Was verbindet Gruppen wie SLIME, SUPERPUNK und SPORTFREUNDE STILLER sowie TURBOSTAAT, FAUST und BOSNIAN RAINBOWS? Alle haben im Hamburger Clouds Hill-Studio aufgenommen, und die drei Letztgenannten haben ihre Alben auch auf dem Clouds Hill-Label veröffentlicht. Die Räumlichkeiten in einem alten Hamburger Speicherhaus im Stadtteil Rothenburgsort erstrecken sich über zwei Etagen und bieten neben 350 qm Studiofläche auch noch 500 qm Wohnfläche für die Bands. Wir besuchten Studio- und Labelbetreiber Johann Scheerer, welcher sich in der glücklichen Lage befindet, Musik so klingen zu lassen, wie man sie selbst gerne hören will, an seinem Arbeitsplatz.
Johann, wie bist du zur Musik gekommen?
Ich glaube, das ist langweilig und kaum erzählenswert. Mit 13 fing ich mit dem Musikmachen an, habe in einer Band gespielt und tatsächlich einmal einen Talentwettbewerb gewonnen. Dann war ich kurzzeitig, noch vor meinem 18. Lebensjahr, bei einem Major unter Vertrag. Daraus ist aber nichts geworden, weil die Plattenfirma den Bach runtergegangen ist. Außerdem war die Idee, uns groß rauszubringen, völlig idiotisch. Ich habe mir tatsächlich selbst schon die Frage gestellt, wie ich überhaupt zum Aufnehmen gekommen bin. Da gibt es ja immer diese klassischen Geschichten, dass es nun mal einer in der Band machen muss, und das war dann ich. Rückwirkend erinnere ich mich noch an Arbeitsgänge, die fatal waren. Das erklärt auch, warum die Sachen so wahnsinnig beschissen geklungen haben. Aber ich habe einfach geübt. Ich nehme Musik auf, seit ich 17 bin. Ich habe auch ein Praktikum im Studio gemacht, Tontechniker gelernt und ein, zwei Studios mit Freunden aufgemacht.
Und wie entstand Clouds Hill?
Clouds Hill entstand deshalb, weil ich Räume gesucht habe. Ich hatte vorher, mit einem Freund zusammen, ein Studio in der Chemnitzstraße, im alten taz-Gebäude, das wurde ja jetzt abgerissen. Wir haben uns arbeitsmäßig nicht so gut verstanden und sind uns da immer so ein bisschen in die Quere gekommen. Ich habe Thies Mynther gefragt, ob er nicht aus seinem Studio raus will und wir etwas zusammen machen. 2005 habe ich dann diese Räumlichkeiten hier gefunden. Zwei Stockwerke tiefer saß übrigens früher der legendäre EFA-Vertrieb. Damals war es bei weitem noch nicht so groß, es gab nur diesen Aufnahmeraum hier, den Raum, wo jetzt das Mischpult steht, und dahinten, eine Tür weiter, hatte Thies seinen Raum.
Zwischen 2000 und 2008 haben viele Studios zugemacht. Was hat dich dazu gebracht, gerade in einer Zeit, als es nicht gut läuft, diesen Schritt zu wagen? Fühltest du dich berufen weitermachen, als Liebhaber und Besitzer der analogen Technik?
Antizyklisch handeln, sagt mir mein BWL-Studium. Nein, das war, würde ich jetzt sagen, einfach so eine Bauch-Entscheidung. Ich hatte irgendwie die Idee, dass das nötig ist und funktionieren könnte. Es gab nicht mehr so viele Studios, die analoges Aufnehmen anbieten, deshalb war hier eigentlich immer viel los. Als ich angefangen hatte, war natürlich viel weniger Aufnahmeequipment da, aber es war analog: eine Bandmaschine, ein analoges Pult und ein paar andere Geräte, alles Klassiker. Dass es jetzt mehr geworden ist, das ist einer Liebe geschuldet und ich fühle mich fast ein bisschen verpflichtet, das zu machen, weil es sonst keiner macht.
Und was macht dir dabei am meisten Spaß?
Mit Bands aufnehmen und an Platten arbeiten. Der kreative Songwriting-, und Aufnahmeprozess, den man gemeinsam abschließt. Eigentlich ist der schönste Moment immer der, wenn ein Song fertig aufgenommen ist. Der muss gar nicht fertig gemischt sein. Das letzte Draufgucken und wenn der Song dann noch einmal 5% geiler wird, that’s it.
Wie ist das Clouds Hill-Plattenlabel entstanden, war das eine logische Folge?
Nein, überhaupt nicht. Ich wollte nie auf der anderen Seite stehen. Ich bin ja eigentlich Musiker und für einen Musiker ist die Plattenfirma die falsche Seite. Obwohl man ja eigentlich etwas gemeinsam macht, fühlt es sich so an, als wären das die Bösen. Da wollte ich nie sein und bin dann so irgendwie reingerutscht. Das fing damit an, dass hier im Studio immer so viele unterschiedliche Produktionen waren, PHANTOM/GHOST, MUFF POTTER, FAUST, LA STAMPA! oder Michaela Meise. Das waren alles ganz unterschiedliche Sachen, aber im Klangbild gibt es gewisse Parallelen, die auf einen bestimmten Sound des Studios schließen lassen, und das fand ich interessant. Daraufhin habe ich mir überlegt, die Künstler, die hier aufnehmen und jeden Produktionsschritt durchlaufen, zu fragen, ob sie mir ein Stück von der Produktion, das nicht auf das Album kommt, geben und ich das als 7“ veröffentliche, limitiert auf ein paar Hundert Stück. 2009 war das, und wir haben neun 7“s herausgebracht; das lief teilweise ganz gut. Dann kamen STELLA, die haben drei Jahre an ihrer Platte gearbeitet, und als sie fertig war, hatte keiner in der Band Bock, jetzt noch auf Labelsuche zu gehen. Die meinten: „Du hast doch einen Labelcode und arbeitest mit einem Vertrieb zusammen, willst du das nicht machen?“ Okay, habe ich gesagt, aber ich will nur Vinyl machen. Ich will als Label nur der Kanal sein: vom Studio nach draußen. Ich will keine Werbung machen, keine CDs und keine Promotion. Die Bands, die wir veröffentlichen, die spielen ja gar nicht da, wo es darauf ankommt, irgendwo mithalten zu müssen. Wir haben eine EP mit FAUST gemacht, aber da wird sich kein Radiosender melden. Wir sind keinen Zwängen unterworfen. Weil ich das FAUST-Album produziert hatte, war ich irgendwann, ein, zwei Jahre später, auf dem Avantgarde Festival in Schiphorst. Dort habe ich dann GALLON DRUNK gesehen, und ich kannte deren Frontmann James Johnston noch von den FAUST-Aufnahmen. Ich habe ihn angesprochen und gesagt, wenn ihr irgendwann noch einmal eine Platte machen wollt, ich würde die wahnsinnig gerne aufnehmen beziehungsweise sogar produzieren. Dann haben die sich ein paar Monate später gemeldet und da sie kein Label hatten, habe ich angeboten, das zu veröffentlichen. Tatsächlich kam mit dieser Band die Verpflichtung, das richtig zu machen. Da kippte es und ich habe mir gedacht, okay, so sehr ich das einerseits nicht wollte, so sehr fühle ich mich jetzt in der Pflicht, das machen zu müssen. Denn wenn man so eine Band veröffentlicht, da kann man nicht sagen, wir stellen das in Läden, aber sonst machen wir nichts. Dadurch kam das alles langsam ins Rollen, sodass wir uns immer mehr gekümmert haben. Nach GALLON DRUNK kamen ja auch viele andere Bands. Irgendwie wuchs das Label und spätestens mit der TURBOSTAAT-Veröffentlichung, wo es auch so um Titelthemen von Musikzeitungen und so weiter ging, oder mit der BOSNIAN RAINBOWS-Platte, das sind ganz andere Hausnummern. Wir sind mittlerweile fünf Leute und machen die Promo- und Pressearbeit selbst. Es entwickelt sich immer weiter, aber tatsächlich ist die Idee geblieben, dass jeder, der hier unterschreibt, 100% künstlerische Freiheit hat. Die Idee, dass eine Plattenfirma irgendetwas besser weiß als der Künstler, ist Quatsch.
Wie kommst du mit diesen Veränderungen zurecht? Erst Musiker, der ein Tonstudio eröffnet, dann kommen Label und schließlich die Pressearbeit dazu und schließlich bist du ja auch noch als Produzent tätig.
Das mache ich ja nicht alles alleine. Als es größer wurde, habe ich mich aus dem Tagesgeschäft des Labels herausgezogen. Ich mache nur noch die Koordination und natürlich die Kreativarbeit, weil ich ja nun mal derjenige bin, der die Sachen meistens produziert. TURBOSTAAT war jetzt die erste nicht von mir produzierte Veröffentlichung, aber sonst bin ich eigentlich immer der, der hier im Studio sitzt und die Platten fertigmacht. Erst dann gehen sie zum Label. Es ist ja noch immer das Dogma des Labels, dass wir nur Sachen veröffentlichen, die auch hier produziert wurden.
Ist es nicht auch ein Nachteil, wenn kein fremdes Ohr noch einmal die Produktion hört?
Das Mastering machen wir nicht selbst, das übernimmt häufig Chris von Rautenkranz, der ja auch hier sein Masteringstudio Soundgarden hat. Aber das ist eine sehr interessante Frage, denn das hängt total vom Einzelfall ab. Die aktuelle erschienene BOSNIAN RAINBOWS-Platte habe ich produziert und aufgenommen. Wir haben uns da gewisse Restriktionen auferlegt, nämlich dass wir komplett nur auf Band arbeiten, das heißt wir haben eine Spurenbegrenzung und so etwas, dadurch mussten sehr viele Produktionsentscheidungen während der Aufnahme getroffen werden. Da fand ich es sehr gut, dass das jemand anderes mischt. Meine Art zu produzieren hat sehr viel mit Sound, mit der richtigen Mikrofonwahl, mit der richtigen Räumlichkeit und mit dem richtigen Gefühl zu tun. Es geht darum, ein Gefühl zu vermitteln, und da gehört der Mischprozess für mich oft auch mit dazu. Oft nehme ich Sachen so auf, dass sie nur dann funktionieren, wenn sie auch auf eine ganz bestimmte Art und Weise gemischt werden. Das ist dann häufig etwas, das ich nicht aus der Hand geben will. Ich glaube, dass es dann nicht so wird, wie ich es mir gedacht habe.
Wie ist das, wenn du als Produzent hier sitzt und gleichzeitig auch für die Aufnahme verantwortlich bist, inwieweit greifst du ein und beeinflusst die Musiker?
Das ist ganz unterschiedlich. Zwei Beispiele: Deniz von KRAKÓW LOVES ADANA hatte mir Demos für die nächste Platte geschickt und gefragt, was ich davon halte. Ich habe mir die dann angehört und ihr eine vierseitige Mail dazu geschrieben und gesagt, ich würde bei dem Song nicht den Refrain benutzen oder spiele das Lied doch einmal zehn Beats schneller, so etwas mache ich dann schon. Bei der GALLON DRUNK-Platte, die wir jetzt gerade aufgenommen haben und die nächstes Jahr herauskommt, da ist auch etwas passiert. Es sollte ein Stück gespielt werden, ein Rock-Song, aber der Trommler war noch nicht da. Die haben also noch geübt, die Parts und die Harmonien geklärt und es so ganz leise gespielt, ohne Kopfhörer. Ich fand das superschön, und habe es sofort aufgenommen und meinte, Leute, lasst uns jetzt erst einmal daraus ein Stück machen, also aus dieser Probeversion in langsam und leise. Wir haben einen ganzen Tag dran gearbeitet und dieses Stück fertig gemacht. Sie waren erst überhaupt nicht überzeugt, denn GALLON DRUNK begreifen sich als Rockband und es ist sehr schwierig, sie davon zu überzeugen, leise Stücke zu spielen, was sie aber wahnsinnig gut können. Es hat dann aber geklappt und die Rockversion wurde gar nicht mehr aufgenommen. Stattdessen gibt es diese tolle ruhige Version. Insofern stimmt es gar nicht, dass ich da nicht so viel eingreife. Es hängt einfach wahnsinnig von der Band ab. Einer Gruppe wie den BOSNIAN RAINBOWS, der muss man als Produzent nicht sagen: Wollt ihr noch einmal über die Bridge nachdenken?
Mir ist aufgefallen, dass viele deiner Produktionen sehr räumlich klingen. Ganz besonders ist mir dies bei der ALLIE-Platte aufgefallen.
Ja, ich mag das. Das machen ja so wenige Leute. Alle Sachen klingen immer so fett. ALLIE – eigentlich heißt der Florian – hatte einfach Akustikgitarrendemos. Alles weitere, die komplette Instrumentierung, haben wir hier im Studio gemacht. Wir haben alles aufgenommen, vom Wassergeplätscher, was wir dann so bearbeitet haben, dass es rhythmisch ist, bis hin zu Schreibmaschinen- und Pingpong-Geschichten. Das funktioniert nur, wenn es dynamisch ist, denn es sind leise Signale, die bewusst leise sein sollen, und laute Signale, die bewusst laut sein sollen. Das kann man nicht so platt quetschen, das ist nicht dafür gemacht.
Digitale Aufnahmetechnik wird von euch auch angeboten. Warum? Gibt es da bessere Möglichkeiten?
Wenn ich im Studio arbeite, will ich das nicht ausschließen. Die Produktionen, bei denen kein Computer eingeschaltet und ausschließlich auf Band gearbeitet wird, kann ich an zwei Händen abzählen. Aber viel wichtiger ist natürlich, dass die Haupteinnahmequelle dieses Studios die Vermietung an andere Bands ist, die dann hier wochenlang sind, und von denen will keiner auf Tonband arbeiten.
Das betreut ihr dann nicht technisch, sondern vermietet nur?
Ja. Gerade waren die SPORTFREUNDE STILLER eineinhalb Monate hier, da war ich gar nicht da, denn die haben ihren Produzenten und Tontechniker mitgebracht.
Brauchen Musiker dank Softwareprogrammen wie Autotune oder Melodrive überhaupt noch handwerkliche Fähigkeiten am Instrument, wenn hinterher am Computer so viel nachbearbeitet werden kann?
Na ja, man sollte das alles nicht verteufeln. Wenn man das als Musikinstrument begreift und richtig einsetzt, dann sind das kreative Tools. Mit Autotune kann man einiges korrigieren, wenn jemand nicht singen kann. Cher wiederum hat das dann anders benutzt bei dem Song „Do you believe in love“ – da hat es jemand kreativ benutzt. Solche Tools werden dann schlecht verwendet, wenn jemand nicht singen kann und trotzdem eine Platte machen möchte, die so klingen soll, als ob er gut singen kann. Da fängt ja schon der Fehler an, daran ist aber nicht die Software schuld.
Mittlerweile gibt es ja auch Software, um einen bestimmten Studiosound klangtechnisch zu imitieren.
Ich weiß, dass das angeboten wird. Das gab es auch vor Jahren schon, wie den Mikrophone Modeler von Antares. Du hast beispielsweise ein Mikro für 100 Euro und kaufst dir dann für 250 Euro dieses Plug-in, wo du auswählen kannst, dass es wie ein 10.000 Euro teures Mikrofon klingen soll. Das geht natürlich nicht. Ja, es gibt eine Menge Quatsch. Den Geschmack von einem Produzenten bekommst du nicht als Plug-in. Obwohl, so ein Geschmacks-Plug-in, das fände ich eigentlich ganz gut. Dann kann man sich so kleine Karten kaufen, so wie früher die DSP-Karten, mit dem Geschmack von namhaften Produzenten, hahaha. Wenn die dann auch noch das Gerät sponsorn, kann man auf die Platte schreiben: „Produziert von Rick Rubin.“
Hast du Produzenten betreffend irgendwelche Vorbilder?
Nein, eigentlich nicht. Es gibt ein paar Produktionen, die ich mag. Ich habe schon Produzenten kennen gelernt, von denen ich dachte, dass ich sie mag, aber ich mochte sie dann gar nicht, weil sie ganz andere Sachen machten, als ich gedacht hatte. Ich hatte mir vorgestellt, die arbeiten auf eine bestimmte Art und Weise.
Wie geht es weiter?
Solange es so weiterläuft, wie es jetzt ist, dass sich konstant mehr Leute für das interessieren, was wir hier machen, reicht das. Wenn mir vor einem Jahr jemand erzählt hätte, dass wir 10.000 Platten von TURBOSTAAT verkaufen würden, hätte ich gesagt: Wie soll das denn gehen? Aber das hat sich jetzt gar nicht so angefühlt, als wäre man da. Im Grunde ist man gefühlsmäßig noch immer da, wo man vorher war, nur man guckt jetzt woanders hin. Wir bauen jetzt hier im Studio einen Raum um, und Nicole, die hier bei uns die Promo macht, die meinte auch neulich zu Pascal, ob das auch irgendwann fertig ist. Aber es wird nie fertig sein. Das ist auch nicht dafür gemacht, dass es irgendwann fertig ist.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #111 Dezember 2013/Januar 2014 und Kay Werner