicht mehr interessieren. Da gibt es Bands wie KREIDLER oder KANTE, auf die das eher zutrifft, aber wahrscheinlich hatten die auch nie richtig was mit Indierock zu tun, deshalb kann man ihnen das kaum vorwerfen. Unter diesen Bands sind wir noch eher die Rocker. Kein Ahnung, ob man das auf CD so empfindet. Im Vergleich zu einer richtigen Rockband rocken wir natürlich auch nicht.
Habt ihr eigentlich generell viel Promotion für die neue Platte gemacht?
Ja, wir waren neulich drei Tage in Berlin, Hamburg und Köln und haben da jeweils Interviews gegeben. Bisher war es immer so, daß die Platte rauskam, wenn sie fertig war und irgendwann mal zufällig jemand ein Interview machen wollte. Jetzt gab es gleichzeitig zur Veröffentlichung der Platte auch Artikel. Das ist mir persönlich ganz recht, weil dadurch auch ein paar Leute außerhalb von irgendwelchen Spezialistenkreisen mitkriegen, daß es diese Platte gibt. Wir wollen damit aber nicht krampfhaft die Indie-Welt von uns überzeugen.
Ist es eigentlich seltsam für dich, daß mittlerweile auch Indie-Label verstärkt mit ausgeklügelten Vermarktungsstrategien am Start sind?
Das ist schon irgendwie extrem, aber da sind Kitty Yo noch nicht einmal die Eifrigsten. Inzwischen ist jedem klar, daß man gucken muß, noch den letzten Artikel in irgendeinem Blättchen zu ergattern. Vielleicht ist das schon wieder etwas zu übertrieben, wenn man bedenkt, daß es nur um Kleinstbands geht, wie eben bei uns auch. Für mich ist die Rechtfertigung dafür, daß man während der Tour vielleicht mal vor 20 Leuten mehr spielt.
Beobachtet man eigentlich dadurch auch stärker das Musikgeschehen in Deutschland?
Irgendwie schon, aber ich bin nicht der Typ, der sich jeden Monat alle Fanzines und Zeitschriften durchliest. Ich kaufe mir selten solche Hefte und selten neue Platten. Man kriegt es dadurch mit, daß man sieht, welche Bands auf Tour sind. Das heißt aber nicht, daß ich gar nichts neues mehr höre, damit mich nichts beeinflußt, sondern ich höre einfach viel weniger als früher. Denn wenn ich zu Hause bin, sitze ich 90% der Zeit vor dem Computer und mache selber irgendwelche Sachen, man hat also einfach viel weniger Zeit zum Hören. Früher war ich ein fanatischer Musikhörer.
Wie wichtig ist denn der Computer als Instrument für dich?
Mein anderes Projekt heißt BLOND. Das ist ein reines Elektronikprojekt und da sitze ich natürlich nur vor dem Rechner. Für COUCH sitze ich zwar auch regelmäßig vor dem Computer, aber da nutze ich ihn hauptsächlich als moderne Version eines Vier-Spur-Gerätes. Ich sitze mit dem Baß davor und schrammel was in den Computer rein. Im Studio wird das dann ganz normal aufgenommen und wir verzichten auf Computer. Für mich ist das nur ein Werkzeug, mit dem ich ziemlich schnell und effektiv arbeiten kann. Wenn ich einen Einfall habe, will ich nicht drei Stunden beschäftigt sein, bis ich endlich etwas aufnehmen kann. Der Computer ist ein perfektes Notizbuch. Eigentlich bin ich auch ein ziemlicher Analogfan. Ich arbeite auch noch als Tontechniker beim Theater, da bin eindeutig vom Analogen überzeugt. Das ist nicht nur ein Trend-Ding, sondern es ist auch nachweisbar, wo da die Unterschiede sind.
Laß uns mal konkret auf die neue Platte "Fantasy" zu sprechen kommen. Die klingt dank Keyboard und Pop-Einflüssen wesentlich lockerer als die beiden Vorgänger. Wie geplant war denn diese Entwicklung?
Daß die neue Platte lockerer wurde, ist eher eine zufällige Entwicklung. Wenn man sich unsere bisherigen Platten anhört, ist das für mich aber eine sehr logische Weiterentwicklung. Die erste Platte war noch viel eckiger und jedes Stück viel zerhackter. Im Prinzip ist die zweite Platte genau das Mittelding zwischen der ersten und der aktuellen. Das wichtigste bei der neuen Platte ist, daß sie ein bestimmtes Feeling durchzieht, sie als eine Einheit dasteht und unser Ansatz insgesamt positiver wurde. Keyboard kam deshalb dazu, weil ich zu Hause am Computer angefangen habe zusätzliche Sachen um die Songs zu bauen, die bei der Aufnahme im Studio meistens weggelassen wurden. Bis es bei einigen Stücken passierte, daß die ohne diese zusätzlichen Elemente nicht mehr funktionierten. Deshalb machte es Sinn, eine vierte Person dazu zu nehmen. Das war eigentlich eine umgekehrte Entscheidung, denn die Stücke und die vierte Stimme waren bereits da, also mußte man sich jemanden suchen, der das macht.
Besitzt ihr in München eigentlich einen bestimmten Bekanntheitsgrad?
Wir sind keine Lokalmatadore oder so was, nicht mal ansatzweise, falls du das meinst. Das sind andere Bands hier. Das finde ich auch nicht besonders tragisch, weil wir uns in dieser Hinsicht nie besonders bemüht haben. Wir spielen auch nicht allzu oft in München, höchstens einmal im Jahr. Hier gibt es eine Fraktion von Bands, die zweimal im Monat spielen, und da wollten wir nie dazu gehören. Das wird sich auch nicht so schnell ändern. Unser Bezugspunkt war bedingt durch unser Label Kollaps in erster Linie immer Weilheim.
Wie kommt man eigentlich an ein Label wie Kollaps?
Das war reiner Zufall. Einen unseren ersten Auftritte haben wir direkt bei denen da draußen absolviert. Wir kannten das Label zu diesem Zeitpunkt noch nicht so richtig, aber wir haben schnell gemerkt, daß wir da ganz gut hinpassen. Schließlich gab es da auch lauter Krachbands. Die Sache mit dem Label war auch unheimlich wichtig für uns, sonst hätten wir wahrscheinlich schon nach zwei Jahren wieder aufgegeben.
Gibt es bei einem kleinen Label nicht oft das Problem, daß es irgendwann für eine Band nicht mehr richtig weitergeht, obwohl noch genügend Potential vorhanden ist?
Deshalb ist die Kooperation von Kollaps mit Kitty Yo unheimlich wichtig, denn ein knappes halbes Jahr, nachdem wir die zweite Platte gemacht hatten, kam die dann bei Kitty Yo als CD heraus. Wir wollten die Platte unbedingt als CD haben, damit es irgendwie voran geht. Da geht es nicht darum, daß man jetzt bekannt werden oder den Durchbruch schaffen will, sondern, daß die Platten überhaupt in irgendwelchen Läden stehen.
Außerdem gibt es jetzt ja auch Hausmusik als richtig funktionierenden Vertrieb. Damals war das ja nur ein Mailorder. Als das Vinyl der zweiten Platte bei Kollaps herauskam, haben wir noch selber Kassetten gezogen und die an einige Magazine geschickt. Aber es ist auch nicht so, daß man durch mehr Promotion automatisch mehr verkauft. Insofern hat das Kollaps-System, was den sicheren Absatz bestimmter Stückzahlen betrifft, bisher immer gut funktioniert. Aber die CD ist einfach zu weit verbreitet und inzwischen gibt es unheimlich viele Leute, die überhaupt keinen Plattenspieler mehr haben. Im Moment gibt es wirklich keinen Grund nur noch Vinyl zu machen, da würde man sich selbst ein Bein stellen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #35 II 1999 und Thomas Kerpen
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